Die Gelüste des Militärs

US-Militär und Geheimdienste würden gerne auch für "Computerkriminalität" zuständig sein

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Wenn es denn stimmt, was in einem Artikel auf der Infowar-Seite von Winn Schwartau über Äußerungen von James Christy vom Defense-wide Information Assurance Program, einer kürzlich vom US-Verteidigungsministerium eingerichteten zentrale Stelle zum Schutz der "Defense Information Infrastructure", auf einer Tagung über Infowar berichtet wird, dann kann man die geheimen Wünsche des Militärs und der Geheimdienste erahnen.

Zunächst einmal scheint Christy eine angesichts der wahllosen Verwendung der Bedrohung durch den Infowar wohltuende Feststellung zu machen. Bislang nämlich sei noch niemals ein Infowar oder ein cyberterroristischer Anschlag gegen die USA ausgeführt worden, was aber stattgefunden habe, sei "Computerkriminalität". Und als Beispiel führt er ausgerechnet eine Aktion des Electronic Disturbance Theater (ETD) an, die 1998 während des Ars Electronica Festivals gestartet wurde.

Das EDT, das seine Aktionen als "virtuelle Sit-ins" eines "zivilen Ungehorsams im WWW" begreift, hat bekanntlich die Software FloodNet entwickelt, die wiederholt Befehle an den Browser zum Neuladen einer URL sendet. Wenn hinreichend viele das Java-Applet zur selben Zeit aktiviert haben, dann kann im Prinzip eine bestimmte Website für eine gewisse Zeit blockiert werden. "In der Realität allerdings", so Stefan Wray vom EDT, "gelang dies nur selten. So gesehen liegt die Wirkung von FloodNet eher in der symbolischen Geste." Bei dem von Christy als Computerkriminalität angesprochenen "SWARM-Projekt" wurden erstmals gleichzeitig als eine Solidaritätserklärung für die Zapatistas FloodNet-Störmanöver gegen die Websites des mexikanischen Präsidenten, der Frankfurter Börse und des Pentagon durchgeführt, nach Christy Angriffe auf das US-Militär von 1500 Orten in 50 verschiedenen Ländern.

Wray schreibt in "Das virtuelle Sit-in" (in: Florian Rötzer: Megamaschine Wissen. Campus Verlag 1999): "Einige Stunden, nachdem SWARM aktiviert worden war, wurde es bereits unschädlch gemacht. Alles, was geschah, war, dass Java-Kaffeetassen über den unteren Bildschirmrand rasten. Das FloodNet fror ein." Das Pentagon hatte einen "Gegenangriff" eingeleitet. Zwar musste Wray seine Website auf dem Server der New York University von einigen mit den Aktionen der EDT verbundenen Dateien "bereinigen", weil sich das Verteidigungsministerium bei der Universität beschwert hatte, doch zu einer Anzeige wegen "Computerkriminalität" kam es nicht.

Gleichwohl dient diese doch insgesamt recht harmlose Protestaktion, die nicht einmal wie andere Hacktivisten in Webseiten eindringt und diese verändert, als Beispiel für die Computerkriminalität, auch wenn bei einer anderen Aktion bereits 20000 Menschen teilgenommen haben. In seinen Ausführungen jedenfalls bedauert Christy, dass in Fällen der Computerkriminalität dem Militär und den Geheimdiensten die Hände ohne eine Direktive des Präsidenten legal gebunden seien, denn dafür seien zunächst die Polizeibehörden zuständig, obgleich doch erstere viel größere Kompetenz auf diesem Gebiet besäßen: "Das Militär und die Geheimdienste haben die Kompetenz und die Mittel, und wir können nicht reagieren." Man brauche nicht mehr Ressourcen, sondern Polizei und Militär sollten wie bei der Drogenkriminalität mehr zusammenarbeiten.

Computerkriminalität sei einem "Nuklearangriff" entgegengesetzt, bei dem man wegen der großen Ressourcen der Überwachung relativ leicht zumindest den Feind identifizieren könne, während die "Cyberbomben" heimlich gezündet und oft gar nicht bemerkt würden. Besonders Geldinstitute würden Vorfälle meist gar nicht melden. Die Verfolgung der Computerkriminalität werde durch Gesetze behindert, die zum Schutz des Gleichgewichts zwischen öffentlicher Sicherheit und Privatsphäre dienen, also die Geheimdienste nicht Daten von US-Bürgern und US-Firmen sammeln dürfen. Das sei nur schwer zu ändern, meint Christy offenbar bedauernd, da die Bürger normalerweise nicht auf den Infowar eingestimmt seien und den Schutz der Privatsphäre höher als die öffentliche Sicherheit stellen. Da wird noch einmal ganz deutlich, welches Interesse das Militär und die Geheimdienste an der permanenten Beschwörung des Infowar haben - und dass damit auch Demokratie, Freiheit und Privatsphäre bedroht sind.

Interessant sind auch die Vorschläge, die Christy macht. Beispielsweise die Einrichtung eines "Cybergerichtshofs" für Computerkriminalität. Dann wäre für ihn auch ein "Neighbourhood CyberWatch" nicht schlecht, wo Bürger auf der Suche nach Hackern im Netz herumsurfen, oder eine "Cyber Rangers of American for Kids"-Organisation, um das Hacken einzudämmen und größere Aufmerksamkeit auf die Bedrohung zu schaffen, die von ihm auf die nationale Sicherheit ausgeht ...