Die Plünderung der Weltmeere

Arno Kleinebeckel

Trotz Vermüllung, Überfischung und Versauerung: Unsere Ozeane bremsen den Klimawandel – wie lange noch?

Von "verheerenden" Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels auf das Ökosystem ist in der Abschlusserklärung von Lissabon die Rede, wo es vor wenigen Tagen um unsere Ozeane ging. Also nicht um irgendwas, sondern um ein essenzielles System – die größte Biosphäre des Planeten.

Ozeane beherbergen 80 Prozent allen Lebens, sie bedecken mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche. Trotz aller Warnrufe behandelt der Mensch die lebenswichtige Mega-Ressource notorisch miserabel, plündert sie aus und macht sie rigoros zur Müllkippe.

Dabei sind die Weltmeere für Milliarden Menschen eigentlich Arbeits- und Ernährungsgrundlage. Außerdem, und das wissen wir heute besser als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, sind Ozeane maßgeblich am globalen Klimasystem beteiligt: So produzieren sie die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, und absorbieren rund ein Viertel aller CO2-Emissionen.

Als größter Kohlenstoffspeicher bieten sie damit einen lebenswichtigen Puffer gegen die desaströsen Auswirkungen des Klimawandels.

"The future of the Ocean"

Der Slogan aus einem Kurzvideo der 2. Ozeankonferenz, die zum Monatswechsel in Lissabon zu Ende ging, klingt martialisch so:

In 2022, the future of the Ocean will be decided in Lisbon

The United Nations Ocean Conference

Was ist davon zu halten? Die erste UN-Ozeankonferenz fand 2017 in New York statt. Die jetzt abgehaltenen fünftägigen Debatten mit rund 7.000 Teilnehmern der zweiten Ozeankonferenz waren nach übereinstimmender Meinung von Umweltschützern vergebens. Aber der Reihe nach.

Seit Beginn der Industrialisierung um 1800 haben die Meere rund ein Viertel des zusätzlichen Kohlendioxids gespeichert, das Menschen vor allem durch das Verbrennen von Kohle, Erdöl und Erdgas in die Atmosphäre entlassen haben, einschließlich der Auswirkungen der globalen Vernichtung der Wälder.

Weil der Ausstoß klimaschädlicher Gase in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen ist, schwächelt diese Speicherwirkung. Das Meerwasser wird saurer, durch den Klimawandel auch wärmer und noch dazu sinkt der Sauerstoffgehalt. Diese Effekte verringern die Aufnahmekapazität der Ozeane für Kohlendioxid.

Wird das Meerwasser zu warm und zu sauer, hat das außerdem Konsequenzen für die Meereslebewesen und Ökosysteme, die ebenfalls einen erheblichen Anteil an der Kohlenstoffspeicherung im Ozean haben.

Deutsche Allianz Meeresforschung (DAM)

Die einfache Wahrheit scheint trotz aller wissenschaftlichen Hinweise nicht beachtet zu werden: Der Ozean ist mit seinen Funktionen als Wärme- und Kohlenstoffspeicher einer der wichtigsten Regulatoren des Klimas.

Zu viel Müll, zu wenig Fische

Zu viel Müll, zu wenig Fische: Die Meere sind bedroht wie noch nie. An der Konferenz – Generalsekretär António Guterres hatte zuvor den "Ozean-Notstand" ausgerufen – nahmen um die 30 Staats- und Regierungschefs, dazu Politiker, Wissenschaftler und Vertreter von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen teil. Sie erörterten Möglichkeiten, die von Vermüllung, Überfischung, Klimawandel und Versauerung in Mitleidenschaft gezogenen Weltmeere besser zu schützen und die Ressourcen des unersetzlichen Ökosystems möglichst nachhaltig zu nutzen.

Wie zu schützen, darauf hat die UN-Ozeankonferenz offenbar keine ernstzunehmenden Antworten gefunden. Kritische Stimmen sehen in dem Zielkatalog (Sustainable Development Goals, SDG 14) lediglich ein "Sammelsurium an Unverbindlichkeiten".

Der renommierte portugiesische Meeresbiologe Emanuel Gonçalves warnt derweil vor einer "Apokalypse" der Ozeane und kritisierte sogar das Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen – mehr als das Dreifache als bisher. Das sei trotzdem zu spät und zu wenig, klagt der Portugiese.

