zurück zum Artikel

Deutsche Waffen für Arabiens Autokraten

Leopard 2 A7. Bild: AMB Brescia/CC BY-2.0

Milliardenaufträge in Kairo, steigende Nachfrage an deutschen Rüstungsgütern in Riad und Abu Dhabi: Der Schmusekurs der Bundesregierung mit den autoritären Regimes des Nahen Ostens hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe

Mit energischen Handbewegungen hakt die Ministerin nach. Ab und an streut Ursula von der Leyen ein gewinnendes Lächeln ein, nur um nachdenklich mit der Stirn zu runzeln, wenn einer der Herren in dunklem Anzug etwas nachfragt. Und immer wieder zeigt sie mit der Hand auf die vier Hightech-Geschosse, die publikumswirksam am Stand von Diehl Defence aufgestellt sind: Iris-T, LaGS und GILA heißen die akkurat auf Metallpfeilern montierten Lenkraketen, auch ein Exemplar des Flugprofilrekorders FPR für Manöver der Luftwaffe wird in der großen Ausstellerhalle präsentiert.

Verständnisvoll nicken die Vertreter der Führungsriege des süddeutschen Traditionsunternehmens mit den Köpfen, als sich die Bundesverteidigungsministerin zu ihnen hinüberbeugt. Im Schein der Deckenbeleuchtung glänzen helle Farbkleckse auf den modernen Tötungsmaschinen.

Es ist ein heißer Nachmittag, an dem die kurze Begegnung der Ministerin mit den Vertretern des Diehl-Konzerns stattfindet, Deutschlands fünftgrößtem Rüstungs-produzenten.1 Ein Pulk aus Fotografen und Reportern folgt von der Leyen auf ihrem Rundgang über die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA), die Berlin Air Show. Kein Schritt der nach Bundeskanzlerin Angela Merkel mächtigsten CDU-Politikerin bleibt unbeobachtet.

Lächelnd lobt von der Leyen die beharrliche Arbeit der Bundeswehr in schwierigen Zeiten. Gut gelaunt gibt sie sich im Gespräch mit Soldaten und Ausstellern. Mit "Life-Cycle-Lösungen aus einer Hand" und Werbesprüchen wie "Wenn es darauf ankommt" buhlen die Anbieter hier um Kunden, wie etwa am Stand von RUAG, dem Rüstungsproduzenten aus Wedel. "Auf unsere Munition ist Verlass", heißt es da und neben einer Vitrine mit Patronen: "The Sniper’s Choice".

Nur alle zwei Jahre findet die zivil-militärische Messe in Schönefeld statt, und das ausgerechnet neben dem Gelände des Berliner Pannenflughafens BER. Die Vertreter der Sicherheits- und Wehrtechnikbranche aber können über ausbleibende Abschlüsse nicht klagen. Einzelgenehmigungen im Wert von 6,88 Milliarden Euro erteilte die Bundesregierung 2016 deutschen Rüstungsunternehmen - fast 3 Milliarden mehr als zwei Jahre zuvor.

Die Zahl der Sammelausfuhren war 2015 mit 4,9 Milliarden Euro um fast 100 Prozent gestiegen: Insgesamt wurden damit Rüstungsexporte in Höhe von fast 13 Milliarden Euro genehmigt. Nicht nur zur Freude der Big Five der deutschen Rüstungsindustrie - Airbus Defence and Space, Rheinmetall, ThyssenKrupp Marine Systems, Krauss-Maffei Wegmann und Diehl Defence. Auch mittelständische Betriebe wie Chemring Defence in Bremerhaven, die Carl Walter GmbH in Wuppertal oder Dynmaik Nobel Defence im Siegerland profitieren von den neuen Rekordexporten.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Die Profiteure des Terrors [1] von Markus Bickel, das heute im Westend Verlag erscheint.

Das Geschäft mit dem Krieg boomt

Dass 2015 fast zwei Drittel und 2016 immer noch mehr als die Hälfte der Ausfuhren in sogenannte Drittstaaten gingen, die weder EU noch NATO angehören oder deren Mitgliedern gleichgestellt sind, zeigt, wie sehr das Geschäft mit dem Krieg boomt. Mit mehr als vierzig Konflikten ist die Welt so gewaltsam wie seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr, ganz besonders in Nahost. Schlimmer noch: Unter den Top Ten der Empfängerländer deutscher Kriegs- und Rüstungsgüter fanden sich in den vergangenen Jahren drei Staaten, die in der neben Afrika konfliktreichsten Region der Welt direkt in Kampfhandlungen verwickelt sind.

