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Die Revolution wäre twitterisiert gewesen

Grafik: TP

Nicht erst seit DSGVO und Artikel 13 / 17 strauchelt das Internet zwischen Kommunikations-Utopie, Transparenz-Versprechen und mehr oder minder offener Reglementierung und Manipulation

Der augenblickliche Zustand ist nahe an einer Revolution, die ihre Kinder frisst: Die Öffnung der Öffentlichkeit hin zu allen Nicht-Autoren und Nicht-Journalisten ruft seit einigen Jahren die erneuerte Forderung nach Regulierungen auf den Plan. Doch ist sie derzeit (noch) nicht (vollumfänglich) umsetzbar: keine Ent-Anonymisierung, keine Netzsperren gegen ausländische Server, installiert in anderen Rechtsräumen.

In diesem permanent umstrukturierten und von Teileinstürzen gefährdeten Gebäude kann man noch weitere Ebenen, auch versteckte Kontroll-Instanzen sehen. Diskussionen über Big Data betreffen nicht zuletzt globale Überwachung. Weniger sichtbar, aber vielfach vorhanden sind die - nicht zuletzt mündlich im Privaten geäußerten - Mutmaßungen darüber, inwiefern Plattformen wie Facebook oder YouTube heimlicher Kontrolle unterlägen, einer Manipulation zu Ungunsten politisch oder kommerziell unerwünschter Inhalte.

Nach Buchdruck, Alphabetisierung und Demokratisierung entscheidet sich im Internet in einem noch größeren internationalen Maßstab, wie sich Partizipation und Medienmacht neu sortieren. Zur Lagebeschreibung macht es Sinn, sich einige der dafür relevanten Spielorte noch einmal unter bestimmten Kriterien anzusehen.

Potenziale symbolischer Subversion

Das Grundprinzip des Hypertextes scheint in Teilen Medien-Utopien einzulösen, die einerseits auf ein möglichst großes Ganzes zielen und dies als Prinzip der gerätetechnischen und symbolischen Vernetzung implementieren. Autoren wie Teilhard de Chardin und Marshall McLuhan gaben um 1950-60 dafür Begriffe vor, wie Burkhard Schröder in einem Telepolis-Beitrag [1] zeigt:

Das globale Dorf wird Realität - und das Verhalten der Menschen bleibt ebenso dörflich, obwohl ihr Geist digital vernetzt ist und sie potenziell über alle Informationen verfügen. (Burkhard Schröder)

Auf der inhaltlichen Ebene sind es am häufigsten jene Schriftzeichen, die als eindeutige Verkettung vermittelbar sind an andere exakte Adressen von Datenspeichern. Neben dem Hyperlink ist das allgegenwärtige, aber gerade in Deutschland weniger genutzte Instrument der #Hashtag im Nachrichten-Format von Twitter (wobei auch Facebook Einträge via #Hashtag zu verbinden erlaubt - bis hin zu den freigeschalteten Freunden der Freunde, die darauf klicken mögen).

Im einzelnen Textarchiv sind es neben allen anwendbaren Suchbegriffen dann noch die traditionellen Verschlagwortungen in Kategorien und Tags, die bestimmte Ankerpunkte hervorheben und gegenseitig besser erreichbar machen.

Diese durch einzelne Nutzer zu setzenden Markierungen und Verweise wären es, die eigentlich eine basisdemokratische Umstrukturierung alles öffentlich Kommunizierten erlaubten. - Dagegen steht jedoch in der Praxis, dass entweder die Dienste etwa in Deutschland (im Fall von Twitter) schwächer nachgefragt werden, die darauf verstärkt basieren; oder dass das Mittel des #Hashtagging auf Facebook kaum genutzt wird.

Twitter und andere Plattformen, die Hashtags erlauben, geben ihren Nutzern prinzipiell die Möglichkeit, andere redaktionelle Schwerpunkte zu setzen in allem, was sprachlich benannt wird. Dies dürfte am sichtbarsten sein in sog. Shitstorms, die sich in Hashtags wie #Aufschrei oder #MeToo entladen. Ansonsten kann man einstweilen befinden, dass die stärkste Nutzanwendung von strukturellen Vorteilen des Datennetzes gegenüber bedrucktem Papier durch professionelle Agenturen eintritt, die Monitoring betreiben.

