"Die Freiheit, die ihr meint" – vielfältige Proteste gegen Automesse IAA
Kanzler Scholz nannte es "anachronistisch": Was hat die Klimabewegung bloß gegen E-Autos? Auf dem "Protest- und Bildungscamp" in München gibt es Klarstellungen.
"Luft zum Atmen – für eine antikapitalistische Mobilitätswende" steht auf einem Transparent über einem Zirkuszelt, in dem Informations- und Diskussionsveranstaltungen stattfinden. Auch der Slogan "Car is over" ist mehrfach auf dem Gelände zu lesen.
Das Mobilitätswende-Camp im Münchner Luitpoldpark ist gut besucht – schon zweimal musste seit der Eröffnung am Dienstag die Fläche erweitert werden. Rund 900 überwiegend junge Menschen haben hier bis Freitag ihre Zelte aufgeschlagen, um in der bayerischen Landeshauptstadt an Protestaktionen gegen die Automesse IAA Mobility teilzunehmen.
Bis zu 1.500 könnten es an diesem Samstag werden, schätzt das Orga-Team. Die vegane Verpflegung macht hier auch deshalb Sinn, weil pflanzliche Lebensmittel haltbarer sind – abgesehen von der Klimabilanz.
Seit Donnerstag kommt es vermehrt zu Personenkontrollen durch die Polizei rund um das Camp. Trotzdem schauen Anwohnerinnen und Anwohner vorbei, um sich selbst ein Bild von denjenigen zu machen, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Eröffnung der IAA am Dienstag als "anachronistisch" bezeichnet hat, weil sie trotz teilweise neuer Antriebsarten für Autos gegen diese Ausstellung protestieren.
"Der selbsterklärte Klimakanzler Scholz entpuppt sich als grünwaschender Autokanzler, der sich in den Dienst der Autolobby stellt", konterte anschließend Noa Neumann vom Attac-Jugendnetzwerk. "Der eigentliche Anachronismus im 21. Jahrhundert ist eine Messe, die Autos feiert, obwohl klar ist, dass mit Individualverkehr – egal ob elektrisch oder mit Verbrenner – keine klimagerechte Zukunft machbar ist."
Wenn in Fake-Werbeplakaten mehr Wahrheit steckt
Diese Botschaft unterstreicht Attac im Münchner Stadtgebiet mit satirischen Werbeplakaten zur IAA – unter dem Slogan "Die Freiheit, die ihr meint" zeigen sie mit drei verschiedenen Hintergrundmotiven jeweils einen großen SUV, der durch dystopische Landschaften fährt.
Auf dem ersten Plakat fällt Berlin – erkennbar durch den Fernsehturm und die Radarstation auf dem Teufelsberg – einem Waldbrand zum Opfer. Auf dem zweiten Plakat versinkt München im Wüstensand; nur noch Teile der Türme der Frauenkirche und des Olympiaparks sind erkennbar. Auf dem dritten Plakat schließlich versinkt Hamburg samt Elbphilharmonie in den Fluten.
Neben Attac sind weitere Organisationen, auf dem Camp vertreten, die immer wieder zu Protestaktionen rund um die Messe aufbrechen und am Sonntag an der Großdemonstration gegen die IAA teilnehmen wollen. Hintergrundinformationen werden hier in einem umfangreichen Programm bereit gestellt – "Protest- und Bildungscamp" nennt es das Orga-Team.
Das Aktionsbündnis "Sand im Getriebe" bezeichnet die reine Antriebswende vom Verbrenner zum Elektroauto sogar als neokolonial und will bei den Protesten "die kolonialen Praktiken innerhalb der Produktionsketten der deutschen Autoindustrie" aufzeigen. Etwa bei der Lithiumgewinnung in der Atacama-Wüste in Chile und im Nordwesten Argentiniens werde zuviel vom wenigen Wasser dieser trockenen Regionen verbraucht und fehle dann für Menschen, Tiere und Landwirtschaft, kritisiert das Bündnis. Nötig seien andere Formen der Mobilität.
Annäherung an Betrieb und Gewerkschaft
"Sand im Getriebe" besteht aus antikapitalistischen Gruppen und fordert nicht weniger als die Vergesellschaftung der Autoindustrie – sowie die Umstellung der Produktion auf Busse und Bahnen.
Eine neue Perspektive und nachhaltige Arbeitsplätze haben Aktive des Klimatreffens München auch schon gemeinsam mit Beschäftigten des Automobil-Zulieferers Bosch gefordert, als vor zwei Jahren der Plan der Firmenleitung bekannt geworden war, deren Werk für Diesel-Einspritzventile und Kraftstoffpumpen zu schließen. Allerdings war dort nur die Verlagerung der klimaschädlichen Produktion in Billiglohnländer geplant.
Im März dieses Jahres unterstützten Klimabewegte den Streik der ÖPNV-Beschäftigten und blockierten in München für zwei Stunden ein Busdepot. Auch über solche Erfahrungen wurde am Freitag in einem der Diskussionszelte des Protestcamps im Luitpoldpark berichtet. Ein langjähriger IG-Metall-Gewerkschafter meinte dort, das Bewusstsein für die soziale Frage sei in der Klimabewegung gestiegen – vielleicht, weil die erste Fridays-for-Future-Generation jetzt langsam ins Arbeitsleben eintrete.
Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze auf diesem Camp, auch die "Klimakleber" von der Letzten Generation waren schon auf einem Podium vertreten. Kritisiert wurden sie hier allerdings nicht, weil sie mit ihren Blockade-Aktionen Autofahrer nerven, sondern weil sie auf juristischer Ebene nicht alle Register ziehen, um sich gegen die häufige Präventivhaft zu wehren. Mindestens 29 von ihnen bleiben während der IAA-Proteste hinter Gittern.
Indem sie das auf sich nehmen, zeigen sie einerseits eine Entschlossenheit, die von vielen hier respektiert wird. Andererseits befürchten manche linken Aktivisten auch eine Normalisierung von mehrwöchiger Präventivhaft – einer Maßnahme, die in Bayern politisch mit Verweis auf "Gefährder" und blutige Terroranschläge durchgesetzt wurde, aber nun gegen eine Gruppe angewendet wird, die gewaltfrei agiert und gegenüber der Polizei oder rabiaten Autofahrern in der Regel sogar auf Schimpfwörter verzichtet.
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