Die Neue Rechte und Marx?
- Die Neue Rechte und Marx?
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Konrad Lotter zur Bezugnahme "neurechter Vordenker" zu Karl Marx
Ausgerechnet die Philosophen der "Neuen Rechten" haben ihre Liebe zu Karl Marx entdeckt. Die aktuelle Ausgabe des Widerspruch widmet sich genau diesem Thema. Telepolis sprach mit dem Redakteur Konrad Lotter.
Herr Lotter, was ist die "Neue Rechte", welche Personen, in welchen Organisationen und Zeitschriften sind dabei involviert?
Konrad Lotter: Als "Neue Rechte" möchte ich in erster Linie die "intellektuellen" Zirkel bezeichnen, die sich im Umfeld von rechten Verlagen (Antaios, Jungeuropa), rechten Zeitschriften (Junge Freiheit, Sezession, Blaue Narzisse) oder dem rechten Institut für Staatspolitik herausgebildet haben. Für gewöhnlich wird die extreme Rechte nur in ihren vulgären Formen wahrgenommen und mit den Gefolgsleuten der NPD, von Pegida, den "Reichsbürgern" oder der "identitären Bewegung" wahrgenommen.
Weniger bekannt sind diejenigen, die sich in der Nachfolge von Armin Mohler oder Alain de Benoist um eine "philosophische" Begründung ihrer rechten Positionen bemühen, sich als "Vordenker" begreifen und Einfluss auf den Kurs der AfD nehmen wollen.
Zum Teil arbeiten sie an Konzepten, die die Rechte auch für die bürgerliche Mitte attraktiv machen soll, zum Teil propagieren sie neuerdings auch die Kapitalismuskritik von Marx, womit sie offenbar unter Gewerkschaftern und Linken für sich werben wollen.
"Auschwitz als Mythos"
Und was unterscheidet die "Neue Rechte" von der alten?
Konrad Lotter: Zuerst versteht sich die "Neuen Rechte" als eine europäische, nicht als rein deutsche Bewegung. Von der alten Rechten unterscheidet sie sich aber vor allem durch ihre Abgrenzung gegenüber den Nationalsozialismus. Diese Abgrenzung geht allerdings mit einer Relativierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus Hand in Hand.
Typisch für diese Doppelstrategie ist etwa, dass die 12 Jahre Hitler als "Vogelschiss" bezeichnet werden, sozusagen als Quantité négligeable der deutschen Geschichte, auf die wir doch alle stolz sein müssten. Typisch ist auch, dass Auschwitz nicht mehr geleugnet wird, was innerhalb der alten Rechten verbreitet war, sondern als "Mythos" bezeichnet und heruntergespielt wird: als Mythos, der ungerechtfertigter Weise zum Gründungsmythos der Bundesrepublik hochstilisiert wurde.
Wie halbherzig die Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus ist, zeigt sich auch darin, dass bestimmte Ideologeme übernommen und nur wenig abgewandelt und in einer akzeptableren sprachlichen Form präsentiert werden. So etwa wird die "Rassenlehre" durch den scheinbar neutralen Begriff des "Ethnopluralismus" ersetzt, der angeblich keine Vorurteile gegenüber anderen Ethnien beinhaltet, insbesondere dann, wenn diese Ethnien dort bleiben, wo sie herkommen und nicht in Europa oder Deutschland einwandern.
Auch die Kombination von Nationalismus und (demagogischem) Sozialismus zu einem national-sozialistischen "Dritten Weg" wird von der "Neuen Rechten" reaktiviert. Sie erscheint unter dem Label "Querfront".
"Wegbereiter des Nationalsozialismus"
Sie sprachen von philosophischen Begründungen rechter Positionen in der Nachfolge von Armin Mohler oder Alain de Benoist. Was meinen Sie damit?
Konrad Lotter: Was die "Neue Rechte" charakterisiert, ist der angestrengte Versuch, sich ein philosophisches Ansehen zu geben. Ihre bisher favorisierten Referenzen waren diejenigen Autoren aus der Zeit der Weimarer Republik, die Armin Mohler unter den bezeichnenden Begriff der Konservativen Revolution zusammengefasst hat. Dazu zählen Oswald Spengler, Moeller van den Bruck, Ernst Jünger, Otto Strasser und viele andere.
Deren gemeinsames Ziel war es, die von der Französischen Revolution ausgehenden Entwicklungen des Liberalismus und der Demokratie rückgängig zu machen und zu "organischen" (völkischen oder ständisch-gegliederten) Gemeinschaften zurückzukehren. In der Geschichtswissenschaft werden sie als Wegbereiter des Nationalsozialismus dargestellt. Nicht alle Vertreter der Konservativen Revolution sind allerdings (wie etwa Carl Schmitt) den Weg, den sie geebnet haben, bis zu seinem Ende gegangen.
