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"Die Mafia gibt es nicht"

Bild: Lia Pasqualino / 01 Distribution

Die gerettete Ehre des Tommaso Buscetta: Marco Bellocchios Mafia-Thriller "Der Verräter"

Die Menschen verstehen es weder in Ehren böse, noch mit Vollkommenheit gut zu sein.
Machiavelli "Der Fürst"

Was an diesem Film am meisten überrascht, ist seine Einfachheit. Dies ist bei allen dem Thema innewohnenden theatralischen Elementen ein direkter, schnörkelloser, von Anfang bis Ende konsequent erzählter Film.

Das nicht-italienische Publikum muss sich zwar anfangs erst zurechtfinden zwischen Namen und Verhältnissen, doch schnell ist das komplexe Geflecht verschiedener Mafiafamilien, Auftragskiller, Geschäftemacher, Bosse, den dazugehörigen Frauen und Clanmitgliedern und ihren Gegenspielern bei der Polizei zugespitzt auf eine klare Grundkonstellation: Das Duell zwischen Tommaso Buscetta, ein stets elegant gekleideter Mafiaboss mit guten Manieren, und Giovanni Falcone, dem hartnäckigen, auf die Mafia spezialisierten Staatsanwalt, dessen schockierende Ermordung im Jahr 1992 sich ins Gedächtnis aller eingebrannt hat, die sie an den Nachrichtenbildschirmen verfolgten.

Richter der Exekutive

Falcone wird in Deutschland gern als "Richter" bezeichnet. Das ist nicht falsch, ganz richtig aber auch nicht. Tatsächlich war er ein "giudice inquirente" und wird so auch im Film genannt, kein "magistrato", kein "Richter". Seine Tätigkeit könnte man am ehesten als die eines "Untersuchungsrichters" bezeichnen, das heißt, er bereitete wie ein Kommissar oder Staatsanwalt ermittelnd die Anklage vor und verfügte über Exekutiv-Befugnisse, nicht aber über judikative. Er tritt im Prozess im Film daher auch als Ankläger auf, nicht als Richter.

Il Traditore - Der Verräter (0 Bilder) [1]

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Dies sind Unterschiede zwischen dem deutschen und dem Justizsystem romanischer Länder, die auch in französischen Filmen eine Rolle spielen (beispielhaft Phillippe Lefebvres "Le juge" von 1984, in dem Jacques Perrin einen solchen Juge spielt, auch hier im Kampf gegen die Mafia; Yves Montand in "Z" von Costa-Gavras oder Isabelle Huppert in Claude Chabrols "L'Ivresse du Pouvoir"), die aber einem deutschen Publikum nicht bewußt und schwer auf die Schnelle zu erläutern sind.

Falcone führt im Gegensatz zum späteren Richter Vorprozess-Ermittlungen mit Verdächtigen, die das Thema des Films sind, und kann Zeugenschutz anbieten.

Verbrechens-Manager im Vorruhestand

Der erste Teil des Films zeigt Buscetta auf dem Höhepunkt seiner Mafia-Karriere: ein Mensch, dem aus jeder seiner Poren Macht quillt, aus den Gesten und Bewegungen, aus seinen Blicken. Doch gleichzeitig auch die nackte Angst. Die erste Szene des Films zeigt das Treffen mehrerer Mafia-Familien der Badalamenti und den Corleonesi in Sizilien. Ein sogenannter "Frieden" wird geschlossen, aber alle wissen, dass dies nur schnöder Schein ist - auch 1980 schon, auch in der Innenwelt der Verbrecherbanden war der Schein ebenso wichtig wie die Realität. An diesem Abend sagt Buscetta zu einem seiner Vertrauten, dass er das Land verlassen werde: Mit seiner dritten Frau und den jüngeren Kindern aus dieser Ehe will er sich in Brasilien zurückziehen.