Kommerzielle Kriegswaffenausfuhren in Drittländer von 2005 bis 2015.

Katar lag 2015 auf Platz 1, Saudi-Arabien 2016 auf Platz 3, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Staaten (VAE) auf Rang 9.Die drei deutschen Verbündeten stehen seit 2015 an der Spitze einer Militärallianz, die das Armenhaus der arabischen Welt, den Jemen, zurück in die Steinzeit bombt - Frontstaaten im religiös aufgeheizten Regionalkampf um die Hegemonie am Persischen Golf. Tausende Angriffe sind saudische Piloten im Rückgrat der deutschen Luftwaffe, dem Eurofighter, dort geflogen. 45 Prozent beträgt der deutsche Ausrüstungsanteil am Eurofighter-Gesamtsystem, das außerdem von britischen, spanischen und italienischen Firmen an vier Endmontagestätten hergestellt wird. Ein Milliardenprojekt.

Die vier Herren, die sich am Stand von Diehl um von der Leyen gruppiert haben, verdienen ebenfalls kräftig mit an den Kriegen und Krisen in der arabischen Welt. Auf 405 Millionen Euro belief sich zuletzt der Umsatz von Diehl Defence, der die Bereiche Sicherheit und Verteidigung umfasst. In Abu Dhabi unterhält der Konzern ein Außenbüro, um "die Akquisitionsbemühungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in den anderen Golf-Staaten zu unterstützen", wie es auf der Homepage der Diehl-Gruppe heißt. Denn trotz sinkender Gas- und Öleinnahmen halten Auf- und Umrüstung in den rohstoffreichen Staaten am Persischen Golf an, mit immer stärkerem Fokus auf Späh- und Überwachungstechnik sowie auf Präzisionslenkwaffen.

Steigende Profite macht das Familienunternehmen auch deshalb, weil es sich nicht scheut, an verfeindete Konfliktparteien zu verkaufen: Sowohl Saudi-Arabien wie Israel werden mit Wehrtechnik aus dem Hause Diehl versorgt. Die regionale Aufrüstungsspirale treibt das weiter an: In Nordafrika haben sich die Militärausgaben in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, im Nahen und Mittleren Osten um zwei Drittel zugenommen. Auf rund 190 Milliarden Dollar summieren sich die Rüstungsetats von Ägypten im Westen, über Israel, die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) bis Iran.

Ein Markt, der mit kräftigen Gewinnen lockt, zumal Korruption und Waffenhandel eng zusammengehören. Schmiergeldzahlungen lassen sich zwar oft nicht nachweisen, doch die zahlreichen Gerichtsverfahren auch gegen deutsche Rüstungsproduzenten sprechen eine deutliche Sprache. Bestechung zum Erwerb politischer Gefälligkeiten gehört gerade in Schwellenländern oft dazu; Saudi-Arabien avancierte hier in den 1980er Jahren zum Vorreiter, als Milliardendeals mit dem britischen Rüstungsgiganten BAE Systems den internationalen Waffenhandel in neue Sphären hoben - jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle. Das Credo der Branche könnte deshalb auch lauten: Zu viel Öffentlichkeit schadet dem Geschäft.

Eine verschwiegene Branche

Anders als die machtbewusste Ministerin von der Leyen, die auf ihrem anvisierten Weg ins Kanzleramt keinem Mikrofon und keiner Kamera aus dem Weg geht, scheuen die Manager des Traditionsunternehmens deshalb Blitzlicht und kritische Nachfragen.

Misstrauisch schaut der Sprecher des Vorstands des Teilkonzerns Defence Claus Günther hinüber zu den Fotografen und Korrespondenten der Hauptstadtpresse. Am liebsten agiert der agile Wehrtechnikchef mit Businessanzug und smarter Brille im Hintergrund - Kontakte zu den Entscheidungsträgern des Verteidigungsministeriums und des für Rüstungs- und Kriegswaffenexporte verantwortlichen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn am Taunus zählen selbstredend dazu. Kein Unbekannter also für die Verteidigungsministerin.

