"Die NATO ist ein Angriffsbündnis"

Seite 3: "Nicht neutral in der Mitte zwischen Krieg und Frieden, sondern auf der Seite des Friedens"

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Manche unterstellen Ihnen, Sie hätten "eine politische Mission, keine wissenschaftliche Herangehensweise", und seien ein "Wissenschaftspopulist". Eine ähnliche Debatte um Aktivismus und Objektivität gibt es auch im Journalismus. Manche meinen, ein Journalist dürfe nicht aktiv Politik verändern wollen, also kein "Aktivist" sein. Wie sehen Sie das bezogen auf die Wissenschaft? Ist es unwissenschaftlich, wenn ein Forscher aktiv die Politik verändern will?

Daniele Ganser: Wissenschaftler und Journalisten verarbeiten und transportieren Information. Diese formt immer Weltbilder, denken Sie zum Beispiel an die kopernikanische Wende, als das geozentrische vom heliozentrischen Weltbild abgelöst wurde. Oder denken Sie an die Berichterstattung zum Syrienkrieg heute.

Es ist das Wesen der Information, dass sie formt. Jeder Wissenschaftler und auch jeder Journalist wird von seinem Weltbild beeinflusst. Objektivität im Sinne von Schreiben und Forschen ohne eigenes Weltbild ist unmöglich. Die Objektivität meines Buches liegt darin begründet, dass ich alle Zitate und Zahlen mit Quellenangabe klar darlege, das ist das Handwerk des Historikers, so kann jede Leserin prüfen, auf was das Buch aufbaut. Zudem lege ich mein Weltbild transparent dar und erkläre in der Einleitung des Buches und auch in der Widmung ganz offen, dass ich mit diesem Buch die Friedensbewegung stärken will. Insofern ist das Buch nicht neutral in der Mitte zwischen Krieg und Frieden, sondern klar auf einer Seite, nämlich auf der Seite des Friedens.

Ich möchte Menschen mit Fakten und Argumenten unterstützen, welche keine Kriege, auch keinen Terror und keine Enthauptungen wollen. Ich möchte Menschen helfen, die aus der Gewaltspirale aussteigen und die Hintergründe verstehen wollen. Wenn man einflussreiche Politiker, die NATO und das US-Imperium kritisiert, macht man sich nicht nur Freunde. Daher werde ich in den Medien manchmal gelobt und manchmal diffamiert. Ich darf aber nicht zu viel auf Lob und Tadel geben, sondern muss versuchen, hier in der Schweiz einfach in aller Ruhe meine unabhängige Forschung zu machen und meine Forschungsresultate klar und verständlich der interessierten Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Daniele Ganser. Bild: D. Ganser

In Ihrem Buch kritisieren Sie auch die großen Medien, die es "nicht wagen, die Politiker, die ohne UNO-Mandat Angriffskriege führen, klar und deutlich als Verbrecher zu bezeichnen". Das habe weitreichende Folgen, schreiben Sie: "Denn was nicht im Fernsehen kommt und nicht in der Zeitung steht, wird auch selten gedacht und diskutiert, weshalb das breite Publikum selten auf die Idee kommt, dass Kriegsverbrecher aus den NATO-Staaten mitschuldig an der Flüchtlingskrise sind, weil es stets nur von kriminellen Schleppern hört, die zwar auch Verantwortung tragen, aber viel weiter unten in der Hierarchie stehen."

Denken Sie, dass die Leitmedien zu einem Umsteuern in der Lage sind, weg von der Elitennähe und hin zu der unabhängigen und kritischen Rolle, die das Publikum erwartet? Oder brauchen wir Ihrer Ansicht nach im Grunde ganz neue Medien, um fair und umfassend informiert zu werden?

Daniele Ganser: Die Leitmedien tragen die NATO-Propaganda in die gute Stube der Bürger. Es sind immer die gleichen Feindbilder: böse Muslime und böse Russen. Über die Verbrechen der NATO-Länder liest man nichts. Das fällt aber immer mehr Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Gerade beim Konflikt in der Ukraine 2014 war es sehr offensichtlich, immer wieder hat zum Beispiel der Spiegel Putin auf der Titelseite dämonisiert, die Rolle der USA beim Putsch jedoch nicht ausgeleuchtet, schon gar nicht auf der Titelseite. Daher suchen wache Menschen heute Medien, die fair und umfassend Hintergründe ausleuchten, und nicht einfach NATO-Propaganda verbreiten.

