Die Roten Khmer und der Westen
Die Bombardierung Kambodschas durch die USA brachte den Roten Khmer viel Zulauf. Die Rolle des Westens bei den Katastrophen in Südostasien wird jedoch elegant ausgeblendet.
Die Entwicklung Kambodschas wurde stark geprägt durch die französische Kolonialzeit. Kambodscha war seit 1863 französisches Protektorat und zählte mit Vietnam und Laos zu Französisch-Indochina. Der kulturelle Einfluss Frankreichs auf seine südostasiatischen Kolonien war beachtlich und prägte auch die Entwicklung der nachkolonialen Zeit, bevor sie vom Wettstreit mit den USA und später China abgelöst wurde.
Im Jahre 1951 hatten die USA einen Entwicklungshilfe-Vertrag mit Kambodscha abgeschlossen, das zu diesem Zeitpunkt ein nominell unabhängiger Staat innerhalb der Französischen Union war. Norodom Sihanouk, der "Vater der kambodschanischen Nation" (FAZ), der erst 1953 mit der vollständigen Unabhängigkeit des Landes aus dem Exil zurückgekehrt war, erklärte 1955 die Neutralität Kambodschas im Vietnamkrieg, duldete aber die Anwesenheit kommunistischer Gruppen auf kambodschanischem Staatsgebiet.
Er kündigte im November 1963 den USAID-Vertrag und brach offensichtlich im Jahre 1965 die Beziehungen zu den USA ab, weil er sein Land aus den Wirren des Vietnamkriegs heraus halten wollte.
Henry Kissinger und die geheimen Bombardierungen Kambodschas
Unter dem Druck der USA änderte Sihanouk seine Politik im Jahre 1969 und gab die Duldung der Kommunisten auf. Nachdem Henry Kissinger im gleichen Jahr Nixons Sicherheitsberater wurde, überredete er den Präsidenten, den Krieg in Vietnam auf Kambodscha und Laos auszudehnen.
In der Folge wurde das vietnamesisch-kambodschanische Grenzgebiet mit B-52-Bombern angegriffen. Allein in Kambodscha kamen bei diesen Bombardierungen etwa 600.000 Menschen zu Tode. Die Bombardierungen wurden von Guam aus in der Zeit vom 18. März 1969 bis zum 26. Mai 1970 durchgeführt. Das Ziel war die Unterbindung der Truppentransporte des Vietcong und die Zerstörung feindlicher Stützpunkte auf kambodschanischem Staatsgebiet.
Die Bombardierungen wurden verdeckt durchgeführt und die entsprechenden Logbücher vernichtet und durch gefälschte ersetzt. Später wurde dies mit der Angst der US-Regierung begründet, dass die Bombardierungen außerhalb Vietnams den Widerstand der eigenen Bevölkerung befeuert hätte.
Zwar hatte Nixon in einem Brief an Prinz Sihanouk erklärt, dass er die Neutralität Kambodschas weiterhin schätze, sorgte jedoch schon im folgenden Jahr dafür, dass General Lon Nol gegen Sihanouk putschte. Im Oktober 1971 ließ Lon Nol die Nationalversammlung mit der Begründung auflösen, er wolle das Spiel der Demokratie nicht weiter verfolgen.
Die Bombardements konnten den Sieg Nordvietnams nicht verhindern, legten aber den Grundstein für die erfolgreichen Rekrutierungen der Roten Khmer bei der von den Bombardements betroffenen Landbevölkerung und die spätere kommunistische Machtübernahme.
Die Vorgeschichte Pol Pots und der Roten Khmer
Saloth Sar, der später unter dem Namen Pol Pot international auftrat, wurde 1925 oder 1928 in Prek Sbauv einem kleinen Fischerdorf am Sen, einem Zufluss des Tonle Sap im Nordosten Kambodschas geboren.
Der Tonle Sap zählt zum Flussregime des Mekong und ist über die Region hinaus dadurch bekannt, dass sich dort, je nach Wasserführung des Mekong, die Fließrichtung ändert.
Die Familie Saloth zählte zur vergleichsweise begüterten dörflichen Mittelschicht und verfügte über gute Kontakte zum Königshaus in Phnom Pen. Sars Bruder Saloth Chhay war als Journalist am Königshof bekannt und zwei seiner Schwestern sollen dort verkehrt haben. Ob als Tänzerinnen am Hof oder als Konkubinen ist nicht eindeutig belegt.
