Deutscher Film: Warum Frauen und Arbeiterkinder selten hinter der Kamera stehen

Herkunft und Beziehungen sind nicht weniger entscheidend als Talent und Ideen. Bild: tommyvideo auf Pixabay / Public Domain

Filmförderung wirkt als Transformationsbremse, Nachwuchs kommt vor allem aus der oberen Mittelschicht. Die "Schule des Lebens" bringt weniger Punkte als altbewährte Kontakte

"Warum ist der deutsche Film so scheiße?", hat Jan Böhmermann kurz vor seiner Sommerpause gefragt und geantwortet: Das liegt an der deutschen Filmförderung. Eine neue Studie mit 95 Interviews zur Entstehung von Kinospielfilmen in Deutschland erweitert die Kritik an den Strukturen der Branche, differenziert aber auch Böhmermanns Pauschalurteil.

Die nationale Kinospielfilmproduktion tut sich schwer, auf die großen Herausforderungen der Gegenwart - Krise der Demokratie, Klimawandel, Geschlechterungerechtigkeit, Demografie, Migration, Digitalisierung, Arbeit im Spätkapitalismus und viele mehr - progressiv zu reagieren. Zwar ist das Potenzial fiktionaler Filme groß: Sie unterliegen einem geringeren Faktizitätsanspruch als etwa journalistische Produkte und können aufgrund ihrer imaginativen Kraft, ihres Involvements und affektiven Potenzials beim Publikum für Orientierung sorgen, die Integration fördern, der Herausbildung einer kollektiven Identität dienen und zur Erinnerungskultur beitragen sowie Antworten auf die drängendsten Fragen der Zeit geben. Doch ist der deutsche Film alles andere als ein Motor von Emanzipation oder grundlegender gesellschaftlicher Transformation. Woran liegt das?

Kulturelle Praxis und Wirtschaftszweig

Bekannt ist, dass Kinospielfilme in einem arbeitsteiligen Komplex mit einer Vielzahl von Akteur:innen mit unterschiedlichen Zielhorizonten (beispielsweise Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen an der kreativen Spitze gegenüber den für das Projektmanagement verantwortliche Produktionsunternehmen) entstehen und insofern sowohl eine kulturelle Praxis als auch ein Wirtschaftszweig sind. Von der Forschung weniger berücksichtigt wurde bislang jedoch, dass die Kinospielfilmproduktion in Deutschland auch expliziter Gegenstand politischen Handelns ist.

Dafür steht im Besonderen die öffentliche Filmförderarchitektur auf Bundes- und Länderebene, die jährlich fast eine halbe Milliarde Euro in die nationale Filmbranche steckt. Hinzu kommt, dass die große Mehrheit deutscher Kinospielfilme von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - Institutionen, die neben gesellschaftlichen auch politischen Einflüssen unterliegen - koproduziert wird, was ebenso die Unabhängigkeit der Filmschaffenden wie auch die Staatsferne des Mediums insgesamt infrage stellt.

Demzufolge steht zur Vermutung, dass im heimischen Filmschaffen gesellschaftliche Hierarchien zum Ausdruck kommen und hier ferner eine Auseinandersetzung um legitime - mehrheitlich anerkannte - Wirklichkeitskonstruktionen stattfindet, sodass in letzter Konsequenz anstelle gesellschaftlicher Transformationsprozesse ohnehin schon dominante Deutungsangebote und Sinnmuster im Diskurs weiter befeuert werden.

Um die Mechanismen und Konventionen zu ermitteln, die das deutsche Filmschaffen in Anbetracht des politischen Gestaltungswillens prägen, wurden 95 Vertreter:innen aller für die Entstehung deutscher Kinospielfilme relevanten Betätigungsfelder und Gewerke interviewt: Drehbuch, Regie, Produktion, Verleih, Kinoabspiel, Filmfestivals, Filmförderung und öffentlich-rechtliches Fernsehen. Um deren Aussagen besser einschätzen zu können, wurden mehrere Dutzend Dokumente in die Analyse einbezogen, darunter Marktdaten und Statistiken, Stellungnahmen von Branchenverbänden, offene Briefe, Thesenpapiere, Protokolle von Diskussionsveranstaltungen und journalistische Artikel.

