Die Rache der Schwarzen Witwen
Das Internet scheint für die Islamisten im Kaukasus zur Partnerbörse geworden zu sein
Nachdem sich am Mittwoch vergangener Woche Doku Umarow, der selbsternannte "Emir des Kaukasus“, zu den Anschlägen auf die Moskauer Metro bekannte, konnte mittlerweile auch die Identität der beiden Selbstmordattentäterinnen festgestellt werden. Die 17-jährige Dschennet Abdurachmanowa und die 28-jährige Mariam Scharipowa waren die Schwarzen Witwen, die sich und 40 andere Menschen in den Tod rissen. Welches Motiv Scharipowa für ihre Tat hatte, ist bisher nicht geklärt, ganz im Gegensatz zu der 17-jährigen Abdurachmanowa, die in das Schema der Schwarzen Witwen genau passt. Mit dem Anschlag rächte sie den Tod ihres Mannes, der im Nordkaukasus als Emir von Dagestan für ein islamisches Kalifat im Nordkaukasus tötete. Den Terroristen hatte die junge Frau im Internet kennen gelernt.
Das Foto, das am Freitag die russische Tageszeitung Kommersant veröffentlichte, könnte von Oliver Stones Skandalfilm Natural Born Killers inspiriert worden sein. Eine junge, verschleierte Frau, schmiegt sich an einen Mann, der seinen rechten Arm um sie gelegt hat. Ihre Köpfe berühren sich. Beide blicken fest in die Kamera, nur mit dem Unterschied, dass der Mann noch lächelt. Und so wie Mallory und Mickey Knox in dem 1994 erschienenen Film für die Kameras mit Waffen posieren, tut es auch das Paar. Jeder von ihnen hat eine Pistole in der Hand.
Und gerade diese Waffen sagen alles über das Leben des auf dem Foto abgebildeten Liebespaares aus. Der Mann heißt Umalat Magomedow und wurde am 31. Dezember 2009 von russischen Milizionären erschossen. Das Gesicht der Frau erlangte dagegen vergangene Woche traurige Berühmtheit, als im Internet Fotos von ihr veröffentlicht wurden. Oder genauer ausgedrückt: was von ihr noch übrig blieb. Denn die an ihrem Körper befestigte Bombe, die die junge Frau am Montag vergangener Woche in der Moskauer Metrostation Park Kultury zündete (Der Terror in Moskau kommt aus dem inneren Ausland), ließ nur noch ihren Kopf einigermaßen unversehrt.
Doch es reichte, um die junge Frau, die mit sich 13 weitere Menschen tötete, zu identifizieren. Bereits am 1. April vermeldeten russische Sicherheitsbehörden die Identifizierung jener Selbstmordattentäterin, die in der Metrostation Park Kultury die Bombe gezündet haben soll. Sie solle aus Dagestan stammen und mit dem Bus nach Moskau gekommen sein, erklärten die Behörden, ohne jedoch den Namen der Frau nennen zu wollen. Diesen wollte dagegen die Tageszeitung Kommersant herausgefunden haben. Wie die normalerweise gut informierte Wirtschaftszeitung am Donnerstag berichtete, soll die 20-jährige Marcha Ustarchanowa eine der zwei "Schwarzen Witwen" gewesen sein. Von ihrer Vita hätte die junge Frau jedenfalls in das Schema der "Schwarzen Witwen" gepasst. Ihr Ehemann soll ein führender Terrorist gewesen sein, der in Tschetschenien ums Leben kam.
Diesen Bericht wollten die russischen Sicherheitsbehörden jedoch nicht bestätigen. Anders verhielten sich die Sicherheitsorgane aber bei den Namen, die die renommierte Tageszeitung am darauf folgenden Tag neben dem schon beschriebenen Foto nannte. Noch am Freitag erklärten die Sicherheitsbehörden, dass es sich bei der 17-jährigen Dschennet Abdurachmanowa tatsächlich um eine der beiden Selbstmordattentäterinnen aus der Moskauer Metro handelt.
"Wir treffen uns im Himmel"
Durch diese Bestätigung wurde Abdurachmanowa zum neuen Gesicht der "Smertnizy", wie Schwarze Witwen in Russland genannt werden. Und großen Anteil daran haben einige Fotos, die in den letzten Tagen von Abdurachmanowa und Magomedow in der russischen Presse veröffentlicht wurden und die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf einigen Bildern posiert das Paar wie selbstverständlich mit Pistolen und Handgranaten, auf manchen wiederum geben sich die zwei wie ein ganz normales Liebespaar, ohne jede Bewaffnung. Auf einigen Fotos ist die 17-Jährige auch alleine zu sehen, mit einem schwarzen Schleier auf dem Kopf und einer Kalaschnikow in ihren Händen. Doch es gibt auch Bilder, auf denen die junge Frau nur verliebt in die Kamera blickt.
Zusammengekommen ist das Paar nach Angaben russischer Medien, als Dschennet Abdurachmanowa 16 Jahre alt war. Über das Internet soll sie den 30-jährigen Umalat Magomedow kennen und lieben gelernt haben. Und dies so sehr, dass sie bereits kurz nach der ersten realen Begegnung Magomedow heiratete und zu ihm zog.
Doch dieses Liebesglück war nicht von besonders langer Dauer. Am 31. Januar 2009 wurde Magomedow in seinem Geburtsort Chasawjurt bei einer Routinekontrolle von der Miliz angehalten. Dabei kam es zu einem Schusswechsel, bei dem der frisch verheiratete Ehemann zusammen mit seinen drei Begleitern ums Leben kam. Erst später registrierten die Sicherheitsbehörden, dass sie mit Magomedow einen der meistgesuchten Terroristen des Nordkaukasus erschossen haben. Als selbsternannter "Emir von Dagestan" war der 30-Jährige nicht nur der führende Kopf der islamischen Terroristen in der russischen Teilrepublik, sondern auch ein enger Vertrauter Doku Umarows, dem selbsternannten "Emir des Kaukasus".
