Die Neue Rechte und Marx?

Seite 2: "Eine Reihe von Parallelen"

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Falls Sie die fehlende Behandlung von sozialen Klassen, beziehungsweise von Klassenherrschaft in diesen Beiträgen monieren: Auch die neue Marx-Lektüre von Michael Heinrich und Ingo Elbe sowie die Werttheoretiker um Robert Kurz tun sich mit diesem Thema ebenfalls schwer. Was unterscheidet diese Ansätze vom neurechten Denken?

Konrad Lotter: Die Vertreter der Neuen Marx-Lektüre, die Sie genannt haben, erhöben wahrscheinlich lauthals Protest dagegen, in die Nähe der neurechten Marx-Interpreten gerückt zu werden. Tatsächlich gibt es aber eine Reihe von Parallelen. Zuerst die von Benoist erhobene Forderung, Marx vom Marxismus zu befreien, die sich in der gleichen Weise auch bei Slavoj Žižek oder den Vertretern der Neuen Marx-Lektüre findet.

Damit wird nicht nur der Marxismus der alten KPs, sondern auch die Utopie der klassenlosen Gesellschaft oder der Marxsche Humanismus verabschiedet. Dann die von Benedikt Kaiser erhobene Forderung, wieder "auf direkten Wege zum Text [von Marx]" zurückzukehren, die offenbar auf das Selbstverständnis der Neuen Marx-Lektüre anspielt. Schließlich das auf die ökonomische Theorie zentrierte Interesse, das mit einer Herabsetzung von Friedrich Engels einher geht.

Allerdings hält die Neue Marx-Lektüre, die auf Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt zurückgeht, den "akademischen Raum" für das "bedeutendste Wirkungsfeld marxistischer Theoriebildung" (Elbe). Sie hat ein wesentlich wissenschaftliches Anliegen, das sich von der Politik fernhält. Dagegen erhebt die Neue Rechte den dezidierten (wenn auch absurden) Anspruch, rechte Politik mit marxistischer Theorie zu begründen.

Schickte die Neue Marx-Lektüre den Arbeiter als Subjekt der Geschichte in Rente, so möchte die "Neue Rechte" diese Rolle offenbar auf den deutschen Vaterländer übertragen. Dabei erhebt sie Anklage gegen "wesentliche Teile" der Linken, "kein Interesse mehr an einer Marxschen ‚Expropriation der Expropriateure‘" mehr und "Ihren Frieden mit dem Kapital" geschlossen zu haben.

"Rhetorik, die von wenig Sachkenntnis zeugt"

Kann man überhaupt von einem eigenständigen Marx-Verständnis der "Neuen Rechten" sprechen?

Konrad Lotter: Wenn man liest, wie sich Benoist gleichermaßen gegen den "obsessiven Antimarxismus" der Konservativen und den "dogmatischen Marxismus" der alten KPs abgrenzt, wie er sich auf Robert Kurz, Moishe Postone oder Alfred Sohn-Rethel beruft, für einen ökologischen Marxismus plädiert, so glaubt man fast, den Vertreter einer linken Erneuerungsbewegung vor sich zu haben.

Kein Zweifel: Er verfügt über gründliche Kenntnisse des Marxschen Werks. Damit steht er, wie auch Rolf Peter Sieferle, im Gegensatz zu anderen "Marxisten" der "Neuen Rechten". Benedikt Kaiser etwa wirft den Linken vor, sie hätten Marx nur "selektiv" und durch die jeweilige Parteibrille rezipiert, während die Rechte "auf direktem Wege zum Text" zurückkehre und "unbefangen" von Marx lerne. Das ist eine Rhetorik, die von wenig Sachkenntnis zeugt.

Fusaro, ein Schüler Costanzo Preves, wirft Marx vor, er hätte - im Gegensatz zu Hegel, der die Wahrheit als Prozess der fortwährenden "Aufhebung" fasst, wodurch er die Kritik des "Falschen" mit der Aufbewahrung des "Richtigen" verbindet - nicht zwischen Genesis und Geltung unterschieden. Stattdessen hätte er die Geltung der Ideen auf die geschichtliche Epoche ihrer Genese begrenzt. Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlich hebt Marx bei aller Kritik der französischen Aufklärung, an Adam Smith, an Hegel oder Feuerbach doch stets das über ihre Genese hinaus Geltende ihrer Gedanken in seiner Theorie auf.

Wie steht denn die AfD zur "Marx-Begeisterung" ihrer "Vordenker"?

Konrad Lotter: Das Grundsatzprogramm der AfD enthält ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zum sog. Ordoliberalismus von Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Wilhelm Röpken und Ludwig Erhardt. Privateigentum und Markt werden als "zentrale Prinzipien" genannt, jede Form staatlicher Planwirtschaft zurückgewiesen. Alice Weidel, eine der Vorstandsvorsitzenden der Partei, arbeitete bei Goldman Sachs und Allianz Global Investors als Vermögensberaterin. Zwischen den Theoretikern und den Praktikern der Rechten gibt es offenbar "Klärungsbedarf", um es mal vorsichtig zu sagen.

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