Die Farben der Vernunft
Verfechter der "Intelligent-Design"-Bewegung treten in den USA gegen die Prinzipien der Wissenschaft an Teil 3
Warum stehen Sie morgens überhaupt auf? Für Kaffee, Brötchen oder Rühreier mit Speck? Oder doch eher um Glaube, Liebe, und Hoffnung Willen?
Richard Dawkins, prominenter Evolutionsbiologe und häufig Adressat eben dieser Frage, beantwortete sie 1998 mit einem seiner populärwissenschaftlichen Bücher (Der entzauberte Regenbogen) auf bekannt eloquente und sprachlich geschliffene Art: Poesie (natürlich, möchte man fast hinzufügen). Der bekennende Atheist Dawkins, seit 1995 "Simonyi Professor of the Public Understanding of Science" an der Universität von Oxford, schwingt sich also ob der Schönheit und Bedeutung Willen, die sich in der Natur und damit in Naturwissenschaft Tag für Tag offenbart, jeden Morgen aus den warmen Federn. "Ein Keats und ein Newton, die einander zuhören, können möglicherweise die Galaxien singen hören." Schön nicht wahr?
Die Mensch gewordene Tupperdose
Aber des einen Freud ist des anderen Ärgernis. So steht der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in diesen Tagen vermutlich aus ganz anderen Beweggründen morgens auf. Zum Beispiel um einen viel beachteten Gastkommentar zum Thema Evolution für die New York Times zu verfassen. Dort richtete er sich gegen das neo-darwinistische Dogma, welches die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht. Ein solches Denksystem sei Ideologie, nicht Wissenschaft.
Unschwer zu erraten, an wen dieser Ideologievorwurf gerichtet ist. An Wissenschaftler wie Richard Dawkins, die aufgrund ihrer Stellung und Publikationen in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich zogen. So entnehmen wir denn auch dem Klappentext des bereits 1976 erschienenen Buches "Das egoistische Gen" die Dawkinssche These, dass unsere von Generation zu Generation weitergebenden Gene uns nicht nur formen; nein, sie steuern und dirigieren uns, um sich selbst zu erhalten. Alle biologischen Organismen dienen somit vor allem dem Überleben und der Unsterblichkeit der Erbanlagen und sind letztlich nur die "Einwegebehälter der egoistischen Gene".
Aha. Tupperware Mensch also? Thesen wie diese dürften aber mittlerweile nicht nur dem Wiener Kardinal und diversen Intelligent-design (ID)-Befürwortern in den USA missfallen, sind sie doch Ausdruck eines immer weiter um sich greifenden Anspruchs der Naturwissenschaften und ihrer Vertreter, die Welt, das Sein und die Lebenswirklichkeit der Menschen in sämtlichen Facetten zu erklären.
Gestern Galileo, heute Darwin?
So liest man in dem mit "Finding Design in nature (evolution)" überschriebenen Kommentar von Kardinal Schönborn, der im Juli parallel zur New York Times auch in der International Herald Tribune veröffentlicht wurde, dass die von Johannes Paul II im Jahr 1996 geäußerte Ansicht "Evolution sei mehr als eine Hypothese" ziemlich ungenau und unwichtig gewesen sei. Daher sei es ungerechtfertigt, dass ausgerechnet diese Aussage (es gäbe auch andere) von Verteidigern des neodarwinistischen Dogmas als Indiz gewertet werde, dass die katholische Kirche die Evolutionslehre akzeptiert habe. Des Weiteren zitiert Schönborn Joseph Ratzinger, der in seiner ersten Rede als Papst Benedikt XVI davon gesprochen habe, dass wir Menschen nicht irgendwelche zufälligen und sinnlosen Produkte der Evolution seien.
Wir reiben uns verwundert die Augen. Hat die katholische Kirche nun doch nichts dazu gelernt und möchte sich nach dem eigentlich überwunden geglaubten "Galileo-Syndrom" nun wieder das "Darwin Syndrom" ans purpurn gewandete Bein binden? Offizieller Standpunkt des Heiligen Stuhls scheint dies indes bislang nicht zu sein. Benedikt XVI schwieg zu dem Vorstoß des Kardinals.