Kein Film ohne Förderung

Die Mehrheit der deutschen Kinospielfilmproduktionen sind Autor:innenfilme, bei denen Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen nicht selten auch an der Produktionsplanung und der Postproduktion teilhaben. Dazu gesellen sich gleichwohl meist schon während der Buchentwicklung Produzent:innen, die fortan bis zur Fertigstellung eines Films auch bei kreativen Entscheidungen mitsprechen und insofern, wenn auch in geringerem Maße, ebenso als Kommunikator:innen zu betrachten sind. Dennoch ist die Macht dieser letztgenannten Akteur:innen in Deutschland begrenzt.

Es gibt kaum ein echtes Studiosystem und an den 157 deutschen Spielfilmen, die 2019 Kinopremiere hatten, waren knapp 200 Produktionsfirmen beteiligt (vgl. Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2020). Zu den Akteurskonstellationen im Produktionsprozess deutscher Kinospielfilme zählen ferner rund 120 Verleihfirmen, die im günstigsten Fall schon in der Entwicklungsphase eine Distributionszusage abgeben, sowie über 1.600 Kinos als traditionell wichtigster kommerzieller Auswerter, wenngleich diese an vorderster Stelle von den gegenwärtigen Umbrüchen der Branche (Stichwort: Home Entertainment) betroffen sind.

Zu nennen sind schließlich auch bedeutende deutsche Filmfestivals wie die Internationalen Filmfestspiele Berlin, auch bekannt als Berlinale, das Filmfest München, die Hofer Filmtage oder der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die längst eine zentrale Rolle für die Distribution und Zirkulation insbesondere von Arthouse-Filmen spielen, zumal sie für öffentliche Aufmerksamkeit sorgen und bisweilen weitere Einnahmequellen erschließen, zumindest wenn für die Film-Programmierung eine Bezahlung ("screening fees") erfolgt.

Nur etwa jedes fünfte Projekt wird gefördert

Nichtsdestotrotz: Nur ein Viertel der durchschnittlichen Produktionskosten eines deutschen Kinospielfilms, die etwa drei bis vier Millionen Euro betragen, ist durch Eigenmittel, Rückstellungen und idealerweise Verleihgarantie und Weltvertrieb gedeckt. Rund die Hälfte des Budgets stammt aus den Töpfen der öffentlichen Filmfördereinrichtungen (darunter Filmförderungsanstalt, Deutscher Filmförderfonds, FilmFernsehFonds Bayern, Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen und Medienboard Berlin-Brandenburg), die 2019 ein Gesamtfördervolumen in Höhe 455,92 Millionen Euro auswiesen (vgl. Filmförderungsanstalt 2020b).

Natürlich: Ohne diese umfassende Unterstützung kann der deutsche Film in seiner gegenwärtigen Form - gerade mit Blick auf sein hohes Produktionsaufkommen - nicht überleben. Allerdings fungiert die Filmförderung auch als Gatekeeper, denn nur etwa jedes fünfte Filmprojekt erhält Förderung und kann realisiert werden: "Die Förderzusage für deinen Film bedeutet ganz klar das Ende eines anderen Filmprojekts", kommentierte ein befragter Produzent. Dabei sind Verrenkungen in der Produktionsplanung und "Fördertourismus" (ein geförderter Film erhält meist nicht nur von einer Einrichtung Zuschüsse) auch im besten Fall einzukalkulieren, wie die interviewten Produzent:innen einstimmig erklärten.

Für noch verbleibende Lücken im Budget (rund 25 Prozent) wird schließlich schon frühzeitig der Verkauf der TV-Lizenz angestrebt - in der Regel an öffentlich-rechtliche Fernsehsender, die im Gegenzug weitreichende Rechte in Sachen Koproduktion erwerben. Auch hier findet ein strikter Selektionsprozess statt. Den entsprechenden Senderredaktionen (für den Nachwuchs zum Beispiel "Das kleine Fernsehspiel" im ZDF) kommt also ebenfalls eine gewichtige Rolle hinter der filmischen Wirklichkeitskonstruktion zu.

Herkunft der Filmemacher:innen: Obere Mittelschicht

Ein Blick auf die Herkunft und Sozialisation der Kommunikator:innen zeigt, dass Drehbuchautor:innen, Regisseur:innen und Produzent:innen in Deutschland unabhängig von ihrem Alter fast ausnahmslos der oberen Mittelschicht entstammen und einen Familienhintergrund aufweisen, in der die Entscheidung für eine Tätigkeit in der Filmbranche ideell und finanziell Unterstützung erfährt. "Meine Eltern haben mich nicht unter Druck gesetzt, etwas Handfestes zu lernen", resümierte stellvertretend ein Regisseur und berichtete von den "Finanzspritzen", die er bis zu seinem 30. Lebensjahr von zu Hause bekam.