Instrumente von Letzterem sind komplizierter zu handhaben. Ein Google Alert erbringt nicht alle vorhandenen Internet-Neuerungen. Automatisierungen mit RSS-Feeds und Suchwort-Filtern, zumal in Gratis-Services, versagen schnell einmal den Dienst oder werden durch Aktualisierungen plötzlich unzugänglich, potenziell ohne Ersatz. Der Umgang mit Datenbanken und deren Abruf-Formularen für Online-Quellen ist wenig intuitiv und erfordert ebf. kontinuierliche technische Pflege für sich ändernde Adressen und verknüpfte Programm-Routinen.

Und es gibt noch einen weiteren wesentlichen Faktor, der die einmal als realisierbar erscheinende Kommunikations-Utopie deutlich einschränkt.

Die Crux algorithmischer Filterungen

Es ist an erster Stelle der Spam-Filter, der eine massenbasierte direkte Teilhabe an Kommunikationen wiederum ausschließt. Er bevorteilt bestimmte Spieler, die immer noch allermeistens über etablierte Kanäle an ein Massenpublikum ausgespielt werden, um anschließend im Internet die meisten "Follower" zu haben. Ausnahmen werden sicherlich kontinuierlich zahlreicher und spielen sich wiederum fast ausschließlich in Teil-Öffentlichkeiten auf Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram ab. Sperrungen führen einige Publizisten dann noch auf Alternativ-Plattformen wie das russische VK.com, das Video-Netzwerk Bitchute oder den Instant-Messaging-Dienst Telegram.

Während bei Letzteren in letzter Konsequenz bisher meist nur noch ein Teil eines Nischenprogramms Fortsetzung findet, werden auf den aktuell deutlich größeren Plattformen Algorithmen aktiv, um zu starke Häufungen identischer Inhalte zu filtern. Dabei kommen jedoch auch noch quantitative Aspekte zur Anwendung. Auf Twitter einen beliebigen Tweet mit Suchwort oder Hashtag unmittelbar nach seiner Publikation zu finden, wird von Suchfunktionen der Plattform selbst mindestens auf die zweite Ebene der Nutzung verlegt. Sie ist zunächst noch einfach zu erreichen - aber ein Schritt hin zu aktiver Mediennutzung, den viele Konsumenten aus jahrzehntelangen Gewohnheiten heraus nur schleppend einmal zu gehen beginnen.

Studien zu Nutzergewohnheiten zeigen als Gewissheit, dass jeder zusätzlich notwendige aktive Schritt des Nutzers den Produzenten Sichtbarkeit kostet: auf Twitter über die Eingabe in eine Suche hinaus dann noch zu dem Reiter "Neueste", um nicht nur die als "Top" empfohlenen zu sehen. Als diese "Neuesten" dann schon deutlich mehr Doppelte - aber längst nicht alles, was irgendwo auf Twitter erscheint. Hierfür sind Tools wie Hootsuite geeigneter (das gratis eine beliebige Zahl von Channel-Streams und Suchlisten ermöglicht). Es erfordert ein weiteres Login, das viele normale Nutzer im Umgang mit einem Internet-fähigen Rechner vermeiden, und den Umgang mit einer relativ nüchternen, höchstens klein bebilderten Oberfläche.

Vergleichbares gilt weitgehend für die schlichte Anfrage bei Suchmaschinen, die das Netz weitreichend durchforsten, aber ebf. algorithmisch auswählen und hierarchisieren. Eine Platzierung von Ergebnisseite 2 abwärts bedeutet bekanntermaßen statistisch fast schon Unsichtbarkeit.

In der Anwendung wie den Inhalten aber müssen Angebote "niedrigschwelliger" sein, um bisher irgendeine kritische Masse zu erreichen. Über den derzeit mächtigsten Aggregator, die nach individuellen Kriterien zusammengestellte, nach unten hin endlose Startseite von Facebook, wird bekanntlich viel gestritten hinsichtlich der algorithmisch priorisierten Inhalte und der Vermischung mit Werblichem.