Ähnlich äußerte sich Presseberichten zufolge die legendäre 86-jährige US-Meeresbiologin Sylvia Earle. Sie schlägt demnach vor, dem Beispiel von Ländern wie Chile und Panama zu folgen, die angekündigt haben, in den kommenden Jahren mindestens 40 Prozent ihrer Küstengewässer schützen zu wollen, fragt aber: " … warum nicht mehr?".

Umweltschützer sind bestürzt, Kleinfischer sehen dem Ruin entgegen: Allen Warnrufen zum Trotz findet die rücksichtslose Plünderungspraxis weiterhin kein Ende, nimmt sogar rapide zu. 35,4 Prozent aller Fischbestände wurden nach jüngsten Zahlen (Basis von 2019) nicht nachhaltig gefangen, waren also überfischt, wie aus dem Jahresbericht der Welternährungsorganisation FAO hervorgeht, der am 29. Juni in Lissabon präsentiert wurde.

Tendenz steigend, wie Karoline Schacht von der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Ruinöse Wirtschaftsweise

Hunderten von Kleinfischern waren aus mehr als 30 Ländern Lateinamerikas, Afrikas, Asiens und Europas nach Lissabon gepilgert, um ihre prekäre Lage zu schildern und Gehör zu finden. Nach eigenen Angaben ernähren sie insgesamt 500 Millionen Menschen weltweit mit Fisch.

Diese Fischer gehen küstennah oder in den Territorialgewässern auf Fang. Dort finden sich 83 Prozent der weltweiten Korallenriffe. Es sind die Orte für die Brut und Aufzucht der Meeresfauna. Mangrovenwälder und Seegraswiesen gedeihen nur dort. Sie bringen in gesunden Küstengebieten Nutzen als Kohlendioxidspeicher und schützen vor dem Klimawandel, indem sie Sturmfluten auffangen und Küstenerosion verhindern.

Ihnen – den Kleinfischern – geht es, so erläuterte Martilene Rodrigues aus dem brasilianischen Bundesstaat Ceará, nicht nur um ihren Lebensunterhalt, sondern auch um den Erhalt von Kultur und Tradition, die der ruinösen Wirtschaftsweise zum Opfer fallen.

Um Überfischung und Artensterben zu stoppen, fordert der WWF nicht erst seit gestern wirksame Fischerei-Kontrollen, nachhaltige Fangmengen und ein Verbot zerstörerischer Fangpraktiken. Laut FAO kletterte die gesamte Nutzung von Wassertieren und Algen nach den jüngsten vorliegenden Zahlen von 2020 auf den Rekordwert von 214 Millionen Tonnen; bei den Wassertieren im Schnitt 30 Prozent mehr als in den 2000er Jahren, 60 Prozent mehr als in den 1990er Jahren.

In den Zahlen sind Fänge und Aquakultur aus Meer- und Süßwasser zusammengefasst. Gefangen wurden 90 Millionen Tonnen Wassertiere, aus Aquakultur stammen 88 Millionen Tonnen.

"Kollektives Versagen"

Fisch liefert der FAO zufolge mehr als 20 Prozent der Pro-Kopf-Proteinversorgung für drei Milliarden Menschen (in einigen weniger entwickelten Ländern mehr als 50 Prozent) und ist besonders in ländlichen Regionen eine wesentliche Nahrungsquelle, da die Ernährung dort wenig diversifiziert und die Ernährungssicherheit weniger gegeben ist.

Zum Abschluss gab es eine "Erklärung" in Lissabon. Darin wird unter anderem ein "kollektives Versagen" beim Meeresschutz eingeräumt, es wird auch mehr "Ehrgeiz" bei der Suche nach Lösungen gefordert.

Triste Aussichten. Weiter bedrohen Überfischung und andere destruktive Praktiken, wie der Fang mit Dynamit oder Zyanid, die Biodiversität der Meere und Küsten. Zu denken auch an die großen industriellen Trawler, die mit ihren Schleppnetzen den Meeresboden zerstören, um in Minuten tonnenweise Fisch und Beifang einzusammeln.

Eine teuflische Abwärtsspirale für Mensch und Natur. Ungeachtet aller Hiobsbotschaften nimmt die rücksichtslose Plünderung der Weltmeere weiterhin zu. Die Plastifizierung der Ozeane, pro Minute zwei Lastwagenladungen, noch nicht mal eingerechnet.

Diese horrende Plastikverschmutzung trifft auf einen bereits überlasteten Ozean. Im August wollen die UN-Mitgliedsstaaten nochmal einen Anlauf unternehmen, um ein Abkommen hinzubekommen. Lissabon war nicht mal eine Atempause.