Deutschlands Zukunft ohne Bauern? Landwirte zwischen Wettbewerb und Klima-Verträgen

Bauernproteste auch in Frankreich, Erinnerungen an die Niederlande, 2022. Was die UN-Agenda 2030 damit zu tun hat und wieso Neuseeland kein Transformations-Vorbild ist.

Nun geht auch Frankreich auf die Barrikaden. In der vergangenen Woche haben Landwirte und Agrargewerkschaften dazu aufgerufen, in einer großangelegten Protestaktion die Autobahnen in Richtung der Hauptstadt zu blockieren.

Ähnlich wie ihre deutschen Kollegen führen die französischen Bauern ökonomische Belastungen durch steigende Energiepreise (Diesel) und überbordende Umweltregulierungen als Gründe dafür an, warum es einen Kurswechsel in Paris braucht.

Desolate Zustände

Und ähnlich wie in Deutschland werden die Proteste in Zusammenhang mit einem Erstarken der Rechten gebracht, die jetzt "frohlocken", wie der Spiegel weiß.

Aber selbst das deutsche Leitmedium kommt dabei nicht umhin, die desolaten Zustände des Sektors zu benennen:

Der Berufsstand ist in Frankreich bekannt für seine hohe Suizidrate. Fast ein Fünftel der Landwirte, geht aus Zahlen des staatlichen Statistikamts hervor, lebt unterhalb der Armutsgrenze. Manche, etwa die Geflügelzüchter, sehen sich als Bauernopfer der EU-Unterstützung für die Ukraine.

Sie beklagen drastische Einkommenseinbußen infolge des Wegfalls von EU-Importzöllen auf ukrainische Agrarprodukte.

Bauernproteste à la française, Spiegel, 26. Januar 2024

Am vergangenen Dienstag machte die französische Regierung abermals deutlich, dass sie hinsichtlich der EU-Umweltauflagen einzulenken gewillt ist.

Dass die Verantwortlichen um Präsident Emmanuel Macron und den neuen Premierminister Gabriel Attal, wie man im Hamburger Magazin weiter liest, zunehmend "nervös" sind, hat einen ganz einfachen Grund. Denn solcherlei Unmut kann schnell einmal den politischen Machterhalt bedrohen.

Dazu muss man sich nicht die sogenannten Gelbwesten in "böse Erinnerung" (Spiegel) rufen. Dafür reicht der Blick in ein anderes Nachbarland.

Niederlande: Der Erfolg der Bauern-Bürger-Partei

Die Erinnerung an den Wahlerfolg der Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) in den Niederlanden ist nämlich noch recht frisch. Anfang 2023 wurde die Partei aus dem Stand stärkste Kraft im Parlament. So "verblüffend", wie derselbe Spiegel den Erfolg damals darstellte, war dieser allerdings kaum.

Schließlich fürchteten die Bauern damals, ein Drittel ihrer Höfe zu verlieren. Und weil die Agrarkultur in den Niederlanden eng mit der nationalen Kultur verzahnt ist, war ihnen die Solidarität ihrer Landsleute sicher. "Verblüffend" war das also nicht gerade.

Anlass der damaligen Proteste, die teilweise unfriedlich ausarteten, waren die Pläne der Regierung, den Stickstoffeintrag des Agrarsektors bis 2030 insgesamt um 50 Prozent – in Teilgebieten sogar um 70 Prozent und mehr – zu reduzieren, was besonders der Viehwirtschaft schwer zugesetzt hätte.

Was die UN-Agenda 2030 und das WEF damit zu tun haben

Die unter Premier Mark Rutte und Umweltministerin Christianne van der Wal geschmiedeten Pläne befanden sich dabei ganz im Einklang mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs), die zu fördern sich das Weltwirtschaftsforum (WEF) seit 2022 als "strategischer Partner" der UN verpflichtet.

Dass Rutte als "Agenda Contributor" des WEF fungiert, nahm ihn dabei nicht gerade aus der Schusslinie. Auch hier besteht eine Parallele zu Frankreich, wo mit Macron und Attal ebenfalls zwei Young Global Leader des WEF in Regierungsverantwortung stehen.

