Die Mutter aller Horrorfilme
Die lebenden Toten - das sind wir: Von der merkwürdigen Allianz von Splatter und Krieg
Natürlich hatten die Organisatoren der Tagung Bodies that Splatter. Schnittstellen von Horrorfilmen 1963-1991, die vom 24.-26. April an der Berliner Akademie der Künste stattfand, bei der Planung nicht damit gerechnet, dass ihre Tagung in die letzten Tage des Kriegs gegen den Irak fallen würde. War ja auch nicht wichtig. Schließlich wollte man über fiktive Werke sprechen. Merkwürdig nur, dass der eigentliche Rahmen der Tagung vom Krieg ausging. Doch dazu später.
Zunächst einmal ging es drei Tage lang um Ästhetik, Psychoanalyse, Zensur und nicht zuletzt um die Frage "Warum schaust du dir das eigentlich an?" Da rechtfertigten sich Fans, Wissenschaftler und Filmemacher für ihr Interesse an einem Genre, das seine besten Zeiten hinter sich hat - und trotzdem immer wieder herhalten muss als Erklärung für das, was man in konservativen Kreisen unter "Verrohung der Sitten" versteht.
Mit zu den erhellendsten Beiträgen in Sachen "Was ist dran an der These, Gewalt im Film führe zu Gewalt in der Realität" und "Filmzensur in Deutschland" gehörte der Vortrag von Manfred Riepe, der vorab und in gekürzter Form in der taz erschienen war. Hier wurde deutlich, mit welch stümperhaften Mitteln es selbsternannten Experten und recherchefaulen Medien immer wieder gelingt, Splatterfilme und Verwandtes zur Wurzel allen Übels zu verklären. Wobei ein merkwürdiger, ja geradezu gesetzmäßiger Zusammenhang festzustellen ist zwischen kommerzieller Verwertbarkeit und Gesetzesnovellen: Ist ein Vertriebsweg erst einmal erschlossen, muss er mittels Verbot alsbald wieder gesperrt werden. Ende der 70er Jahre zum Beispiel boomte der VHS-Verleih von so genannten B-Movies in Deutschland. Kaum war das Medium VHS Allgemeingut, musste der Weg für die erfolgreiche Zweitverwertung von großen Kinoerfolgen, von A-Filmen also, geebnet werden. Prompt entbrannte hierzulande eine "Gewaltfilmdebatte", die in der Verschärfung des "Gewaltparagrafen" 131 mündete. Inzwischen wittert kaum noch jemand Gefahren auf dem Videomarkt, vielmehr richtet sich der Blick der Besorgten auf neue Märkte wie Internet und Computerspiele.
Durchaus überzeugend war auch James McFarland, der die These vertrat, bei "Dawn Of The Dead" (George A. Romero, 1978) handle es sich um einen realistischen Film. Einen Film also, dem es gelingt, die Welt in der wir leben, auf realistische Weise abzubilden - und zwar erfolgreicher als so genannte Mainstream-Filme mit dreidimensionalen Charakteren und überzeugenderen narrativen Gerüsten. Gerade weil es den Menschen im Film nicht gelingt, den Zombies erfolgreich entgegenzutreten (auch die Flucht am Ende des Filmes kann nur in Zombie-verseuchtem Territorium enden und ist deshalb nur scheinbar ein Happy Ending) sei der Film wahrhaftig. Schließlich sind wir alle sterblich - und genau darum gehe es in dem Film: Es gibt kein Entrinnen vor dem sicheren Tod. Egal, was wir tun und wie wir es tun. Am Ende werden wir doch sterben. Oder um es mit Romero zu sagen: Die lebenden Toten - das sind wir.
Ansonsten arbeiteten sich diverse Kulturwissenschaftler in gewohnter Manier ab am suggestiven Bilderstrom um sich und dem geneigten Publikum zu beweisen, dass man mit etwas Übung alles unter diskursive Kontrolle bringen kann.
Doch zurück zum Anfang und zum merkwürdigen Rahmen namens Krieg. In der Dokumentation The American Nightmare (USA/GB 2000, Regie: Adam Simon), die am ersten Abend zu sehen war, berichteten Splatter-Legenden wie John Carpenter, Wes Craven, John Landis, David Cronenberg, Tobe Hooper, George A. Romero und Tom Savini immer wieder vom selben Schlüsselerlebnis: Vietnam. Tom Savini, "The Godfather of Gore" zum Beispiel, war als truppeneigener Fotograf vor Ort. Nicht dass er es darauf angelegt hätte: Savini hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, weil er gehofft hatte, die US Army würde Freiwillige nicht nach Vietnam schicken. Tatsächlich wurde Vietnam für ihn zu einem Lehrgang in Sachen Splatter, denn hier konnte er einschlägige Studien betreiben an zerfetzten und verwesenden Leibern. Die Kamera habe ihm geholfen, emotional Distanz zu wahren. Um sich und seinen Spießgesellen die Zeit zwischen den Gemetzeln zu vertreiben, perfektionierte er seine Narben-Schminkkünste und bereitete sich vor auf seine spätere Arbeit an Filmen wie "Dawn of the Dead" (1978), "Friday the 13th" (1980), "The Texas Chainsaw Massacre 2" (1986) und "Trauma" (1992) - das sei eben seine Art der Aufarbeitung.
