Die Rückkehr des Volksempfängers mit anderen Mitteln
Wie das DVD-Region-Code-System die Informationsfreiheit beschneidet
Die Nationalsozialisten kontrollierten über die Reichsrundfunkkammer nicht nur die Sender, sondern auch die Fabrikanten von Radios. Sie ließen sogenannte "Volksempfänger" fertigen, die so konstruiert waren, dass damit nur sehr schwer ausländische Sender empfangen werden konnten. Im Deutschland des 21. Jahrhunderts wird die Informationsfreiheit nicht mehr von Diktatoren beschränkt, sondern von den Medienkonzernen. Die Mittel sind allerdings mutatis mutandis dieselben geblieben.
Die Digital Versatile Disc (DVD) ist in Europa gerade dabei, die VHS-Kassette abzulösen. Unternehmen wie Kinowelt setzen mittlerweile rund doppelt so viel mit DVDs wie mit VHS-Kassetten um. Im Unterschied zur CD haben auf einer DVD schon in der einfachsten Variante 4,7 Gigabyte Platz. Das reicht für einen zweistündigen Spielfilm in MPEG-2 mit mehreren Sprachfassungen und Untertitelungen. Eine DVD bietet im Vergleich zu VHS-Kassette deshalb potentiell bessere Bildqualität, Dolby-Sechskanalton und zusätzliche Extras (z. B. geschnittene Szenen, einen Kommentar des Regisseurs oder ein "Making of"). Ein weiterer entscheidender Vorteil war anfangs die Überwindung der verschiedenen regionalen PAL- SECAM- und NTSC-Standards.
Doch schon bald beschränkte das DVD-Forum, in dem die Medienkonzerne Time Warner und Sony in dieser Hinsicht den Ton angaben, die neue Freiheit mit großen technischem Aufwand. Man teilte die Welt in sechs Regionen ein, von USA/Kanada (Region 1) über Europa/Japan (Region 2) bis China (Region 6). Jede Film-DVD erhält einen Region Code zwischen 0 und 8, wobei 0 für "überall abspielbar" steht, 1-6 verschiedenen Weltregionen entsprechen, 7 zur späteren Verwendung frei ist und 8 für DVDs gedacht ist, die an Bord von Flugzeugen abgespielt werden. Eine DVD kann nur in einem Player abgespielt werden, der den entsprechenden Region Code hat (also 1 nur in 1, 2 nur in 2 usw.). Einzige Ausnahme: Region-0-DVDs laufen in jedem DVD-Abspielgerät. Stand-Alone-Player, DVD-ROM-Laufwerke und Softwareplayer werden vom DVD-Forum nur für einen Region Code freigegeben. Man kann den Region Code der meisten Player ein- bis fünfmal verstellen, danach ist er fixiert. Was soll dieses System bewirken? Lassen wir die MPAA (die Motion Picture Association of America, der Verband der Filmindustrie) selbst zu Wort kommen:
Es ist einfach unmöglich mit derzeit vorhandenen Technologien, Kopien eines Films an alle Kinos auf der Welt gleichzeitig zu liefern. Filme der großen Studios werden im Allgemeinen zuerst für die USA und erst danach für Übersee freigegeben. [...] Nach der Aufführung eines Films in einem bestimmten Land wird dieser für die Märkte Pay-Per-View, Video und Fernsehen veröffentlicht. DVDs sind regional codiert, um zu verhindern, dass sie in Länder importiert werden, in denen die Filme noch nicht im Kino liefen. Ohne solche Schutzvorrichtungen würden auswärtige Filmverleiher und Kinos einen beträchtlichen Teil ihres Publikums an die vorher erhältliche DVD verlieren. Die entgangenen Gewinne könnten Kinoschließungen, Arbeitsplatzabbau und den Raub des Kinoerlebnisses für Verbraucher weltweit zur Folge haben.
Das klingt zunächst einleuchtend: Filme in Europa laufen oft viele Monate später an. Doch ist es tatsächlich "technisch unmöglich" Filme relativ gleichzeitig anlaufen zu lassen? Indische Filmhits wie Raju Chacha starten in München am gleichen Tag wie in Bombay. Warum sollte Hollywood nicht fertig bringen, was Bollywood schafft? Und tatsächlich schafft es Hollywood auch: Hannibal etwa, lief in Amerika und Europa fast gleichzeitig an (9. und 15. Februar), die "technischen" Hindernisse existierten hier offenbar plötzlich nicht mehr. Einen weiteren Beleg für die Untauglichkeit der offiziellen Begründung der MPAA lieferte das Historiendrama Gladiator. Dieser Film lief in den USA am 5. Mai 2000 an, in Deutschland am 25. Mai. Die Region-Code-1-DVD erschien am 21. November desselben Jahres, die britische Region-Code-2-DVD am selben Tag, die deutsche am 7. Dezember. Es ist also durchaus möglich, Kinostart und DVD-Veröffentlichung weltweit aufeinander abzustimmen.
