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Die 50:50-Chance: Biden befürchtete nuklearen Armageddon in der Ukraine

US-Präsident Joe Biden mit dem stellvertretenden Kommandeur des 89. Lufttransportgeschwaders auf dem Weg zur Air Force One, 20. Februar 2024. Bild: Adam Schultz, Weißes Haus / Public Domain

Ende 2022 soll die US-Regierung einen Atomwaffeneinsatz Russlands konkret befürchtet haben. Das berichtet die New York Times. Seitdem laufen Vorbereitungen.

Am 6. Oktober 2022 wurde US-Präsident Joe Biden über abgefangene russische Kommunikation unterrichtet. Danach gebe es Hinweise darauf, dass die Drohungen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen, in einen Einsatzplan zu münden scheinen. Das berichtete die New York Times [1] am Wochenende zum ersten Mal.

Wahrscheinlichkeit 50 Prozent oder höher

Ende 2022 wurde Biden zwar mitgeteilt, dass es noch keine Verlegungen von nuklearen Waffen in Russland gebe. Doch militärische Befehlshaber in Moskau hätten über die Logistik eines Einsatzes bereits gesprochen.

Der US-Geheimdienst CIA warnte zugleich, dass, wenn Russland überzeugt sei, die ukrainischen Streitkräfte könnten die russischen Verteidigungslinien durchbrechen und versuchen, die Krim zurückzuerobern, was Ende 2022 durchaus möglich schien, die Wahrscheinlichkeit eines Nukleareinsatzes auf 50 Prozent oder sogar noch höher steigen könnte.

Das löste im Weißen Haus große Besorgnis und Befürchtungen aus. In einer Rede vor einer kleinen Gruppe von Demokraten in New York City erklärte Biden:

Zum ersten Mal seit der Kubakrise droht uns direkt der Einsatz einer Atomwaffe, wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher.

Bidens Armageddon-Rede

In seiner "Armageddon-Rede", wie ein Beamter des Weißen Hauses sich ausdrückt – Biden sagte, dass der Einsatz von taktischen Atomwaffen am Ende in einem "Armageddon" enden würde –, verwies er auf die Möglichkeit, dass zum ersten Mal nach Hiroshima und Nagasaki (den US-Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs) Nuklearwaffen im Krieg eingesetzt werden könnten.

Und das nicht in der fernen Zukunft, sondern in Wochenfrist.

Der pensionierte General Mark A. Milley, der bis zu seiner Pensionierung im September 2023 Generalstabschef der US-Streitkräfte war, sagte gegenüber der NYT:

Je erfolgreicher die Ukrainer die russische Invasion zurückdrängen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Putin mit dem Einsatz einer Bombe droht – oder nach ihr greift.

Kanzler Scholz soll Xi informieren und zu Statement drängen

Auch die wiederholten Warnungen [2] von Putin und anderen russischen Vertretern, im Ernstfall Nuklearwaffen einzusetzen, wurden wohl von Biden ernst genommen. Er kenne Putin, er scherze über solche Sachen keineswegs, so heißt es.

Auch die deutsche Bundesregierung wurde über die Geheimdienst-Informationen in Bezug auf die russische Atomkriegsdrohung in Kenntnis gesetzt. Bevor Kanzler Olaf Scholz nach China zu einem Besuch in Beijing (Peking) aufbrach, wurde er von US-Seite vorbereitet.

Er sollte den chinesischen Präsidenten Xi Jinping über die Entwicklung informieren und ihn dazu drängen, sich öffentlich und privat an Russland angesichts der Gefahren zu richten.

Die US-Regierung selbst nahm die Drohungen so ernst, dass man Szenarien durchspielte, wie auf den Einsatz von taktischen Atomwaffen auf dem ukrainischen Schlachtfeld reagiert werden könnte. Laut Aussagen von Regierungsvertretern gegenüber der NYT hätten dabei nichtnukleare Optionen im Zentrum gestanden – abgesehen von Schlägen gegen russische Einheiten, die für solche Angriffe verantwortlich gewesen seien.

Vorbereitungen darauf wurden tatsächlich schon länger getroffen. In einem Extra-Dossier [3] der New York Times heißt es, dass die USA und die Ukraine bereits seit zwei Jahren konkret planen, wie man sich auf einen Nuklearangriff einstellt.

Hunderte Strahlungsdetektoren in der Ukraine

Dabei sind Hunderte Strahlungsdetektoren in der Umgebung von Städten und Kraftwerken installiert und mehr als tausend kleinere Handgeräte ausgegeben worden.

Rund 200 Krankenhäuser hat man für den Ernstfall definiert. Zudem erhielt das medizinische Personal Fortbildungen, wie man Strahlenverletzungen behandelt. Außerdem sind nun Medikamente gegen Strahlungsschädigungen wie Kaliumjodtabletten im ganzen Land gelagert.

Dazu setzte die Biden-Regierung eine Expertengruppe ein, das sogenannte "Tiger Team", um Notfallpläne auszuarbeiten. Daraus resultierte ein Strategiehandbuch für den US-Präsidenten, speziell für Ukraine.

Die Atomkriegsgefahr, so ein leitender Mitarbeiter im Tiger Team gegenüber der Times, sei nach Einschätzung der Experten so hoch, wie sie in den letzten 30 Jahren nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr gewesen sei.

Wladimir Putin warnte [4] vor elf Tagen in seiner Rede zur Lage der Nation vor der Gefahr eines Atomkriegs, wenn Nato-Truppen zum Kampf in die Ukraine geschickt würden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte das ins Gespräch gebracht. Ukraine-Unterstützerstaaten wie die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien und andere haben das jedoch bereits abgelehnt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9651350

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nytimes.com/2024/03/09/us/politics/biden-nuclear-russia-ukraine.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Medwedew-Bei-Erfolg-der-Gegenoffensive-droht-globales-nukleares-Feuer-9230663.html
[3] https://www.nytimes.com/interactive/2024/03/07/opinion/nuclear-war-prevention.html
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/putin-rede-nation-102.html