Hier scheint also mehr auf dem Spiel zu stehen. Einen weiteren Vertrauensverlust kann man sich mit Blick auf das diesjährige Motto des WEF-Gipfels in Davos ("regaining trust", Telepolis berichtete) wohl nicht leisten.

Das erklärt, warum nun alle Zeichen auf Deeskalation stehen – sowohl auf der supranationalen Ebene der Europäischen Union als auch bei der Ampel-Regierung.

Versöhnliche Töne von EU und Ampel

So eröffnete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erst am Donnerstag vergangene Woche einen "Strategiedialog", um die Probleme der Landwirtschaft "in den Griff zu bekommen".

Pressemeldungen zufolge sollen in dem neuen Gesprächsformat Bauern und Umweltorganisationen gemeinsam mit der Industrie Lösungsansätze entwickeln. Und auch die Ampel zeigt sich in offiziellen Mitteilungen gesprächsbereit. In etwas kurioser Form.

Wie der Deutsche Bundestag am 17. Januar in einer Mitteilung festhält, fordern die Ampel-Koalitionäre die Bundesregierung – also sich selbst? – dazu auf,

(…) den Modernisierungsprozess in Richtung einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen, langfristig zukunftsfesten Landwirtschaft zu unterstützen, die gute Lebensmittel produziert, zum Schutz der Funktionsfähigkeit unseres Klimas und unserer Ökosysteme beiträgt und Betrieben eine wirtschaftliche Perspektive bietet.

Deutscher Bundestag, 17.01.2024

Wie es in der Mitteilung weiter heißt, sollen dazu noch im ersten Quartal 2024 konkrete Vorhaben vorgestellt werden, die der Landwirtschaft "Planungssicherheit und Entlastungen" geben, und bis zur Sommerpause entsprechende Maßnahmen beschlossen werden.

Politik zum Sachzwang transformiert

Bei dem betreffenden Antrag ist besonders hervorzuheben, dass die Koalitionäre sich dabei rühmen "die Einhaltung der EU-Nitratrichtlinie erreicht" und "damit Milliardenstrafzahlungen vermieden" zu haben.

Wer beim Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine Bedenken hegt, kann sich hier noch einmal überzeugen: So sieht Völkerrecht – oder besser: global government – aus, das "Zähne zeigt". Oder konkreter: So lassen sich politische Ambitionen in alternativlose Sachzwänge transformieren.

Die Rolle der Landwirtschaft innerhalb jener Sachzwänge, die sich in der Nachhaltigkeitsagenda beziehungsweise dem europäischen Komplement des "Green New Deal" zeigen, hat der deutsche Klimabeirat vor Kurzem in seinem Bericht zur Klimaneutralität (Stichwort Net Zero) und den sogenannten "Klimalücken" nach 2030 umrissen:

"Der Mangel an Fortschritten bei den Klimamaßnahmen ist in der Landwirtschaft und im LULUCF-Sektor am auffälligsten", sagte (Ottmar) Edenhofer (vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung) und bezog sich dabei auf die politischen Maßnahmen im sogenannten Bereich "Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft.

"Eines der größten Defizite ist das Fehlen von Anreizen für Landwirte und Landbewirtschafter, Emissionen zu reduzieren und den Abbau zu steigern", erklärte er.

Euractiv, 18. 01. 2024

Auch in Davos wurden die net-zero targets der EU für 2030 und ihr Versprechen diskutiert, dafür eine Billion Euro an Subventionen aus dem Wiederaufbaufonds NextGenerationEU zu mobilisieren.

Bei der großen Agrar-Transformation stellt sich aber auch die Frage, inwieweit die europäische Landwirtschaft in ihrer derzeitigen Form überhaupt weiterexistieren kann. Denn vielleicht gibt es ja bald gar keine Bauern mehr?

Mit diesem Gedankenexperiment hat sich – ebenfalls vor Kurzem – der "Zukunfts"-Podcast der Tagesschau "Mal angenommen" auseinandergesetzt und fragte:

"Keine Bauern mehr? Was dann?"