Deutschland und sein "Impfdebakel"

Seite 3: Corona-Impfungen: Die Sorge um die Glaubwürdigkeit deutscher Heuchelei

Diesen Edelpatrioten ist das offene Bekenntnis zum (inter-)nationalen Gegeneinander zuwider, und sie sorgen sich um die Glaubwürdigkeit deutscher Heuchelei im internationalen Auftritt, wenn sie jenseits des wohlverstandenen Eigeninteresses auf "Impfgerechtigkeit" und ähnliche Ideale der globalen Zuständigkeit plädieren.

Gerade dem europäisch tickenden deutschen Geist kann es überhaupt nicht egal sein, was jenseits der deutschen Grenzen mit dem Impfen angestellt wird. Der etwas beunruhigt-unzufriedene Blick der deutschen Polit-Impfexperten auf den (süd-)östlichen Rand unseres "solidarischen Europas" registriert nämlich bei den üblichen Verdächtigen, dass sie die Ausstiegsklausel, mit der die Kommission sie zur Einordnung in das europäische Impf-Regiment überhaupt bewegen konnte, tatsächlich für "nationale Alleingänge" ausnützen.

So könnte man zwar fragen, was an der ungarischen, tschechischen oder serbischen Entscheidung, russischen oder chinesischen Impfstoff zu kaufen und zu verimpfen, so stören soll, wo sie doch ein konstruktiver Beitrag zur Immunisierung Europas sind, die im Westen angeblich so stockt.

Aber so einfach ist es eben nicht mit dem Impfen und nicht mit "unserem" Europa: Erstens verimpfen die glatt Sputnik V, gegen den "wir" das letzte halbe Jahr dermaßen gegiftet haben, dass das geneigte deutsche Publikum zwar sicher zwischen "unseren" mRNA- und Vektorimpfstoffen inklusive Wirksamkeit bis auf die Stelle hinterm Komma unterscheiden kann, vom russischen Impfstoff bis gestern aber nur zu wissen brauchte, dass er

  1. ein Prestigeprojekt Putins,
  2. unverantwortlich unsicher,
  3. also eigentlich überhaupt kein Impfstoff ist, es sei denn,
  4. wir lassen ihn von oben herab europäisch zu, weil "wir" ihn jetzt gerade selbst gebrauchen können.

Deutschland kann in diesen schweren Zeiten eben beides: Russlands Impfstoff ausnützen und Russland im nächsten Atemzug klar und deutlich zu verstehen geben, dass sich dadurch an "unserer" neuen Feindseligkeit, festgemacht etwa am Fall Nawalny, gar nichts ändert.

Außerdem erkennt das politisch geschulte Auge in der "Hinwendung (Ungarns usw.) zum Osten" (FAZ, 29.01.21) eine Abwendung von Brüssel, die nur dem geopolitischen Interesse Russlands oder Chinas dient, also "unseren" Besitzstand Europa in Unordnung bringt.

Dort "provoziert" (dw.com, 27.01.21) gar der EU-Beitrittskandidat Serbien mit seinem grenzüberschreitenden Impfen im Kosovo – wen, ist offensichtlich: die kosovarische Regierung und damit auch uns – und bringt "unsere" wackelige Ordnung im Westbalkan durcheinander.

Immerhin widersteht die Ukraine mit ihrer Russenfeindschaft, wie man hört, den russischen Verführungen. Dort wütet zwar das Virus mit verheerenden Folgen, und das Land bekommt erst einmal auch von "uns" keinen Impfstoff – wir haben ja selbst zu wenig –, aber was ist das schon im Vergleich dazu, dass die "Hinwendung" der Ukraine zum Westen durch die schweren Zeiten hindurch Bestand hat.

Und wie steht China da?

Der kritische Blick aufs Ausland reicht, wie es sich für eine global-multilaterale Nation gehört, selbstverständlich weiter, bis in den Fernen Osten. Und da ist es aus deutscher Perspektive schon wieder keine sehr erfreuliche Nachricht noch ein Zeichen hoffnungslos-idealistischer Selbstvergessenheit der chinesischen Regierung, wenn sie ihr Sinopharm und -vac "zum Selbstkostenpreis" an 150 Staaten verkauft und so für die beschleunigte Immunisierung der Menschheit sorgt.

"Wirkstoff der Macht" (SZ, 26.01.21) und "Xi betreibt 'Impfdiplomatie'" (FAZ, 26.01.21) lauten hier die Schlagzeilen, unter denen dem Leser kennerisch ausgebreitet wird, dass es sich beim östlichen Riesenreich genau umgekehrt verhält wie bei "uns", wo Impfpolitik der Gesundheit der Menschen dient.