Weitere Brüche in der Begründung der Filmindustrie
Wenn man über die Begründung der Filmindustrie zur angeblichen Notwendigkeit des Region-Code-Systems etwas länger nachdenkt, finden sich weitere Brüche. So ist etwa der Qualitätsunterschied zwischen DVD und Kino beträchtlich. Selbst wer mehr als 20.000 Mark in einen Plasmascreen und weitere 20.000 Mark in eine B&W-Surroundanlage investiert, hat deshalb noch lange kein Kinoerlebnis. Dies wird wohl die Filmindustrie am wenigsten in Frage stellen. Insofern hätte ihr Argument nur Bestand, wenn es wie folgt liefe: Kinogänger, welche die Filme vorher kennen, meiden die schlechten Streifen, die Kinos aber können nur überleben, wenn auch mäßige Filme eine gewisse Anzahl von Zuschauern finden.
Doch bislang gab es nur ein Beispiel für die vorzeitige massenweise Verbreitung eines Kinofilms: Jeder mit Zugang zu einem Computer konnte sich schon im Vorfeld davon überzeugen, dass Phantom Menace mit Abstand der schwächste Teil der Star-Wars-Saga war. Dennoch spielte Phantom Menace mehr als 900 Millionen Dollar ein und war damit der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten. Die Praxis zeigt also: Auch dieses Argument der Filmwirtschaft ist gegenstandslos.
Dass die Horrorvision sterbender Kleinkinos haltlos ist, wird vollends klar, wenn man bedenkt, dass auch alle alten Filme, die vor Jahren oder Jahrzehnten in den Kinos liefen und heute auf DVD erscheinen, eine Regionalcodierung erhalten (um nur zwei Beispiele zu nennen: so gibt es Time Bandits nur in RC1 und Don Camillo in RC2).
Kurzum, der wahre Grund ist ein anderer: Die Region-Codes wurden eingeführt, damit man lokalen Lizenznehmern ein exklusives Vertriebsrecht geben konnte. Sprich: um Wettbewerb zu vermeiden und um die Preise künstlich hochzuhalten. Vergleichbare Beschränkungen des Wettbewerbs und artifizielle Preisgestaltung kennen wir aus anderen Kartellbranchen wie der Automobil- oder Pharmaindustire. Allerdings wird man hier als Kunde nur einmal, nämlich mit dem übermäßigen Kaufpreis, abgestraft. Beim Film, einem Teil unserer Kultur, gibt es jedoch noch ganz andere Probleme.
Der Filmindustrie sind diese unbekannt: Der Kunde solle sich halt den gewünschten Film als Region Code-2- DVD kaufen. Dabei wird jedoch unterschlagen, dass auf Region-Code-2-DVDs regelmäßig viele Extras fehlen, dass die zur Herstellung verwendeten Filmfassungen zumeist schlechter sind und dass vermutlich der größte Teil der weltweiten DVD-Produktion gar nicht mit Region Code 2 erscheint (das gilt für fast alle asiatischen Filme, ferner für die meisten alten Hollywood-Filme, die jetzt in aufbereiteter RC-1-Version vorliegen). Auf europäischen DVDs schleicht sich überdies langsam wieder das beschnittene Pan-And-Scan-Format ein. Jüngste Beispiele sind Blood Simple und Eraserhead. Wer das ganze Bild sehen will, muss oft auf die amerikanische DVD zurückgreifen. Außerdem achten nur einige ausgewählte Firmen wie Criterion darauf, möglichst nicht verstümmeltes und hochwertiges Ausgangsmaterial zu nehmen. Und solch eine Firma gibt es in Europa bisher nicht. Deshalb ist beispielsweise The Red Shoes nur als Code-1-DVD in einer angemessenen Fassung erhältlich, die schlechtere Code-2-Fassung enthält zudem keinerlei Goodies. Twelve Monkeys gibt es ebenso wie Gods and Monsters, The Shawshank Redemption oder Toy Story und 2 auf Code 1 in weit aufwendigeren Ausgaben, die deutsche DVD-Fassung des Terry-Gilliam-Films enthält dagegen nicht einmal den Originalton. Auch beim James-Bond-Film On Her Majesty's Secret Service ist auf der deutschen DVD keine englische Tonspur enthalten, dafür ist sie um etliche Minuten kürzer. Ebenfalls verstümmelt wurde Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre, den es als Code-1-DVD ungeschnitten gibt. Die darauf enthaltene Special Edition fehlt auf der Region-Code-2-Fassung ebenso wie wichtige Teile des Films.