Strange Bedfellows
Der Direktor des Vatikanischen Observatoriums distanziert sich denn auch von der Position des Wiener Kardinals. George Coyne erklärte in der Zeitung "The Tablet", Schönborn habe die Debatte zwischen Glaube und Wissenschaft verdunkelt, als er gemeint habe, der Darwinismus sei nicht kompatibel mit dem christlichen Glauben. Ein Christ könne durchaus an Gottes Vorsehung glauben und ebenso daran, dass sich das Leben durch einen Prozess von zufälligen genetischen Mutationen und natürlicher Selektion entwickelt habe, betonte Coyne.
Auch anderenorts hagelte es reichlich Widerspruch gegen die Thesen Schönborns. Dieser hingegen mochte sich ob der geballten Schelte nur ein mildes Lächeln abringen. Mehr an Reaktion habe die Kritik an den Aussagen über unwissenschaftliche Evolutionstheorien bei ihm nicht ausgelöst, konstatierte Schönborn letzten Monat in einem Pressestatement. In die Ecke der Kreationisten, die die Bibel wortwörtlich lesen, gehöre er sicher nicht. Aber in die Ecke der ID-Verfechter? Bei genauerer Betrachtung des Textes stolpern wir über gewisse Formulierungen, die uns mittlerweile hinlänglich bekannt vorkommen. Zusätzlich erschien wenige Tage später ebenfalls in der New York Times ein Bericht über das Zustandekommen des besagten Gastkommentars, der ebenfalls aufhorchen ließ.
Im Kommentartext selbst findet sich die markante Redewendung vom "design" mehrfach wieder (Und die Erde ist doch eine Scheibe). Auch in anderen Formulierungen wirkt Schönborns Text wie ein Nachhall des Schriftguts namhafter ID-Vertreter, wenn er vom "neodarwinistischen Dogma" spricht; einem unter IDlern beliebten und häufig genutzten Schlagwort. Schönborn nähert sich weiterhin der ID-Logik an, indem er argumentiert, dass wissenschaftliche Behauptungen, die Nachweise von Design mit Hinweis auf Zufall und Notwendigkeit hinwegerklären wollen, unwissenschaftlich seien.
Das fliegende Spaghetti-Monster
Besondere Beachtung verdient nicht zuletzt auch das Zustandekommen des Gastkommentars. In der New York Times einen Text unterzubringen ist vermutlich auch nicht viel einfacher als eine Privataudienz beim Papst zu ergattern. Der Andrang ist gewaltig und nur ein Bruchteil der angebotenen Texte wird veröffentlicht. Daher schalten Autoren PR-Agenturen und Agenten ein. So auch Schönborn. Doch welche Agentur wurde von ihm beauftragt? Laut New York Times war es eine Firma mit dem klingenden Namen "Creative Response Concepts", zu deren Klienten auch das Discovery Institut in Seattle gehört. Nicht genug damit: Der Vizepräsident dieses fundamentalistischen Think-Tanks - Mark Ryland - macht laut Times-Berichterstattung, keinen Hehl daraus, Vorstandsmitglied des "Internationalen Theologischen Instituts für Studien zu Ehe und Familie" (ITI) in Gaming zu sein, dem zufällig Kardinal Schönborn vorsteht.
Doch dieses merkwürdige Bündnis ficht den Wiener Kardinal nicht an; im Gegenteil. Unbeirrt fährt er in seinem Kommentar fort:
Während der ganzen Geschichte hat die Kirche die Wahrheiten des Glaubens verteidigt. In der modernen Zeit sieht sich die katholische Kirche in der Position, auch die Vernunft zu verteidigen, indem sie darauf beharrt, dass in der Natur immanentes Design tatsächlich der Fall ist.
Befremdlich zu lesen in Zeiten in denen sich unabhängig von den Vorkommnissen in den USA kürzlich auch der australische Bildungsminister Brendan Nelson mit Erfolg für das Unterrichten von Intelligent Design (ID)-Lehren an australischen Schulen aussprach und ein frustrierter amerikanischer Wissenschaftler in einem Anfall von Galgenhumor ob des nicht abreißenden ID-Getöses die Religion des "Fliegenden Spaghetti-Monsters" ausrief.
Gottesmann und Philosoph...
