Die Kinder von Guantanamo
Auch Kinder unter 16 Jahren werden als "feindliche Kämpfer" vom Pentagon auf dem kubanischen Stützpunkt festgehalten, aber den "sehr, sehr gefährlichen Menschen" ginge es bestens
Letzte Woche erst wurde bekannt, dass das Pentagon im Gefängnislager Guantanamo auf Kuba auch Kinder unter 16 Jahren eingesperrt hat. Am 23. April räumte Oberstleutnant Barry Johnson ein, dass Kinder als "aktive Kämpfer gegen die US-Streitkräfte" festgenommen und nach Guantanamo gebracht wurden, um sie dort zu vernehmen. Insgesamt befinden sich noch über 660 "feindliche Kämpfer" in rechtlosem Zustand in dem amerikanischen Gefangenenlager. Auch der Status von Kriegsgefangenen wird ihnen verweigert, um sie im Prinzip unbegrenzt in den Zellen halten zu können.
Manche der Gefangenen sind hier bereits seit anderthalb Jahren. Nur wenige wurden bereits entlassen. Darunter auch Greise oder andere Menschen, die teilweise wohl auch zufällig in die Hände der US-Soldaten gerieten, die offenbar nicht sehr wählerisch waren (Die Gefangenen von Guantanamo). Vermutlich gehörte der Großteil der Gefangenen nicht einmal al-Qaida an. Angeblich gibt es Plakate auf arabisch und englisch im Lager mit dem Text: "The road to return must be paved with complete truth and cooperation. I know!!!" Verhaltenskonditionierung erfolgt u.a. mit dem Gewähren und Verweigern von Angeboten. Bei den Inhaftierten häufen sich offenbar Selbstmordversuche. Manche müssen mit Antidepressiva behandelt werden. Nicht verwunderlich bei der völligen ungewissen Zukunft. Man ist den Amerikanern völlig rechtlos, ganz nach deren Belieben, ausgesetzt. Gerichte in den USA haben bestätigt, dass die Gefangenen keinen Anspruch auf Rechtschutz haben, weil Guantanamo Bay nicht auf amerikanischen Territorium liegt. Das ist eine im Hinblick auf Menschenrechte höchst beunruhigende Entscheidung (USA: Im Krieg ist das Recht eingeschränkt).
Schon welchen Wert ihre möglichen Informationen über al-Qaida nach so langer Gefangenschaft noch haben könnten, ist höchst fraglich. Der Kommandeur des Lagers, Geoffrey C. Miller, erklärte jedoch, dass man noch immer Informationen von ihnen erhalte. Dass die US-Soldaten mit Gefangenen nicht gerade zimperlich umgehen (Unerwünschte Bilder), wurde jetzt auch wieder im Irak bekannt. Zwar hatte das Pentagon die Genfer Konvention über den Umgang mit Strafgefangenen ins Spiel gebracht, als der Sender al-Dschasira, dessen Büro in Bagdad später vom US-Militär bombardiert wurde, Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen sendete, die vom irakischen Fernsehen stammten. Amnesty protestierte jetzt, nachdem die schwedische Zeitung Dagbladet berichtet hatte, dass amerikanische Soldaten mutmaßliche Plünderer nackt durch einen Park in Bagdad abführten. Auf ihre Brust hatte man auf arabisch "Ali Baba - Haram(i)" (Dieb) geschrieben.
Über den Umgang mit mutmaßlichen Kindersoldaten
Genaue Angaben über die Zahl der Kinder in Guantanamo gibt es nicht. Medien gehen von mindestens drei Kindern im Alter zwischen 13 und 15 Jahren aus, es könnten aber auch mehr sein. Oberstleutnant Johnson sagte nur, es handele sich um eine sehr kleine Zahl von Kindern, die festgehalten würden, weil "sie das Potenzial haben, wichtige Informationen über den andauernden Krieg gegen den Terrorismus zu liefern". Ihre Freilassung hänge von der Entscheidung ab, "dass sie keine Gefahr für die Nation darstellen und keine weiteren Aufklärungswert besitzen". Angeblich seien alle Gefangenen unter 16 Jahren nach dem Januar 2002 nach Guantanamo gebracht worden. Erst nach medizinischen Untersuchungen habe man entdeckt, dass sie Kinder seien. Das aber hat ihnen dann offenbar auch nichts genutzt.
Angeblich soll sich darunter ein 16-Jähriger mit kanadischer Staatsangehörigkeit befinden, der im Juli 2002, als er noch 15 war, schwer verletzt in Ostafghanistan nach einem Schusswechsel festgenommen worden ist. Er wird beschuldigt, eine Granate auf einen amerikanischen Soldaten geworfen zu haben, der dadurch getötet wurde. Sein Vater soll für finanzielle Dinge bei al-Qaida verantwortlich gewesen sein. Kanadischen Beamten wurde bislang keine Möglichkeit gegeben, mit dem Jungen in Kontakt zu treten.
Jo Becker von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte, dass eine Befragung keine Rechtfertigung darstelle, Kinder gefangen zu halten. Sie gehörten sicherlich nicht, wie Verteidigungsminister Rumsfeld die Gefangenen in Guantanamo bezeichnet und deren Rechtlosigkeit legitimiert hatte, zu den "Schlimmsten der Schlimmen". Auch wenn es sich um Kindersoldaten der Taliban handelt, sollten sie nicht zusammen mit anderen Erwachsenen eingesperrt und bestraft, sondern resozialisiert werden. Amnesty forderte ihre Freilassung und wies darauf hin, dass die US-Regierung das Abkommen über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten im Dezember 2002 unterzeichnet hat, das die Mitgliedsstaaten zur Resozialisierung der Kindersoldaten verpflichtet.
