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"Die Rechten sind einfach viel besser im Nutzen sozialer Medien"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 20.12.2017 bei der Regierungserklärung im Nationalrat. Bild: Parlamentsdirektion / Thomas Topf

Ein Gespräch mit dem ehemaligen Sozialsprecher der österreichischen Grünen Karl Öllinger über die neue türkis-blaue Bundesregierung und die Zukunft seines Info-Portals "Stoppt die Rechten"

Telepolis trifft Karl Öllinger wenige Stunden, nachdem die neue österreichische Bundesregierung angelobt wurde, in einem Wiener Kaffeehaus. Öllinger gehörte lange Zeit dem österreichischen Nationalrat an und war Sozialsprecher der Grünen. Mit dem Ausscheiden der Partei aus dem Nationalrat musste er seine Informationsseite im Internet "Stoppt die Rechten" einstellen, die die Umtriebe österreichischer Neonazis und Rechtsradikaler dokumentierte.

Wie geht es Ihnen Herr Öllinger?
Karl Öllinger: Naja, ich war gerade auf der Demo. - Ich finde das alles ganz schlimm. Vom Regierungsprogramm habe ich bis jetzt nur wenig angeschaut, weil ich mir gedacht habe, ich gebe mir das nur dosiert. Das Kapitel über Arbeitslose habe ich gelesen und da findet sich die Handschrift der Industriellenvereinigung. Bösartig, wirklich sehr bösartig.
Was im Einzelnen ist bösartig?
Karl Öllinger: Die FPÖ hat gemeinsam mit der SPÖ und den Grünen in den letzten Wochen der alten Legislaturperiode die Abschaffung der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe beschlossen. Das war eine Bestimmung, die hauptsächlich den Frauen geschadet hat, aber nicht nur. Die Anrechnung wurde gerade erst abgeschafft und jetzt soll gleich die ganze Notstandshilfe abgeschafft werden. Die frühere soziale Verbesserung hat dadurch natürlich keinen Nutzen mehr.
Das Ende der Notstandshilfe ist eine sehr weitgehende Maßnahme, weil es Österreich im rechtlichen Status weitgehend Hartz-IV angleicht. Diese eigentlich "Arbeitslosengeld II" genannte Maßnahme hat die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet, die in Österreich eben Notstandshilfe heißt. Hier findet sich im Regierungsprogramm nebenbei noch die Koppelung der Höhe des Arbeitslosengeldes an die Dauer der Arbeitslosigkeit. Degressive Gestaltung des Arbeitslosengeldes also, je länger arbeitslos, desto weniger Geld.
Arbeitslosengeld wird ohnehin nur zeitlich befristet gewährt. Aber selbst wenn der zeitliche Rahmen des Arbeitslosengeldes auf drei oder vier Jahre gestreckt würde, ist dies eine drastische Verschlechterung, weil die Leute nachher in die Mindestsicherung wechseln müssen, mit all den Verschlechterungen und sonstigen negativen Rahmenbedingungen.
Dann wurde auch noch eine Bestimmung aufgenommen die den Zuverdienst im Rahmen der Geringfügigkeit nur mehr zeitlich befristet erlaubt. Langzeitarbeitslose, in der Regel sind es ältere Arbeitnehmer, werden ein immer geringeres Entgelt haben, weil sie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr geringfügig dazuverdienen dürfen. Das wird für viele eine Katastrophe.
Die Wiener ÖVP hat plakatieren lassen "Gerechtigkeit nur für die Leistungswilligen", also für jene, die arbeiten wollen. Dahinter steckt die Behauptung wenn jemand nur arbeiten will, dann wird er auch Arbeit finden.
Karl Öllinger: Das ist natürlich nur eine falsche Behauptung. Wenn diese Maßnahmen greifen, dann würde das bedeuten, dass es einen enormen Sog gibt auf das Lohn- und Einkommensniveau insgesamt. Dann muss zu allen Bedingungen ein Job angenommen werden, also eigentlich genau das, was man sich von einer solchen Regierung erwarten musste, aber nicht wahrhaben wollte.
Die FPÖ hat in der Vergangenheit schon lange mit solchen Modellen gespielt. Was ich in unserer jetzigen Situation befürchte, ist, dass dies auf der Bewusstseinsebene dazu führen wird, dass man auf die Wähler zu schimpfen beginnt. Also auf diejenigen, die am meisten darunter leiden werden.
Es gibt eine bestimmte Klientel von FPÖ-Wählern, die Arbeitslose sind und die einer Art "Unterklasse" angehören oder mit welcher problematischen Bezeichnung man das auch beschreiben mag, und gerade in diesen Kreisen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, hat die FPÖ eine nicht geringe Zustimmung. Auf diese Personen zu schimpfen und sie für das Elend, das da jetzt beginnt, verantwortlich zu machen, halte ich für höchst problematisch und auch für falsch. Ich würde eher über die schimpfen, die außerhalb der FPÖ in den letzten Jahren behauptet haben, die FPÖ sei eine ganz passable Sozialpartei. Es gibt genügend Sozialdemokraten die das immer wieder behauptet haben. Aber auch dieses Schimpfen hilft uns nicht weiter im Moment.

Es ist gelungen, die Interessen hinter der Identitätspolitik zu verstecken

Ein wenig steckt hier der Trick dahinter Arme gegen Arme aufzuhetzen.
Karl Öllinger: Absolut. Meine Erzählung in den letzten Jahren war, dass ich mir das "Handbuch der freiheitlichen Politik" genau angeschaut habe, weil dies ein sehr aussagekräftiges Dokument ist über die sozialpolitischen Vorstellungen der FPÖ. Die zwar in erster Linie - wie auch im Regierungsprogramm - über die Ausländer- und Migrationsfrage abgehandelt werden. Trotzdem gibt das Buch einen Einblick, wie sich die FPÖ den Arbeitsmarkt der Zukunft vorstellt. Und der wäre nicht nur für die Migranten und Migrantinnen absolut negativ, sondern durch den Druck aufs Lohnniveau für alle.
Wieso gelingt es an diesen bunten Luftballon "Volksgemeinschaft" ein Riesenpaket Profitinteressen zu hängen und niemand bemerkt es? Die FPÖ bietet eine Gruppenidentität an für "unsere Österreicher" und dahinter verstecken sie ein rein neoliberales "Expertenkabinett", das streng auf ökomische und nie auf soziale Belange achtet.
Karl Öllinger: Da bin ich kein Experte. Es ist aber eine spannende Frage, die Sie stellen: das Überhandnehmen der Identitätspolitik gegenüber der Interessenspolitik und der Versuch, so zu tun, als stünde Identität über den Interessen, die aber nach wie vor bestimmend sind und sichtbar werden. An der Zusammensetzung eines Kabinetts und an einem Regierungsprogramm werden nicht Identitäten sichtbar, sondern Interessen. Trotzdem ist es gelungen, über Identitätspolitik, die teilweise auch von den Linken, wenn auch auf ganz andere Weise, mitbetrieben wurde, so zu tun, als würden Interessen keine Rolle spielen.
Egal welche Identität, als Patriot oder als Schwuler, man hat unterschiedliche Interessen. Ich habe es mir selbst zugeschrieben und gedacht, ich sei hoffnungslos veraltet im Denken, wenn ich mir eine Gesellschaft als von unterschiedlichen Interessen gestaltet vorstelle. Dabei besteht doch jede Person aus verschiedenen Identitäten.
Ein schönes Beispiel hierfür stammt von einer Ethnologin, die das Mühlviertel beforscht hat. Sie hat mit einen typischen Mühlviertler Pendler gesprochen, der nach Linz zur Voest einpendelt. Der hat sich selbst mit drei verschiedenen Identitäten beschrieben: Daheim in seinem Dorf ist er ein Schwarzer, ein ÖVPler, auf dem Weg in die Arbeit ist er ein Roter, ein SPÖler, und in der Firma ist er ein dunkelroter Kommunist. Das ist genial. Er kann seine unterschiedlichen Identitäten in Interessen auflösen. Dieser Mann, der sich selbst in seiner Widersprüchlichkeit beschreibt, ist weiter als die Politik insgesamt momentan.

