"Die Deutschen? Gut organisieren, das können die? Das war einmal!"
"Alte Stärke – das geht das nur über ein deutlich besseres Krisenmanagement": Wolfgang Bosbach. Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0
CDU-Rekord-Absturz in Umfragen: Wolfgang Bosbach im Interview über das Politik-Chaos, Gendersternchen und die sozialen Folgen des Lockdowns
Der überzeugte Rheinländer und meinungsstarke Rechtsanwalt Wolfgang Bosbach war fast zehn Jahre lang Vize-Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Innenausschusses. Er gilt als Vordenker für einen werte- und sozialorientierten Kurs der CDU.
Der Einzelhandelskaufmann und Diplom-Betriebswirt erlangte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur und studierte dann Jura. Politisch wird er zwar dem wertekonservativen "Berliner Kreis" zugeordnet, er unterstützte aber genauso den heutigen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet freundschaftlich in dessen NRW-Wahlkämpfen.
Bosbach, der selber schwer chronisch krank ist [1], unterstützt Hospiz-Organisationen, ist Mitglied des ZDF-Fernsehrates und Kolumnist der BILD-Zeitung. Er gehört auch dem Vorstand des Vereins "Gegen Vergessen – für Demokratie" an.
Herr Bosbach, Sie standen immer für Integrität und Glaubwürdigkeit. Sehen Sie diese Tugenden auch noch bei der jetzigen Bewältigung der Corona-Krise durch die Große Koalition gewahrt?
Wolfgang Bosbach: Ich habe zwar keinen Zweifel daran, dass die Entscheidungsträger im Bund und in den Ländern sich nach Kräften darum bemühen, zur Bewältigung der Pandemie die richtigen, zielführenden Maßnahmen zu beschließen, aber das gelingt leider nur teilweise. Vieles kam zu spät, einiges ist widersprüchlich, anderes nicht sehr praxistauglich und immer wieder müssen Gerichte korrigierend eingreifen.
Ihr Urteil klingt enttäuscht. Aber verstehen Sie das alles noch, was da passiert? Die Maßnahmen wirken wie ein Glücksspiel.
Wolfgang Bosbach: Einiges verstehe ich sofort, einiges auch nach intensivem Nachdenken nicht und immer wieder frage ich mich: Wie lange wird das jetzt wohl Bestand haben?
Und wie lange halten die Menschen das noch durch? Nun wird sogar ein neuer Extrem-Lockdown diskutiert, härter als 2020.
Wolfgang Bosbach: Da die Betroffenheit in der Bevölkerung sehr unterschiedlich ist – einige profitieren ja sogar wirtschaftlich von der Krise, viele erleiden zumindest finanziell keine Nachteile, andere sind schlicht pleite –, wird auch das Durchhaltevermögen im Publikum sehr unterschiedlich sein. Das reicht von "Wir müssen halt noch etwas Geduld haben" bis "Sorry, ich bin fix und fertig, ich kann nicht mehr".
"Politikverdrossenheit ist eher eine Politikerverdrossenheit!"
Blamiert sich Deutschland?
Wolfgang Bosbach: Bislang dachte die Welt immer: "Die Deutschen? Nicht besonders humorvoll, aber gut organisieren, Krisen besser bewältigen als alle anderen, das können die!" Das war einmal. In einem weltweiten Ranking [2] lagen wir zeitweise auf Platz 34. Für eine finanziell starke, erfolgreiche Industrienation ist das kein Ruhmesblatt.
Politikverdrossenheit wird schon seit über zwanzig Jahren diskutiert. Ist das jetzt nicht gefährlich für den demokratischen Zusammenhalt einer Gesellschaft?
Wolfgang Bosbach: Ich glaube, dass ist eher so eine Art Politikerverdrossenheit. Je nach Blickwinkel traut uns das Publikum mittlerweile alles zu – oder nichts. Das Verhalten einiger, leider aus der eigenen Partei, macht mich wütend und fassungslos. Zwar ist das nur eine kleine Minderheit, aber sie schadet dem ganzen Politikbetrieb massiv.
