Die "Letzte Generation" – eine kriminelle Vereinigung?
Seite 4: Zur Einordnung
Der Rechtsgedanke der Norm ist an sich nachvollziehbar: Vereinigungen, die aktiv kriminelle Strukturen aufgebaut haben und diese nutzen, um (wiederholt) Straftaten zu begehen, sollen verfolgbar sein und auch sanktioniert werden können. Dass dabei zunächst einmal die tatsächliche Tätigkeit der Gruppen im Vordergrund steht, und weniger ihre idealistischen Fernziele wie etwa der Umwelt- und Klimaschutz, ist auch nicht direkt falsch.
Denn würde man die Vereinigungen schon allein wegen ihrer guten Fernziele vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung freisprechen, müsste man dabei konsequent vorgehen. Auch rechtsradikale Gruppen könnten dann folgerichtig das Fernziel der "nationalen Sicherheit" oder der "Wahrung kultureller Errungenschaften" vorbringen und damit ihre strafbaren Aktivitäten rechtfertigen.
Diese "gleiche" Bewertung der Aktivitäten der "Letzten Generation" aber, die von Strafverfolgungsbehörden letztlich auf dieselbe Stufe gestellt wird wie eben jene organisierten kriminellen Strukturen, die sonst aufgrund des § 129 StGB beobachtet werden, hinterlässt einen faden Beigeschmack.
Es fühlt sich schlicht "falsch" an, weil sich da ja eigentlich nur Menschen gegen alle Widerstände für ein Ziel einsetzen, das auch in Art. 20a GG verankert ist. Mit der Verfolgung der Gruppe aber wird suggeriert, dass es sich bei der "Letzten Generation" um ein strukturelles Problem und eine Gefahr für die ganze Gesellschaft handelt. Die Entscheidung, das zweifelhafte Potential des § 129 StGB als Türöffner voll auszuschöpfen und eine Gruppe von Klimaschutzaktivisten, die vermeintlich Sachbeschädigungen und Nötigungen begehen, mit der vollen Härte des Rechtsstaats zu überwachen, ist kritikwürdig.
Denn sie lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit auf die temporäre Verstimmung einiger Autofahrer und Museumsbesucher, weg von dem Damoklesschwert der globalen Erwärmung. Sie ermöglicht es den Behörden auch, tiefe Einblicke in die Strukturen einer politischen Bewegung zu erlangen, ja, sie auszuspionieren.
Das wiederum wirkt nicht nur auf die Mitglieder dieser Organisation selbst abschreckend, sondern auch auf alle anderen, die Mitglieder einer zivilgesellschaftlich engagierten Gruppierung sind oder eine solche unterstützen (wollen). Hier schlummert die eigentliche Gefahr, die von den Behördenaktivitäten gegen die "Letzte Generation" ausgeht.
Es kommt zu sogenannten "chillig effects", einer Entwicklung, bei der Menschen in ihrer Grundrechtsausübung eingeschränkt werden, weil sie von dieser aus Angst vor der potentiellen Strafbarkeit ihres Handelns absehen. Mit anderen Worten: Menschen, die die Geschehnisse rund um die "Letzte Generation" verfolgen, werden sich zukünftig dreimal mehr überlegen, ob sie wirklich gegen die Ignoranz gegenüber dem Klimawandel aktiv werden und demonstrieren möchten.
Sie werden möglicherweise indirekt auch zur Schwächung der bereits existierenden Aktivistengruppen beitragen, weil sie sich nicht mehr trauen, durch Spenden deren Arbeit zu unterstützen. Und wie könnte man Menschen solche Erwägungen und Schlussfolgerungen verübeln, wenn ihnen suggeriert wird, dass bereits die Spendenzahlung an eine Gruppe von Klimaaktivisten eine Freiheitsstrafe zur Folge haben kann.
Auf die Anwendung des § 129 StGB auf die "Letzte Generation" folgt also im schlimmsten Fall die strukturelle Behinderung der öffentlichen Meinungsbildung. Das kann in einer demokratischen Gesellschaft kaum gewollt sein.
Und damit nicht genug, denn Konsequenz dieser Entwicklung könnten paradoxerweise abermals kriminelle Aktivitäten sein: während noch nicht aktive Menschen, die sich mehr Maßnahmen zum Klimaschutz wünschen, vielleicht überhaupt nie aktiv werden, könnten bereits aktive Menschen isoliert werden, sich in den Untergrund zurückziehen und tatsächlich radikal und kriminell werden.
Vor diesem Hintergrund scheint die Anwendung des § 129 StGB auf die "Letzte Generation" also keinesfalls im Einklang mit den Zielen unserer Verfassung zu stehen.