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Die Hoffnung, dass der Krieg vorüber zieht

Blick von den Golanhöhen nach Syrien. Bild: Masterpjz9/CC BY-SA 2.5

Im Syrien-Konflikt verhält sich Israel, so gut es geht, passiv

Die Restaurants sind geöffnet, der Wein schmeckt gut. Und nach dem Mittagessen stehen die Touristen entlang der Grenze am Straßenrand, blicken in die Ferne, über den Grenzzaun hinweg, mitten in den Krieg, in Syrien.

Ein Krieg, der hier, auf den Golanhöhen nah, aber unerreichbar hinter einem hohen Grenzzaun erscheint. Und trotzdem immer da ist: Tag und Nacht ist aus der Ferne ein diffuser Donnerhall, sind Schüsse zu hören; wo gerade gekämpft wird, kann nicht einmal das israelische Militär so genau sagen, dessen Soldaten die Blicke ständig auf die andere Seite gerichtet haben.

Denn seit einigen Wochen verirren sich nun öfter Granaten auf die nach internationaler Lesart besetzte, aus israelischer Sicht annektierte Seite der Golanhöhen. In den meisten Fällen scheine es sich dabei um Irrläufer zu handeln, heißt es beim Militär. In einigen Fällen indes dränge sich die Vermutung auf, dass man provoziert werden solle.

"Ich habe immer mal wieder den Eindruck, dass sich eine von den Milizen da drüben sagt, man könne doch mal eine Granate in Richtung Israel schießen, wenn ihr die syrische Armee zu nahe kommt", sagt ein hochrangiger Offizier.

Die syrische Armee wird für alles verantwortlich gemacht

Denn die offizielle Herangehensweise des israelischen Militärs ist, die syrische Regierung für alles verantwortlich zu machen, was auf syrischem Boden passiert oder von dort ausgeht. Oder anders gesagt: Wird von der syrischen Seite auf die Golanhöhen geschossen, beschießt Israels Armee als Reaktion Stellungen der syrischen Armee, ganz gleich, wer tatsächlich gefeuert hat.

Zuletzt kam es am Dienstag zu einem Zwischenfall [1], als Syriens Regierung bekannt gab, man habe bei einer solcher Vergeltungsaktion ein israelisches Flugzeug abgeschossen. Israels Militär bezeichnet das als Falschmeldung.

Doch die Grenzzwischenfälle sind nicht auf Irrläufer und Provokationen beschränkt. Vor kurzem drang eine Drone von syrischem Gebiet aus in den israelischen Luftraum ein; mehrmals wurden auch auf israelisch kontrolliertem Gebiet Sprengsätze gefunden, und zwar genau in den Gegenden, in denen auf der anderen Seite die syrische Armee oder deren Verbündete das Sagen haben.

Auf der derzeitigen strategischen Landkarte kontrolliert Syriens Militär nur einige kleine Gebiete in der Nähe zur Waffenstillstandslinie mit Israel. Ansonsten ist die Gegen ein politischer, militärischer Flickenteppich: Hier haben Milizen der freien syrischen Armee das Sagen, dort die Al Nusra-Front (Syrien: Erste märchenhafte Effekte der US-russischen Abmachung [2]), die im Umfeld von Al-Qaida angesiedelt ist. Und weiter südlich, Richtung Jordanien, haben die Khalid Ibn al Walid-Brigaden die Kontrolle, die sich früher Schuhada al Jarmuk-Brigaden nannten, und dem "Islamischen Staat" nahe stehen.

Es ist ein unübersichtlicher Krieg, eine Auseinandersetzung, die auch in Israel eine Vielzahl von Emotionen und Diskussionen hervorruft, und in dem man sich vor allem passiv verhält: Man unterhält Gesprächskanäle zu den Gruppen auf der anderen Seite der Waffenstillstandslinie. Auf diese Weise sollen die Zwischenfälle minimiert werden, so gut es geht.

Immer wieder öffnet man auch unter Vermittlung der Vereinten Nationen die Grenze für Verletzte und akut Behandlungsbedürftige; auch Hilfslieferungen werden über den Übergang Kuneitra abgewickelt. Denn in unmittelbarer Nähe des Grenzzaunes haben sich auch Flüchtlinge niedergelassen, in der Hoffnung, dort vor Beschuss wenigstens einigermaßen sicher zu sein.

Doch wer Flüchtling ist, wer Kämpfer, wird nicht gefragt, und Israels Militär beantwortet auch keine Fragen dazu: Es gehe allein um humanitäre Hilfe. Dass man damit auch einzelne Gruppen, wie beispielsweise al Nusra, unterstützt, ohne sie offiziell zu unterstützen, ist ein offenes Geheimnis.

