Die Linke hat die Verantwortung, sich auf die Seite von Salman Rushdie zu stellen
Religiöser Extremismus ist immer gefährlich, ganz gleich, woher er kommt. Verständnis für die Empfindlichkeiten von Gläubigen sollte nicht als Argument gegen Kritik und auch Spott angeführt werden.
Ich hatte viele Meinungsverschiedenheiten mit meinem alten Kollegen Christopher Hitchens, aber ich wünschte, er wäre heute hier. Wie Sie sicher wissen, liegt Salman Rushdie mehr als dreißig Jahre nach der Fatwa des Ayatollah Khomeini, in der er die Ermordung des Schriftstellers forderte, weil er in seinem 1988 erschienenen Roman "Die satanischen Verse" angeblich Mohammed gelästert hatte, auf der Intensivstation, nachdem ein 24-Jähriger aus New Jersey wiederholt auf ihn eingestochen hat.
Christopher würde jedem eine Abfuhr erteilen, der andeutet, dass der Schriftsteller gut daran verdient hat, indem er die religiösen Vorschriften der Muslime beleidigt habe. 1989 und danach gab es viele von solchen, darunter John Le Carré, John Berger, die Doyenne der Liberaldemokraten Shirley Williams, Roald Dahl und Germaine Greer.
Auf Twitter dreht sich (natürlich) alles um Islamophobie – Rushdie ist ein Islamophobe, Christopher war ein Islamophobe, ebenso wie die zwölf Mitarbeiter von Charlie Hebdo, die 2015 von zwei Dschihadisten ermordet wurden, die sich über die Karikaturen ihrer Zeitschrift ärgerten. 242 Schriftsteller, darunter auch Freunde von mir, haben sich mit dem PEN angelegt, als dieser Charlie einen Courage-Preis verlieh. Aber die Wurzel von "Phobie" bedeutet Angst – sind also nicht die wahren Islamophoben diejenigen, die davor warnen, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit, selbst in einem Roman, die Ayatollahs, die Bücherverbrenner und die Attentäter auf den Plan ruft?
Wenn überhaupt, dann war Rushdie derjenige, der den Muslimen Respekt entgegenbrachte: Nach neun Jahren im Versteck hat er ein zunehmend normales öffentliches Leben geführt, weil er nicht glaubte, dass auch nur einer der 1,5 Milliarden Muslime der Welt versuchen würde, ihn zu töten. Die wahren Islamhasser sind Leute wie Jimmy Carter, der in der New York Times kurz nach der Bekanntgabe der Fatwa zu Wort kam:
Es ist unsere Pflicht, die Morddrohung zu verurteilen, das Leben des Autors zu schützen und die westlichen Rechte auf Veröffentlichung und Verbreitung zu achten. Gleichzeitig sollten wir sensibel sein für die Besorgnis und die Wut, die selbst unter den etwas gemäßigteren Moslems herrscht.
Mit anderen Worten: Wir sollten Rechte haben, sie aber nicht nutzen. Das würde die Gefühle selbst der "gemäßigteren Moslems" verletzen. Und wie das "etwas" andeutet, sind sie vielleicht doch nicht so gemäßigt, also verärgert sie nicht. #BeKind!
Bei dem Angriff auf Rushdie geht es nicht um Wut über antimuslimische Vorurteile, und es geht auch nicht um Rassismus – Muslime können jeder Rasse angehören. Es geht um religiösen Fanatismus, der von einem theokratischen Staat, dem Iran, organisiert und von diesem auch noch belohnt wird. (Das aktuelle Kopfgeld auf Rushdie, das von einer mit der iranischen Regierung verbundenen Stiftung ausgesetzt wurde, beträgt 3,3 Millionen Dollar).
Wie Rushdie selbst schrieb, als sechs Schriftsteller ihre Teilnahme an der PEN-Gala absagten, um Charlie Hebdo nicht zu ehren:
Dieses Thema hat nichts mit einer unterdrückten und benachteiligten Minderheit zu tun. Es hat alles mit dem Kampf gegen den fanatischen Islam zu tun, der gut organisiert und finanziert ist und der uns alle, Muslime wie Nicht-Muslime, in Angst und Schrecken versetzen will, um uns zum Schweigen zu bringen.
Das Problem ist nicht die Islamophobie, sondern die Idee der "Blasphemie" selbst. Die Ayatollahs und ihre Anhänger halten es für ein Kapitalverbrechen, den Islam zu "beleidigen" – ganz abgesehen davon, dass wahrscheinlich fast keiner der Menschen, die gegen die Satanischen Verse protestieren, sie gelesen hat, einschließlich, wie Robin Wright im New Yorker schreibt, Ayatollah Khomeini selbst.
Die Idee, dass Religion vor Meinungsverschiedenheiten geschützt werden sollte – das ist das Problem. Warum sollten die Überzeugungen eines Glaubens jenseits von Kritik, Satire und sogar Spott sein? Religion ist keine vererbbare Eigenschaft. Es handelt sich um eine Reihe von Ideen, Verhaltensweisen und sozialen Praktiken. Diese können verändert werden und wurden im Laufe der Geschichte auch immer wieder verändert. Blasphemie ist Teil dieses Prozesses, denn sie ermutigt zum Hinterfragen, zur Unabhängigkeit des Geistes und zum Widerstand gegen Obskurantismus und ungerechte Autorität. Wir Progressiven sollten uns auf eine Seite stellen. Galileo oder die Inquisition? Rushdie oder die Ayatollahs?
Wir zucken nicht mit der Wimper, wenn sich ein Katholik für Abtreibungsrechte und weibliche Priester einsetzt, wie es viele tun. Wir applaudieren, wenn ein Jude sagt, die Bibel rechtfertige nicht die Besetzung des Westjordanlandes. Wir sind entsetzt über die bröckelnde Mauer, die Kirche und Staat in den USA trennt. Wir unterstützen Kunst, die Gläubige entsetzt – erinnern Sie sich an Chris Ofilis mit Kot beschmutzte Madonna und Andres Serranos Piss-Christus? Selbst vierzig Jahre später lachen wir immer noch über "Das Leben des Brian".
Wir erwarten von religiösen Christen und Juden, dass sie sich damit abfinden, beleidigt zu werden, denn das ist der Preis für die freie Meinungsäußerung und das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft, und wir machen ihnen Vorwürfe, wenn sie das nicht tun. Rudy Giuliani wurde allgemein verspottet, als er als Bürgermeister von New York City versuchte, das Brooklyn Museum wegen des Gemäldes von Ofili zu schließen. Wir sagten damals nicht: Lasst uns mehr Rücksicht auf die Gefühle von New Yorks Millionen von Katholiken nehmen. Wenn ein christlicher Fanatiker eine Abtreibungsklinik niederbrennt, sagen wir nicht: "Nun, diese Klinik hätte wissen müssen, dass es Ärger geben würde".
Warum sollten wir islamistische Tyrannen und die Fanatiker unter ihren Anhängern anders behandeln?
Der Artikel erscheint in Kooperation mit der US-Zeitschrift The Nation. Übersetzung: David Goeßmann.