Doch das schöne Leben dieses Verbrechens-Managers im Vorruhestand wird jäh beendet: 1983 verhaftet ihn die brasilianische Polizei. Ein Jahr lang dauert diese Haft, dann wird er nach Italien ausgeliefert. Nun beginnt die zweite Phase, die in gewisser Weise die interessanteste ist - auch weil wir über sie so gut wie nichts wissen, und sich auch Bellocchio das Allermeiste vorstellen muss.

Zunächst ist es ein Kampf der Egos. Wer gibt die Themen vor, wer hört wem zu? Falcone spielt gewissermaßen Catenaccio, er überlässt Buscetta das Spielfeld, lässt ihn reden: "Die Mafia gibt es nicht. Man nennt sie 'Cosa Nostra'." "Man verlässt die Cosa Nostra nicht!" Die "gute alte Cosa Nostra" habe "Werte und Anstand" gehabt - da erinnert ihn Falcone an die vielen Toten, die die Kriege innerhalb der "Familien" gekostet haben. Alle leben in Angst.

Als er sich nach Monaten irgendwann müde geredet hat und seine eigenen Legenden nicht mehr glaubt, ist er bereit. Jetzt muss Falcone einen Weg finden, damit Buscetta auspackt, ohne das Gefühl zu haben, er habe seine Ehre verloren.

Ehrenhaftes Sprechen

Zuerst duellierten sie sich, dann fing Tommaso Buscetta, jener ranghohe Cosa-Nostra-Boss, irgendwann zu "singen" an, brach also mit dem Schweigegelübte der "Cosa Nostra" und sagte vor den Behörden aus. Seine unerwarteten Enthüllungen führten zum größten Anti-Mafia-Prozess in Italien.

Wie Falcone ist auch er eine historische Figur. Buscetta (hervoragend gespielt vom italienischen Starschauspieler Pierfrancesco Favino) wurde zu Falcones Kronzeugen, durch den die komplette kriminelle Hierarchie Siziliens in einer Reihe dramatischer Zeugenaussagen aufgedeckt wurde.

Der Prozeß selbst ähnelte auch in der Wirklichkeit einem Zirkus. Bellocchio stellt diese Spektakel-Atmosphäre als großes Schauspiel nach wie schon zuvor ein paar Bluttaten, ein paar Mafiatreffen und die Verhaftung Buscettas in Brasilien im Jahr 1983.

Die sogenannten "Maxi-Prozesse" begannen 1986 und wurden zu einem surrealen Pandämonium mit unbändigen Angeklagten und Zeugen, die sich gegenseitig beschimpften oder gegenseitig zu ihren Claqueuren wurden, dazu einem Klage-Chor von fortwährend laut wimmernden Mafia-Ehefrauen, die den Prozess unterbrachen.

Ein dichter Dschungel aus Tatsachen und Beziehungen

Vor allem aber interessiert sich der Regisseur dafür, warum dieser knallharte, auch in der Haft nicht gebrochene Gangster überhaupt das eherne Gesetz des Schweigens, die "Omertà" brach, und sich gegen seine Komplizen wandte.

Buscetta selbst machte kein Geheimnis aus seiner Sicht der Dinge: "Ich war und bin auch immer noch ein Ehrenmann. Diese Herren sind es, die die Ideale der Cosa Nostra verraten haben. Und deshalb halte ich mich nicht für einen Verräter."

Nicht er habe die Cosa Nostra verraten, die Cosa Nostra sei von ihren neuen Anführern verraten worden. Als er begann, Namen zu nennen, hatten Mafiaboss Totò Riina und sein Corleone-Clan bereits Frauen und Kinder ihrer Konkurrenten ermordet, was für Buscetta einen Schritt zu weit ging und mit dem alten Ehrenkodex der Mafia brach.