Außerdem absolvierten die meisten befragten Kommunikator:innen ein Studium an der Filmhochschule, einer oft staatlichen und stark zugangsbeschränkten Ausbildungsstätte, dies es hierzulande nur an wenigen Standorten gibt, was die Elitisierung unter den Kommunikator:innen weiter verstärkt (vgl. Wiedemann 2019).

Dort sammelt der Nachwuchs das nötige Startkapital für den Berufseintritt (insbesondere Social Skills, also Teamfähigkeit, Kompromissbereitschaft und die Wertschätzung von Teamarbeit, sowie Kontakte - zu Kommiliton:innen, noch wichtiger aber zu Förderreferent:innen und TV-Redakteur:innen, die zu Pitch-Terminen regelmäßig geladen werden), wird aber zugleich auch mit den Gesetzmäßigkeiten des Filmemachens hierzulande, vor allem den herrschenden Interaktionsroutinen, vertraut gemacht und so zu konformem Verhalten angeleitet. Ein Arthouse-Filmemacher fasste es so zusammen: "Wir werden ausschließlich auf diesen kleinen Markt hin ausgebildet."

Schlechte Karten für Außenseiter und Frauen

Die Ressourcen, die für eine Teilhabe an der filmischen Wirklichkeitskonstruktion in Deutschland erforderlich sind, verweisen einmal mehr auf das hohe Gewicht, das der Filmförderung und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in den Akteurskonstellationen im Produktionsprozess deutscher Kinospielfilme zukommt. Deutlich zutage trat in den Interviews, dass die Kommunikator:innen für einen dauerhaften Verbleib in der Branche neben künstlerischem und technischem Know-how, Organisationstalent und finanzieller Absicherung mindestens ebenso Beziehungen und eine "Visitenkarte" (ein Film mit Publikumserfolg, eine Auszeichnung) vorweisen müssen - die Währung schlechthin, um für den nächsten Film Fördermittel und Sendergelder zugesprochen zu bekommen.

Ohne Zweifel ist die Zementierung von Diversitätsgrenzen auch dadurch programmiert. So treffen sozial Benachteiligte, nicht zu Kompromissen bereite Außenseiter, Einzelgänger:innen und allgemein Frauen (vgl. Loist & Prommer 2019), die allesamt aufgrund ihrer Herkunft und ihres Lebensweges vermutlich eher in der Lage sein dürften, den herrschenden Diskurs infrage zu stellen und Räume für alternative Wirklichkeitskonstruktionen zu öffnen, auf deutlich größere Hindernisse, dauerhaft an der Aussagenentstehung in der Kinospielfilm-Szene mitzuwirken.

"Wir setzen auf Bewährtes"

Die erzählerischen und ästhetischen Visionen der Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen werden notgedrungen mit dem Gebot der wirtschaftlichen Rentabilität konfrontiert. Dies bezieht sich auf Produzent:innen, die sich zwar als kreative Kompliz:innen verstehen, aber dennoch Risikoabwägungen treffen müssen. Entsprechend werden ihnen von den interviewten Regisseur:innen und Autor:innen oft Mutlosigkeit und Vorbehalte gegenüber provokanten Stoffen attestiert. Ähnliches trifft zu für Verleihfirmen, die unabhängig von ihrer Größe und Ausrichtung auf Gewinnmaximierung und Zielgruppenorientierung aus sind und umso mehr Mitsprache einfordern, je eher sie in ein Projekt eingebunden sind.

"Wenn ich mit der Besetzung oder mit dem Film-Ende nicht einverstanden bin", berichtete etwa selbstbewusst der Chef eines Independent-Verleihs, "dann gebe ich meiner kommerziellen Perspektive unmissverständlich Ausdruck". Verleihfirmen und Kinos scheuen Experimente: "Wir sterben für Filmkunst. Aber am Ende des Tages müssen wir unsere Löhne bezahlen", erklärte der Betriebsleiter zweier Programmkinos in Frankfurt am Main, und die Betreiberin eines Münchner Kinos im Premiumsegment sagte: "Wir setzen auf Bewährtes. Egal ob es immer von denselben vier, fünf Leuten kommt."