Trotz aller Kritik an dem Kommentar und den weiteren Äußerungen des Kardinals gab es auch andere Stimmen. So bekam Schönborn Schützenhilfe von dem Wiener Philosophieprofessor Günther Pöltner, der ihm publizistisch beisprang. Die Naturwissenschaft erforsche eine von vornherein methodisch reduzierte Wirklichkeit, kommentierte Pöltner Ende Juli in der österreichischen Presse:
Die Naturwissenschaften haben es nicht mit unseren Wirklichkeitserfahrungen, sondern mit deren faktischen Bedingungen zu tun. Die naturwissenschaftliche Rationalität sei weder die einzige noch die maßgebliche Form von Rationalität.
Vom Wirklichkeitsganzen aus betrachtet, könne es keine Entstehungsgeschichte geben. Jede Entstehung von etwas aus etwas - sei es auf dem Weg von Mutation, Selektion oder was auch immer - setze das überhaupt Sein-Können von etwas voraus. Schöpfungstheologie sei daher weder eine primitive Vorstufe noch eine Konkurrenzveranstaltung der Evolutionstheorie. Dass für eine Evolutionstheorie Gott als Erklärungsinstanz überflüssig sei, ist ja nur ein anderer Ausdruck ihres methodischen Reduktionismus, so Pöltner weiter.
Die Evolutionstheorie ist als naturwissenschaftliche Theorie neutral, jedoch nur so lange, als sie sich ihrer methodischen Beschränktheit bewusst bleibt. Wo das nicht der Fall ist und der methodische Reduktionismus zu einer Theorie der Gesamtwirklichkeit totalisiert werde, wird aus der Evolutionstheorie die Ideologie des Evolutionismus. Zeichen dieser Totalisierung ist u. a. die Einengung menschlicher Erfahrung auf den naturwissenschaftlichen Erfahrungsbegriff, oder die Etablierung einer neuen Mythologie, der Gehirnmythologie, nach der nicht jemand denkt, sondern jemandes Gehirn.
Schön und gut, aber von einem Extrem in das andere zu fallen und sich des Gedankenguts der ID-Bewegung zu bedienen? Ob dies der Pfad der Vernunft ist, mag mit Recht bezweifelt werden.
...gehen Hand in Hand ...
Dieser Meinung ist vermutlich auch der Evolutionsbiologe Martin Neukamm, der sich zu Pöltners Kommentar wie folgt äußerte:
Der Kommentar impliziert in überraschender Deutlichkeit, dass dem Philosophen weniger daran gelegen ist, dem Naturwissenschaftler das Prädikat vernünftig auszustellen, als vielmehr Menschen, deren Wissensfundus sich aus "geoffenbarten Wahrheiten" speist, zu denen kein rationaler Zugang besteht. Nach Pöltner scheint es also auch so etwas wie eine "vorrationale Vernunft" zu geben, ein Standpunkt, über dessen Widersprüchlichkeit man sich nur wundern kann.
Weshalb eigentlich? So simpel ist die Sache schließlich wieder nicht. Wurden doch hinsichtlich der Frage "Was ist Vernunft?" und der Kritik an derselben schon in früheren Jahrhunderten halbe Bibliotheken gefüllt. Auch im 20.Jahrhundert wurde die Vernunftkritik angesichts der Schrecken der Shoa; von Umweltzerstörung, Imperialismus u. a., erneut zum Thema. So steht beispielsweise bei dem Autor Daniel Kulla zu lesen, dass mit der theoretischen Ausblendung der von der Vernunft nicht erfassbaren Aspekte eine praktische Vernichtung verbunden sein kann. So kann die Vernunft zwar Wege aufzeigen, zur Beurteilung der gleichen ist jedoch auch eine emotionale Komponente nötig. Dies ist nicht mißzuverstehen als eine Kritik an der Vernunft an sich, sondern lediglich als Kritik an einer Haltung, welche ausschließlich nur Vernunft zulasse.
Stanislaw Lec, polnischer Autor und Aphorismenschmied hat die Kritik an der reinen Vernunft (nicht im Kantschen Sinne) mit folgendem Sinnspruch auf den Punkt gebracht: "Nackte Vernunft trägt das Feigenblatt dort, wo das Herz schlägt."
...gemeinsam ins Wunderland (der Vernunft?)
