Die Legende vom sozialen Wohnungsbau
Wenn Wohnraum "aus der Bindung fällt": Der Stadtsoziologe Andrej Holm weist nach, dass die private Eigentumsförderung kein Weg ist, um Wohnungen für alle zu errichten
Wenn von der aktuellen Wohnungsmisere in Deutschland die Rede ist, verweisen auch gern auch von Mieteraktivisten auf die Kappung des sozialen Wohnungsbaus als eine der wichtigsten Ursachen. Der Hinweis scheint erst mal vernünftig, weil die Wohnmisere schließlich nicht darin besteht, dass zu wenig gebaut wird, sondern darin, dass kaum Wohnungen für Menschen mit niedrigen Einkommen entstehen. Sogar Menschen mit mittleren Einkommen können sich oft die Lofts nicht leisten, die in Berlin und vielen anderen Städten sehr wohl entstehen.
Da hilft es auch nicht, "Bauen, bauen, bauen" zu rufen. Es geht darum, dass auch für Menschen mit wenig Geld Wohnungen bereitgestellt werden. Da wird schnell der Ruf nach einem neuen sozialen Wohnungsbau laut. Zu Unrecht, stellt der Stadtsoziologe Andrej Holm in einer Schrift mit dem Titel "Die Legende vom sozialen Wohnungsbau" fest, die er in der Reihe "Berliner Hefte" gemeinsam mit Sandy Kaltenborn und Ulrike Hamann herausgegeben hat. Holm hatte die Schrift schon vor einigen Jahren veröffentlicht. Jetzt wurde sie aktualisiert und neu aufgelegt - illustriert durch eine Fotostrecke von Berliner Mieterprotesten. Die Berliner Hefte behandeln Themen an der Schnittstelle zwischen Kunst und politischem Aktivismus.
Wenn Zeiten des "Wohlfahrtsstaates" verklärt werden
Im aktuellen Heft ist zu erfahren, dass in Zeiten eines fast schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus der soziale Wohnungsbau verklärt wird - wie manches andere aus dem Bereich des sogenannten Wohlfahrtsstaates auch. Das Adjektiv "sogenannt" wird hier bewusst verwendet, weil es auch damals für viele mit der Wohlfahrt so weit nicht her war. Es gab auch damals viel Armut, nur war sie nicht so sichtbar. Vor allem aber wird heute gern vergessen, dass auch der sogenannte Wohlfahrtsstaat nach kapitalistischen Kriterien funktionierte.
Hier setzt auch die zentrale Kritik von Holm am sozialen Wohnungsbau an. "Statt einer nachhaltigen Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte ging es bisher vor allem um Wirtschaftsförderung und private Eigentumsbildung."
Wohnungen, die "aus der Bindung fallen"
Das macht er daran fest, dass sämtliche Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus irgendwann "aus der Bindung fallen". Mit diesem technokratischen Begriff soll ausgedrückt werden, dass die geförderten Wohnungen nach zwei, drei, manchmal auch nach fünf Jahrzehnten von den Eigentümern am freien Markt vermietet werden können. Die haben dann eben gleich mehrfach verdient, durch die Förderung, die Miete und nach einer mehr oder weniger langen Zeit können sie den Wohnraum dann noch profitabler verwerten.
In den letzten Jahren entzündeten sich auch zahlreiche Proteste von Mieterinnen und Mietern daran, dass ihre Wohnungen aus der Bindung fielen. Die Eigentümer konnten sie plötzlich viel teurer vermieten. Nun könnte man sich fragen: Warum wurde von der Politik eine solche Konstruktion gewählt? Hintergrund ist, dass sie ganz bewusst auch den sozialen Wohnungsbau mit kapitalistischer Eigentumsbildung verknüpfen wollten. Natürlich gab und gibt es Alternativen. Vor allem in nichtkapitalistischen Ländern wurde der Wohnungsbau vom Staat kontrolliert.