Bild: 01 Distribution

Bellocchio war in den über fünf Jahrzehnten seiner Karriere immer auch ein Chronist der italienischen Gesellschaft und Italiens Politik - selbst wenn er Horrorfilme drehte. Dieser Film ist, wie gesagt, ganz einfach, nüchtern und gradlinig, so nüchtern und gradlinig, wie italienische Politik nie sein wird, aber er ist dabei auch genau so kompakt und komplex, wie italienische Politik immer ist: Ein dichter Dschungel aus Tatsachen und Beziehungen, kaum durchschaubar für den Außenstehenden.

Und Bellocchio schlägt keine wüsten Schneisen in diesen Dschungel, er arbeitet eher mit Skalpell, Nagelschere und Rasiermesser: Ein Film der Feinheiten also über die unfeinen Herren, dabei von einer bewundernswerten Souveränität. Und auch hier taucht die Politik mit ihren Mafia-Verstrickungen auf.

Ein bitterer Witz liegt in der Entscheidung, die Toten in dem eskalierenden Bandenkrieg der Mafia durch einen Todesticker im Bild zu zählen. Auch darin, in dem Zynismus dieser nackten Zahlen - aber man erinnere sich: Der Zyniker ist ein enttäuschter Moralist - liegt ein weniger romantischer Blick, als ihn Martin Scorsese in "The Irishman" auf die Mafia warf. Auch das war ein Desillusionierungsfilm, aber eben doch auch ein letzter Auftritt der Band, in der noch mal alle "Greatest Hits" gespielt wurden.

Bellocchio ist besser in Form. Sein Film über das Leben und den Tod der Mafia, vor allem über ihr Altern ist der Film eines durchtrainierten Regisseurs in seinen besten Jahren - minimalistisch, ohne ein Gramm Fett. Bellocchio überspringt Buscettas Blütezeit als Fürst der Mafia fast komplett. Er feiert nie den Glamour des Verbrechens - wobei es auch nicht schlimm wäre, wenn er es täte. Aber ihn interessiert das nicht. Seine Entscheidung ist eine ästhetische, keine moralische.

Verräter wie wir

Als alles vorbei war, schloß sich Buscetta unter dem Deckmantel des Zeugenschutzprogramms seiner Familie in den USA an, aber nachdem Falcone 1992 ermordet wurde und Riina 1993 schließlich selbst vor Gericht gestellt wird, kehrte er nach Palermo zurück, um seinen Feind zu Fall zu bringen. Aus Rache, oder um seine Familie zu schützen? Es ist diese Zweideutigkeit, die Buscetta zu einer schillernden, faszinierenden Figur macht, die in all ihrer Unergründlichkeit auch sympathische Seiten hat.

Marco Bellocchio hat einen auch unterhaltsamen Film gedreht, einen dynamischen, nie langweiligen Mafia-Gangsterthriller mit Elementen des Gerichtsdramas, mit einer kraftvollen Kamera und hervorragendem Musikeinsatz, der mit der Attraktivität und den flamboyanten Seiten dieses Gangster-Playboys spielt. Zugleich ist dies am Ende eine Reflexion über Verrat und Loyalität und darüber, wann das eine besser ist, wann das andere; es ist dies auch ein Film über die Reue und die Wahrheit, über die Kraft und Erleichterung, die beide geben,

Was ist Verrat? Wer kann Loyalität verlangen? Wer Gefolgschaft? Ist es Verrat, seine innere Haltung zu ändern? Oder passt man sie den Verhältnissen an? Kann man sich überhaupt wandeln?

Sein Selbstbild scheint bei Buscetta bis zum Ende nicht angeknackst zu sein. Am Ende singt er nochmal. Wortwörtlich, Karaoke. Sie gehen über in einen Homemovie des echten Buscetta, ein gutaussehender Mann, der noch wesentlich charmanter wirkt als im Film. Friedlich starb er in seinem Bett, so wie er es gewünscht hatte, verfolgt nur von seinen Träumen. Ein Verbrecher ohne verlorene Ehre.


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