Natürlich spielt Rentabilität auch bei den Erwartungen der wichtigsten beiden Finanziers deutscher Kinospielfilme eine Rolle. Der Filmförderung und dem Fernsehen geht es aber nicht nur darum. Die Spielfilmredaktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verweisen einerseits auf den im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebenen Kulturauftrag, betonen andererseits aber auch ihre Zuschauerorientierung und verknüpfen diese mit dem Anspruch auf Aktualität. "Unser Ziel", so erklärte die Redakteurin einer Landesrundfunkanstalt der ARD, "ist ein Archiv der Gegenwart. Die von uns koproduzierten Filme sollen repräsentieren, was die deutsche Bevölkerung gerade bewegt: Flüchtlingskrise, Europa, aber auch Umwelt, Coming-of-Age, Cybermobbing."

Ist ein Koproduktionsvertrag unterzeichnet, haben die verantwortlichen Redakteur:innen weitreichende Entscheidungsbefugnisse bei der Buch-Entwicklung und dem Cast, aber auch in Sachen Kamera und Postproduktion, wenngleich sie beteuern, vorrangig beratend tätig zu sein. Dennoch beurteilten die meisten interviewten Drehbuchautor:innen, Regisseur:innen und Produzent:innen ihre Zusammenarbeit mit den Sendern rückblickend als problematisch und monierten die verbreitete Angst, an Tabus zu rütteln oder von den gesellschaftlich relevanten Gruppen, welche die Sender in den Aufsichtsgremien kontrollieren, zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die zunehmende Konvergenz von Kino- und Fernsehfilmen (vgl. Mikos 2011) zugunsten der Fernsehlogik, für die Alt-Filmemacher Edgar Reitz in einem Thesenpapier anlässlich des Kongresses "Zukunft deutscher Film" zu Perspektiven der deutschen Kino- und Filmkultur 2018 in Frankfurt am Main deutliche Worte fand: Da sich "halbstaatliche Superproduzenten" in alle Geschmacksentscheidungen einmischten, erkenne man den "camouflierten Fernsehfilm […] sofort an seiner thematischen Überspanntheit und der Instrumentalisierung der Handlungsfiguren" (Reitz 2018).

Fördergremien: Immer "konservativer, ängstlicher und kulturspießiger"

Das oberste Ziel der Filmförderinstitutionen ist einerseits die wirtschaftliche Stärkung der heimischen Filmindustrie, weshalb Wert gelegt wird auf Standorteffekte und kommerziell erfolgversprechende Produktionen, die dem System seinerseits Einnahmen bescheren, sei es in Form der Rückzahlung von Darlehen oder, im Fall der Filmförderungsanstalt, über die sogenannte "Filmabgabe", die Kinos jährlich zu entrichten haben.

Andererseits möchte man als Beitrag zu einer lebendigen deutschen Filmkultur künstlerisch herausragende Projekte unterstützen, die dann auf dem (internationalen) Filmfestival-Parcours reüssieren oder Auszeichnungen wie den Deutschen Filmpreis erhalten sollen. Folgt man Monika Grütters, Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien, zielt die kulturelle Filmförderung (insbesondere gebündelt bei der Staatsministerin selbst) auf anspruchsvolle Arthouse-Filme und innovative Formate, denn "nur so entsteht Fortschritt, nur so, mit kritischen Positionen, halten wir unsere Demokratie wach" (zitiert nach Kniebe 2019).

Abgesehen von der automatischen Förderung für Filmvorhaben, die mindestens ein Viertel ihrer Kosten in Deutschland auszugeben beabsichtigen, seitens des Deutschen Filmförderfonds und der Referenzfilmförderung (bemessen am kommerziellen oder künstlerischen Erfolg des Vorgängerfilms) befindet über die selektive Projektfilmförderung meist eine aus der Branche rekrutierte Expert:innen-Kommission mit Zweidrittelmehrheit hinter verschlossenen Türen. Entscheidungsgrundlage sind, wie die interviewten Kommissionsmitglieder angaben, das Drehbuch und das "kreative Package", also die Projektbeteiligten und ihre Reputation (die Kooperation mit einem Sender ist ebenfalls mindestens gerne gesehen), sowie die Produktionsparameter einschließlich des zu erwartenden Standortnutzens.

Auch hier gibt es Kritik aufseiten der Filmschaffenden - wegen der zu sehr auf Regionaleffekte bedachten Länderförderungen (laut einer Autorenfilmemacherin drohe das "Menetekel: Schreibt das Drehbuch doch um auf Berlin"), vor allem aber aufgrund der Konsensorientierung in den Fördergremien. So würden, folgt man einem Regisseur mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, die Vorstellungen in den Gremien immer "konservativer, ängstlicher und kulturspießiger", sodass nur noch Verantwortung übernommen werde für Feel-Good-Komödien und den "Problemfilm, der gemacht werden muss, und zwar möglichst konventionell".

