Deutschland, Ukraine und die Nato: "Vergessen scheinen die Appelle von Willy Brandt"

Ekkehard Lentz. Bild: privat

Ekkehard Lentz engagierte sich langem für Frieden. Zuletzt erlebte er ein Revival der Bewegung. Inmitten neuer Planungen verstarb er. Hier sein letztes Interview.

"Schämt Euch!", schallte es den Besuchern des Kongresses "Ohne Nato leben – Ideen zum Frieden" entgegen, als sie an einem Sonnabend Ende Mai 2022 versuchten, den Veranstaltungsort durch den Hintereingang der Berliner Humboldt-Universität zu betreten.

Ein zahlenmäßig überschaubares Häuflein hatte sich dort versammelt, angeführt von einem Mann bekleidet wie Paramilitär, inklusive einer Banderole in den Farben der ukrainischen Fahne um den Oberarm. Er versuchte, Journalisten den Weg zur Veranstaltung abzuschneiden.

Nur wenige Meter entfernt stand Ekkehard Lentz, beobachtete das Treiben und griff schützend ein, wenn einige der Gäste des Kongresses zu sehr belästigt wurden. Lentz äußerte sich optimistisch zur Zukunft der Friedensbewegung, für die er sich schon seit seiner Jugend in den frühen 1970er-Jahren engagierte.

In Bremen, jener Hansestadt mit ihren ausgeprägten linken Milieus, wurde er sozialisiert und politisiert. Diese Prägung blieb auch sein Leitmotiv. Wir unterhielten uns eine Weile an diesem Tag und blieben danach im Kontakt, tauschten uns regelmäßig in den sozialen Netzwerken aus.

Als im Oktober dieses Jahres mein neues Buch erschien, lud mich Ekkehard Lentz zu einer Lesung nach Bremen ein, eine Einladung, die ich gerne annahm.

Wir bummelten an diesem Tag durch die Stadt und Ekkehardt Lentz erzählte mir von seinem Leben, politisch und privat.

Als Motivation für sein Engagement nannte er den Glauben, dass es im Leben darum gehe, sein Menschsein voll auszuschöpfen, eine Person zu werden, die mit sich im Reinen ist und ein erfülltes Leben führt. Manchmal, so sagte er mir, kam er sich in den letzten Jahren wie ein politisches Fossil vor, doch gerade im Moment nahm er zur Kenntnis, dass das Thema Krieg und Frieden den Menschen auf den Nägeln brennt und auch wieder mehr junge Menschen zu beschäftigen beginnt.

Kurze Zeit später berichtete er mir davon, dass die Stadt Bremen den Link zum Friedensforum von ihrer Website entfernt hatte. Dieses Vorgehen empörte Lentz, denn die Löschung erfolgte ohne jede Vorabinformation. In einer Stellungnahme schrieb er, in seiner Funktion als Sprecher des Friedensforums, obwohl das in der Bremer Gesellschaft bekannte Bremer Friedensforum bereits seit zwei Jahrzehnten mit einem Eintrag bei Bremen.de vertreten war.

Am Telefon berichtete mir Ekkehard Lentz enttäuscht, dass erst auf Nachfrage und nach ungewöhnlich langer Bedenkzeit der Pressesprecher der Wirtschaftsressorts Christoph Sonnenberg mit einer für ihn nicht nachvollziehbaren Begründung für die Löschung daherkam.

Während der großen Friedensdemo Ende November am Brandenburger Tor schien Lentz wieder in seinem Element. Neben Gabriele Krone Schmalz führte der den Demonstrationszug durch Berlin mit anderen an.

Wir hatten uns zu einem Interview verabredet, welches in der Berliner Zeitung erschien.""Die beste Zeit habe ich in den Achtzigern erlebt, als die Friedens- zur Massenbewegung wurde. Mit welchen Leuten man da zusammengekommen ist, Politiker und Künstler, dazu die internationalen Reisen. Das waren echte Highlights. In der Nazi-Zeit wurde die Friedensbewegung in Deutschland nicht nur zerschlagen, sondern aus dem politisch-historischen Bewusstsein verdrängt. Zur Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik gab es immer wieder Versuche, die Friedensbewegung zu diskreditieren, zu schmähen oder gar als Feind im Inneren zu titulieren. Trotzdem gibt es uns immer noch. Bekämpft wurden wir immer, doch wurde in der Vergangenheit mit faireren Bandagen gekämpft als heute", sagte er mir in dem Gespräch.

Ekkehard Lentz wirkte zufrieden, merkte aber scherzhaft an, dass nun auch schon Ende 60 sei und in schwachen Momenten mit dem Gedanken spielt, sich ins Privatleben zurückzuziehen: "Doch dann werde ich wieder vernünftig und mache weiter!", sagte er lachend.

Am Mittwoch schrieb er mir: "Wenn Du mir eine Printausgabe als Belegexemplar sichern könntest, würde ich mich freuen. Gute Nacht"

Wenige Stunden später verstarb Ekkehard Lentz, plötzlich und unerwartet, er wurde 68 Jahre alt. Anbei sein letztes Interview.