Sebastian Kurz hatte Kurz in Österreich den Begriff "Willkommenskultur" eingeführt

Die Identität ist das eine, das andere ist das Angstschüren. Auch Erhard Busek, der als das intellektuell differenzierte Aushängeschilde der ÖVP gilt, sieht als Aufgaben der neuen Regierung, "uns zu schützen". Afghanen oder Tschetschenen stehen für "Terrorgefahr" und Religion sei ein Problem. Selbstverständlich nicht die katholische, aber der Islam, weil dieser "politisch instrumentalisiert" würde, was übrigens Busek genau in solchen Momenten selbst tut. Da entsteht scheinbar ein neuer Konsens in Österreich.
Karl Öllinger: Ja, das hat sich leider durchgesetzt in rasanter Geschwindigkeit, und es hat sich durchgesetzt, weil die ÖVP in dieser Frage vollkommen umgeschwenkt ist auf FPÖ-Linie. Dies lässt sich sehr gut nachvollziehen an der Person des neuen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der als Integrationsstaatssekretär ausgezogen ist mit einem Begriff, den er selbst später madig gemacht hat.
Anfänglich war es Kurz, der in Österreich den Begriff "Willkommenskultur" eingeführt hat. Dies lässt sich nachvollziehen über Pressemeldungen im Jahr 2012/13. In der Bundesrepublik war der Begriff bereits verbreitet, in Österreich aber nicht. Zunächst entdeckt den Begriff die Wirtschaftskammer für sich, in einer - dies muss gar nicht unbedingt abwertend kommentiert werden - eindeutig interessensgeleiteten Haltung. Sie sagten, wir brauchen für Migranten eine Willkommenskultur. Sebastian Kurz ist dann herumgezogen durch Österreich und hat sich seine Lorbeeren als Integrationsstaatssekretär verdient, indem er sagte, wir müssen eine solche Willkommenskultur schaffen.
Er predigte bis 2015 Willkommenskultur, verstummte dann plötzlich und Ende 2015 schickte er seinen Adjutanten Gernot Blümel aus, der von "Willkommenskulturklatschern" sprach und dies heruntermachte. Ab 2016 war, wer noch Willkommenskultur sagte, plötzlich ein Gutmensch. An Kurz und diesem Begriff lässt sich dieser absolute Wandel der ÖVP gut nachzeichnen. Die ÖVP war immer von wirtschaftlichen Interessen geprägt, wenn es um Migration ging, aber auch von dem, was von christlicher Ideologie noch übrig war.
Wie viel ist von den christlichen Überzeugungen noch da? Anders gefragt: Inwieweit ist es Ihnen mit ihrer Aufklärungsarbeit durch die Internetseite "Stoppt die Rechten" gelungen, in ein bürgerlich-konservatives Lager hineinzuwirken?
Karl Öllinger: Nun ja, in erster Linie war unsere Arbeit darauf beschränkt, dass wir eine Informationsplattform bieten, bei der sich die Leute bedienen konnten. Wir haben den Anspruch dann erweitert, weil wir zusehends gemerkt haben, irgendwann stehen wir an. Deswegen haben wir versucht etwas über Bildungsarbeit in der grünen Bildungswerkstatt nach außen zu verbreiten.
Erstaunlicherweise ist es uns auch gelungen bürgerlich-konservative Kreise zu erreichen, was ich nie gedacht hätte. Da war ich vielleicht selbst ein wenig zu vernagelt, um mir vorzustellen jemand von denen würde auf die Informationen von "Stoppt die Rechten" zugreifen. In einer Diskussion mit einer früheren prominenten ÖVP-Abgeordneten rund um die letzte Bundespräsidentenwahl habe ich überrascht festgestellt, dass diese sich, was das freiheitliche Handbuch betrifft, aller unserer Argumente bedient hat. Sie hat auch eingeräumt, dass sie mit unseren Informationen in der ÖVP arbeitet. Das hat ihr gut gefallen. Ich war ganz baff, dass gerade diese Person zu uns kommt, die unter Schwarz-Blau I und II tätig war.
Allerdings muss man leider sagen, die Grünen haben hier aufgrund anderer Fehler völlig versagt, genauso wie die SPÖ. Diese Leute, die aus einem - ich verwende den Begriff ungern - "bürgerlichen Bewusstsein" heraus erstens Van der Bellen gewählt und zweitens sich in der Flüchtlingsbewegung politisiert haben, die hätten man besser erreichen müssen. Das sind ja nicht wenige, die sich auseinandergesetzt haben, die auf die Flüchtlinge zugegangen sind, die selbst initiativ geworden sind, und ich befürchte, die heute noch zu erreichen, dafür ist es jetzt schon wieder zu spät.
Teilweise haben wir versucht mit Leuten Kontakt aufzunehmen, die in ihren Heimatgemeinden von der FPÖ angegriffen wurden und teils massive Anfeindungen erlebt haben. Das waren natürlich nur einzelne, weil es ein Medium wie "Stoppt die Rechten" völlig überfordern würde, auch noch eine politische Plattform schaffen zu wollen. Die einzelnen Kontakte waren aber eine ganz wichtige Erfahrung, weil wir bemerkt haben die von Anfeindungen Betroffenen waren oftmals ehemalige ÖVP-Gemeinderäte, die über die Flüchtlingsbewegung und über die Van der Bellen-Wahlbewegung für sich ein neues politisches Ufer entdeckt haben. Die wurden nicht unbedingt grün oder sozialdemokratisch, die haben einfach gesagt: Ich will nicht so einen Bundespräsidenten wie den Norbert Hofer von der FPÖ.