Dort, in China, wird Impfstoff produziert und massenhaft ins Ausland verkauft, damit sich auf diese Weise Politik im Interesse Chinas machen lässt:

Die Ankündigung [dass China 150 Staaten mit seinem Impfstoff versorgen wird und eine engere internationale Zusammenarbeit beim Impfen wünscht] ist Teil einer außenpolitischen Strategie Pekings, die der Fachmann für chinesische Gesundheitspolitik Yanzhong Huang von der amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations als "Impfdiplomatie" bezeichnet. Indem China ärmeren Entwicklungsländern seine Impfstoffe anbiete, baue es seine "soft power" aus, also die auf nicht militärischen Ressourcen beruhende Macht.

FAZ

Das fällt hiesigen Journalisten beim solidarischen Europa ganz gewiss nicht ein. Für von der Leyens Versprechen, die Covax-Initiative mitzufinanzieren, gilt eben nicht, dass "der Export des Impfstoffs das Image aufpoliert und seinen globalen Einfluss stärkt" (SZ, 26.01.21).

Das hat nur China nötig, schließlich haben wir mit unserem ZDF-Mann Ulf Röller als Speerspitze monatelang am schlechten Image Chinas gearbeitet: China hat das Coronavirus erst ausgebrütet, dann vertuscht, zu uns exportiert und dann mit seiner Abriegelungstaktik die Menschen unterdrückt, womit es schließlich – ein bisschen zähneknirschender Neid – die Pandemie dermaßen erfolgreich bekämpft hat, dass es als einzige Nation von Rang mit einem Plus aus dem Corona-Jahr herausgeht. Noch, denn: "Verliert China das Impfrennen?" (FAZ, 01.02.21), so die leise Hoffnung auf Schadenfreude beim deutschen Publikum:

... macht sich im Land die Sorge breit, dass der Pandemie-Gewinner China des Jahres 2020 aus den kommenden Monaten plötzlich doch noch als Verlierer hervorgehen könnte. Denn weil China anstelle der Herdenimmunität durch Impfungen als Ziel wie im Westen auf die vollständige Ausrottung des Virus setzt, wird ein für das Land unvorteilhaftes Szenario immer wahrscheinlicher: Nach diesem wären im vierten Quartal des Jahres die Impfungen in den USA und Europa weitgehend ausgerollt und die dortigen Grenzen wieder offen, während in China höchstens ein Drittel der Menschen geimpft und die Einreise für Ausländer in das Land weiterhin fast unmöglich ist.

FAZ, 1.2.21

Ätsch, Chinas Volk ist einfach zu groß, weil die Regierung mit ihrer heuchlerischen Multilateralismus-Tour einen Haufen eigenen Impfstoffs an staatliche Habenichtse quasi verschenkt hat. Und mit ihrer erfolgreichen Ausrottungsstrategie hat sie sich letztlich selbst ins Knie geschossen, weil wir ihnen, Herdenimmunität hin oder her, bei offenen Grenzen mit unseren Handelsreisenden irgendwann doch das Virus wieder ins Land schleppen.

Zurück nach Deutschland. Nach vier, fünf Wochen erschöpfender Debattenkultur über den Missstand, dass "die Welt impft und Deutschland debattiert" (SZ, 08.02.21), kommen auch einige Journalisten der jedem "primitiven" Nationalismus abholden SZ zu der interessanten Einsicht, dass in den USA mit ihrem "warp speed"-Projekt, ihrem "defense act", der überlegenen Dollarmacht usw., deren Einsatz allein und ausdrücklich nur der eigenen Nation gilt, alles richtig gemacht worden ist:

Donald Trump also als Vorbild? Ausgerechnet jener Präsident, der lange prophezeite, das Virus werde von ganz allein wieder verschwinden? Das ist eine weitere, bittere Pointe in dieser Corona-Pandemie.

Etwas später finden investigative Journalisten von SZ, NDR und WDR heraus, dass der EU-Kommission irgendwie doch "unser" aller Dank gebührt, weil sie den Halsabschneidern von Biontech und Pfizer den Preis für eine Impfdosis um zwei Drittel gedrückt hat. Das wird wiederum von Biontech heftigst bestritten. Man sieht: Der Kampf ums Impfen geht weiter.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift Gegenstandpunkt. Der Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus der kommenden Ausgabe, die am 26.03.2021 erscheint.

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