"Cancel Culture gegen die Friedensbewegung hat einen neuen Höhepunkt erreicht"

Herr Lentz, Sie sind am Samstag nach Berlin gekommen, als Sprecher des Bremer Friedensforums, um an der Demonstration am Brandenburger Tor teilzunehmen. Wie beurteilen Sie die Ausgangslage für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik, angesichts der zahlreichen Kriege weltweit?
Für die Demo "Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten" am Brandenburger Tor waren 10.000 Teilnehmer angemeldet. Heute waren 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, was insofern beachtlich ist, da in vielen Medien nur sehr dürftig im Vorfeld über diese Veranstaltung berichtet wurde und auch aufgrund der Witterungsbedingungen.

Was die Ausgangslage für die Friedensbewegung angeht, bin ich also optimistisch, da immer mehr Menschen begreifen, welche Gefahren die kriegstreiberische Politik unserer Zeit beinhaltet. Wenn Außenministerin Baerbock kürzlich verkündete, dass Politik nicht dazu da sei, um Kriege zu beenden – so oder so ähnlich hatte sie es ausgedrückt –, dann ist das nicht nur eine moralische Bankrotterklärung, sondern auch ein Ausdruck dafür, dass es Zeit ist, auf die Straße zu gehen.
Was verstehen Sie unter dem Begriff "kriegstreiberische Politik"?
Darunter verstehe ich die permanente Meinungsmache, die dann dadurch sichtbar wird, dass die Zustimmungsrate zur Erhöhung des Militäretats und der Stärke der Bundeswehr seit 2012 in Umfragen von circa 18 bis 19 Prozent auf mehr als das Dreifache im Jahr 2022 angestiegen ist.

Boris Pistorius gilt als populärster Politiker der Republik, was erstaunlich ist, nachdem er einen "Mentalitätswechsel" hin zur von ihm so genannten Kriegstauglichkeit dieses Landes einforderte, zu dem er sagt: "Ein solcher Bewusstseinswandel brauche Zeit, sei aber schon im Gange".

Vergessen scheinen die eindringlichen Appelle von sozialdemokratischen Politikern wie Willy Brandt, der einmal postulierte: "Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts."
Seit Ihrer Entstehung wird die Friedensbewegung bekämpft. Sie selbst sind seit den 1970er-Jahren einer der führenden Aktivisten dieser Szene, nicht nur in Bremen, sondern in der Bundesrepublik. Wie erleben Sie die aktuelle Debatte, in der Friedensaktivisten vereinzelt auch als "Lumpenpazifisten" geschmäht werden?
Die beste Zeit habe ich in den Achtzigern erlebt, als die Friedens- zur Massenbewegung wurde. Mit welchen Leuten man da zusammengekommen ist, Politiker und Künstler, dazu die internationalen Reisen. Das waren echte Highlights. In der Nazi-Zeit wurde die Friedensbewegung in Deutschland nicht nur zerschlagen, sondern aus dem politisch-historischen Bewusstsein verdrängt.

Zur Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik gab es immer wieder Versuche, die Friedensbewegung zu diskreditieren, zu schmähen oder gar als Feind im Inneren zu titulieren. Trotzdem gibt es uns immer noch. Bekämpft wurden wir immer, doch wurde in der Vergangenheit mit faireren Bandagen gekämpft als heute.

Wie meinen Sie das konkret?
In Bremen wurden wir kürzlich ein Opfer der sogenannten Cancel Culture, als Ausdruck des Versuchs der Delegitimierung der Friedensbewegung. Die Stadt Bremen hatte einen Link zum Bremer Friedensforum auf ihrer Website gelöscht, der sich dort seit Jahren befand, ungeachtet der jeweiligen Regierungen in der Hansestadt.
Was wurde als Grund für die Löschung angegeben?
Diese Maßnahme – welche gegenüber dem Bremer Friedensforum vorab nicht bekannt gegeben wurde – hatte der Pressesprecher des Wirtschaftssenators damit begründet, dass das Bremer Friedensforum eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag auf ihrer Website präsentiere, deren Formulierungen "den Staat Israel, israelische Staatsbürger und Jüdinnen und Juden diffamieren" würden.
Was haben Sie denn diesen Vorwürfen zu entgegnen?
Unter anderem, dass wir nicht anders formulieren als die israelische Friedensbewegung oder israelische Regierungskritiker selbst. Die Erwähnung der Tatsache, dass der Hamas-Terror vom 7. Oktober eine Vorgeschichte hat, stellt natürlich keine Unterstützung der Hamas-Verbrechen dar, oder gar eine Diffamierung Israels, wie behauptet. Ende letzten Jahres wurde sogar im ZDF eine israelische Generalstaatsanwältin zitiert, welche die aktuelle Regierung als "Gefahr für die Demokratie" einschätzte.
Sie halten die Begründung für die Löschung des Links also für einen Versuch, den Einfluss des Friedensforums zu schmälern?
Richtig, denn die Vorwürfe belegt die Stadt Bremen nicht mit Zitaten aus der Erklärung des Friedensratschlags, sondern sie folgert ihre Behauptung aus Interpretationen, die sie auf Basis ihres Verständnisses der Erklärung aufstellt.

Die Cancel Culture in Deutschland gegen die Friedensbewegung hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Was schon mit dem Ukraine-Krieg begann, als Olaf Scholz von "gefallenen Engeln aus der Hölle" und andere von "Schein- und Lumpenpazifisten" schwadronierten, soll nun mit anderen Mitteln fortgesetzt werden.

Das wird uns aber nicht davon abhalten, weiter für den Frieden zu kämpfen, oder, um es mit Sigmund Freud auszudrücken: "Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg".

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