"Wer FPÖ wählt, ist kein Trottel"

Der Eindruck den man in den letzten Jahren bekommen konnte ist: Es ist nicht gut gelaufen.
Karl Öllinger: (lacht) Milde ausgedrückt.
Q; Illustrieren wir das einmal mittels des unverfänglicheren Terrains der USA. Dort zeigt sich spektakulär, dass man einen Präsidenten oder jüngst einen Kandidaten für den Senat mit Roy Moore hat, die beide eindeutig multiples Fehlverhalten an den Tag gelegt haben. Eines, das auch gut dokumentiert ist, das aber von der Hälfte des Elektorats nur wahrgenommen wird als Argumente in einer Debatte. Aufklärungsarbeit erweist sich als ohnmächtig, wenn sich zeigt, dass wer im republikanischen Lager ist, beispielsweise sexuelle Übergriffe zwar für falsch hält, diese aber bereitwillig ausblendet im Falle des eigenen Kandidaten. Ähnlich war es mit den sprichwörtlichen "Einzelfällen" rechtsradikaler Umtriebe in der FPÖ, von denen viele in Österreich schlicht nichts mehr hören wollen und die Aufdeckung als Anfeindungen des gegnerischen Lagers sehen.
Karl Öllinger: Gefehlt hat hier, diese Einzelfälle einzubetten in eine etwas konsistentere und zusammenhängende Argumentation. Beziehungsweise man kann die FPÖ nicht nur damit angreifen, dass sich bei ihr immer wieder Neonazis und Rechtsextreme finden. Genauso wenig kann sie nur damit angegriffen werden, dass ihre Spitzenfunktionäre immer wieder mit Korruption in Verbindung waren.
Was mir über die Jahre insbesondere als Sozialsprecher der Grünen gefehlt hat, war, dass die Grünen in sozialen Fragen nie eine umfassendere Linie entwickelt haben und somit die Auseinandersetzung mit der FPÖ nie auf die, wenn man so will, großen Fragen der Menschheit gekommen ist. Also auf die soziale Frage und auf die ökologische Frage und hier hätte dann das eine mit dem anderen in Verbindung gebracht werden müssen.
Wenn jetzt, wie eingangs erwähnt, ein Hass auf FPÖ-Wähler entsteht, weil sie uns angeblich in das Schlammassel gebracht haben, dann greift dies viel zu kurz. Wer FPÖ wählt, ist kein Trottel, und die Partei hat - leider - eine gar nicht so wenig intelligente Wahlkampfstrategie verfolgt. Im Vergleich dazu waren wir Grünen fetzendeppart. FPÖler für dumm zu halten, wird dem Problem nicht gerecht. Die SPÖ hat das leider auch teilweise konterkariert, in dem ich mich mit SPÖ-Funktionären streiten musste, die mich fragten: "Warum greifst Du schon wieder den [damals dritten Nationalratspräsidenten] Martin Graf an. Lass ihn doch mal in Ruhe."
Der tut eh was für Tierschutz.
Karl Öllinger: (lacht) Genau. Meine Antwort war hier nicht, dass ich jetzt auf das im Einzelnen eingehe, sondern der SPÖ vorwerfe, dass sie der FPÖ in sozialen Fragen die Mauer macht. Denn auffälligerweise hat es immer genügend in der SPÖ gegeben, die behauptet haben, dass die FPÖ ihnen in sozialen Fragen die nächststehende Partei sei. Diese Einschätzung war fatal.
Natürlich gibt es Strömungen in der Sozialdemokratie, die sehr national orientiert sind. Sozialpolitik nur für unsere Leut'. Da kann man sich treffen. Das war Jahrzehnte lang auch das Programm der Gewerkschaften, aber Gottseidank hat man sich dann irgendwann einmal, zumindest schleichend, mit seiner eigenen Vergangenheit in der Sozialpolitik auseinandergesetzt. Leider gab es nie eine offene Debatte, wie es sie in Deutschland gab.

Hoher Moral, aber ohne politische Programmatik: Die Versäumnisse der Grünen in Österreich

Den Grünen konnten bei der Bundespräsidentenwahl Van der Bellens gewisse Sympathien für ein Weltbild der Offenheit und Toleranz verankern, das dann bei der Nationalratswahl, bei der es nur mehr 3,8% der Stimmen gab, plötzlich weg war. Gerade haben Sie anklingen lassen, dass der Grund dafür vielleicht in einer zu geringen ideologischen Arbeit gelegen sein könnte und alles nur an einzelne Personen gebunden blieb.
Karl Öllinger: Nein, nicht nur Personen. Zu geringe ideologische Arbeit lasse ich auf alle Fälle gelten. Allein der Umstand war fatal, dass die Grünen sich pausenlos auf die Schulter geklopft haben, weil sie in vier konservativen, von der ÖVP geführten Landesregierungen sitzen. Beziehungsweise in Kärnten auch mit der SPÖ, nur ist die Kärntner SPÖ wieder ein ganz eigenes Kapitel. Aber nur in einem einzigen Bundesland, nämlich in Wien, gibt es eine andere, eine rot-grüne Koalition. Dies prägt und diese Koalitionen verändern eine Partei, vor allem wenn sie die kleinere ist.
Ich sage nicht, dass es falsch war, solche Koalitionen mit Konservativen einzugehen, aber es herrschte allzu oft der Geist "Hauptsache wir sind irgendwo dabei". Das ist ein Fehler, denn es muss sichtbar gemacht werden, wofür man steht, und geschaut werden, was können wir von unseren Zielen auch umsetzen. Die Grünen haben sich hier sehr abschleifen lassen. Sie waren immer eine Partei, die von hoher Moral zwar, aber nicht von politischer Programmatik getragen wurde. Und das verdampft leider sehr schnell in solchen Kooperationen.
Wenn man als Funktionär einmal ein Jahrzehnt im Abseits war und nicht beachtet wurde, was den Grünen oft genug in Gemeinden und auf Landesebene passiert ist, und wenn man dann plötzlich wer ist und ein Regierungsamt hat, das verändert viel. Die deutschen Grünen haben, anders als die österreichischen, sehr viel früher die Möglichkeit gehabt, sich auch über Arbeit in den Gewerkschaften zu erden. In Österreich wäre es nicht vorstellbar, dass der Vorsitzende einer großen Gewerkschaft ein Grüner ist, das ist hierzulande exklusiv sozialdemokratisches Territorium.
Die SPÖ hat uns sogar Deals angeboten. Wenn ihr uns diese oder jenes überlasst, für das wir gemeinsam keine Mehrheiten finden werden, dann machen wir das gemeinsam mit der FPÖ und holen uns deren Zustimmung. Dafür verschaffen wir dann euch einen Zugang in die Gewerkschaft. Damit wurde also wie mit einem Gut gehandelt. Diese Verbindung wäre wichtig und nicht nur jene zu Bürgerbewegungen, die ja leider oft sehr diffus sind und die die Grünen ohnehin immer wieder gesucht haben, aufgrund ihrer Herkunft aus ökologischen Bewegungen, der Frauenbewegung und der Friedensbewegung. Das war ja in Österreich alles ähnlich wie in Deutschland, nur bei uns sind diese Quellen sehr schnell wieder versiegt. Die Friedensbewegung in Österreich ist tot, in Deutschland gibt es zumindest noch Rudimente.
Wenn sie nicht von Rechten gekapert wurden.
Karl Öllinger: Na klar. - Die Frauenbewegung detto. Die Bewegungen, aus denen sich die Grünen gespeist haben, sind nur mehr Rinnsale. Sich da eine neue Basis zu suchen und sich zu erweitern, ohne das Vergangene über Bord zu werfen, das haben die Grünen in Österreich versäumt. Es ist nicht leicht, ich komme selbst von einer alternativen Gewerkschaft und es gibt Fraktionen, die auch dieses Gedankengut in der Gewerkschaft pflegen und die ein zähes Leben am Rande führen, das aber sehr viel ausmacht.
Das Tragische ist, dass die Grünen im letzten Jahr es nicht einmal gespürt haben, dass sie abgekoppelt und abgekapselt sind und sich selbst abgenabelt haben von ihrer eigenen Jugend. Welche Partei schafft es innerhalb von zehn Jahren zwei Jugendorganisation abzuspalten? Man sagt denen einfach: "Schleichts Euch!" Das hat man nicht zu ein paar Funktionären gesagt, mit denen man vielleicht oder ziemlich sicher nicht mehr klar kommt, sondern man hat es zu allen gesagt.
Das Gleiche hat man dann mit den älteren gemacht. Da ist es nicht nur um den Peter Pilz gegangen, da ist es nicht nur um Männer gegangen, die Gabriela Moser ist schließlich kein Mann, sondern man hat verdiente und sehr engagierte Mandatare der Grünen mit einem bestimmten Alter verabschiedet. Dies wurde dann von vielen Älteren als Kriegserklärung aufgefasst. Erst haut ihr die Jungen raus und dann die Alten. Wer bleibt da über?
Da herrschte ein Selbstverständnis es gäbe eine ganz agile Generation, die zwischen dreißig und vierzig Jahren alt ist und die allein die Zukunft der Grünen wird gestalten können. Das kann nicht funktionieren und das wurde nicht einmal bemerkt. Bis zum Schluss hat man noch davon geträumt, dass man sich irgendwie in einer Aufholjagd befindet und sich bei 8 bis 10 Prozent bewegt. Das war jenseitig. Ich versteh, dass man in Wahlbewegungen wegdriftet und dass man sich von Negativem abschirmt, aber das geschah in viel zu hohem Maß.