Die Mieten wurden gedeckelt und subventioniert, wie in der DDR. Holm verwies aber auch auf Beispiele aus kapitalistischen Ländern, die eben mit sozialem Wohnungsbau nicht in erster Linie eine kapitalistische Eigentumsbildung fördern wollten. Zum Beispiel auf den Kommunalen Wohnungsbau im "roten Wien" der 1920er-Jahre. Dabei muss allerdings betont werden, dass die Austromarxisten einen "dritten Weg" zwischen Kapitalismus und den Modell der Sowjetunion suchten - und durchaus auch die Machtmittel hatten, um eben auch dem Kapitalismus Grenzen zu setzen.
Diese Machtmittel aber sind uns heute abhanden gekommen, nicht aber die Vorstellungen und Konzepte einer Wohnungspolitik, in der eben nicht kapitalistische Eigentumsbildung an vorderster Stelle steht-
Dieser Aspekt wird aber oft vergessen, wenn man überlegt, ob die Wohnungskonzepte des roten Wien einfach fast 100 Jahre später übertragen werden können. Das ist nun allerdings kein Argument dagegen, sich mit diesen Konzepten zu beschäftigen und sich zu fragen, wie sich heute daran anknüpfen lässt. Das macht explizit die von der Berliner Mietergemeinschaft ins Leben gerufene Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau. In deren Grundsatzpapier mit dem bezeichnenden Titel "Öffentlich bauen statt Private fördern" kann man die Kritik am sozialen Wohnungsbau lesen, die auch Holm vorbringt.
Der soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik beruhte hauptsächlich auf der Förderung von Wohnungsneubauten unabhängig von der Rechtsform der Eigentümer. Dies hat sich als wenig effektiv und in weiten Teilen als eine riesige Geldverteilungsmaschine erwiesen, bei der die privaten Eigentümer die mit Abstand größten Profiteure waren und nicht die berechtigten Mieter und Mieterinnen. Dieses System ist eine "Wohnungsbauförderung mit sozialer Zwischennutzung".
Gerade die Berliner Form der Förderung durch Aufwandszuschüsse und Aufwandsdarlehen hat zu vollkommen inakzeptablen Ergebnissen geführt. Nach der Beendigung der Förderperiode sind die Mieten drastisch gestiegen, obwohl in der Zwischenzeit eine Fördersumme an die privaten Eigentümer geflossen ist, die den Wert der Objekte teilweise um ein Mehrfaches überstieg.
Dennoch erscheint diese Methode der Wohnungsbauförderung im Denken der politischen Parteien als einziges Heilmittel gegen den Wohnungsmangel. Sie hat sich in Deutschland seit ihrer Einführung durch die erste Adenauer-Regierung so gefestigt, dass sie zu einem Brauchtum geworden ist, dessen Sinn nicht mehr hinterfragt wird.
Aus dem Grundsatzpapier der Initiative "Neuer Kommunaler Wohnungsbau
Auch die Interventionistische Linke (IL) gab bereits vor einigen Jahren eine Broschüre unter dem Titel "Das rote Berlin" heraus, in der sie mit klaren Reminiszenzen an das rote Wien ihr wohnungspolitisches Konzept vorstelle. Die Berliner IL gehörte auch zu den Trägern des erfolgreichen Volksbegehrens "Deutsche Wohnen und Co. enteignen". Andrej Holm sah daran mit Recht einen Erfolg der Berliner Mietrebellen.
Doch jetzt muss sich zeigen, ob sie auch so stark sind, dass sie eine mit einer großen Mehrheit unterstützte Forderung auch umsetzen können. Für Grabgesänge ist es ebenso viel zu früh wie für Siegesfanfaren. Das Thema Mieten hat in den letzten Jahren in Berlin Menschen bis weit in den Mittelstand hinein politisiert. Daher ist es zu begrüßen, dass Holm mit seiner Schrift einer Legendenbildung über den sozialen Wohnungsbau vorbeugt und damit verhindert, dass alte Fehler tradiert werden.
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