Selbstverstärkung durch die Gewohnheit der Vielen

Man mag vieles erwägen oder mutmaßen zu verdeckten Kontroll-Mechanismen etwelcher Plattformen. Was sie als einziges Selbstbild bestätigen, wirft eigene soziologische Fragen danach auf, wie in sog. sozialen Medien ein Zusammenspiel von möglichst Vielen zu etwas führt, das mehr Selbstverantwortlichkeit und demokratisch fundierte Partizipation bedeutete.

Hier ist nicht der Ort, über die weitläufigen sozialen Sub-Strukturen zu räsonnieren, die dennoch keinesfalls aus der Betrachtung ausgeschlossen bleiben können: Was sollten praktisch Medieninhalte bewirken, die freiwillig bisher nur eingeschränkt von Publika angenommen werden, wenn sie z. B. einzelne Vorgänge in der EU-Zentrale Brüssel betreffen? Bis auf wenige Skandalfälle vollzieht sich eine dortige Politik noch mehr unter Ausschluss einer eigentlich umso größeren internationalen Öffentlichkeit. Experto- und Lobbykratie sind die kritischen Leitbegriffe dafür.

Wo öffentliche Äußerungen getätigt werden, müssen sie einerseits von Vielen aufgegriffen und z. B. retweetet und geteilt werden. Wird der Einzelne aber nicht gefunden, wenn er sich zu etwas äußert, was (fast) niemand sucht, trägt er andererseits teilweise durch sein Teilen zu einer Inflation der eigenen Äußerung bei, die abermals zu seinem eigenen individuellen Verschwinden führt: Der Algorithmus der Plattformen blendet wg. redundanter Information aus oder sortiert zumindest ganz weit nach unten im Findbaren. Tatsächlich verschwindet ein Spam-Kriterien erfüllender Tweet schon heute weitgehend auch unter den pauschal als "Neueste" bezeichneten Suchergebnissen. Es sind nur ausgewählte Neueste.

Die Teilhabe des Einzelnen dürfte dabei einstweilen v. a. sein, auf hoch gerankte Inhalte unterstützend zu wirken. Insofern ist es ein Abstimm-Mechanismus, der mit dem Lockmittel allseitig zugänglicher Selbst-Präsentation gefördert wird - oder auch nur werden soll, wenn dennoch ein nicht geringer Anteil der fast vollzähligen Internet-Nutzer "soziale Medien", also betreffende Plattformen, gar nicht nutzt. Dies soll laut neuerer Umfragen noch ein Viertel der deutschen Internet-Besucher sein.

Weitere Fragen führen schnell zu Image-relevanten Aspekten der Netzwerk-Nutzung. Hier wäre man zudem auf dem relativ unwägbaren Terrain einer objektivierenden Bewertung dessen, was eine selbstbestimmte Mediennutzung denn sein sollte. Die bestehende aktive Nutzung orientiert sich am direkten menschlichen Kontakt, baut innerhalb der begrenzten Lebenszeit nur für professionelle Projekte größere aktive Netzwerke auf. Und diese sind dann immer noch längst nicht praktisch ebenbürtig mit jenen Medien-Redaktionen, die in extremer Arbeitsteilung permanent digitale Paletten befüllen, die auf einer wachsenden Zahl von Wegen ihre Adressaten erreichen. Sie bestimmen neben der rein privaten Statusmeldung wesentlich das Geschehen in sozialen Netzwerken als geteilter Inhalt. Es ist darin eine Zeitung (kuratiert aus mehreren, aber oft den gleichen Quellen) in einem anderen Layout mit Teil- und Kommentar-Funktionen.

Hier aus einem Korridor von allgemein zugänglichen Nutzungsdaten und der persönlichen Erfahrung heraus allgemein auszusprechen: Das populäre Internet ist nur in Schnittmengen und Randbereichen etwas genuin Anderes als das vorherige Medien-Konzert. Erhöhte Bereitschaft zur eigenen Äußerung und Vernetzung erfordert wohl in den meisten Fällen eine Art von Leidensdruck (eigener, öffentlich sonst wenig präsenter Erfahrungen und des Ausschlusses von anderen sozialen Beziehungen oder Arbeitsanforderungen).

Trägheit der Nutzer-Gewohnheiten

Die Umorientierung auf neue Informationsquellen im Internet bedeutet für Einzelne die Nutzung bestimmter Tools wie RSS-Feeds einer Vielzahl einzelner Websites, die Wahrnehmung von Newslettern und die Verwendung etwa der Abonnement-Funktion auf YouTube. Vor Letzterer scheuen sich manche aus Datenschutz-Gründen - und entziehen sich ggf. vollkommen einem selbst organisierten Programm-Bukett, das doch möglich wäre.