Die Zukunft von "Stoppt die Rechten"

Wie geht es jetzt weiter mit "Stoppt die Rechten"? Die Seite wurde eingestellt, aber warum eigentlich, man hätte die alten Artikel doch online lassen können?
Karl Öllinger: Nein. Zum einen nicht, weil die Produktion von "Stoppt die Rechten", wie wir es betrieben haben, Geld kostet. Redaktionell habe ich das meiste gemacht und das ging, so lange ich noch Nationalratsabgeordneter war. Immer an der Erschöpfungsgrenze entlang.
Wenn ich das vergleiche mit anderen Infoportalen, wie "Blick nach Rechts" und ähnlichen, dann braucht man entweder ein Modell, in dem Journalisten als Freelancer arbeiten, oder es gibt eine fixe Redaktion, die aus mehreren Leuten bestehen muss. Es gab zwar eine Abschwächung während meiner Krebserkrankung, aber die meiste Zeit habe ich das bis zu 95 Prozent solo gemacht. Das geht aber nicht mehr. Ich habe immer schon gedroht, ihr müsst euch was anderes einfallen lassen, habe mich dann aber immer wieder hinreißen lassen und gesagt, bis zur Wahl mache ich das noch.
Es war also klar für die Grünen, nach der Wahl muss das anders aufgesetzt werden. Dann kam die Phase, wo zumindest einigen schon klar wurde, dass es nicht 15 Prozent werden, sondern höchstens die Hälfte. Aber auch da war man noch positiv und sagte, wir wollen das schon irgendwie machen. Ja und dann hatten wir das Ergebnis der Nationalratswahl. Das hat bedeutet die Halbtagskraft ist nicht mehr finanziert, die sich hauptsächlich mit dem technischen Aspekten, dem Einspeisen, der Fotoredaktion und der Verwaltung beschäftigt hat. Ohne solche Ressourcen ist dann nur mehr ein ehrenamtlicher Betrieb denkbar. Allerdings hätte der wiederum das erhebliche Risiko, dass die FPÖ dann gegen jeden zweiten Artikel klagt, weil es dann niemanden gibt, der, so wie ich, genau weiß, was er schreiben kann.
Ein falsches Wort reicht.
Karl Öllinger: So ist es! Die haben uns wirklich durchgescannt. Und immer dann, wenn die Grünen öffentlich größere Auseinandersetzungen mit der FPÖ gehabt haben, dann haben sie irgendeinen in ihren Reihen beauftragt, "Stoppt die Rechten" nach Klagefähigem zu durchsuchen. Innerhalb von ein bis zwei Wochen sind drei bis vier Klagen von verschiedenen Leuten eingegangen. Keine der Klagen war wirklich erfolgreich, aber trotzdem ist es eine Klage, und wenn es nur um eine Verletzung der Abgeltung von Bildrechten geht, dann sind das schnell einmal 5000 oder 10000 Euro.
Kurz bevor wir heruntergefahren sind, hatten wir eine Auseinandersetzung mit einem Leipziger Rechtsextremen, der in den 1980er und 1990er Jahren eine nicht geringe Bedeutung in der deutschen Szene hatte. Große deutsche Medien hat dieser Leipziger auch geklagt, die haben dann alle mit Unterlassungsverpflichtung, die zwei oder drei Tausend Euro kostet, klein beigegeben. Das Risiko und die Kosten waren ihnen einfach zu hoch. Dieses Risiko ist jederzeit gegeben, auch bei einem Artikel, der schon vier oder fünf Jahre auf der Seite steht.
Jetzt gibt es mehrere Varianten: Entweder wir machen im Vollbetrieb weiter und suchen einen Weg, uns breiter politisch abzusichern, also Unterstützung nicht nur von den Grünen, sondern auch von der Liste Pilz und der SPÖ zu bekommen. Wir müssen schauen, gibt es dort die finanzielle und politische Unterstützung - und wann, wenn nicht jetzt? Das ist also die erste Variante, die Wiederaufnahme eines redaktionellen Betriebs und da bin ich deswegen relativ optimistisch, weil es aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich gute Signale gibt.
Die andere Variante wäre ein öffentliches Archiv ohne neue Einträge wieder online zustellen mit nur geringen Kosten, aber mit dem Risiko einer Klage. Und die dritte Variante ist ein Archiv nur für Personen mit Zugangscode. Momentan sind wir bei der ersten Variante, und die möchte ich verfolgen. Jetzt haben wir erstmal versucht, ein Statut fertig zu schreiben, das ungefähr unsere Vorstellungen abbildet. Das wichtigste ist hier die Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit.
Gibt es ein wenig die Hoffnung auf eine Art dialektischen Umschlag? Wir haben so oft gesehen, dass links-liberale Regierungen enttäuschen und dass nun gerade bei einer rechts-rechten Regierung vielleicht hier etwas Gutes entsteht? Ein erneuerter Bürgersinn, der sagt, gerade jetzt brauchen wir "Stoppt die Rechten".
Karl Öllinger: Einen Beitrag werden wir versuchen zu leisten, und wir fühlen uns dazu verpflichtet. Ich habe gerade in den letzten Tagen in meinen haptischen Zeitungsarchiven geblättert und die sind sehr nützlich, vieles was in den Ganglien schon verschoben ist, taucht wieder auf. Artikel über eine Feuerrede von HC Strache und du denkst, das gibt es ja alles eigentlich gar nicht.
Ich hoffe, dass wir mit dem, was wir da haben, auch mit einer neuen Qualität werden weitermachen können. Es haben sich jetzt Leute gemeldet, die etwas tun möchten, die schreiben möchten. Das ist ein schwieriger Prozess, weil ich dies wertschätzen möchte, aber gleichzeitig heißt das auch, die Leute müssen ein wenig ausgebildet werden, Dass es diese Menschen gibt, ist aber großartig.
Ich möchte ein Beispiel geben, das gar nicht den Kernbereich der Auseinandersetzung mit der FPÖ oder mit dieser neuen Bundesregierung betrifft, sondern uns ist aufgefallen. dass die großen Medien, insbesondere die Tageszeitungen, kaum mehr Berichterstattung über Wiederbetätigungsprozesse machen. Man muss schon froh sein, wenn die APA (Austria Presse Agentur) dahin kommt. Dafür gibt es einen ganz banalen Grund: Ein Wiederbetätigungsprozess ist sehr zeitintensiv. Genauso Verhetzungsprozesse. Wenn nicht mehr berichtet wird, fällt die ganze Generalprävention durch Strafandrohung weg - wie sinnvoll diese auch immer sein mag. Den Richtern ist dies mittlerweile schon klar.
Hier ist nicht nur Bösartigkeit dahinter, sondern Sparsamkeit der Redaktionen. Es wäre aber wichtig für uns, wenn da jemand im Saal sitzt, der sich das alles anhört, denn selbst wenn die Anklageschriften nicht gut abgesichert sind, dann bleibt doch viel mehr an Wissen hängen, als durch einen knappen Zeitungsartikel vermittelt wird. Dieses Wissen ist für uns wieder nützlich, weil wir erkennen, dass sich der Verfassungsschutz beispielsweise für diese Anklage gar nichts angeschaut hat oder dass da noch andere Personen mit drinhängen. Wir versuchen ja viel mehr auf Zusammenhänge hinzuschauen und Strukturen zu erkennen, die für ein Medium wie eine Tageszeitung mit ihren Drei- oder Vierzeilern nicht das wichtigste sind.