Mit sechs Jahren kam Saloth Sar in die Hauptstadt zu einem seiner Brüder, der im königlichen Palast beschäftigt war. Seine schulische Bildung begann im benachbarten buddhistischen Kloster. Nacheinander besuchte er in der Folge mehrere französisch-sprachige Schulen und ein katholisches Gymnasium.
Im Jahre 1946 soll er dem anti-französischen Widerstand der verbotenen Indochinese Communist Party beigetreten sein, die 1930 von Ho Chi Minh in Kowloon in der britischen Kronkolonie Hongkong gegründet worden war. Ab 1947 durfte Saloth Sar auf das elitäre Gymnasium ″Lycée Sisowath″, das auch Kinder des Königshauses besuchten. Er war aber auch dort wohl nicht sehr erfolgreich. Von keiner Schule ist ein Abschluss bekannt.
Dennoch erhielt er im Jahre 1949 ein Stipendium der Regierung, um in Paris Radiotechnik zu studieren. Auch hier wiederum ohne Abschluss begeisterte er sich offensichtlich für marxistische und sozialistische Literatur und fand Kontakt zu anderen kambodschanischen Studenten wie Ieng Sary, Khieu Samphan, Khieu Ponnary und Song Sen, die als Pariser Studentengruppe später die Führung der Khmer Rouge übernahmen.
In seiner Pariser Zeit war Saloth Sar wohl auch Mitglied der französischen KP (KPF) und engagierte sich dafür, den Verband der Khmer-Studenten zu einer links-nationalistischen Organisation zu entwickeln, welche die Regierung unter Sihanouk herausforderte.
Wende in Ost-Berlin
Inspiriert wurden die Studenten offensichtlich von den politischen Diskussionen im Paris der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie orientierten sich zusehends an den Ideen des Marxismus-Leninismus und Saloth Sar sowie Ieng Sary schlossen sich schon bald der Kommunistischen Partei Frankreichs an. Von beiden wird berichtet, dass sie 1951 an einem Jugendfestival in Ost-Berlin teilnahmen und dass dies sich als Wendepunkt ihrer ideologischen Entwicklung herauskristallisierte.
In Berlin trafen sie offensichtlich andere Kambodschaner, die gemeinsam mit dem Viet Minh kämpften. Den Besuchern aus Paris schien diese Situation zu unterwürfig gegenüber den Vietnamesen und so kamen sie zur Überzeugung, dass die Revolution in Kambodscha nur mit einer streng disziplinierten Parteiorganisation und der Bereitschaft zum militärischen Kampf gelingen konnte.
Zu den aus der Pariser Zeit aus Hand von Saloth Sar überlieferten Texten zählt die in der Studentenzeitschrift Khmer Nisut veröffentlichte Abhandlung "Monarchie oder Demokratie", in welcher er ausführt, dass die Monarchie nur eine widerwärtige Pustel sei, die vom Blut und Schweiß der ländlichen Bevölkerung lebe. Nur die Nationalversammlung und demokratische Rechte könne dem kambodschanischen Volk etwas Luft zum Atmen verschaffen.
Für Saloth Sar, der weniger durch wissenschaftliche Leistungen, als durch sein politisches Engagement in Erscheinung trat, endete die Studentenzeit in Paris im Jahre 1953, als sein Stipendium beendet wurde.
Pol Pot auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad
Er ging zurück nach Kambodscha und arbeitete für die Kampuchean People's Revolutionary Party (KPRP). Seinen Lebensunterhalt verdiente er in dieser Zeit als Lehrer für Geschichte und Geografie an einer Privatschule.
Er soll bei seinen Schülern beliebt gewesen sein. Es fällt auf, dass Saloth Sar, der in diesen Jahren den Namen Pol Pot angenommen haben muss, bei Menschen, die direkt mit ihm zu tun hatten, meist als freundlich und gesellig beschrieben wird. Im Jahre 1960 waren wohl alle Mitglieder der Pariser Studentengruppe nach Kambodscha zurückgekehrt und sie übernahmen die Führung der KPRP und gaben ihr den Namen ″Arbeiterpartei von Kampuchea″.
Pol Pot, der zuvor schon Mitglied des Zentralkomitees war, wurde 1963 zum Generalsekretär der Arbeiterpartei gewählt, nachdem sein Vorgänger auf mysteriöse Weise verschwunden war. Im Sommer des Jahres verließ die meisten Mitglieder des Zentralkomitees die Hauptstadt und gründeten im Nordosten des Landes, an der Grenze zu Vietnam, das ″Büro 100″.
