Die Huthi-Falle: Wie die USA die Kontrolle über das Rote Meer verlieren
Israels Vergeltungsschlag im Jemen zeigt: US-Strategie ist gescheitert. Rebellen profitieren von militärischer Eskalation. China, Russland stehen in Startlöchern. Eine Einordnung.
Am Samstag waren im jemenitischen Hafen von Hudaida schwere Explosion in einem Treibstofflager und einem Kraftwerk zu sehen. Über 80 Menschen wurden verletzt, mindestens sechs getötet.
Der Luftangriff ist eine Vergeltung des israelischen Militärs auf einen Huthi-Angriff. Am 19. Juli traf eine von jemenitischem Hoheitsgebiet aus gestartete Langstreckendrohne Tel Aviv und tötete eine Person.
Biden vor außenpolitischem Scherbenhaufen
Die Huthi schafften es damit zum ersten Mal seit Beginn der Feindseligkeiten im Oktober 2023, Israel militärisch zu schaden. Man konnte in israelisches Territorium eindringen und dem Luftabwehrsystem ausweichen. Es ist ein technologischer wie symbolischer Sieg der Rebellengruppe.
Die Entscheidung Israels, Vergeltungsmaßnahmen gegen zivile Infrastruktur statt gegen militärische Ziele zu ergreifen, ist zugleich ein Zeichen dafür, dass die Spannungen in der Region am Roten Meer zu einem umfassenden Konflikt eskalieren könnten. Und genau das ist es, was die USA erklärtermaßen von Beginn an verhindern wollten.
Seit Monaten versucht die US-Regierung, Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer und gegen Israel abzuschrecken und die Fähigkeit der Huthi, zu attackieren, einzudämmen. Diese Strategie war zum Scheitern verurteilt (auch der US-Verbündete Saudi-Arabien hat seit 2015 im Krieg gegen die Huthi im Jemen nichts erreicht), jetzt ist das Desaster nicht mehr zu verbergen.
Die Biden-Regierung steht vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen angesichts des direkten Schlagabtauschs zwischen Israel und der jemenitischen Rebellengruppe, während die Angriffe auf Containerschiffe im Roten Meer ungebremst fortgesetzt werden.
Gescheiterter Versuch, Huthi zu isolieren
Der Ausgangspunkt des Konflikts war vor neun Monaten der Beginn von Israels Krieg gegen Gaza. Am 19. Oktober starteten die Huthi mit Raketen und Drohnen Angriffen auf Israel, die vom israelischen Schutzschirm jedoch abgefangen werden konnten.
Mitte März durchschlug ein Marschflugkörper die israelische Luftabwehr und explodierte in unbewohntem Gelände in der Nähe der israelischen Hafenstadt Eilat. Im April schloss sich die Rebellengruppe dem Iran an bei seinen Raketen- und Drohnenangriffen auf Israel als Reaktion auf die israelische Bombardierung des iranischen Konsulats in Syrien, bei dem sieben Menschen getötet wurden, darunter zwei iranische Generäle.
Dass man jetzt tief in israelisches Gebiet eindringen konnte und Israel zurückschlug, hat die Anziehungs- und Mobilisierungskraft der Rebellengruppe über Jemen hinaus stark erhöht, wie Analysten feststellen.
Die Huthi zu isolieren, wie es die USA seit sieben Monaten versucht haben, ist damit gescheitert. Sie gehen gestärkt aus dem Konflikt hervor und fühlen sich ermutigt, weiterzukämpfen, während sie Zuspruch und Zulauf bekommen.
Das Desaster im Roten Meer
Vor allem aber haben die USA keine Kontrolle über das Rote Meer erzielen können, um die Störungen des Seehandels durch die Meerenge zu unterbinden.
Die Rebellen haben bisher mehr als 70 Schiffe mit Raketen und Drohnen beschossen und dabei vier Seeleute getötet. Seit November haben sie ein Schiff gekapert und zwei Schiffe versenkt.
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Im Juni stieg die Zahl der Huthi-Angriffe auf Handelsschiffe stark an. Auch im Juli ging es weiter. Vorletzte Woche haben die Rebellen nach eigenen Angaben Raketen auf ein unter US-Flagge fahrendes Containerschiff im Golf von Aden abgefeuert.
Über das Rote Meer, das mit dem Suezkanal verbunden ist, werden über zehn bis 15 Prozent des Welthandels abgewickelt. Durch die Angriffe haben große Reeder den Verkehr auf Alternativrouten verlegt. Dadurch sind die Frachtraten in die Höhe geschnellt.
Israelischer Hafen vor Bankrott
Die Kosten für die Verschiffung eines typischen Containers auf acht wichtigen Ost-West-Routen stiegen auf 5.117 US-Dollar, was einem Anstieg von 233 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Reedereien haben außerdem Notfallzuschläge erhoben. Ferner kommt es zu Verspätungen bei der Lieferung von Waren.
Die dänische Reederei Moller-Maersk erklärt zudem, dass die Störungen im Roten Meer Dominoeffekte auf andere Handelsrouten haben. Nun komme es auch dort zu Überlastungen und Staus.