Unabhängig davon, ob der Kardinal nun mit der ID-Bewegung sympathisiert oder nicht, wurde im Rahmen der Kreationismus-Kritik weiteres über einen scheinbar bedeutsamen Fehler z. B. der Pöltnerschen Wissenschaftskritik formuliert:
Schließlich ist den Naturalismuskritikern vorzuhalten, dass sie den schwachen Naturalismus von der starken Variante (wonach der Kosmos definitiv alles ist, was existiert) entweder gar nicht unterscheiden, oder aber sie den Evolutionsbiologen irrigerweise den Gebrauch eines starken Naturalismus - der oft etwas unglücklich als philosophischer oder weltanschaulicher Naturalismus bezeichnet wird unterstellen.
Manchem Evolutionsbiologen im Geiste Richard Dawkins scheint es in der Tat schwer zu fallen, die Gedankenwelt eines starken Naturalismus zu verlassen und anderen Menschen ein "umfänglicheres" Welt- bzw. Menschenbild zuzubilligen, wie dies beispielsweise der Hirnforscher und Buchautor Detlef Linke vertritt.
"Die Akzeptanz des naturalistischen Prinzips" so steht bei Neukamm weiter zu lesen, "ist eine Grundvoraussetzung für das ergebnisoffene und vorurteilsfreie wissenschaftliche Arbeiten. Es impliziert, dass eine Makroevolution mit einer göttlichen Schöpfung ebenso sehr oder so wenig auf gespanntem Fuß steht, wie etwa das Newtonsche Gravitationsgesetz oder die Bohrsche Atomtheorie. Tatsächlich sind etliche Möglichkeiten im Gespräch, um evolutionäre Erkenntnisse mit (christlicher) Religion zu verbinden. Obschon derartige Alternativen aus wissenschaftlicher Sicht nicht konsistent sind, weil sie stets mit irgend einer wissenschaftlichen Faktenaussage oder einem philosophischen Prinzip der Wissenschaften konfligieren, zeigen diese Beispiele doch, dass konsequent evolutionskritische (oder allgemeiner: religiös-fundamentalistische) Ansätze keineswegs die einzig mögliche, geschweige denn die einzig "redliche" oder gar eine notwendige Option für denjenigen ist, der einen (christlich-) religiösen Glaubensstandpunkt vertreten möchte."
Teekannen, die den Mars umrunden
Aber stimmt das auch? Arbeiten Evolutionsbiologen heutzutage tatsächlich mit einem "schwachen" Naturalismus, bleiben innerhalb der methodischen Grenzen ihrs Faches und verwechseln nicht Wissenschaft mit Weltanschauung? Nun manche sicherlich, wie das oben angeführte Beispiel zeigt. Aber gerade der zu Beginn zitierte Richard Dawkins ist ein Beispiel dafür, dass unter dem Anspruch von Lesbarkeit und Infotainment die wissenschaftliche Klarheit leidet, Grenzen verwischen und seine Bücher wie Kritiker anmerken, stark weltanschauliche Züge annehmen.
Sätze wie die folgenden kommen bei den Anhängern von Dawkins gut an, stoßen jedoch vor allem bei gläubigen Menschen auf wenig Gegenliebe:
Es heißt, dass der einzige rationale Standpunkt der Agnostizismus sei, da man die Existenz eines übernatürlichen Schöpfers weder beweisen noch widerlegen könne. Ich halte das für eine schwache Position. Es ist wahr, dass man nichts widerlegen kann. Aber man kann eine Wahrscheinlichkeitsaussage machen. Es gibt eine unendliche Zahl von Dingen, die man nicht widerlegen kann: Einhörner, Wehrwölfe, Teekannen in der Umlaufbahn des Mars. Aber wir schenken ihnen keinerlei Beachtung, wenn es nicht positive Gründe für die Annahme gibt, dass sie tatsächlich existieren.
Wie erinnern wir uns da mit leichter Wehmut an den verstorbenen Hoimar von Ditfurth, der in seinen erklärenden Wissenschaftsbüchern nicht den Respekt vor Religion und Gläubigen verlor, während Dawkins häufig tief in der Polemik-Kiste kramt und auf die Frage, wieso er morgens aufstehe nur die Poesie anzuführen vermag. Nicht für jeden eine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Daseins.