Von dort aus reiste Pol Pot 1965 auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad nach Hanoi zu Verhandlungen mit den Nordvietnamesen, die ihn drängten, seine nationale Agenda zurückzustellen, bis die USA Vietnam verlassen hätten.
Wesentlich freundlicher wurde er im Folgejahr in China empfangen. Dort hatte kurz zuvor die Kulturrevolution begonnen und die Idee der dauernden Revolution schien auch Pol Pot zu inspirieren, der sich in der Folge von Vietnam löste und mehr nach China hin orientierte.
Khmer Rouge
Äußeres Zeichen dieser Veränderung war der erneute Namenswechsel der Partei, die sich nun "Kampuchean Communist Party" (KCP) nannte. In der Öffentlichkeit wurde sie als Khmer Rouge bekannt.
Ein weiteres Element, das Pol Pot und seine Politik offensichtlich prägte, war die Zeit, die er 1967 auf der Rückreise aus Nordvietnam bei einem Bergstamm im Nordosten Kambodschas verbrachte. Er war beeindruckt von ihrer einfachen Lebensweise, die für ihn die Verkörperung der kommunistischen Ideale darstellte.
Die politische Opposition in Kambodscha während des Vietnamkriegs
Im Laufe der 1960er-Jahre wuchs die politische Opposition in der Mittelklasse und aus dem Kreis der linken Gruppen wie der Kommunistischen Partei unter Führung der Pariser Studenten Son Sen, Ieng Sary und Saloth Sar. Dieser fand während seiner Pariser Zeit offensichtlich Gefallen an der französischen Literatur und an den Büchern von Karl Marx.
Ieng Sary (1930 – 2013) hatte wie Saloth Sar das Elite-Gymnasium Lycée Sisowath in Phnom Penh besucht, bevor er sein Studium am Institut d'Etudes Politiques in Paris begann. Khieu Samphan (geboren 1931) studierte Wirtschaft und Politologie in Paris und schrieb 1959 seine Dissertation mit dem Titel ″Kambodschas Wirtschaft und seine industrielle Entwicklung″.
Er wurde an der Pariser Universität ebenso erfolgreich promoviert wie Hou Yuon (1930 – 1975), der Wirtschaft und Jura studierte und eine Dissertation unter dem Titel ″Die kambodschanische Landbevölkerung und ihre Aussichten für eine Modernisierung″ schrieb. Son Sen (1930 – 1997) studierte Erziehungswissenschaften und Literatur. Hu Nim (1932 – 1977) studierte Jura und schloss sein Studium im Jahre1965 erfolgreich in Phnom Penh ab.
Bestgebildet: Die in Paris geprägte kambodschanischen Oppositionellen
Die Mitglieder der Pariser Gruppe zählten zur damaligen kambodschanischen Elite, die mit Stipendien der Regierung in Paris studieren konnten. Rückblickend gesehen zählte die Gruppe der Pariser Studenten zur wohl bestgebildeten Führungsgruppe asiatischer kommunistischer Parteien der damaligen Zeit.
Im Jahre 1952 sandten Saloth Sar, Hou Yuon, Ieng Sary und andere einen offenen Brief an Prinz Sihanouk und bezeichneten ihn als ″Würger der jungen Demokratie″. Als Konsequenz dieser Entwicklung schlossen die französischen Behörden die KSA im folgenden Jahr.
Als Antwort auf das Verbot durch die französischen Behörden beteiligten sich Hou Yuon und Khieu Samphan 1956 an der Gründung der marxistisch ausgerichteten Kambodschanischen Studenten Union.
In den 1950er-Jahren wurden in Paris ganz offensichtlich die Grundlagen für die spätere Entwicklung in Kambodscha gelegt.
Zu den wichtigsten Grundlagen der späteren Politik der Roten Khmer zählten offensichtlich die erwähnten Dissertationen von Hou Yuon und Khieu Samphan. In seiner Dissertation hatte Hou Yon die Vorstellung, dass Verstädterung und Industrialisierung Voraussetzungen für die Entwicklung eines Landes seien, infrage gestellt und den Bauern auf dem Land größere Bedeutung beigemessen.
Khieu Samphan betonte, dass die Wirtschaft Kambodschas sich selbstständig und unabhängig von den Industriestaaten entwickeln müsse. Er sah die Rückständigkeit der Dritten Welt in der wirtschaftlichen Dominanz der Industriestaaten begründet. Interessanterweise gab es in den Industriestaaten noch bis in die 1970er-Jahre die Vorstellung, dass die Länder Südostasien grundsätzlich nicht entwicklungsfähig seien.