Gerne wird in der Region-2-Version auch auf Audiokommentare verzichtet, wie etwa bei Ang Lees Jane-Austen-Verfilmung Sense and Sensibility, bei Excalibur oder selbst beim Kassenschlager The Matrix. Auch sonst lässt die Tonqualität der Code-2-Ausgaben oft zu wünschen übrig: Auf den frühen Titeln von Columbia/Tristar wie In the Line of Fire oder Jerry Maguire beispielsweise gibt es den englischen Ton nicht in 5.1 Dolby Digital. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Und nicht nur Europäer und Japaner leiden unter der künstlichen Beschränkung. Es gibt auch Titel, die in der Code-2-Fassung besser sind: Fritz Langs M etwa gibt es nur als Code-2-DVD windowboxed (mit seitlichen Balken); die Code-1-Fassung ist, obwohl von Criterion veröffentlicht, oben und unten beschnitten. Martin Scorseses Raging Bull wird nur in Europa als Special Edition mit 2 DVDs verkauft, Sydney Pollacks Three Days of the Condor enthält in der Code-2-Fassung einen Audiokommentar, der auf der Code-1-Fassung nicht enthalten ist, und die Kinowelt-DVD von Dances with Wolves bietet dem Käufer einen vierstündigen Director's Cut, während sich auf der Code-1-DVD nur die dreistündige Kinofassung befindet.
Das mag manchem als Mäkelei einiger Cinematofetischisten erscheinen. Doch so leicht darf man das Ganze nicht abtun. Das Region-Coding ist eine Bedrohung der Informationsfreiheit. Ein paar besonders drastische Beispiele: Kurosawas Shichinin no samurai (Die Sieben Samurai) gilt als einer der besten Filme aller Zeiten, in der IMDB-Wertung steht er an siebter Stelle. Es gibt nur eine DVD-Ausgabe, die von Criterion erstellt wurde und ursprünglich regioncodefrei war (also Regioncode 0), dann auf Zwang der Filmwirtschaft zurückgezogen werden musste und durch eine Region-Code 1-Version ersetzt wurde. Diese Edition hat japanischen Originalton, es lassen sich nur englische Untertitel zuschalten. Ginge es nach dem Willen des DVD-Forums, wäre es illegal, diese DVD in Japan (Region 2) anzusehen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Es gäbe danach für Japaner keine legale Möglichkeit, diesen wichtigen Beitrag ihres filmischen Erbes auf DVD anzusehen.
Wann wird man den Italienern verbieten, Dante zu lesen, wann den Deutschen, Beethoven zu hören, wann den Griechen, die Akropolis zu betreten?
Ein weiterer filmischer Meilenstein aus Asien verdeutlich gleichfalls, wie weit die Medienkonzerne in der Beschneidung von Freiheitsrechten zu gehen bereit sind. Gemeint ist Wo hu zang long (Crouching Tiger, Hidden Dragon). Die vorzügliche Regioncode 3-DVD hatte nicht nur Mandarin-, Thai und kantonesische Tonspuren, sondern auch eine englische. Auch englische Untertitel waren enthalten. Dies mit gutem Grund: Nicht jeder Region-Code-3-Bewohner ist des Chinesischen oder Thai mächtig. Damit sind nicht nur zugewanderte Europäer, Koreaner oder Philipinos gemeint: In Singapur etwa spricht mindestens ein Drittel der Bewohner kein Mandarin oder Kantonesisch. Da in anderen Region der Welt die DVD auf sich warten ließ, verkauften sich die RC3-Scheiben wie die warmen Semmeln. Columbia/Tristar reagierte drastisch: Man ließ die nächste RC3-Pressung ohne englische Tonspur und Untertitel pressen Dies zeigt, dass der nicht-chinesischsprechende asiatische Kunde dem Medienkonzern nicht mehr als beliebige Dispositionsmasse ist. Auch das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Nach der Auffassung der Filmindustrie haben jetzt in Asien lebende Englischsprecher keine legale Möglichkeit mehr, eine für sie verständliche Crouching-Tiger-DVD zu erwerben.