Inzwischen hat auch Olara Otunnu, der in der UN für die Rechte von Kindern im Krieg zuständig ist, die USA kritisiert. Gegenüber BBC sagte er, dass nach internationalem Recht sowohl der Einsatz von Kindersoldaten als auch deren Einsperrung verboten sei. Er verlangte von den US-Behörden, im besten Interesse der Kinder zu handeln und die Situation aufzuklären.
Alles ganz legal
Auf einer Pressekonferenz letzte Woche erklärte Stabschef Richard Myers dazu:
Die Kinder seien "trotz ihres Alters sehr, sehr gefährliche Menschen. Das sind Menschen, die hauptsächlich in Afghanistan festgenommen und einen sorgfältigen Verfahren unterzogen worden sind, um zu bestimmen, in welcher Art sie beteiligt sind. Einige wurden getötet. Einige haben gesagt, sie würden wieder töten. Sie können also Jugendliche sein, aber sie sind kein Schülerteam, sondern sie spielen in einem Erwachsenenteam, das ein Terroristenteam ist. Und sie sind in Guantanamo aus guten Grund - für unsere Sicherheit, für Ihre Sicherheit."
US-Verteidigungsminister Rumsfeld sagte, dass alles, was mit den Gefangenen in Guantanamo geschehen ist, auf ganz legalem Weg erfolgt sei. Durch die Gefangenschaft halte man die Menschen, die zu al-Qaida oder den Taliban gehören, von der Straße weg. Rumsfeld schloss sich der Meinung seines Vorredners Myers an, dass die gefangenen Kinder eigentlich keine Kinder seien. Überdies seien viele Menschen von Teenagern getötet worden. Über die rechtliche Lage, also dass sie nach Ansicht der US-Regierung nicht von Anwälten besucht und unbegrenzt lange festgehalten werden, äußerte sich Rumsfeld nicht weiter.
Glückliche Kindersoldaten lieben Meerfilme
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtete, soll es den Kindern nach einer neuen Pentagon-Version bestens gehen:
"Am Morgen lernen sie lesen und schreiben in ihren Muttersprachen, säubern ihre Räume und mähen draußen den Rasen. In der Freizeit spielen sie Fußball und schauen Filme wie 'Castaway' an, der zu ihren Lieblingsfilmen gehört. Am Nachmittag arbeiten Psychlogen mit ihnen, um die Wunden körperlicher und emotionaler Misshandlungen zu heilen.
Leutnant Barry Johnson, der Sprecher des Gefangenenlagers, jedenfalls kann nur Gutes berichten. Als er sie besuchte, so erzählte er AP übers Telefon, hätten sie gerade Mathematik gelernt. Sie seien aufgestanden, hätten gegrinst und mit dem bisschen Englisch, das sie gelernt haben, Witze gemacht: "Offensichtlich mögen sie Meerfilme, weil sie das Meer sehen können."
Die Jungen würden separat von den Erwachsenen leben. Sie könnten fünf Mal am Tag beten und wöchentlich einen "islamischen Kaplan" treffen. Die Wachen hätte man nach ihrer Erfahrung mit Jugendlichen ausgewählt. Diese wären zum Militärdienst gezwungen worden, weswegen man sie eben psychologisch behandelt: "Ich weiß nicht, ob sie irgendwo anders in der Welt, wenn man von ihrem Status als feindliche Kämpfer ausgeht, diese Art der Behandlung erhalten würden, eine Umgebung, die zur Förderung ihrer Entwicklung gestaltet wurde", sagt Johnson.
Für das Böse gibt es keine Altersgrenze
Michelle Malkin versuchte hingegen in einem Kommentar in der konservativen Washington Times die Rumsfeld-Myers-Haltung zu bestärken, dass es sich eigentlich nicht um Kinder handelt, weswegen man sie so behandeln kann, wie alle anderen auch. Hier handelt es sich um vier Jugendliche, die, so Malkin, keineswegs Nintendo oder in einer Sandkiste spielten, als sie festgenommen wurden, sondern die sich auf dem Dschihad befanden:
"Wir sprechen nicht von Herden von friedliebenden engelhaften Schülern (wie denjenigen, die von amerikanischen Truppen aus Saddams Gefängnissen befreit wurden). Wir sprechen von vier männlichen Jugendlichen, die als aktive feindliche Kämpfer gegen US-Truppen festgenommen wurden und verdächtigt werden, Verbindungen mit dem terroristischen al-Qaida-Netzwerk des besiegten Taliban-Regimes in Afghanistan gehabt zu haben."
Malkin verbindet ihren Kommentar, der die liberalen Kritiker und Menschenrechtsorganisationen lächerlich zu machen versucht, mit dem Fall des 17jährigen Lee Malvo, der letztes Jahr zusammen John Allen Muhammad im Raum von Washington 13 Menschen erschossen haben soll. Für das Böse, so Malkin, gebe es keine Altersgrenze, "kaltblütige Mörder und blutdurstige Kämpfer gibt es in allen Größen".