Sogar der Hitler-Attentäter Stauffenberg, der nur den Krieg, aber nicht die Diktatur beenden wollte, gehört zum Kreis der Konservativen Revolution. Unter Berufung auf diesen Kreis möchte die "Neue Rechte" einen gewissermaßen "ideologisch unverdächtigen", das heißt einen "Konservativismus" begründen, der nicht mit dem Nationalsozialismus identisch ist.
Volker Weiß 1 oder Armin Pfahl-Traughber 2 haben die Verbindungen der "Neuen Rechten" zur Konservativen Revolution gründlich erforscht und dargestellt. Wie aus den Beiträgen des Widerspruch allerdings hervorgeht, hat sich das philosophische Interesse der "Neuen Rechten" inzwischen etwas verschoben und auf zwei andere Theoretiker verlagert: auf Martin Heidegger (samt seinen Adepten Botho Strauss und Peter Sloterdijk, deren Verehrung für den "Meister aus Deutschland" auch durch die Veröffentlichen der Schwarzen Hefte nicht erschüttert wurde) und eben - wer hätte damit gerechnet - auf Karl Marx.
Wie kommt die "Neue Rechte" ausgerechnet auf Marx?
Konrad Lotter: Der Startschuss wurde offenbar in Frankreich gegeben. Zum Jahreswechsel 2004 /2005 hat die Zeitschrift Éléments ein Heft mit dem Titel "Befreien wir Marx vom Marxismus" veröffentlicht, in dem ein Gespräch zwischen Alain de Benoist und dem italienischen (Ex-) Marxisten Costanzo Preve abgedruckt war. Die Tendenz dieses Gesprächs ist schon durch den Titel des Hefts bezeichnet:
Marx soll vom Sozialismus, von der Utopie der klassenlosen Gesellschaft, vom Humanismus "befreit" und mit nationalistischem und fremdenfeindlichen Gedankengut amalgamiert werden. In Deutschland wurde diese "Anregung" zuerst von Rolf Peter Sieferle aufgegriffen. Auf der einen Seite hat er für den renommierten Junius-Verlag das Buch Karl Marx zur Einführung3 geschrieben.
Auf der anderen Seite aber auch zwei Bücher über Das Migrationsproblem4 und zuletzt Finis Germania5, in denen er auf neurechte, exaltierte Weise gegen Asylsuchende, gegen das deutsche Schuldbewusstsein und gegen "Rituale" der Vergangenheitsbewältigung hetzt. Wie diese zwei Seiten zusammengehen, bleibt allerdings sein Geheimnis. Denn darüber, wie diese Hetze zur Theorie von Marx steht, wie sich diese Hetze durch Marx rechtfertigen lassen soll, macht Sieferle keine Angaben.Eine solche Rechtfertigung dürfte ja auch in der Tat schwerfallen.
Worin besteht aber dann das neurechte Interesse an Marx? Irgendeine "Amalgamierung" mit rechtem Gedankengut muss es doch geben…
Konrad Lotter: In dem Sammelband Marx von rechts 6 mit Beiträgen von Alain Benoist, Diego Fusaro und Benedikt Kaiser und einem Vorwort von Philip Stein wird man dazu eher fündig, obwohl auch hier nicht leicht zu erkennen ist, wofür man Marx funktionalisieren will. Am deutlichsten wird das Vorwort. Darin wird Marx als Kritiker der Liberalismus und der "weltumspannenden kapitalistischen Vereinzelung" der Menschen in Anspruch genommen.
Dieser Vereinzelung wird dann das Programm einer neuen (völkischen) "Einheit" entgegengestellt, die nicht in der "Versöhnung der Klassen", sondern in der ethnisch-kulturellen Gemeinschaft und unter Ausschluss aller Fremden, Asylsuchenden oder Andersgläubigen besteht.
Benedikt Kaiser begründet sein Interesse an Marx mit der Kritik am "romantischen Antikapitalismus", was eine gewisse Absage an die Autoren der Konservativen Revolution enthält, die ihre "organischen" Gegenbilder zum Kapitalismus in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft suchten.
Auf alle Fälle steht der "Marxismus" der "Neuen Rechten" im Zusammenhang mit ihrer Politik der "Querfront". Er ist geeignet, um auf dem Terrain der Linken zu wildern. Von der Feindschaft, die noch die alte Rechte gegenüber 1968 pflegte, ist inzwischen nicht mehr viel zu spüren.
Im Gegenteil: Die "Neue Rechte" hat von der Linken gelernt, ahmt ihre "subversiven Aktionen", ihre gezielten Regelverstöße nach, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder versucht, in der Nachfolge von Antonio Gramsci, die "kulturelle Hegemonie" zu gewinnen.
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