Auch die anderen, die nicht persönlich teilgenommen haben am Krieg, berichten, wie sie per Fernsehen und Zeitung heimgesucht wurden von den Bildern aus Vietnam. Nicht minder traumatisierend: Die politischen Morde an den Kennedys (22. November 1963 und 4. Juni 1968), an Martin Luther King (4. April, 1968), sowie die Erschießung von Studenten auf dem Campus der Kent State University (4. Mai 1970) durch die amerikanische Nationalgarde. Die erste Generation der Splatterfilme ist nichts anderes als die Aufarbeitung von Zeitgeschichte, so Adam Simons These in seiner Dokumentation "The American Nightmare". In diesem Sinne werden Interviews, Szenen aus "Night Of The Living Dead" (George A. Romero, 1968) und anderen Klassikern sowie zeitgenössische Nachrichtenbilder aneinander montiert. Und es ist nicht einfach zu sagen, welche Bilder alptraumhafter sind.
Offiziell endete die Splatter-Tagung Samstag Abend - nach einem Podiums-Gespräch mit Christoph Schlingensief -, doch wie es der Zufall will, lief am Sonntag Vormittag der Dokumentarfilm war photographer über den Kriegsfotografen James Nachtwey. In der Akademie der Künste. Im selben Saal. Und Nachtwey erzählt, wie er beschloss, Fotograf zu werden. Genauer gesagt Kriegsfotograf. Auch sein Schlüsselerlebnis waren Bilder aus Vietnam. Sie ließen ihn nicht mehr los. Das nackte Mädchen Kim Phuc, das nach dem Napalm-Angriff der US Army davonläuft. Und all die anderen Bilder, die den Vietnam-Krieg entlarvten als das, was er offiziell nicht sein durfte: als grausam, menschenverachtend und blutrünstig. Diese Bilder machten Nachtwey - und nicht nur ihm - klar, dass das, was die Regierung erzählt, nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Dass es zum Beispiel keinen "sauberen" Krieg gibt, der die Zivilbevölkerung verschont.
Und weil das bis heute gilt, ist Nachtwey nun schon seit über zwanzig Jahren auf der Jagd. Auf der Jagd nach dem definitiven Bild. Dem Bild, das die Welt davon überzeugt, dass Gewalt keine Lösung ist. Um dieses Bild zu schießen, reist er zu Kriegsschauplätzen in aller Welt (vgl. Abtasten in Finsternis). Und gemäß der Maxime von Magnum-Mitbegründer und Kriegsreporter-Legende Robert Capa - "Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann bist du nicht nahe genug dran" - geht Nachtwey so nah wie nur irgend möglich ran. An die Opfer, die Täter, die Leichen, die Überlebenden, die Trauernden, die Kämpfenden. Diese größtmögliche Annäherung - an Körper und Emotionen sei wohl der Kick, den Nachtwey brauche, um sich lebendig zu fühlen, mutmaßt einer seiner Weggefährten. Nach außen hin nämlich wirkt Nachtwey extrem kontrolliert. Nicht einmal im Kugelhagel gerät er in Panik. Ist immer höflich. Spricht langsam und lässt sich auch beim Fotografieren seine Zeit. Von Abstumpfung keine Spur. Im Gegenteil. Vor ein paar Jahren begann er damit, das Leben der Ausgebeuteten dieser Welt zu dokumentieren. Was ihn antreibt ist Hoffnung. Auf eine bessere Welt. Insofern ist Nachtwey der lebende Gegenbeweis für die umstrittene Habituations-These (vgl. Und Fernsehen macht - vielleicht - doch aggressiv), wonach fortwährende Konfrontation mit Grauen und Leid zur Abstumpfung führe. Und der Beweis dafür, dass das real existierende Grauen nicht in Special-Effects-Studios geboren wird.
Es hätte der Tagung gut getan, sich etwas genauer mit dem Zusammenhang von Splatter und Bildern vom Krieg zu beschäftigen, denn auch Bilder vom Krieg werden zunehmend mit Verboten belegt (Bilder von Kriegsopfern unerwünscht) - und Nachtwey selbst berichtet, dass es im Laufe der Jahre immer schwieriger geworden ist, kritische Bildberichte unterzubringen. Insofern könnten die Hersteller von Splatterfilmen & Co. und Kriegsberichterstatter bald zu Kampfgefährten werden, wenn es mal wieder um die Frage geht, was denn nun ursächlich verantwortlich ist für das Böse in der Welt: der Mensch oder dessen unansehnliche Abbilder?