Als dann aber ein älterer Herr mit grauem Haar und roter Krawatte zu der Runde auf dem Diehl-Messestand stößt, ist selbst die ansonsten auf alles vorbereitete Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt überrascht. "Jetzt lerne ich also den echten Herrn Diehl kennen", sagt von der Leyen. Thomas Diehl, der Patriarch des 1902 in Nürnberg gegründeten Unternehmens, hat sich eigens für den Ministerinnenbesuch in die Hauptstadt begeben.

Zu bereden gibt es genug. Denn die Branche ist zwei Jahre nach Beginn des Luftkriegs gegen den Islamischen Staat im Irak und in Syrien in Aufruhr - wieder einmal. Zwar hat von der Leyen neue Investitionen in die Bundeswehr angekündigt, die Zeit des Sparens sei vorbei: Bis 2020 soll der Verteidigungsetat so schrittweise um 10 Milliarden Euro erhöht werden, die größte Steigerung im letzten Vierteljahrhundert.

Doch die größten Geschäfte winken im Ausland, wo neben den Vereinigten Staaten, China und Russland zuletzt Frankreich groß auftrumpfte: Der Verkauf des von Dassault Aviation hergestellten Mehrzweckkampfflugzeugs Rafale an Ägypten und Katar bescherte der Rüstungsindustrie der Grande Nation Aufträge im Wert von 16 Milliarden Dollar. Auch zwei Hubschrauberträger der Mistral-Klasse lieferte Paris an die Militärmachthaber in Kairo.

Abgehängt zu werden von der Konkurrenz fürchtet die deutsche Rüstungslobby, zumal sich die europäischen Produzenten teilweise selbst im Wege stehen: Statt ihre Ressourcen zu bündeln, machen sie sich auf dem profitträchtigen globalen Kampffliegermarkt gegenseitig Konkurrenz. Nicht nur das Eurofighter-Konsortium mit Sitz in Hallbergmoos bei München buhlt international um Aufträge, Dassault Aviation aus Frankreich sowie der schwedische Hersteller Saab treten mit eigenen Modellen ebenfalls gegen die mächtigen amerikanischen Wettbewerber Lockheed Martin, Boeing und Northrop Grumman an.

Außerdem versuchte Sigmar Gabriel, eine neue Linie durchzusetzen: Weniger Waffen sollten künftig aus Deutschland verkauft werden, forderte der Vizekanzler gleich zu Beginn seiner Amtszeit. Nur durch Ab-, nicht durch Aufrüstung ließen sich die Krisenherde der Welt mittelfristig eindämmen. Das sei auch deshalb bitter nötig, weil ein entscheidender Grund für die Flüchtlingskrise in Europa die anhaltenden Kriege in Syrien und im Irak seien.

Die Rüstungsmanager hingegen irritiert es wenig, dass der Export von deutschem Kriegsgerät ein halbes Jahrzehnt nach den friedlichen Protesten in Kairo, Tunis und Damaskus wieder vermehrt in die Spannungs- und Konfliktzonen des arabischen Krisengürtels erfolgt. Dabei hatte das EU-Parlament bereits im März 2016 wegen des verheerenden Kriegs im Jemen ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien gefordert. Die Luftwaffe des Königreichs ist nicht nur mit Kampfflugzeugen der Typen Tornado und Eurofighter Typhoon ausgerüstet, die einen hohen deutschen Entwicklungs- und Produktionsanteil haben, sondern bezieht auch Iris-T-Raketen aus dem Hause Diehl.

Die spiegelglatten Lenkflugkörper, die am Stand an der Berlin Air Show ILA in blaues Licht getaucht sind, gelten dank der hoch entwickelten Infrarotsuchköpfe als Wunderwerk der Technik. Schon heute sind Eurofighter- und Tornadokampfjets serienmäßig mit den Geschossen aus dem Diehl-Werk in Überlingen am Bodensee bestückt.

Der Bedarf der saudischen Luftwaffe an den modernsten Kurzstreckenraketen der Welt liegt Militärfachleuten zufolge bei weit über tausend Stück, Tendenz steigend: Da kein Ende der Krisen auf der arabischen Halbinsel in Sicht ist, muss für Nachschub gesorgt sein - schließlich gilt es, sich für alle Eventualitäten vorzubereiten. Dazu zählt auch die Bedrohung durch den Iran, der Israel als zentrale Bedrohung der Hüterin der heiligen Stätten des Islams in Mekka und Medina längst abgelöst hat.