Denn man will nicht hinein gezogen werden

Die Erinnerungen an den Libanon-Krieg vor zehn Jahren, an den Gaza-Krieg vor zwei Jahren, in deren Verlauf beide Male über Wochen hinweg tausende Raketen auf Israel abgeschossen worden, sind noch frisch. Auf den ersten Blick erscheint es abwegig, dass eine ähnliche Situation von syrischem Boden aus entstehen könnte. "Bei etwas genauerer Betrachtung ist dies aber eine sehr reale Möglichkeit", sagt Mosche Ja‘alon, der bis Mai Verteidigungsminister war: Es brauche nur eine Gruppe in der Grenzregion die Oberhand zu gewinnen.

Es gibt eine ganze Reihe von Szenarien, in denen eine solche Gruppierung dann ein Interesse an einer Auseinandersetzung mit Israel haben könnte.

Mosche Ja’alon

Da die Golanhöhen in Syrien als Teil Syriens gesehen werden, und auch der Krieg nichts an der Forderung nach einer Rückerlangung der Region ändere, könne eine Gruppe versuchen, auf diese Weise an Renomée zu gewinnen. Auf der anderen Seite sei auch denkbar, dass Kampfgruppen versuchen, eine israelische Militärkampagne zu provozieren, um sich dann im Windschatten an breiterer Front zu etablieren.

Man ist froh, die Golanhöhen nicht an Syrien zurückgegeben zu haben

Noch kurz vor Kriegsausbruch hatte die Türkei 2009 eine letzte Verhandlungsinitiative gestartet, deren Ziel eine Annäherung Syriens und Israels, und letztendlich die Rückgabe der Golanhöhen war. Im Grunde war damals eigentlich alles schon klar: Nach mindestens zwölf verschiedenen Verhandlungsrunden im Verlauf von immerhin 15 Jahren, sei im Grunde alles in trockenen Tüchern gewesen, erinnert sich ein türkischer Diplomat.

Für sein Land ging es damals vor allem darum, die Partnerschaft mit Israel, die damals, vor den Ereignissen 2010 um die israelische Stürmung des Gaza-Hilfsschiffs Mavi Marmara, bei der mehrere türkische Staatsbürger getötet wurden, noch felsenfest schien (Türkei: Zeichen der Versöhnung mit Israel [3]). Außerdem hätte man die traditionell eher passiv-aggressiven Beziehungen zu Syrien therapiert und international an Statur gewonnen. Am Ende scheiterte auch diese Initiative am Widerstand von Netanjahus eigener Partei, dem Likud.

Quneitra im September 2001; Bild: Christian Koehn [4]/CC BY-SA 3.0 [5]

"Einige von uns haben 1967 und 1973 selbst dort gekämpft, oder haben Verwandte oder Freunde, die dabei waren. Manche haben auch die Zeit davor miterlebt, als ständig vom Golan aus auf Israel geschossen wurde," sagt Michael Eitan, der bis 2013 für den Likud im Parlament saß: "So etwas will gut überlegt sein: Was bringt es uns? Was könnten die Nachteile sein?"

Heute sagen deshalb auch Politiker der Opposition, Befürworter von Friedensverhandlungen und -verträgen, dass sie froh sind, dass die Golanhöhen noch unter israelischer Kontrolle sind. Denn die eigentliche internationale Grenze zwischen Syrien und Israel verläuft meist genau unterhalb der Golanhöhen; von oben befindet sich nahezu der gesamte Norden Israels im Schussfeld.

"Wenn man mit einrechnet, dass niemand sagen kann, welche Milizen die Region kontrollieren, und zu welchen Waffen sie Zugang haben, muss man mit dem Schlimmsten rechnen", sagt Jitzhak Herzog, Vorsitzender der Zionistischen Union, einem Parteibündnis aus der sozialdemokratischen Arbeitspartei und der zentristischen HaTnuah der ehemaligen Außenministerin Zippi Livni.

Aber: Sowohl Linke als auch Zentrum als auch viele Abgeordnete von Netanjahus Likud wollen die Option von künftigen Golan-Verhandlungen explizit offen halten: Wenn in Syrien irgendwann Frieden, ein gemäßigtes, dauerhaft gefestigtes System herrschen, dann könne man wieder darüber reden. Aber erst dann.