Wir sind der rechten Medienmacht hoffnungslos unterlegen

Wer "Karl Öllinger" und "Stoppt die Rechten" in eine Suchmaschine eintippt, bekommt zunächst nur Triumpfgejohle rechter Seiten zu sehen, die sich über die Einstellung der Seite freuen.
Karl Öllinger: Nun, wir sind schon auch von anderen beachtet worden, aber man muss sagen, die Rechten sind einfach viel besser im Nutzen sozialer Medien. Das hängt auch mit dem anders strukturierten Denken von linken Organisationen zusammen.
Hierfür ein Beispiel. Der HC Strache stellt ein von einer rechtsextremen Seite stammendes Rechenbeispiel ins Netz: die Einkünfte einer Asylwerberfamilie mit sechs Kindern gegenüber denen einer österreichischen Arbeiterfamilie mit drei Kindern. Zuerst war der Vergleich mit sechs und drei, dann hat er das geändert, weil auch wir da interveniert haben.
Bei diesem Beispiel war es eher nebensächlich, dass es von einer rechtsextremen Seite kam, mir schien aber zweierlei dabei wichtig. Erstens, die meisten haben das so kommentiert, dass Strache die Migrantenfamilie mit einer österreichischen Familie vergleicht. Punkt. Sicherlich hinkt der Vergleich, aber entscheidend ist: die österreichische Arbeiterfamilie hat tatsächlich wenig Geld. Das ist so und darüber muss geredet werden.
Das Zweite war, dass wir dann selber Beispiele vorgerechnet haben und die Reaktion auf Facebook war: "Nenne mir bitte die Quellen, ich glaube Du hast Dich verrechnet" und so weiter. Und das waren keine Rechten. Wir erleben also eine sehr gut nachvollziehbare, kritische und individualistische Haltung bei linken Lesern und Kommentatoren. Die Rechten aber sind hingegangen und haben das Beispiel von Strache tausendfach geteilt und es hat sich explosionsartig weiterverteilt. Wir habe dann unsere Leute aufgefordert unser Beispiel zu verbreiten und das hat dann dreißig oder vierzig Teilungen gebracht. Mehr ist da nicht drinnen. So kommt man nur schwer weiter.
Ich verstehe das Verhalten einerseits, dass jemand nochmals nachrechnet und das ist auch gut. Aber andererseits gegenüber dem Modus operandi der Rechten sind wir hoffnungslos unterlegen.
Abgesehen davon, dass die FPÖ über diese unterschiedliche Denke verfügt und damit viel besser in sozialen Medien vorankommt, beherrschen sie diese auch, weil sie sich die sozialen Medien systematisch erobert haben. Strache folgen bis zu 800 000, auch wenn wir hier ein Drittel von den Klickfarmen abziehen müssen, und zwar auch deshalb, weil die hier sehr viel Geld investiert haben. Die FPÖ hat einen TV-Kanal, der jede Woche eine halbe Stunde Propaganda macht, die haben das "Unzensuriert", die haben das "Info-Direkt", die haben unzählige Medien in ihrem Umfeld, die alle zur gleichen Zeit den gleichen Scheiß bringen. Die haben "Zur Zeit", die haben ihre Parteizeitung "Neue Freiheit", sie bedienen damit traditionelle und neue Medien gleichermaßen geschickt.
Und vor allem im Unterschied, wie linke oder grüne mit solchen Mediengebilden umgehen würden, haben sie einen einzigen Mann, der dahinter steht. Der rennt immer beim HC Strache hinten nach, der Herr Höferl. Er ist der Kommunikationschef der FPÖ, er ist der Chef von "Unzensuriert", von "FPÖ-TV", der hat alle Medienkanäle unter Kontrolle. Man soll nicht in historischen Vergleichen schwelgen, aber das ist schon heftig.
Und diese Medienmacht der FPÖ wird dann noch durch einen Boulevard gestützt, der gerne mit ins Horn bläst.
Karl Öllinger: Absolut. Es gibt nirgendwo so einen Anteil an Boulevardmedien am Zeitungsmarkt wie in Österreich. Es gibt drei, die sich gegenseitig kannibalisieren: "Krone", "Heute" und "Österreich". Die überbieten sich gegenseitig in Bösartigkeit. Und, es wird nicht lange dauern, dann haben sie den größten Medienkonzern in ihren Händen, den ORF.
Das war die gewaltige Drohung bei der ersten Pressekonferenz der neuen Regierung auf dem Wiener Kahlenberg, der ORF müsse jetzt "objektiver" werden.
Karl Öllinger: Die Vorleistungen haben bereits begonnen. Das ist bereits spürbar.
Alle werden jetzt vorsichtig.
Karl Öllinger: Ja. Ich habe eine noch sehr frische Erinnerung, wie das war, als in den späten 1990ger Jahren die FPÖ noch nicht an der Regierung war, aber der Ewald Stadler bereits Klubobmann und man bereits spüren konnte, dass die FPÖ auf dem Weg an die Macht ist. Da hat es die Zuträger im ORF gegeben.
Der verstorbene "News"-Journalist Kurt Koch hat mir eines Tages eine CD gegeben. Er hatte ein Abbild von Stadlers Computer gehabt, auf dem die Festplatte zum überwiegenden Teil gelöscht worden war, aber einzelne Dateien waren noch aufrufbar. Diese wenigen Dateien allein haben ein erschreckendes Bild ergeben, was Stadler und seinen Mitarbeitern wichtig war. Zum Beispiel dutzende Dateien über alle Holocaustleugner-Prozesse. Aber was noch verblüffender war, es sind in den Dateien die Leute aus dem ORF aufgetaucht, die ihm rapportiert haben. Die Mitarbeiter Stadlers haben Protokoll geführt, beispielsweise: "18.12.-16:30, Uwe Sowieso aus dem ORF berichtet, es gibt in der Abteilung XX eine Mitarbeiterin die sich als links-grüne bekennt. Also macht etwas!"
Systematische Vernaderung ist da betrieben worden. Nicht nur im ORF, auch in anderen Bereichen, wie der Polizei. Damals haben Haider und Co über ihre Leute im Polizeiapparat und die Gewerkschaft AUF Einsicht genommen in Ekis-Daten (Elektronisches Kriminalpolizeiliches Informationssystem), um sich ihre Kandidaten abzuchecken. Die haben geschaut, ob nicht jemand schon eine Vorstrafe hat. Es muss nicht sein, ob das heute so funktioniert, aber was den ORF betrifft, da habe ich größte Bedenken, dass da schon längst wieder was im Laufen ist. Ein paar werden sich etwas von ihren Zuträgerdiensten erhoffen.