Dem "Gremienfilm" fehlen Ecken und Kanten

Wenig anders hält das von vielen namhaften Filmschaffenden erarbeitete Abschlusspapier des oben erwähnten Kongresses zu Perspektiven der deutschen Kino- und Filmkultur fest, dass es dem sogenannten "Gremienfilm" an "Ecken und Kanten" fehle und nur das durchgewinkt werde, was von "etablierten" Filmemacher:innen komme oder an "Bestehendes" anknüpfe. Für "das Extreme, das Ungewöhnliche, das Bodenlose und das ästhetisch Innovative" fließe dagegen kein Geld (Frankfurter Positionen 2018, 3). In der Tat können die wichtigsten deutschen Filmfestivals hier nur auf dem Papier als Gegengewicht erachtet werden. Denn insbesondere Deutschlands A-Filmfestival, die Berlinale, orientiert sich als staatlich bezuschusstes Flaggschiff des nationalen Films in seiner Ausrichtung und Programmpolitik vorrangig an dieser wirtschafts- und kulturpolitischen Agenda (vgl. Wiedemann und Krainhöfer 2018).

Bemerkenswert ist, dass in den Interviews eine klar erkennbare Berufsideologie der Filmschaffenden erkennbar ist. Dazu gehören die Erfahrung von "Durststrecken" und "Niederlagen" zu Karrierebeginn, gepaart einerseits mit "Dankbarkeit", andererseits aber auch mit "Stolz", es schließlich geschafft, also gegenüber Mitstreitenden mehr "Durchsetzungsvermögen" an den Tag gelegt zu haben, und dabei immer "stur" der "inneren Stimme gefolgt" zu sein, ohne den "eigenen Kopf" aufgegeben zu haben. Das Selbstverständnis der Kommunikator:innen gestaltet sich dann recht homogen.

Während nur wenige Autorenfilmemacher:innen erklärten, sie wollten die Zuschauer:innen nicht nötigen, "etwas Bestimmtes zu denken", und verfolgten "keinen pädagogischen oder didaktischen Ansatz", versteht sich das Gros der Interviewten als Themensetzer:innen und Aufklärer:innen über "gesellschaftlich relevante Sachverhalte" (Regisseur).

Das Ansinnen, den "Unterhaltungscharakter von Filmen" mit einem "ernsthaften Diskurs" zu verbinden (Drehbuchautor), ist dementsprechend die Regel. Von einem Produzenten treffend formuliert: "Es macht mich sehr glücklich, mit diesem brisanten Thema auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte so viele Leute erreicht zu haben." Doch, wie gleich noch deutlicher wird, nehmen die Kommunikator:innen ihre Themensetzer:innen- und Aufklärer:innenrolle lediglich in einem eng abgesteckten Rahmen wahr.

Ständige Zugeständnisse an Verleiher:innen und Redakteur:innen

Das Wissen um die Ziele und Ressourcen der anderen Akteur:innen macht sich darüber hinaus in einer gehörigen Portion Pragmatismus bemerkbar. Neben dem oftmaligen "Kuhhandel" um Szenen (ein Drehbuchautor) zwischen den Kommunikator:innen selbst bedeutet das beispielsweise, dass nach dem Verleiher:innen-Feedback, ohne mit der Wimper zu zucken, "kooperativ" (Drehbuchautorin und Regisseurin) neue Buch- oder Schnittfassungen erstellt werden. Ebenso sind von der Stoffentwicklung bis zur Postproduktion Zugeständnisse an die Vorstellungen der beteiligten Fernsehredakteur:innen an der Tagesordnung.

"Mein Film", so erinnerte sich eine Autorenfilmemacherin an ihr Kinodebüt, "wurde durch den WDR-Redakteur sehr stark in Richtung Realismus gedrängt". Dass die Filmförderung auf die tatsächliche Produktion kaum noch Einfluss nimmt, ändert nicht viel, denn die Erwartungshaltung dieses Akteurs wurde von den Kommunikator:innen schon längst antizipiert. Man sei "beim Schreiben und Entwickeln in den Gesetzmäßigkeiten der Branche gefangen", offenbarte ein Drehbuchautor, der mittlerweile auch als Produzent tätig ist.

