Die Mac-Attacke
Bin ich vielleicht in einer Irrenanstalt?
Bislang kamen über 300 erboste Emails von erzürnten Mac-Anhängern zu mir, die mich auf ewig in die Hölle verbannten, weil ich in meiner letzten Kolumne in The New York Times verkündet hatte, daß ich Apple verlassen und mir einen Windows-Rechner gekauft habe. Die Briefe, auch einiger Mitarbeiter von Apple, sprachen manche wichtige Fragen an. Doch bevor ich diese beantworte, muß ich zuerst einmal die Flut der Briefe würdigen.
Wie naiv oder "bösartig" mein Kauf eines Windows-Laptops auch immer gewesen sein mag, so war es jedenfalls nur die Entscheidung eines einzelnen Konsumenten und keine Kriegserklärung. Tatsächlich schrieb ich mein Bekenntnis, worauf viele hingewiesen haben, ebenso sehr in der Absicht, meine Schuld...., als in dem Versuch, die Geschichte meiner mißlichen Lage anderen mitzuteilen, die mit derselben Entscheidung konfrontiert sind. Die Antwort der Macintosh-Gemeinschaft glich der einer Sekte, die einen Aussteiger angreift.
"Der Mac ist nicht einfach nur ein Computer", erklärten viele. "Er ist eine Lebensweise. Eine Religion." Ich wurde als "Verräter", "Faschist" und "bejammernswerter Mensch" bezeichnet. Solche Beschimpfungen würde ich erwarten, wenn ich einen Beitrag in The Jewish Bulletin veröffentlichen und darin sagen würde, daß ich meine Beschneidung rückgängig mache und zum Katholizismus übertrete. Vielleicht wäre das Ergebnis schlimmer.
Ich weiß, wie es ist, wenn man fürchtet, daß der eigene Computer veraltet sein könnte, oder wenn der Hersteller, der bis vor kurzem eher mit der Wahrung der Eigentumsrechte als mit der Dienstleistung an seinen Kunden beschäftigt war, vielleicht von der Bildfläche verschwindet. Wer von uns das Schiff mit großem Getöse verläßt, verletzt jene, die standfest bleiben.
Teilweise blieb ich solange dem ehrlicherweise besseren System treu. (Auf meinem Klo habe ich auch noch eine Sony Betamax VCR.) Aber auf ein neues System zu warten, wie viele vorgeschlagen haben, ging mir zu weit. Ich brauchte einen neuen Rechner und ich hatte Angst, gerade jetzt in einen anderen Mac zu investieren.
Viele Mac-Anhänger warnten mich vor den Leiden, denen ich in der Win95-Welt ausgesetzt wäre. Bis jetzt haben sie teilweise Recht. Win95 ist schwerfällig. Trotz der Mac-ähnlichen Fenster weiß man kaum, wo sich etwas befindet, und das Interface weist nicht die Einfachheit und Eleganz des wirklichen Mac auf. Obgleich mein neuer Laptop periphere Geräte von vielen verschiedenen Herstellern akzeptiert, kann der Windows Install Wizard schwerlich "Plug 'n Play" genannt werden. Noch schlimmer ist, daß der Mac PC-Disketten akzeptiert, während PCs keine Mac-Disketten lesen können. Ich habe einen Konvertierungsversuch gemacht, aber das ist mühsam.
Manche nahmen an meiner Behauptung Anstoß, daß Mac-Software schwieriger zu erhalten sei. Auch wenn gute Mac-Software über Email-Bestellkataloge zu erwerben ist, können es sich nur wenige und kleinere Entwickler leisten, Anwendungen für beide Plattformen zu schreiben.
Viele Mac-Benutzer erklärten, daß sie bei der Arbeit PCs verwenden, aber Zuhause lieber den Macintosh haben. Schön. Aber mein Computer Zuhause IST mein Arbeitscomputer.
Andere sagten, daß die meisten Magazine, Spezialeffektefirmen und Online-Entwickler noch immer High-end Macs benutzen, weil man mit ihnen besser grafisch arbeiten kann. Das stimmt. Aber neue, billigere Computer von Silicon Graphics zielen direkt auf diesen Markt, und die meisten Menschen benötigen keine Rechner, die für den High-end oder Server Markt entwickelt wurden. Deswegen ist der Mac-Markt nach den meisten Wirtschaftsberichten auf einstellige Marktanteile geschrumpft. Ich weiß schon: Rolls Royce hat auch nur einen einstelligen Anteil am Automobilmarkt, aber die Autos brauchen wenigstens kein anderes Benzin.
Die größte Meinungsverschiedenheit neben der Frage nach dem Guten und Bösen betraf das neue "Rhapsody"-Betriebssystem, das nächstes Jahr auf den Markt kommen soll. Apple behauptet, daß das System mit älteren Macs und älterer Softeware kompatibel sei. Ich kann nur hoffen, daß das stimmt. Ich hatte mir einen Macintosh Quadra 610 mit dem Versprechen gekauft, daß er zum PowerMac paßt oder sogar mit PCs durch ein leichtes Upgrade kompatibel ist, aber es zeigte sich, daß dies nicht der Fall war (zumindest war es nicht einfach zu bewerkstelligen).
Frühe Vorführungen von Rhapsody haben gezeigt, daß sie "rückwärts kompatibel" (mit älteren Systemen kompatibel) durch eine interne "Blue Box" sind, die bei Bedarf das alte System emulieren soll. Wie bei allen neuen Computermodellen müssen wir einfach warten und sehen, wie gut sie arbeiten werden.
Alles, was ich bislang gemacht habe, ist der Erwerb eines 4,5 Pfund schweren Laptops für 1000 Dollar. Ich werde irgendwann einen Desktopcomputer brauchen und darauf warten, daß Rhapsody auf den Markt kommt, bis ich meine Entscheidung treffe. Mir wäre nichts lieber, als daß Mac Erfolg haben wird, so daß ich zur Bauhauseleganz meines Mac-Systems zurückkehren kann. Aber, ganz ehrlich, Macintosh machte nicht wegen Abtrünnigen wie mir Verluste, sondern weil Apple sich nicht um seinen primären Markt kümmerte - einzelne Computerbesitzer -, sondern statt dessen den großen Firmen den Hof machte.
Viele Manager konnten sich nicht mit der Vision des "personal computer" anfreunden, auf die Apple aufbaute. Sie wollten ein bißchen von dem Kunden- und Firmenprofil eines Bill Gates erwerben und erfuhren zu spät, daß Firmen Computer nicht von einem einzigen Hersteller kaufen, so toll dessen Betriebssystem auch sein mag. Viele Anweisungen von Firmen untersagen direkt den Einkauf von nur einem einzigen Hersteller.
Ja, das System 7 von Mac war seinem Konkurrenten Windows 3.1 um Jahre voraus. Schlecht war nur, daß niemand anders als Apple es auf Computern laufen lassen durfte. Ironischerweise könnte gerade Windows den Mac retten. Wenn Apple verschwinden sollte, würde Windows ein Monopol über Betriebssysteme gewinnen und lähmenden ökonomischen Regulierungen unterworfen werden. Gates würde davon profitieren, wenn er den Mac noch lange Zeit erhalten kann, sofern er dies schafft. Verbunden mit der Verpflichtung der Mac-Benutzer, die treuer als ich sind, könnte das ein überlegenes System am Leben erhalten. Doch ich kann es mir nicht leisten, darauf eine Wette abzuschließen.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer
Copyright by Douglas Rushkoff. Distributed by New York Times Special Features. Das Copyright für die deutsche Übersetzung liegt beim Heinz Heise Verlag.