Die FPÖ hat aus der Vergangenheit gelernt

Während ÖVP und FPÖ selbst diesmal bei den Koalitionsverhandlungen unglaublich gut dichtgehalten haben. Nichts ist durchgesickert und es wird ja sicherlich Streit gegeben haben.
Karl Öllinger: Das war in der Vergangenheit immer ÖVP-Position gewesen. Das haben sie uns auch, als wir Regierungsverhandlungen mit ihnen geführt haben, eingetrichert, nur ja nichts nach außen dringen lassen. Der Unterschied war, bei uns sollte alles innerhalb einer Woche abgeschlossen werden, und das hat jetzt doch mit der FPÖ erheblich länger gedauert.
Dass es so funktioniert hat, schreibe ich auch dem zu, dass die FPÖ aus der Vergangenheit gelernt hat. Sie sind was ihr eigenes Personal betrifft, anders als der Haider, viel vorsichtiger. Mit Ausnahme von Karin Kneissl gibt es keine Quereinsteiger. Und die Kneissl haben sie in den letzten zwei Jahren durch Burschenschaftlerlokale geführt. Die wurde systematisch beschnuppert. Die hat bei den Burschis referieren dürfen oder müssen und dann hat man mal die Gelegenheit gehabt zu schauen: Hat die unseren Stallgeruch oder kann sie den annehmen? Ansonsten aber nur Personal, das Stammpersonal ist. Es gibt nicht mehr die Haidersche Masche, für Bewegung im Umfeld zu sorgen. Der HC Strache setzt auf seine bewährte Mannschaft.
Das heißt die Regierung wird jetzt länger halten?
Karl Öllinger: Es kann so sein. Das hängt ja auch vom Widerstand ab. Die SPÖ wird zwei, drei Jahre brauchen, bis sie wieder auf Oppositionsschiene ist. Das ist nicht nur die Frage des Christian Kerns. 2000 haben sie lange gebraucht, bis sie kapiert haben, dass sie weg sind. Das war damals die große Leistung von Alfred Gusenbauer, die zwar zu Verwerfungen geführt hat, aber ob das der Kern schafft, da bin ich skeptisch. Nicht weil ich ihn nicht schätze, aber was die Führung einer Partei betrifft, da muss er noch einiges lernen.
In seinen engsten Mitarbeiterstab rund um die Wahlen hat er sich Leute von den NEOs und abtrünnige ÖVPler reingeholt, die nachher alles an die ÖVP verpfiffen haben. Naja. Letztlich wird die Liste Pilz nicht die Opposition darstellen können und die NEOs sowieso nicht.
Die NEOs drängen einzig aufs Tempo.
Karl Öllinger: Ja, sehr richtig. Wer soll die Opposition in den nächsten Jahren machen? Das wird bedeuten, es muss viel von außen kommen müssen. Es wird heißen, die Gewerkschaften werden sich anstrengen müssen oder sie werden untergehen. Die glauben immer noch, es ließe sich ein Arrangement finden. Ich hoffe sie merken, dass dies aussichtslos ist, mit dem was die Regierung mit Lohndrücken und so weiter vorhat. Es wäre eine Hoffnung, dass die Gewerkschaften aufwachen, aber überzeugt bin ich davon nicht. Die Grünen, die sehe ich noch überhaupt nicht. Es wird eindeutig politische Neuformierungen geben müssen.