Auch Lebensfremdheit war immer ein Vorwurf gegen die Politik. Vor allem nach dem Oster-Ruhe-Chaos: Trifft er der Vorwurf zu?
Wolfgang Bosbach: Wenn eine Buchhandlung an der Tür ein Schild mit folgendem Text aufhängt: "Wegen unserer Öffnungszeiten rufen Sie bitte die Bundesregierung an, wir blicken nicht mehr durch!", dann sagt das alleine schon eine Menge über das Thema Regeln und Lebenswirklichkeit aus.
Sie sind ja selber chronisch krank. Wie gehen Sie persönlich mit dem Lockdown und der Covid-19-Gefahr um?
Wolfgang Bosbach: Ich gebe Obacht, vermeide unnötige Risiken, lasse mich aber nicht verrückt machen.
Aber ist ein Teil der Bevölkerung nicht mit schuld? Im letzten Spätsommer war zum Beispiel Samstagnacht die Hamburger Party-U-Bahn-Linie U 3 wieder fast komplett voll, keiner trug mehr Maske.
Wolfgang Bosbach: Natürlich. Wir können noch so viele Vorschriften erlassen, wie wir wollen und Karl Lauterbach kann 24 Stunden lang an sieben Tagen auf allen Kanälen vor allem warnen – es kommt ganz entscheidend auf das Verhalten von uns allen an!
"SPD: Den Arbeitnehmer interessieren keine Gender-Sternchen!"
Ist die CDU denn noch Ihre Partei? Was muss sich ändern, damit sie wieder regierungsfähig wird?
Wolfgang Bosbach: Selbstverständlich! Ich bin vor 48 Jahren ja nicht durch Zufall oder Versehen in die CDU eingetreten, sondern aus Überzeugung. Wenn wir zu alter Stärke zurückwollen, dann geht das nur über ein deutlich besseres Krisenmanagement, eine rasche Klärung der K-Frage, ein überzeugendes Wahlprogramm und ein Team, das die ganze Breite der Union repräsentiert.
Aber haben die Volksparteien vielleicht ganz ausgedient? Oder sehen Sie noch eine Chance auch für die SPD?
Wolfgang Bosbach: Das Prinzip Volkspartei hat an Strahlkraft etwas eingebüßt, aber noch lange nicht ausgedient. Wenn die Union ihr Potential voll ausschöpfen, kann sie deutlich über 35 Prozent erreichen. Die allermeisten Parteien in Europa können davon nur träumen!
Die SPD fährt aktuell einen Kurs, mit dem sie niemals auch nur in Sichtweite alter Werte kommen kann. Ihre Traditionsbataillone fühlen sich von ihr verlassen und mit Genderpolitik kann man vielleicht im Feuilleton brillieren, aber garantiert nicht an der Wahlurne.
Den klassischen Arbeitnehmer interessieren nicht Sternchen oder künstliche Sprechpausen, der will einen fairen Lohn, soziale Absicherung und eine ordentliche Rente.
Sie reden viel mit den Menschen auf der Straße. Welches sind nach Ihrer Meinung denn die wirklichen Sorgen und Nöte?
Wolfgang Bosbach: Aktuell beherrscht ganz eindeutig die rasche Bewältigung der Corona-Pandemie alle politischen Diskussionen. Dann geht es um die ökonomischen, finanziellen aber auch die sozialen Folgen dieser Krise, um Niedrigzinsen und Geldwertstabilität, gute Bildung und höheres Tempo bei der Digitalisierung, eine gerechte Altersversorgung und viele machen sich auch Sorgen um das faszinierende Projekt Europa.
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[1] https://www.martini-klinik.de/prostatakarzinom/patientengeschichten/wolfgang-bosbach/
[2] https://www.bloomberg.com/graphics/covid-resilience-ranking/
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