Dennoch macht sich die Naturwissenschaft immer mehr auf, vom Leistungswissen zum Bildungswissen zu mutieren und sich den noch verbleibenden "großen Fragen der Menschheit" zu widmen. Prominentes Beispiel ist die von manchem Hirnforscher aufgeworfene Frage nach dem "freien Willen des Menschen", dessen Existenz nach Hirnforschers (demnach nicht freiem) Willen zu versiegen droht.
Wo man dort aber zwangsläufig landet, ist eben dort wo man die anderen auch nicht sehen will. Bei der Vermischung von Wissenschaft und Weltanschauung bestenfalls; bei purer Weltanschauung schlechterdings. Oder wie es z. B. im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem "Phänomen Glauben" formuliert wurde: Wenn Wissenschaft sich wissenschaftlich mit Religion beschäftigt und über "Gottes-Gene" oder ähnliches spekuliert, kommt häufig nur zweitklassige Wissenschaft und drittklassige Philosophie heraus. So wurde auch die Memetik - ursprünglich ersonnen von Richard Dawkins - von Kritikern als müder Abklatsch der Hegelschen Naturphilosophie charakterisiert. Diesen Trend nennt der Buchautor John Brockmann die "dritte Kultur".
Popscience oder die "dritte Kultur"
Den Titel seines Buches "Die Dritte Kultur" ersann der New Yorker Literaturagent John Brockman, indem er die von C. P. Snow 1959 publizierte Arbeit "The Two Cultures and the Scientific Revolution” weiterdachte. Dort beschreibt Snow die Kluft, die "die zwei Kulturen" trennt; zum einen die Kultur der Literatur-Intellektuellen, zum anderen die der Naturwissenschaftler. Als Folge dieser Spaltung konstatierte Snow die Verarmung beider Kulturen. Das Entstehen einer Dritten Kultur vertreten durch eine neue Wissenschaftlerriege, die die Kommunikationslücke zwischen den zwei beschriebenen Kulturen schließen soll, beschrieb Snow in einem weiteren Text aus dem Jahre 1963 "The Two Cultures: A Second Look".
Brockmann vertritt in seinem Buch, das kurze Abhandlungen renommierter Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche enthält, eine andere These als Snow, der seinerzeit eine effektive Kommunikation zwischen den zwei Kulturen für möglich erachtete. Brockmann ist indessen der Auffassung, dass die derzeitige Bewegung anerkannter Naturwissenschaftler, die in ihren populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen versuchen, Antworten auf die "letzten Fragen" einem breiten Publikum nahe zu bringen, die dritte Kultur sei.
Bei den im Buch vorgestellten Naturwissenschaftlern handelt es sich u a.: um Biologen wie George C. Williams, Jay Gould und Richard Dawkins. Um Kognitionsforscher wie Marvin Minsky und Roger Schank; um Kosmologen wie Martin Rees und Lee Smolin und um Komplexitätsforscher wie den Nobelpreisträger Murray Gell-Mann oder Stuart Kauffman. Eine Entwicklung, die Menschen wie Günther Pöltner nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen dürfte. Stellt er sich wohl die berechtigte Frage, weshalb die Naturwissenschaften sich als Philosophie verdingen sollten, wo es doch die Philosophie als solche gibt.
Und die Moral von der Geschicht
Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, scheitern letztendlich sowohl der Kardinal als auch Wissenschaftler wie Richard Dawkins (aller Poesie zum Trotz) in der Behandlung der menschlichen Sinnfrage: Dawkins und die Seinen, indem sie diese schlichtweg ignorieren, Schönborn und Assoziierte, indem sie starr und unbeirrbar längsthin überkommene Dogmen ausbuddeln und sich an deren Wiederbelebung versuchen.
Bildlich gesprochen versuchen hier zwei Einäugige, jeweils das eine Auge des anderen mit einem kräftigen Veilchen zu verzieren. Anstatt sich zu bemühen, beidäugig zu sehen, werden sie sich dadurch nur gegenseitig beweisen, dass man ohne Augen blindlings im Nebel stochert.
Einigen wir uns also auf ein salomonisches Urteil. Zum einen tut jemand, der Schustern, Uhrmachern oder wem auch immer empfiehlt, bei seinen/ihren Leisten zu bleiben, nicht schlecht daran, auch die eigene Nase in Griffweite zu halten. Zum anderen bleibt die Überlegung wie "vernünftig" es ist, sich getreu dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund" mit seltsamen "Bettgefährten" einzulassen.