"Deutschland redet vom Klimaschutz, macht aber viel zu wenig"

Staustufe neben Charlottenburger Schleuse. Bei Ausfall würde Grundwasserpegel in Berlin-Mitte um zwei Meter fallen. Das Niedrigwasser sorgte auch hier für Probleme. Bild: Detlef Wieczorek, CC BY-NC-SA 2.0

Telepolis-Autor Nick Reimer über sein neues Buch "Deutschland 2050", unüberschaubare Anzeichen des Klimawandels und die verkannten sozialen Folgen

Herr Reimer, Wüsten, Überschwemmungen, Wassernot - sind das alles nicht Probleme weit entfernter Entwicklungsländer? Was gehen diese Phänomene uns an?

Nick Reimer: In Franken, auf der Schwäbischen Alb, in der Altmark, der Lausitz oder in Ost-Vorpommern: Der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums weist in vielen Teilen Deutschlands in den tiefen Bodenschichten immer noch eine extreme, außergewöhnliche Dürre auf.

Das bayrische Simbach am Inn wurde 2016 von einem "tausendjährigen Hochwasser" heimgesucht, einem Wetterextrem, dass es statistisch eben aller tausend Jahre gibt. 2017 traf es Goslar im Harz, 2018 erwischte es das Vogtland, 2019 Kaufungen nahe Kassel. Im niedersächsischen Lauenau gab es im Sommer 2020 kein Trinkwasser mehr, die Feuerwehr musste Wasser verteilen, auch Schmitten und Weilrod im Hochtaunuskreis oder Gemeinden in Vorpommern bekamen Trinkwasser-Probleme.

In der Tat gab es in den vergangenen Wochen zwei Meldungen zu Wasserknappheit mit sehr unterschiedlichem Regionalbezug. In New York warnte die UNO, dass 1,4 Milliarden Menschen unter Wassermangel leiden. Fast zeitgleich forderten in Dresden Politiker einen Runden Tisch zur Wassernot in der Lausitz. Kommen die Probleme näher?

Nick Reimer: Sie sind längst bei uns angekommen. Ein Beispiel: Mehr als die Hälfte des Berliner Trinkwassers wird durch die Spree gewonnen. Deshalb gibt es eine Vereinbarung zwischen den Ländern Brandenburg und Berlin, nach der pro Sekunde wenigstens acht Kubikmeter Spreewasser die Landesgrenze passieren sollen. Wie aber kann das gehen, wenn die Spree am Pegel im Unterspreewald lediglich 0,14 Kubikmeter Wasser führt - so wie im vergangenen Sommer. Die Spree hat fast keine Zuflüsse, der Krisenstab tagte 2020 im Zwei-Wochenrhythmus.

Ozeane speichern Energie von 3,6 Milliarden Hiroshima-Bomben

Welche Belege gibt es für negative Folgen des Klimawandels in Mitteleuropa?

Nick Reimer: Es gibt zum einen physikalische Gesetze: Wärmere Luft kann mehr Wasser speichern - und zwar sieben Prozent pro Grad mehr. Mehr Wasser pro Lufteinheit bedeutet "mehr Energie", also mehr Wucht und Zerstörungskraft: Mitte des Jahrhunderts wird die Durchschnittstemperatur in Mitteleuropa zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, Unwetter, die heute noch selten sind, werden sich dann häufen; der sanfte Landregen, den wir heute noch schätzen, wird dann seltener.

Zum anderen ist die Erforschung des Klimawandels die umfassendste Wissenschaft, die die Menschheit je betrieben hat. Wir wissen heute beispielsweise, dass die Ozeane große Teile jener Energie aufgenommen haben, die der menschengemachte Treibhauseffekt auf der Erde hält. Nach Berechnungen des Atmosphärenphysikers Lijing Cheng nahmen die Weltmeere in den vergangenen 25 Jahren die unvorstellbare Menge von 228 Zettajoule auf - die Energie von 3,6 Milliarden Hiroshima-Atombomben. Das entspricht etwa vier Hiroshima-Bomben pro Sekunde. Der Anblick der Korallenriffe zeigt, wie verheerend dieser Krieg gegen die Natur ist.

Drittens schließlich: Die Klimamodelle, also jene mathematischen Gebilde, die in die Zukunft blicken, sind in den letzten Jahren immer präziser geworden. Und weil fast jede Nation, die den Anspruch ein Wissenschaftsland zu sein erhebt, heute ein eigenes Klimamodell betreibt, lässt sich weltweit sehr gut vorhersagen, wie sich unsere Probleme entwickeln, wenn wir jetzt nicht endlich mit strengem Klimaschutz anfangen.


Nun haben Sie gemeinsam mit Ihrem Autorenkollegen Toralf Staud mit "Deutschland 2050" ein beachtliches Sachbuch vorgelegt. Auf mehr als 370 Seiten beschreiben Sie, wie der Klimawandel unser Leben verändern wird. Ist das Problem nicht aber, dass die wissenschaftlichen Prognosen zu abstrakt und nicht erfahrbar sind?

Nick Reimer: Deshalb haben wir ja dieses Buch geschrieben. Die Wissenschaft liefert Ergebnisse, aber sie interpretiert diese in der Regel nicht; Wissenschaftler fürchten, dass dies unseriös wäre. Wir sind deshalb mit den wissenschaftlichen Ergebnissen zu Praktikern gegangen und haben gefragt: Was bedeutet es eigentlich für den Wald, wenn die Jahresniederschläge unter 400 Liter je Quadratmeter fallen.

Das simulieren die Klimamodelle beispielsweise für weite Teile der Mark Brandenburg in wenigen Jahren. Antwort der Forstexperten: Buchen brauchen wenigstens 450 Liter im Jahr. Es wird also den Wald, den wir heute kennen, 2050 nicht mehr geben.

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