Es herrscht ein dichotomes Denken vor

Darf man die Hoffnung haben, dass im Tagesgeschäft bei der neuen Bundesregierung die Verwerfungslinien aufbrechen werden? Sie haben ja schließlich kein Projekt angeleiert, das ihnen viel begeisterte Resonanz bringen wird.
Karl Öllinger: Der Duktus ist, wir müssen das machen, damit wir die Ausländer weiterhin finanzieren können. Tut uns leid, aber die Ausländer, das kostet alles so viel und wir müssen da jetzt überall einsparen. Wie lange das geht, wie lange die Leute sich so etwas sagen lassen und wie lange man mit Symbolprojekten wie Rückkehr zur Ziffernnote in der Volksschule und Aufhebung des Rauchverbotes unterhalten kann, das weiß ich nicht.
Breitspurschienen nach Moskau legen.
Karl Öllinger: (lacht) Na, das wäre ja noch ein Projekt. Dann gibt es noch die Sache mit der direkten Demokratie. Bei der Debatte über die Aufhebung des Rauchverbotes kontert die SPÖ, indem sie zu dieser Frage als erstes eine Volksabstimmung machen wollte. Das ist eine Doppelmühle für die FPÖ. Die gewinnen, wenn sie es schaffen, das Rauchverbot aufzuheben, und sie gewinnen, weil es überhaupt zur Volksabstimmung kommt und diese damit etabliert wird, selbst wenn diese erste nicht im Sinn der FPÖ ausgeht. Das war kein genialer Streich der SPÖ.
Die letzte Nationalratswahl hat gezeigt, dass in Österreich eine rechtsautoritäre Mehrheit von fast 60 Prozent der Bevölkerung konstatiert werden muss. Welche Volksabstimmung soll da, bei geschickt gestellter Frage, verloren gehen?
Karl Öllinger: Ja leider auch das. Da ist ein weiterer Aspekt, diese starke Zunahme von autoritären Haltungen und deren Unterstützung von autoritären Strukturen und Personen, weil die Entscheidungen bringen. Da meine ich, dass hat sich die österreichische Politik in den letzten Jahren selbst zuzuschreiben.
Erstens dieses dichotome Denken, das immer gepflegt wurde: Regierung gegen Opposition. Da ist kein Dialog oder ein Eingehen von Ideen, egal von wem - von mir aus auch von der FPÖ - zugelassen worden. Regierung ist gut und Opposition ist schlecht. Das geht bis in die Zeitungsredaktionen. Wenn man einem Redakteur sagt, das was die SPÖ da mache sei zwar nicht gut, aber... da schläft dem Redakteur schon das Gesicht ein und er fragt: "Sind sie dafür oder dagegen?" Ja oder nein. Daumen rauf, Daumen runter.
Das zweite ist, dass das Parlament sich selbst überflüssig macht bis hin jetzt zur Entscheidung, dass eine Parlamentspräsidentin sagt, ich werde doch lieber Landwirtschaftsministerin. Bist du deppart! In der deutschen parlamentarischen Kultur wäre das in der Form, glaube ich, nicht vorstellbar, aber vielleicht überhöhe ich da etwas.
Mit der schlechten Wertigkeit, die das österreichische Parlament hat, das sich keine Zeit nimmt, sich zu beraten, zu entscheiden, zu diskutieren, sondern nur durchwinkt, damit macht sich der Parlamentarismus überflüssig. Der schlecht gepflegte Parlamentarismus und die spezifisch dichotome Kultur scheinen mir schon anders als in Deutschland zu sein.
Den Talkquatsch in Deutschland, den kann man leicht für Scheiße halten, aber dieses Miteinander-Redenkönnen und klare Argumente vorbringen, das ist gut. Bei uns gibt es nur dieses Verschwurbelte und das ist katastrophal. In so einer Kultur setzt sich ein Denken durch das sagt, "der macht wenigstens etwas". So wie beim Sebastian Kurz. Der ist ein Entscheider, der zieht das jetzt durch. (lacht) Jemand der sich alles von der Industriellenvereinigung vorschreiben lässt, gilt dann als ein Entscheider.
Und jung ist er.
Karl Öllinger: (lacht) Das kommt noch dazu! - Es ist jetzt viel zu tun.
Wie steht es mit internationaler Vernetzung bei "Stoppt die Rechten", beispielsweise mit LICRA, ist da etwas angedacht?
Karl Öllinger: Ja die Kooperationen gibt es. Es gab einige wunderbare Geschichten, zum Niederknien. Ich habe einen Artikel über einen deutschen Mitarbeiter der FPÖ verfasst und habe einen Fehler gemacht. Ich hatte etwas ungenau geschrieben, nur ein einziges Wort. Und genau an dem Punkt ging die FPÖ dann her und hat geklagt. Mir wurde nach genauem Hinsehen klar, das kann ich tatsächlich nicht beweisen. Dann habe ich mir die Quelle angeschaut und die hatten dieses eine Wort nicht verwendet, sondern ich hatte es falsch dazugeschrieben. Also wäre alles an mir gelegen.
Daraufhin habe ich einen Rundruf gestartet bei deutschen Initiativen und die meisten sagen, der Herr sagt uns nichts und dann kam wirklich von einem Antifa-Archivar aus Nordrhein-Westfalen die Nachricht: "Beruhige dich, ich habe da ein schönes Dokument für dich." Der werte Herr hatte bestritten jemals bei der jungen Landsmannschaft Ostdeutschland JLO gewesen zu sein. Er hat bestritten, mit der Dresdner Nazi-Demo etwas zu tun gehabt zu haben, die immer im Februar stattfindet wegen der alliierten Bombardierung. Ein großer Aufmarsch und die JLO hat diese Demo organisiert. Eine Mitgliedschaft hatte er also bestritten und genau das Dokument hatte die Antifa.
In Deutschland ist es offenbar üblich, dass die Vereine in ein zentrales Archiv auch Sitzungsprotokolle einspeisen und die braven JLOler haben das gemacht und damit war belegt, der Herr war ein Vorstandsmitglied. Mir gegenüber hat er es bestritten, weil er nicht dachte, dass wir zu dem Dokument kommen.
Archive sind wichtig.
Karl Öllinger: Enorm! Solche Sachen sind gut, bei denen man dann merkt, das funktioniert. Ich bemerke dass, abgesehen von "Blick nach Rechts", "Endstation Rechts" und der "Amadeo Antonio Stiftung", diese Arbeit außerhalb der professionellen Strukturen auch in Deutschland stark zurückgeht. Vielleicht trügt der Eindruck, aber es könnte besser sein.
In Österreich haben wir das "Dokumentationsarchiv für den Widerstand", mit dem wir sehr eng kooperieren. Und ich hoffe auch, dass es gelingt nach Deutschland Kontakte zu pflegen. Oder auch nach Schweden, zur dortigen "Expo-Stiftung", da wäre Kontakt manchmal nötig gewesen, aber die rühren sich leider überhaupt nicht. Sehr enttäuschend. Da hat es in der Vergangenheit die Schwedendemokraten gegeben, die eine gemeinsame Vergangenheit mit der FPÖ hatten.