Man wisse, "was man tun kann, um Geld zu bekommen", und erfülle so Erwartungen, "ohne dass diese überhaupt bewusst formuliert sein müssen". Mehr noch: Dass selbst etablierte Filmemacher:innen und Produzent:innen wiederholt von Konflikten berichteten und ihre Kompromissfähigkeit schließlich als Tugend deklarierten, unterstreicht, wie begrenzt die Autonomie der Kommunikator:innen im deutschen Filmschaffen ist. "Es gibt viele Sachen, die ich gerne erzählen würde. Aber die will keiner hören", gestand eine Drehbuchautorin und ist damit keine Ausnahme.

Stattdessen vollzieht sich die Aussagenentstehung deutscher Kinospielfilme fast ausschließlich unter strenger Einhaltung folgender Kriterien: die Grenze zwischen Arthouse und Mainstream wahren, keine Genre-Experimente wagen, sondern lieber beispielsweise auf Culture-Clash- und Family-Entertainment-Formate oder historische Stoffe (am besten Biografien) setzen, sowie Themenfilme "geschmackvoll" und "ernst" umsetzen. Dass dabei die Systemfrage gestellt wird, ist auch angesichts der Herkunft und Sozialisation der meisten Kommunikator:innen alles andere als wahrscheinlich.

Fazit: Strukturreform des Filmfördersystems nötig

Erkennbar ist, dass sich das heimische Filmschaffen keineswegs nur im Spannungsfeld zwischen Kunst, Wirtschaftlichkeit und Publikumswünschen bewegt. Vielmehr weist die Kinospielfilmproduktion in Deutschland auch eine politische Dimension auf und zeichnet sich durch klare Hierarchien aus, was sich in den filmischen Deutungsangeboten und Sinnmustern niederschlägt und schlussendlich die bestehenden Machtverhältnisse in der Gesellschaft weiter verfestigen dürfte.

Denn als Kommunikator:innen nehmen vor allem Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen zwar eine Schlüsselposition für die Wirklichkeitskonstruktion von Kinospielfilmen ein, doch übernehmen den Gegenpart im Kampf zwischen Kreativen und Geldgebern keineswegs nur Produktionsunternehmen, Verleihfirmen und Kinoauswerter:innen, sondern mindestens ebenso die Filmförderung und das öffentlich-rechtliche Fernsehen als wichtigster Finanzier oder Koproduktionspartner.

Die Folge: Kinospielfilme können in Deutschland erst realisiert werden und ein Publikum finden, wenn die Filmförderung von der Lukrativität oder Relevanz des Vorhabens überzeugt ist und der Stoff zum Profil der öffentlich-rechtlichen Sender passt. Mehr noch: Neben der Elitisierung der Branche (und etwa auch der Zementierung von Geschlechterungerechtigkeiten) sowie der Herausbildung einer klaren Berufsideologie aufseiten der Kommunikator:innen versuchen insbesondere die Filmemacher:innen, an Bestehendes anzudocken.

Der wesentliche Grund hierfür ist die Konstellation mit weiteren Akteur:innen im Filmproduktionsprozess, die über Risikomanagement, Gewinnmaximierung und Zielgruppenorientierung nachdenken, vor allem jedoch Vorbehalte gegenüber provokanten Stoffen haben, auf Publikumserfolge hoffen und sich mit Auszeichnungen schmücken möchten sowie eine standort- und kulturpolitische Agenda verfolgen. Während "gefördert wird, was Deutschland braucht", so formulierte es Regisseur Dominik Graf bereits 2012 in der Zeit (Graf 2012), gelingt es mit dem Filmförderkomplex offenbar nicht, Diversität und Pluralität zu verwirklichen.

Ohne eine strukturelle Reform des Filmfördersystems, wie sie im Übrigen auch von einigen Brancheninitiativen propagiert wird (neben den genannten Frankfurter Positionen beispielsweise auch von Pro Quote Film und vom Hauptverband Cinephilie), lassen sich die imaginative Kraft und das emanzipatorische Potenzial von Spielfilmen allenfalls bedingt ausschöpfen. Dass von der nationalen Kinospielfilmproduktion Impulse bezogen auf die großen Herausforderungen der Gesellschaft ausgehen oder gar Transformationsprozesse aktiv vorangetrieben werden, ist demzufolge nicht zu erwarten.

Dieser Text ist eine für Telepolis abgeänderte Version des von Thomas Wiedemann geschriebenen Beitrags in: Nils S. Borchers, Selma Güney, Uwe Krüger, Kerem Schamberger (Hrsg.): Transformation der Medien - Medien der Transformation: Verhandlungen des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft, Westend Verlag 2021