Der Tod ihres Ehemannes war auch der Auslöser für ihren Selbstmordanschlag in der russischen Hauptstadt, mit der sie diesen rächen wollte. Ob sie das freiwillig tat, wird von den russischen Behörden allerdings bezweifelt. Diese gehen davon aus, dass die Terroristen die junge Frau zu der schrecklichen Tat erst überzeugen mussten. Ob diese These der Sicherheitsbehörden stimmt, ist jedoch fraglich. Dagegen spricht jedenfalls ein Liebesbrief, den die Ermittler bei der zerstückelten Leiche Abdurachmanowas gefunden haben. "Wir treffen uns im Himmel", stand da auf Arabisch geschrieben.
Offene Fragen
Das vielleicht Erstaunlichste an der Beziehung zwischen Abdurachmanowa und Magomedow ist wohl aber die Art und Weise, wie sich die beiden kennen gelernt haben. Wie schon erwähnt, geschah dies ganz unspektakulär übers Internet. In welchem Chat oder Kontaktnetzwerk genau ist bisher zwar nicht bekannt und wird vielleicht auch nie geklärt werden, doch anscheinend hat sich das Internet für die Terroristen nicht nur zu einer Bühne entwickelt, auf der sie ihre Ideologie und Anschläge feiern, sondern auch zu ihrer Partnerbörse. Wie die Eltern von Marcha Ustarchanowa behaupten, soll auch ihre Tochter mit ihrem Ehemann, dem im vergangenen Oktober erschossenen tschetschenischen Islamisten Said-Emin Chisrijew, über das Internet zusammengekommen sein.
Doch Marcha Ustarchanowa, die mehrere Tage lang als mutmaßliche Selbstmordattentäterin galt, gehört nicht zu den Schwarzen Witwen von Moskau. Wie am Sonntag die Nowaja Gaseta berichtete, handelt es sich bei der zweiten Schwarzen Witwe, die sich in der Metrostation Lubjanka in die Luft sprengte, um die aus Dagestan stammende 28-jährige Mariam Scharipowa. "Ich habe sie auf den Fotos erkannt", zitiert die kremlkritische Zeitung den Vater der Frau, Rasul Magomedow, der den Schock über die Tat seiner Tochter nicht verbergen konnte.
Dies auch deshalb, weil Scharipowa einiges von Abdurachmanowa, die mehr in das Schema von den Schwarzen Witwen passt, unterscheidet. Scharipowa ist neun Jahre älter, ist in einem Lehrerhaushalt aufgewachsen, war gebildet und hat selber in einer Schule als Lehrerin gearbeitet. Dass sie aber dennoch die zweite Selbstmordattentäterin ist, daran haben mittlerweile die Sicherheitsbehörden keine Zweifel. Als Begründung für ihre Tat geben sie ihre Ehe mit einem nordkaukasischen Extremistenführer an.
Ob dies so stimmt, ist jedoch fraglich. Den Eltern Scharipowas ist jedenfalls nichts von einer Ehe ihrer Tochter bekannt. Einige offene Fragen gibt es auch bezüglich ihrer Reise nach Moskau. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden, kamen Abdurachmanowa und Scharipowa gemeinsam mit dem Bus aus dem dagestanischen Kisljar in der russischen Haupstadt an - und dies in den frühen Morgenstunden des 29. März, dem Tag der Anschläge. Problematisch ist nur, dass Scharipowa laut Augenzeugenberichten noch am 28. März in Machatschkala gewesen sein soll, obwohl die Busfahrt von Kisljar nach Moskau 36 Stunden dauert. Endgültige Klarheit wird da nur ein DNA-Test bringen.
Doch bereits mit diesen ersten Ermittlungsergebnissen können die russischen Sicherheitsbehörden erste Erfolge vorweisen. Mit Informationen über weitere Fahndungserfolge halten sich die Behörden jedoch zurück. Es wurden zwar angeblich die ersten Personen verhaftet, die in die Anschläge in Moskau und Kisljar von vergangener Woche verwickelt sein sollen, um wen es sich dabei genau handelt, teilten die Sicherheitsorgane aber nicht mit.
Gefahndet wird stattdessen weiterhin nach den Unterstützern der Selbstmordattentäterinnen von Moskau. Bisher jedoch ohne Erfolg. Zudem suchen die Sicherheitsorgane nach weiteren 21 Schwarzen Witwen, die nach Angaben der russischen Presse von dem im März erschossenen Terroristenführer und mutmaßlichen Drahtziehers des Anschlags auf den Newski Express, Alexander Tichomirow, für ihre tödliche Mission ausgebildet worden sein sollen. Ursprünglich waren es angeblich 30 "Smertnizy", die Said Burjatski, wie sich der zum Islam konvertierte Tichomirow selbst nannte, auf Selbstmordanschläge vorbereitete. Sieben von ihnen sollen bereits vor den Explosionen in der Moskauer Metro Attentate verübt haben.
Ob all diese Frauen aus Rache handeln, wie es Abdurachmanowa und Scharipowa getan haben sollen, ist jedoch zweifelhaft. In ihrem 2005 erschienen Buch "Die Bräute Allahs" berichtete die russische Journalistin Julia Jusik, dass viele Frauen zu den Selbstmordanschlägen durch Manipulation, Drogen sowie körperliche und sexuelle Gewalt gezwungen werden.