Dirty Campaigning und falsche Bilder

Zum Abschluss noch eine Frage: Eine gewisse Erzählung ist teuflisch gut in Österreich verankert, jene vom legendären muslimischen Familienvater, der der Grundschullehrerin nicht die Hand geben will. Ohne hier mit einem Wort in Frage zu stellen, dass es widerliche Patriarchen gibt, fällt in diesem Zusammenhang auf, wie eng diese Geschichte an die sogenannte "Naivität der Grünen" gebunden ist. Die würden nämlich nicht kapieren, wie gefährlich diese Männer seien. Dank solcher Geschichten beginnen viele, sich vor dem Islam zu fürchten und niemand mehr vor der ungleich wahrscheinlicheren Machtergreifung durch rechtsradikale Kräfte.
Karl Öllinger: (lacht) Offensichtlich ist das eine viel realere Gefahr. Tja, das ist ganz schwer für die Grünen. Das hängt ein wenig mit dieser dichotomen Struktur im Denken und Handeln zusammen. Wenn so massiert Angriffe kommen oder gewisse Positionen vertreten werden, wie der Islam ist dieses oder jenes, dann kann man nur dagegen halten, weil für Differenzierung kein Raum da ist und auch keiner mehr geboten wird.
Natürlich haben wir immer mal wieder versucht zu diskutieren, intern und auch schon vor vielen Jahren, was sind denn für uns Grüne bei der Integration an den Schulen die wichtigen Punkte. Das war nie das Kopftuch, aber schon gemeinsamer Schwimmunterricht und die Koedukation, an der nichts vorbeiführen darf. Das sind Werte, die man pflegen und leben sollte. Hier ist es egal, wen es betrifft, denn es ist ja eine Verlogenheit, dass dies nur den Islam betreffen würde.
Als ich in Wien anfing politisch aktiv zu werden, war ich es zunächst im zweiten Bezirk. Es gab hervorragende jüdische Schulen und es gab diese eine, sehr orthodoxe, die als Handelsschule für Mädchen mit 15 oder 16 das Ende der Ausbildung bedeutet hat. Die Mädchen durften uns Besucher nicht berühren und nie in die Augen schauen. Wir kennen ähnliche Phänomene aus der Vergangenheit auch aus christlichen, sektenartigen Gruppierungen in oder rund um die großen Kirchen. Es ist aber leider nie der Raum, um dies sichtbar zu machen.
Wir haben schon unter vielen Schmerzen ein wirklich differenziertes Zuwanderungsmodell erarbeitet. Zuwanderung anders zu steuern und nicht nur den Rahm von der Suppe abschöpfen. Also nicht dieses, nur die besten dürfen herein, die zwanzig Test machen und von den Firmen gebraucht werden. Seit zwanzig Jahren gibt es diese Konzepte, es interessiert niemanden, auch die Medien nicht. Programmatiken werden kaum wahrgenommen. Es zählt nur, wer mit wem und wie oft.
Wenn sich diese politische Kultur nicht ändert, dann haben Gruppierungen wie die Grünen kaum Chancen. Natürlich muss man sich fragen, ob man bestimmten Sachen zu lange zugeschaut hat und sich nicht genügend dagegen gewehrt hat.
Dazu fällt mir noch ein sehr gutes Beispiel ein. Das Dirty Campaigning ist nicht eine Erfindung der letzten Jahre, sondern das hat es gerade von der ÖVP schon vor gut einem Jahrzehnt sehr massiv den Grünen gegenüber gegeben. Die Grünen haben völlig inadäquat reagiert und haben gesagt: "Vergesst es, das ist so doof, da fällt doch niemand drauf rein." Das Ergebnis war bei der Wahl 2002, dass wir am Land bei den kleinen Gemeinden überall abgestunken haben. In den Städten haben wir leicht dazugewonnen. In den Gemeinden und den Vereinen, in denen die Geschichten kursiert sind, da haben wir nicht gegensteuern können und uns nicht gewehrt. Es gab eine Undercover-Kampagne, die schon seit langem rennt, die Grünen seien eine Kinderfickerpartei.
Wie bitte?
Karl Öllinger: Daniel Cohn-Bendit war hier immer die Einstiegsdroge. Unzählige Male bin ich das gefragt worden und irgendwann habe ich mich gewehrt und gesagt, wer noch mal so eine Frage stellt, den zeige ich an. Dann war zwar Sendepause, aber an anderer Stelle und anderem Ort ging es weiter. Natürlich kann man niemanden wegen einer Frage anzeigen, aber die war immer verbunden mit den entsprechenden Bildern.
Ich habe den Grünen vorgeschlagen, etwas zu machen, denn es gab unerträgliche Bilder Eva Glawischnig betreffend. Die Eva hat dann später geklagt. Eigenartigerweise war das immer gegen die Frauen bei den Grünen. Das ist sehr massiv und lange Zeit gelaufen. Sowohl auf der Ebene Undercover und Dirty Campaigning als auch auf der Oberflächenebene mit der "Gutmenschengeschichte" oder die "Verbotspartei" ist da viel gelaufen, und diese Bilder aufzudröseln und sich dagegen zu wehren, das haben die Grünen kaum verstanden. Da glaube ich schon, dass die Grünen sich ungeschickt verhalten haben.
Es gab Werbebilder dazu, die Grünen waren mit weißer Weste und weißen Handschuhen abgebildet. Ich habe das nie für sonderlich geschickt gehalten. Nicht weil es nicht gestimmt hätte, nur die weiße Weste ist den Leuten vollkommen wurscht. Sonst hätten weder Berlusconi noch Karl-Heinz Grasser es so weit gebracht. Nun soll man sich nicht so aufführen wie die, nur man muss dahinter kommen, was die Menschen dazu bringt, dass sie einem Kriminellen oder einem Strizzi eher vertrauen als jemandem, der sagt, er habe mit all dem nichts zu tun. Eine spannende und nicht leicht zu beantwortende Frage, wenn wir quer durch Europa sehen, wie die Milliardäre mittlerweile den Kontinent unter sich aufteilen. Und fast alle haben Dreck am Stecken.
Wie wird man denn auch sonst so reich?
Karl Öllinger: Ganz richtig.
Müsste Alexander Van der Bellen jetzt mehr machen? War sein Verhalten ein wenig zu lauwarm?
Karl Öllinger: Das traue ich mich jetzt nicht so zu beurteilen, weil es sicher schwierig ist. Er hat den Akzent aber falsch gesetzt. Er hat gewisse Personen nicht haben wollen, und er hat gesagt, Justiz und Innenministerium sollen nicht in eine Partei. Das war falsch meiner Ansicht nach. Innen und Verteidigung ist viel schlimmer wegen der Geheimdienste. Wahrscheinlich hätte sich die FPÖ nicht getraut, einen Hardliner wie den Dieter Böhmdorfer in das Justizministerium zu bringen. Davon hätte man sie abbringen können.
Natürlich kann nicht ad Infinitum weiter verhindert werden, das ist ja klar. Dass er heute das gute Arbeitsverhältnis betont hat, das ist mir dann schon zu weit gegangen. Und dass er dabei so richtig "happy Peppi" gespielt haben muss, das geht nicht. Er muss nicht die Leichenbittermine des Bundespräsidenten Thomas Klestil von 2000 wiederholen - keine Frage, aber ihnen ans Herz zu legen, sie sollen sich für die Ärmsten einsetzen, das ging zu weit.
Er kennt sicher das Programm und das glaubt er ja selber nicht. Dass er die Regierung nicht verhindern kann und personell nur bedingt Einspruch erheben kann, das war alles klar. Aber die lustige Partie und dieses "wir pflegen das beste Einvernehmen", nur weil der Kurz so treuherzig schauen kann…
Das Hunderl hat er gestreichelt. Die Kita vom Bundespräsidenten.
Karl Öllinger: Ja, das auch noch. Allein die Bilder, die damit erzeugt werden. Ich würde mich gegen diese Bilder verwehren.
Einen Hund besorgen, der zubeißt?
Karl Öllinger: (lacht) Das ginge auch, aber dann hätten wir wieder ein Opfer. Das wollen wir nicht, soll er dem Kanzler tüchtig übers Gesicht schlecken der Hund. Das hätte schon gepasst, aber nicht solche Bilder. Die Ikonografie von Menschen und Hunden ist - ich weiß nicht.
Der Hund hätte schon nicht aufs Bundespräsidenten-Wahlplakat gedurft.
Karl Öllinger: Ja, ganz richtig.
Vielen Dank für dieses Gespräch!

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