Üben für den Ernstfall

Über den Start- und Landebahnen des Schönefelder Flugfelds donnern an diesem sonnigen Nachmittag die Vorzeigeprodukte der deutschen und europäischen Luftfahrtindustrie hinweg - sehr zur Freude der zahlreichen Planespotter, die ihre Köpfe in den Nacken gelegt haben. Strahlend blau ist der Himmel, als ein Airbus 310 zwei Tornados in der Luft betankt. Abgeschirmt wird die Formation von zwei Eurofightern.

Über dem Norden Syriens gehört das Manöver zum Kriegsalltag der Piloten und Navigatoren der Luftwaffe: Um Angriffsziele für die Partner der internationalen Anti-IS-Allianz auszukundschaften, hat die Bundesregierung Aufklärungsflieger in das Kampfgebiet entsandt. Im Luftraum über Raqqa, Kobane und Qamischli sind die im oberbayerischen Manching gebauten Tornados vom Typ Recce seitdem unterwegs.

Das Kürzel ist dem Militärjargon entlehnt, es steht für "Reconnaissance", also Aufklärung. Feindliche Stellungen, Brücken und Straßen werden von den Piloten fotografiert. Ausgestattet sind die Flieger mit zwei Iris-T-Raketen, und für hochauflösende Aufklärungsfotos bei Tag und Nacht sorgt das digitale Optiksystem RecceLite, hergestellt im schwäbischen Oberkochen.

Weniger als fünf Flugstunden von Schönefeld entfernt liegt das türkische Incirlik. Vom südlichsten Stützpunkt der NATO aus steigen Kampfflugzeuge der internationalen Allianz gegen den IS zu ihren Angriffen auf Stellungen der Dschihadisten auf, greifen direkt in die Gefechte rund um das syrische Raqqa und das irakische Mossul ein. Auch AWACS-Überwachungsflugzeuge der Bundeswehr unterstützen die von den Vereinigten Staaten geführte Koalition. Die mit moderner Radar- und Kommunikationstechnik ausgestatteten Spezialmaschinen sollen den Luftraum über Syrien überwachen - und als fliegende Kommandozentralen eingesetzt werden.

Anderthalb Jahrzehnte nach dem von George W. Bush ausgerufenen "Krieg gegen den Terror" ist Deutschland damit wieder in einen Konflikt verstrickt, der, weil er gegen einen extrem mobilen Feind geführt wird, mit militärischen Mitteln allein kaum zu gewinnen ist.

Auch die Prämissen, von denen Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsministerin von der Leyen und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Beginn des Einsatzes ausgingen, sind längst überholt: Die Operation "Inherent Resolve" hat die Dschihadisten eben nicht daran gehindert, in Deutschland Anschläge zu verüben. Im Gegenteil: Im Sommer 2016 schlugen Anhänger der Terrorgruppe in Ansbach und Würzburg zu, und kurz vor Weihnachten steuerte der tunesische Attentäter Anis Amri in Berlin einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Elf Menschen wurden bei dem Anschlag in der Nähe der Gedächtniskirche getötet, Amri selbst wenige Tage später in Italien auf der Flucht von einem Polizisten erschossen.

Doch nicht nur in Deutschland ist die Terrorgefahr gewachsen. Die uneingeschränkte Solidarität, welche die Bundesregierung ihren arabischen Partnern in der Anti-IS-Allianz zukommen lässt, gefährdet zunehmend die Stabilität der gesamten Region von Libyen im Westen bis in die ölreichen Ostprovinzen Saudi-Arabiens. Die drei gescheiterten Staaten Syrien, Jemen und Irak zu befrieden, könnte Jahrzehnte dauern - wenn das überhaupt gelingt. Der Flächenbrand in Nahost, vor dem zu Zeiten Saddam Husseins, Husni Mubaraks und Muammar al-Gaddafis mit Blick auf den Palästinakonflikt gewarnt wurde, ist längst Realität - untereifriger Beteiligung westlicher Rüstungsfirmen und Regierungen, die durch ihre Politik weiter Öl ins Feuer gießen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3673041

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.westendverlag.de/buch/die-profiteure-des-terrors/