Die Evolution geht weiter
Dank moderner Medizin ist die Säuglingssterblichkeit heute kaum noch von der genetischen Ausstattung abhängig. Doch trotzdem entwickelt sich der Mensch weiter
Vor etwa 8 Millionen Jahren erst haben sich Mensch und Schimpanse auseinander gelebt, das zeigt ein Blick in die molekulare Uhr unserer Verwandten. Nach all dieser Zeit unterscheidet sich das Genom der beiden Arten um gerade einmal fünf Prozent. Die Evolution, die Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Spezies, verläuft langsam. Von Generation zu Generation probiert sie Neuerungen aus, die eine Population besser oder schlechter an ihre Umgebung anpassen als zuvor.
Ihre beiden Hilfsmittel heißen natürliche Selektion und Gen-Drift. Natürliche Selektion beschreibt, wie sich bestimmte Faktoren allmählich in einer Gruppe durchsetzen, weil sie für Überleben und Fortpflanzung vorteilhaft sind. Gern wird sie als "Überleben des Stärksten" beschrieben oder besser verunglimpft, denn auch ein Faktor wie Altruismus kann die evolutionäre Fitness verbessern, während überschäumende Männlichkeit oft auch einen frühen Tod (früher im Kampf, heute auf dem Motorrad) bedeuten kann.
Zumindest in den Industriestaaten ist heute die Medizin so weit, dass das Überleben eines Säuglings nicht mehr von seiner genetischen Ausstattung abhängt. Das hat einige Forscher zu der These verleitet, der Mensch habe seine Evolution selbst gestoppt - mit womöglich harten Folgen für seine Zukunft. Doch das ist eine sehr enge Sicht der natürlichen Selektion. Und es gab auch bisher schon einige Indizien, dass sich die Evolution des Menschen auch in jüngster Zeit fortsetzt. So hat sich bei einem Teil der Menschheit eine Laktose-Toleranz entwickelt, die die Ernährung vereinfacht hat. Menschen mit Sichelzellen-Anämie sind gegen Malaria resistent.
Die These von der fortgesetzten Evolution
Im Wissenschaftsmagazin PNAS hat Jonathan Beauchamp von der Universität Harvard jetzt eine statistische Analyse veröffentlicht, welche die These von der fortgesetzten Evolution ebenfalls stützt.
Der Forscher hat die Daten von 20.000 zwischen 1931 und 1953 geborenen Amerikanern europäischer Herkunft durchforstet und auf Korrelationen zwischen der Gesamtzahl geborener/gezeugter Kinder und bestimmter in den Genen angelegter Eigenschaften untersucht. Dazu zählt er unter anderem: das Alter bei der ersten Regelblutung, Glukose-Konzentration, Schizophrenie, den Bildungsabschluss(!), Cholesterolwerte und Größe.
Das Ergebnis: Signifikant war einzig und allein die Verknüpfung beim Bildungsgrad - und zwar als negative Korrelation. Das heißt, je höher die erreichte Bildung war, desto geringer war die Zahl geborener beziehungsweise gezeugter Kinder. Dieser Effekt bleibt auch erhalten, wenn man alle möglichen Einschränkungen des Datenmaterials berücksichtigt.
Allerdings weist der Forscher auch darauf hin, dass sich in der betrachteten Zeit die Gesellschaft insgesamt deutlich verändert hat. Die Bevölkerung ist im Mittel nicht wegen der evolutionären Präferenz "dümmer" geworden, vielmehr ist der Bildungsgrad insgesamt gestiegen. Offenbar verändert sich die menschliche Gesellschaft heute schneller, als die biologische Evolution Schritt halten kann. Deshalb lasse sich die Analyse auch nicht zur Prognose über mehr als eine Generation hinweg verwenden.