Die Informationsfülle ist derart groß geworden - da man zumindest englischsprachige Angebote hinzunehmen kann und muss -, dass ein professioneller Internet-Leser und -Gucker wahlweise stundenlang Ergebnislisten durchscrollen kann, die sich täglich erneuern, statt auch nur ein einziges Video von 5-10 Min. oder einen kürzeren Artikel zu lesen.

Davor bewahrt nur die selbstgewählte Beschränkung: Man weiß, dass es noch anderes gibt, aber schaut kaum einmal hin. Der quantitative Vorsprung der Anlaufstellen von Tageszeitungen und Wochen-Magazinen der großen Medienhäuser ist nach wie vor immens. Die Zersplitterung insgesamt wachsender neuer Diskurs-Gebiete ist derzeit wohl allenfalls in internen Auswertungen der Plattformen deutlich sichtbar. Sie haben noch nicht so viele Teilnehmer wie die etablierten Bereiche. Sie haben eigene Leser- und Anhängerschaften - Abonnenten, Empfänger von Link-Empfehlungen durch das persönliche Umfeld, in der Masse am meisten über Facebook-, Whatsapp- oder Snapchat-Botschaften vernetzter Individuen.

Alleine Facebook und YouTube ist es bisher gelungen, hierbei ausreichend Masse zu machen - Inhalte Produzierender und Teilender, dabei einen Teil gebührenfinanzierte mit austragend.

Stigmatisierung und Löschung im Politischen

Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Konsequenzen der größte Streit über neu entstehende Medien-Öffentlichkeiten haben wird: jener über "Populismus", Hate Speech und sog. Verschwörungstheorien, die ihren Anhängern Anlass für Distanzierungen von bisher relativ allgemeinverbindlichen Standards sind.

Sie sind schließlich eine offizielle Richtschnur dafür, Inhalte etwa auf Facebook und Twitter nach bestimmten Merkmalen zu filtern und - teils unter Mitwirkung von anderen Nutzern und Administratoren in Gruppen - zu löschen. Neben nach intransparenten Kriterien ausgewählten bezahlten Lösch-Komitees arbeiten freilich Etablierte an der Verteidigung ihrer Pfründe, indem sie ihre Konkurrenz im Netz so weit wie möglich in Misskredit bringen.

Bleiben im eigenen Verhalten vielerlei moralische und medienethische Fragwürdigkeiten (bis hin zu den Gebühren für den eigenen Lebensunterhalt), setzt man Normalbürger maximal unter Druck, möglichst wenig im Netz zu teilen, was nicht aus den großen Medienhäusern kommt. Ob Kriegshetze oder Kumpanei mit Industrien oder religiösen Vereinigungen, die ein Pädophilie-Problem haben - erlaubt ist in diesem Mainstream nur, was Medienkonzerne und öffentlich-rechtliche Anstalten für anständig und politisch opportun halten. Den Rest erledigen (nicht nur selbst-)ernannte Gesinnungswächter und Nachplapperer, über die kaum schon ausreichend nachgedacht wäre.

Es ist schwierig, zu allem hier Gesagten allgemeine Befunde zu Veränderungen des Politischen abzuleiten. Eine erste größere Welle in Europa, die scheinbar von außerhalb der Mainstream-Medien stammt, sind die französischen Gelbwesten. Anderswo ist Netz-Aktivismus nicht in diesem Maße in eine Praxis des dreidimensionalen sozialen Raums überführt worden (oder flaute als Piraten-Partei nach wenigen Jahren vorerst ab).

Die Politisierung durch soziale Netzwerke und Internet-basierte Öffentlichkeiten befindet sich also in einem Zustand der erhöhten Diversifizierung und Prekarität. Alternative Archivinhalte können bei sensationsbasierter Aufmerksamkeit einiger Zehntausend Zuschauer schnell wieder abgeschaltet werden, Strafen werden in unterschiedlicher Nachvollziehbarkeit verhängt.