1974 war der Einflussbereich Lon Nols weitestgehend auf Städte wie Phnom Penh reduziert. Am 17. April 1975, fünf Tage nach dem Abzug der US-Amerikaner fiel der Dominostein und die kambodschanische Hauptstadt ergab sich den anrückenden Gruppen der Khmer Rouge.
Schon das Tragen einer Brille konnte das Todesurteil bedeuten
Nach der Machtübernahme unter der Führung von Pol Pot kam in Kambodscha ein beachtlicher Teil des Bildungsbürgertums zu Tode. Teilweise geschah dies aufgrund der Strapazen bei der Umsiedlung aufs Land, teilweise wurden ihre Vertreter systematisch verfolgt und ermordet. Schon das Tragen einer Brille konnte das Todesurteil bedeuten.
Die vom Paris der 1950er-Jahre geprägten Kambodschaner hatten eine massive Aversion gegen die kambodschanische gebildete Mittelschicht entwickelt, die sich mit den zahlreichen politischen Wendungen im Lande arrangiert hatten, die im Spannungsfeld zwischen den USA, der Sowjetunion und China das Königreich bedrängten.
Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Roten Khmer wurde Geld ebenso verboten wie Märkte. Schulen, Universitäten und die buddhistischen Klöster wurden geschlossen. Es gab keine Zeitungen und kein Postsystem mehr. Von den etwas über sieben Millionen Einwohnern Kambodschas im Jahre 1975 kamen je nach Schätzung bis zu zwei Millionen während der Herrschaft der Khmer Rouge ums Leben.
Viele Kinder und alte Menschen fielen den Strapazen der Evakuierungsmärsche zum Opfer. Lehrer und Intellektuelle wurden ermordet, da sie für die neue Gesellschaft des Demokratischen Kambodscha offensichtlich nicht benötigt wurden.
Nach dem Ende der Roten Khmer: Das Tribunal
Nachdem die Roten Khmer 1979 durch eine vietnamesische Invasionsarmee von der Macht in Kambodscha vertrieben wurden, stellte sich für den Westen die Frage, wie die Verbrechen der Roten Khmer geahndet werden könnten.
Das Rote-Khmer-Tribunal, das von der kambodschanischen Regierung gemeinsam mit den Vereinten Nationen eingesetzt wurde, nahm 2006 seine Arbeit auf. Die "Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia", die aus kambodschanischen und internationalen Richtern bestanden, befassten sich nur mit fünf hochrangigen Roten Khmer.
Die Prozesse haben deutlich mehr als 300 Millionen Dollar gekostet. 83 Prozent der im Jahre 2010 Befragten vertrat die Ansicht, dass man mit diesem Geld Besseres hätte erreichen können. Die Verfahren wurden wohl nur zugelassen, um nicht auf die wirtschaftliche Hilfe westlicher Geberstaaten verzichten zu müssen. Um die westlichen Geldgeber zufriedenzustellen, hat man am Ex-Staatschef Khieu Samphan gewissermaßen ein Exempel statuiert und hart durchgegriffen.
In der Bevölkerung hält sich hartnäckig die Ansicht, dass das Risiko viel zu groß sei, wenn man die Geister der damaligen Zeiten durch Gerichtsprozesse reize und man sich besser auf die Entwicklung des Landes konzentrieren solle.
Vonseiten der kambodschanischen Regierung wurde entschieden, dass man keine weiteren Täter aus den Jahren 1975-1979 verfolgen wolle, damit sich die ehemaligen Mitglieder der Roten Khmer leichter in die aktuelle Gesellschaft integrieren könnten.
Einer der ehemaligen Roten Khmer, der von dieser Entscheidung unmittelbar profitierte, ist der heutige Premierminister des Landes, Hun Sen. Weitere Ermittlungen und Prozesse würden seiner Meinung nach nur in einen Bürgerkrieg münden. Offensichtlich fürchtete die aktuelle Regierung, ihre eigenen Führungskräfte auf der Anklagebank wiederzufinden.
Rückblickend zeigte sich, dass der Westen bis zuletzt die Schuld an der Entwicklung in Kambodscha nur bei den Kambodschanern gesehen hat, das eigene Versagen jedoch elegant ausblendet. Verschärft wird diese Taktik durch die kulturellen Unterschiede: Das Schuld-Prinzip hat in der Form wie im Westen in Südostasien kaum Bedeutung.