Im Vorwort Ihres Buches schildern Sie auch ihre eigene familiäre Prägung beim Thema Krieg. Sie selbst sind Schweizer, aber ihre Großeltern stammen aus Deutschland, was dazu führte, dass Ihr Vater mitten im Zweiten Weltkrieg als 21-Jähriger vom deutschen Generalkonsul in Zürich zum Wehrdienst einberufen wurde. Sie erwähnen, dass Ihr Vater, der damals in Basel Theologie studierte, sich dieser Einberufung verweigerte und das auch schriftlich begründete.

In seinem Brief an den Konsul heißt es: "Möge Gott Ihnen einmal die Erkenntnis geben, dass die Völker als Brüder nebeneinandergestellt sind, und dies nicht, damit eines dem anderen durch Gewalt seine Weltanschauung aufdränge. Ich kann es heute noch nicht verstehen, dass unser hochchristliches Deutschland jedes Verantwortungsgefühl vor Gott verloren haben sollte." Religion steht heute oft im Ruf, Kriege zu befördern. Das Beispiel ihres Vaters zeigt etwas anderes. Wie ist Ihre persönliche Sicht auf die Religion?

Daniele Ganser: Sowohl von meinem Vater wie auch von meiner Mutter habe ich gelernt, dass jedes Menschenleben heilig ist. Daran glaube ich. Wir sollten ohne Folter, ohne Krieg, ohne Terror in Frieden und Respekt miteinander leben, unabhängig davon, welcher Nationalität, Religion, Klasse oder politischer Partei man angehört. Doch leider werden die Menschen mit Kriegspropaganda immer wieder genau entlang dieser Bruchlinien gespalten, die Russen gegen die Deutschen (Nationalität), die Sunniten gegen die Schiiten (Religion), die Unterschicht gegen die Oberschicht (Klasse) oder die AfD gegen Die Linke (Parteien).

Der britische Schriftsteller Aldous Huxley hat dieses andauernde Spalten und Abwerten schon 1936 klar durchschaut und richtig gewarnt: "Das Ziel der Kriegspropaganda besteht immer darin, erstens zwei Gruppen zu schaffen, und zweitens bei der eigenen Gruppe die Erinnerung auszulöschen, dass die andere Gruppe auch Menschen sind."

Deutungskampf bei Wikipedia

Zum Schluss: Bei Wikipedia tobt schon seit langem ein Deutungskampf um Ihre Person. Ein 2015 veröffentlichter Dokumentarfilm hat in diesem Zusammenhang einiges offengelegt. Der Kampf hinter den Kulissen geht aber weiter. Aktuell wird zum Beispiel mit großem Eifer versucht, eine schon 2008 in der "taz" veröffentlichte positive Rezension zu einem Ihrer Bücher aus dem Wikipedia-Artikel zu Ihrer Person herauszuhalten. Überrascht Sie die Energie, mit der hier über Jahre hinweg in Kleinstarbeit hinter den Kulissen gegen Sie gearbeitet wird?

Daniele Ganser: Ja, das ist schon überraschend. Aber es wird nicht nur gegen mich, sondern auch für mich gearbeitet. Es gibt viele Menschen, die meinen Eintrag verbessern wollen und mir helfen möchten. Diese Menschen stört, dass positive Rezensionen meiner Bücher unterdrückt werden und im dritten Satz meines Wikipedia Eintrages, also ganz oben, derzeit steht: "Er greift Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 auf und stellt sie als von Historikern zu prüfende Erklärungsansätze dar."

Das ist eine Diffamierung, weil das Wort "Verschwörungstheorien" negativ konnotiert ist, das ist nicht sachlich. Es müsste heißen: "Er untersucht die Terroranschläge vom 11. September 2001 kritisch", das wäre neutral. Verschiedene Nutzer von Wikipedia haben versucht, diesen neutralen Satz einzubringen. Aber das ist bisher nicht gelungen, ihr Konto wurde gesperrt, die Änderung rückgängig gemacht. So genannte "Sichter", "Administratoren" und "Bürokraten" kontrollieren, was in der deutschen Wikipedia in meinem Eintrag stehen darf und was nicht. Die Sichter, Administratoren und Bürokraten arbeiten verdeckt, also nicht mit echtem Namen sondern mit Pseudonymen wie "Jesusfreund" oder "Phi". Die Anonymität gibt ihnen eine gewisse Macht.

Der Dokumentarfilm zu meinem Eintrag hat inzwischen mehr als 400.000 Views, und er zeigt genau, wer die Sichter und Administratoren sind, die meinen Eintrag manipulieren. "Jesusfreund" zum Beispiel ist der Klavierlehrer Gerhard Sattler. Es tobt ein regelrechter Edit War auf meinem Wikipedia-Eintrag. Natürlich kann man viel lernen über Wikipedia, wenn man diesen Edit War beobachtet, man blickt dann sozusagen hinter die Kulissen, und das ist immer spannend.

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