Man kann demgegenüber allenfalls popkulturelle Ansammlungen und Interaktionen der Fans von Internet-Prominenz und, wohl an erster Stelle, die äußerst rege betriebenen Computerspiele mit ihren Multiplayer-Varianten (virtuell und im selben Realraum) nennen. Ihre Nutzerzahlen sind weit jenseits dessen, was politische Parteien und Verbände sich derzeit von ihren menschlichen Gemeinschaften an Mitwirkung erhoffen können.

Interaktivität und Entpolitisierung

Einstweilen bleibt dadurch ein erneutes Vermerken von Entpolitisierung im klassischen Sinn. Essenzen der neuen Medien-Landschaften ist Sozialität in bestimmten Formaten von Kontakt und Austausch sowie das "Teilen" (digital ohne Abnutzung einer physischen Kopie). Dafür existieren neben Inhalten, die formal v. a. als Computerspiel über die Art bisheriger Medienformate hinausgehen, neuartige Tools für Gruppen-Vernetzung und individuelle Nachrichten-Übermittlung.

Ein Trend weg von primär politischen und wirklichkeitsbezogenen Darstellungen kann wohl nicht bestritten werden. Dies sieht man an den Quoten und Sendeplätzen bestimmter TV-Formate wie politischer Magazine. Geschichts-Darstellungen sind zwar keine bloße Nische, leiden aber offensichtlich unter einem Generationen-Bruch. Man kann es schlicht aus den mehrstündigen durchschnittlichen Nutzungsdauern - am meisten: der jungen Männer - von Computerspielen ersehen, dass in diesen Freizeiten jedenfalls nicht jene Medieninhalte Platz haben, die es in früheren Jahrzehnten taten. Ein TV-Sender wie das ZDF, das häufig mit Geschichts-Formaten aufwartet, hat deutlich überdurchschnittlich ältere Zuschauer. Ansonsten findet man solche Inhalte bei Sparten-Sendern vom Nachrichten- und Kulturkanal zum Pay-TV. Auf YouTube räumen bei tendenziell Jüngeren gänzlich andere Formate der Computerspiel-, Musik- und Blödel-Fraktion ab.

Eine hauptsächlich neo-hippieske Gemeinschaftsseligkeit ist am Internet ablesbar und setzt sich fort in einer Protestkultur wie "Fridays for Future". Als Multikulti-Ideal prägt sie mittlerweile größere Bereiche der visuellen Werbung oder ein auf YouTube 108 Mio. Mal geklicktes Musik-Video von Marshmello, betitelt schlicht: "Together". Der Macher entzog sich zunächst der Öffentlichkeit durch jenen weißen Plastik-Behälter, den er über seinem Kopf trägt und den nur ein schematischer Smiley als kleinster gemeinsamer Nenner visueller Kommunikation ziert.

Im Sinne einer Kritischen Theorie sind heute die Domänen eines solchen (Rest-)Politischen eher der privatistische Rückzug und die regressiven Gefilde des Spiels. In Letzteren ist ein serielles Abschlachten technoider Spielfiguren wie in "Fortnite" der bei Jüngeren offensichtlich größtmögliche Konsens als gemeinschaftliches Vergnügen. 2018 war dieses bei angeblich über 200 Mio. Spielern weltweit das beliebteste seiner Art.

Der Abschluss dieses Gedankengangs führt also zur nächsten Groß-Debatte, geradezu traditionell in der Computer-Domäne: jene über das Spiel als kulturelle Kompensation oder doch Simulation bevorstehender Ernstfälle?

Im Internet ist dies der Zwischenstand: Kollektives Pixel-Gemetzel ist unter den Kommenden die heute ultimative Form der Vergemeinschaftung gegenüber eher marginalen Diskursen, die ins praktisch Politische oder Weltanschauliche führten. Jene 200 Mio. Fortnite-Spieler, die zeitgleich Multikultur-Utopien "feiern" (so eines ihrer Lieblingsworte), widmen sich ansonsten virtuell liebend gern dem sog. "Battle-Royale-Genre", in dem schließlich nur einer überleben kann.

Über andere denkbare Auswirkungen digitaler Wühlarbeiten im Diskurs-Gestöber, langsam, aber stetig tropfender Tropfen ist damit ein letztes Wort nicht zu sprechen. Nicht einmal ist zu entscheiden, ob dies gut oder schlecht ist.


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