Die Angst geht um

Singapur hat einen neuen SARS-Fall, und die Behörden haben angemessen reagiert, SARS, so wird berfürchtet, könnte zu einer zweiten Grippe werden, eine alljährlichen und oft genug fatalen Bedrohung

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"Nur die Grippe" ist ein noch immer oft gehörter Satz, wenn es in den Winter geht. Hinter "nur die Grippe" verstecken sich je nach Saison bis zu einer Million Tote pro Jahr weltweit. Allein in Deutschland starben in der letzten Saison 16.000 Menschen an Grippe, wie das Berliner Robert Koch-Institut gerade mitgeteilt hat. In der Spitzengruppe der tödlichen Infektionskrankheiten liegt die Grippe je nach Saison hinter Malaria und AIDS meist auf Platz drei.

SARS und die Grippe haben einiges gemeinsam. Bekanntlich sind die Symptome ähnlich. Rein äußerlich können Ärzte die beiden Krankheiten nicht auseinander halten. Beides sind Viruserkrankungen. Und beide werden am Anfang einer Epidemie von Tieren auf den Menschen übertragen.

Hier hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn während man bei der Grippe weiß, welches die Tiere sind, die dafür sorgen, dass die Krankheit immer und immer wieder neu auf den Menschen überspringt, tappt man bei SARS auch knapp drei Monate nach dem letzten dokumentierten SARS-Fall in China am 25. Juni dieses Jahres weiter im Halbdunkel.

SARS in Singapur: Einzelfall oder Beginn der Winterepidemie?

Bis Dienstag war es zumindest der letzte Fall, denn am Dienstag schlug das Gesundheitsministerium in Singapur erneut SARA-Alarm. Wie mittlerweile bekannt wurde, handelt es sich um einen 27jährigen Medizinstudenten, der in einem virologischen Forschungslabor in Singapur als Doktorand arbeitet. Er bekam Fieber und wurde ins Krankenhaus eingewiesen. Dort fand man im Labor die SARS auslösenden Coronaviren. Mittlerweile ist er auf dem Weg der Genesung. Die Behörden in Singapur haben nach Einschätzung der WHO vorbildlich reagiert. Es scheint sich um einen Einzelfall zu handeln, einen milden zudem.

Der Fall in Singapur ist mild, isoliert aufgetreten und ohne Folgerkrankte. Eine Risiko für die Öffentlichkeit besteht nicht.

WHO, 10.9.2003

Business as usual also? Hinter den Kulissen wächst die Sorge, dass SARS im Winter wiederkommen könnte, wie die Grippeviren, die alle Winter wieder ihren Weg von Wasservögeln oder Schweinen in die Atemwege der Menschen finden. Es gibt zumindest keinen unmittelbar einleuchtenden Grund, warum die SARS verursachenden Coronaviren das nicht auch schaffen sollten.

Das Problem: Die Grippe ist zwar fatal, aber zumindest ist sie eine eng kontrollierte Erkrankung. Weltweit unterhält die WHO mit immensem Aufwand Überwachungsstationen, die neu auftretende Viren aufspüren. Man weiß, wo die Tiere sind, man kann das Problem mit enormer Geschwindigkeit einkreisen und zumindest einen Impfstoff entwickeln, so schnell, dass es mittlerweile fast jedes Jahr gelingt, mit dem Impfstoff genau jene Viren abzudecken, die in der Folgesaison tatsächlich auftreten.

Halb Südchina ist SARS-positiv, im Reich der Tiere zumindest

Bei SARS ist das anders. Es gibt (noch) keinen Impfstoff, aber vor allem fehlen die Tiere. Als im August eine internationale Expertendelegation die Provinz Guangdong in China besuchte, stellen die mitgereisten Fachleute fest, dass die Wissenschaftler vor Ort noch viel weiter von einer Lösung des Problems entfernt sind, als vermutet worden war. Wie die Zeitschrift Nature berichtet, ist das SARS-Virus mittlerweile in so vielen Tieren gefunden worden, dass ernsthafte Zweifel aufkommen, wie hilfreich die angewandten SARS-Tests wirklich sind.

An sich würden Epidemiologen bei derartigen Epidemien ein Hauptreservoir erwarten, also eine Tierart oder mehrere eng verwandte, bei denen die Viren sehr häufig sind und leicht von einem Tier auf das nächste übertragen werden. Bei der Grippe sind das die Wasservögel. Oft gibt es dann noch so genannte Sekundärreservate (bei der Grippe Schweine, Pferde und ein paar andere Säuger), also Tierarten, bei denen auch gelegentlich Viren nachgewiesen werden, aber nicht in solcher Häufigkeit wie beim Hauptreservoir. Wenn die in Südchina angewandten SARS-Tests wirklich verlässlich wären, dann würde SARS dieses vertraute Schema sprengen: "Es wäre schon sehr ungewöhnlich, wenn so verschiedene Tier wie Säugetiere, Vögel und Reptilien wirklich alle diese Virus beherbergen würden", sagt etwa das Delegationsmitglied Francois Moutou, ein Epidemiologe der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Sind die Tests also das Problem?

SARS-Tests: Schnell, aber für die Ahnenforschung nicht präzise genug

Die in Südchina benutzten Tests basieren auf der so genannten Polymerasekettenreaktion (PCR), bei der kleinste Mengen genetischen Materials vervielfältigt werden. Die Tests entdecken nur kurze Sequenzen des Virusgenoms, und können "falsch positiv" sein, wenn verwandte Viren vorliegen, die in diesen Sequenzen zufällig mit dem SARS-Virus übereinstimmen. Kurz gesagt: Die PCR-Tests finden unter Umständen auch da SARS-Viren, wo gar keine sind. So wurden vor etwa einem Monat in der kanadischen Provinz British Columbia eine Reihe von Bewohnern eines Pflegeheims vermeintlich "SARS-positiv" getestet, ein Fehler, wie sich später herausstellte.

Verlässlicher, aber auch aufwändiger sind komplette DNA-Analysen des Coronavirusgenoms in verdächtigen Tierarten, in etwa so, wie das bei Menschen bereits geschehen ist. Nach Informationen von Nature hat eine Arbeitsgruppe aus Hong Kong das bei einigen Tierarten bereits getan und wird die entsprechenden Sequenzen demnächst veröffentlichen. Doch bedarf es einer großen Zahl solcher Analysen, um am Ende eine Art Abstammungsbaum des Virus zu erhalten, der Rückschlüsse darauf erlaubt, bei welchem Tier das Virus zuerst auftrat, oder ob es - auch das ist im Augenblick noch nicht ausgeschlossen - nicht doch vom Menschen auf die Tiere übertragen wurde. Die WHO hat die Virussequenzierung bei Tieren jetzt zu einer Priorität erklärt und wird weitere Mittel zur Verfügung stellen. Für diesen Winter könnte das zu spät sein.