Die Huthi betonen, dass man insbesondere Schiffe, die eine Verbindung zu Israel haben, ins Visier nehme. Das Ziel der Operationen sei es, die Netanjahu-Regierung dazu zu bringen, den Krieg in Gaza zu beenden.
Dieses Ziel hat die Rebellengruppe nicht erreicht. Doch mit der Blockade hat man Israel Kosten auferlegen können. Der israelisch kontrollierte Hafen von Eilat ist Berichten zufolge aufgrund der Blockade bankrott und ersucht nun um einen staatlichen Rettungsschirm.
Die kostspielige Militäroperation
Auch die USA müssen für die Einsätze im Roten Meer tief in die Tasche greifen. Die Schätzungen der Gesamtkosten der Operation liegen zwischen 260 und 573 Millionen Dollar pro Monat, das sind also bis zu vier Milliarden Dollar insgesamt bisher. Doch dieser militärische und finanzielle Aufwand hat nichts gebracht. Die Transport- und Versicherungskosten in der Containerschifffahrt gehen wegen der erodierten Sicherheitslage auf der Schifffahrtsroute weiter in die Höhe.
US-Präsident Joe Biden hat selbst zugegeben, dass die Angriffe gegen die Huthi nicht funktionieren. Dennoch hat er sich geweigert, sie zu beenden, obwohl Experten vorschlagen, dass "strategische Inaktivität" effektiver sein könnte.
Am besten und wirksamsten wäre es natürlich, Israel zu drängen, den, wie es der Internationale Gerichtshof in Den Haag ausdrückte, "plausiblen Völkermord" in Gaza zu beenden. Die Huthi haben wiederholt deutlich gemacht, dass sie ihre Angriffe einstellen werden, sobald es einen Waffenstillstand gibt.
Wer kann die Lücke schließen?
Der Kontrollverlust der USA im Roten Meer könnte darüber hinaus dazu führen, dass andere Akteure auf den Plan treten, Allianzen bilden und von der Lücke profitieren wollen. Die Fachzeitschrift Foreign Affairs mutmaßt beispielsweise, dass der Iran die Huthi auch aus strategischen Gründen unterstützt.
Es sei "Teil einer umfassenderen strategischen Neuausrichtung, die sich zunehmend auf maritime Fähigkeiten stützt, um die Gegner Irans in Schach zu halten." So hätten in letzter Zeit die iranischen Seestreitkräfte modernere Schiffe erworben, darunter neue U-Boote und mit Raketen bestückte Kriegsschiffe, und damit begonnen, sich bis in den Atlantik und den Pazifik vorzuwagen. Um seine Macht weiter auszubauen, habe Teheran außerdem Marinepartnerschaften mit China und Russland geschlossen.
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Russland seine elektronische Kriegsführung von Syrien aus verstärken, indem es die Leitsysteme der israelischen Waffen stört. Es könnte auch mehr Waffen an die Hisbollah im Libanon oder die Huthi im Jemen liefern, was seiner derzeitigen Strategie entspräche.
Chinas kluges Taktieren
Zudem haben die Huthi mit Russland wie auch China in einem Deal vereinbart, dass ihre Schiffe durch das Rote Meer und den Golf von Aden fahren können, ohne angegriffen zu werden.
Beijing gelingt der taktierende Balanceakt im Nahen Osten besonders gut, weil man in der Region glaubwürdig und erfolgreich als Mediator auftritt. Im März letzten Jahres gelang es der chinesischen Diplomatie nach Verhandlungen, Iran und Saudi-Arabien nicht nur an einen Tisch zu bringen, sondern auch ein Abkommen abzuschließen. Nach sieben Jahren Eiszeit wollen die beiden Länder nun ihre Beziehungen wieder normalisieren.
Auch im Israel-Palästina-Konflikt schärft man sein diplomatisches Profil. Während China im Verlauf des Gaza-Kriegs eine stärker israelkritische Haltung eingenommen hat und auf einen Waffenstillstand drängt, starteten nach Berichten am Wochenende in Beijing Gespräche zwischen der Palästinensischen Nationalen Befreiungsbewegung (Fatah) und der Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas).
Schon im April gab es ein derartiges Treffen in China, dem Gespräche in Moskau im Februar vorausgegangen waren. Gestern wurde nun berichtet, dass zwischen den beiden Gruppen ein Versöhnungsabkommen geschlossen werden konnte.
Das fatale Biden-Erbe
Biden, der nun angekündigt hat, nicht mehr als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November anzutreten, hinterlässt mit seiner eisernen Unterstützung für die Netanjahu-Regierung im Krieg gegen Gaza und der militärischen Verschärfung der Spannungen in der Region, insbesondere im Roten Meer, einen gefährlichen Hotspot Naher Osten, aus dem nur weitere Gewalt, weiteres Chaos erwachsen können.
Wer immer ihm nachfolgt, muss mit dem Verlust an Stabilität und Berechenbarkeit sowie wachsendem Leid und Tod zurechtkommen. Solange der Gaza-Krieg weitergeht, wird dieser Erosionsprozess allerdings nicht zu stoppen sein.