Bis dann: Raushalten

So lautet das amtliche Endergebnis der Diskussionen, die Jahre lang in Israel Politik, im Sicherheitsapparat, zwischen israelischen und ausländischen Diplomaten und in den Medien abgehalten wurden. Es waren vielschichtige Debatten, in denen es auf der einen Seite um das aktuelle Ziel ging, nämlich dass der Krieg an Israel vorüber gehen möge. Und in denen andererseits langfristige Visionen für Syrien thematisiert würden.

Vor allem die Geheimdienste brachten immer wieder ins Spiel, dass nun die Zeit sei, um auf ein langfristiges, für Israel möglichst positives Syrien hin zu arbeiten. Politiker brachten Szenarien ins Spiel, in denen der Mossad diese Gruppe unterstützt, die dann gegen jene Gruppe was macht, und damit einer ganz anderen Gruppe das Feld freiräumt, und am Ende kam dann stets genau der eine an die Macht, der ganz genau das macht, was man von ihm will.

Doch lange vor allen anderen Erwägungen scheiterten diese Vorschläge an diesem Punkt: Man konnte sich schlicht nicht darauf einigen, auf wen man setzen soll. Über die Jahre hinweg gab und gibt es jene, die Baschar al-Assad favorisieren. "Den Teufel, den man kennt, kann man einschätzen," sagte Regierungschef Netanjahu vor einem Jahr. Doch Benny Gantz, der von 2011 bis 2015 Generalstabschef war, widerspricht dem.

Es sei absolut nicht sicher, wie viel Einfluss al-Assad noch habe: "Er ist der Präsident, doch strategisch haben Militär und Geheimdienste das Sagen. Man muss also damit rechnen, dass die tatsächlichen Machthaber ganz andere Leute sind." Gleichzeitig sei zu befürchten, dass die syrische Regierung nach einem für sie siegreichen Krieg versuchen werde, die Bevölkerung durch eine Konfrontation mit Israel auf ihre Seite zu ziehen.

Aus Sicht von Oppositionsführer Herzog, der seinen Militärdienst beim israelischen Äquivalent der NSA absolvierte, ist vor allem die Nähe al-Assads zur Hisbollah ein Ausschlusskriterium:

Die Hisbollah hat ihre ganz eigenen Ziele, die sich vor allem auf den Libanon und auf den Kampf gegen Israel konzentrieren. Sie kämpft aber auch an der Seite der syrischen Regierung. Irgendwann wird sie dafür etwas haben wollen. Man sollte also nicht davon ausgehen, dass wir einschätzen können, was al Assad in Zukunft tun würde.

Jitzhak Herzog

Ein weiterer wichtiger Grund: "Israel gilt in Syrien als toxisch", sagt Ja‘alon: "Jede Gruppe, die wir unterstützen, würde sofort an Unterstützung verlieren. Das macht solche Versuche bestenfalls zum Risiko. Schlimmstenfalls sind sie völlig kontraproduktiv."

Beispiel al Nusra-Front

Immer wieder machen Berichte die Runde, Israel unterstütze al-Nusra im Krieg. Tatsächlich kommt der Gruppe in der israelischen Passivitätsstrategie eine wichtige Rolle zu. Bislang hat sie sich noch nicht gegen Israel gewandt, und wird deshalb auch bisher nicht als Gefahr gesehen - anders als die Fraktion des "Islamischen Staats", die in der Nähe Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht hat.

Eine andere Gruppe aus dem Umfeld des IS hat nun mehrmals aus dem Gazastreifen (Der IS auf dem Weg nach Gaza [6]) Raketen auf Israel abgefeuert, auch von der Sinai-Halbinsel aus wurde schon auf Israel geschossen. Deshalb will Israel unbedingt verhindern, dass sich die Walid-Brigaden weiter entlang der Waffenstillstandslinie ausbreiten, und al-Nusra wird als geeigneter Gegenpol gesehen.

Aber auch hier gilt: Unterstützen würde man al-Nusra nicht. Man will auch nicht, dass al-Nusra selbst sich zu sehr ausbreitet. Wenn man sich umhört, dann wird immer wieder gesagt, dass der Status Quo vor dem Hintergrund der aktuellen diplomatischen Situation das Beste sei, was man bekommen könne.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3324050

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.nytimes.com/2016/09/14/world/middleeast/israel-syria-warplane-drone-golan-heights.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Erste-maerchenhafte-Effekte-der-US-russischen-Abmachung-3319328.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Zeichen-der-Versoehnung-mit-Israel-3380264.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Golanh%C3%B6hen#/media/File:Qunaitra.jpg
[5] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Der-IS-auf-dem-Weg-nach-Gaza-3318546.html