Im Übrigen gibt es zwar für uns Region-2-Insassen genug Grund zur Klage, aber im Vergleich zu anderen Erdenteilen sind wir höchst privilegiert. Region 5, ein Sammelsurium aus Afrika (ohne Ägypten und Südafrika), Russland, anderen GUS-Staaten, der Mongolei, Nordkorea, Afghanistan und Vorderindien, das nichts verbindet außer der wirtschaftlichen Schwäche und damit das Desinteresse in den Augen der Filmwirtschaft, kann von Hollywood nicht mehr erwarten als ein paar Brosamen in Form einiger Kassenschlager.
Die besser ausgestatteten Region Code-1-DVDs, früher relativ einfach zu bekommen, verschwanden im letzten Jahr nach einer Abmahnungskampagne aus den deutschen Läden. Mitte November nahm auch eBay.de private DVD-Versteigerungen von Filmen mit einem anderem als Region Code 2 aus dem Angebot, und ab Dezember 2000 ließ die GVU, die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. flächendeckend Razzien bei deutschen DVD-Großhändlern und -Importeuren durchführen. Als Vorwand diente dabei u. a. eine Fassung des Films The Green Mile, der angeblich als unlizenziert auf den Markt gebrachte Region-Code-2-DVD verkauft wurde. Die Ordnungskräfte wurden von GVU-Vertretern befehligt, die den ahnungslosen Beamten die Beschlagnahme der Region-Code-1-Filme auftrugen. Ob rechtmäßig oder nicht, erreichten diese Razzien das vom Medienkartell angepeilte Ziel auf ökonomischem Wege: Zahlreiche Großhändler wie etwa die Osnabrücker Firma Metropolis wurden durch die Beschlagnahmen zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Allein bei diesem Importeur vernichtete die Durchsetzung der Kartellinteressen drei Arbeitsplätze. Wie begründet nun die GVU dieses Vorgehen?
Den beschuldigten Händlern geht es auch ausschließlich darum, durch die illegale Verwertung sich Vorteile gegenüber den Händlern zu verschaffen, die sich an die rechtlichen Spielregeln halten. Das Argument, man wolle dem Kunden nur die Möglichkeit geben, die Originalfassung der Filme/Spiele zu sehen, ist nur vorgeschoben. Es besteht überhaupt kein Grund, dass diese Händler nicht darauf warten, dass diese Produkte zum Beispiel in Großbritannien legal von den dortigen Anbietern auf den Markt gebracht werden. Diese Cassetten/CDs können dann ohne Bedenken in der Bundesrepublik bzw. in der gesamten EU verbreitet werden. Durch ihr Verhalten stören die Beschuldigten in erheblichen Maße das zwischen den Verwertungsfirmen vereinbarte System, welches insbesondere auf der Einhaltung der vereinbarten Auswertungsfenster beruht.
Wer den Artikel bis hierher gelesen hat, muss der Verweis darauf, dass man nur auf das Erscheinen warten müsse, als blanker, höhnischer Zynismus vorkommen. Interessant ist auch, mit welchem Bildmaterial die GVU Regioncode-1-Händler diffamieren will. Ein schwarzer Mercedes, offensichtlich eine Autobahnraststätte, Retuschen bei Gesicht und Nummernschild, irgendwie lässt sich noch Ungarn auf dem Zettel lesen - wäre das ganze nicht auf der DVD-Jagdseite, würde man es für eine Szene aus Aktenzeichen XY über Kinderpornohändler halten. Was das genau darstellen soll, darüber schweigt sich die GVU aus. Die Botschaft soll offensichtlich lauten, dass Regioncode-1-Händler schwerkriminelle Schmuggler sind.
Der nächste Schritt der Filmindustrie ist, durch Lobbyarbeit zu erreichen, auch private Konsumenten von Region Code-1-DVDs in Europa zu kriminalisieren. Ginge es nach ihrem Rechtsstandpunkt, dann gäbe es für Europäer keine legale Möglichkeit, diese DVDs zu sehen - außer durch eine Reise über den Ozean. Und selbst wenn man die Code-1-DVD direkt in Amerika kauft, wäre es nach Ansicht der Filmindustrie illegal, sie in einem Region-Code-2-Land anzusehen. Doch noch besitzt sie dazu in Deutschland keine rechtliche Handhabe. Region-Code-1-DVDs können zum Privatgebrauch aus weiterhin legal aus dem Ausland bestellt werden.
Es bleibt das Player-Problem. Doch wie beim Volksempfänger ist auch beim Region Code die Zensur nicht unüberwindbar: Viele DVD-Player können mit ein paar Handgriffen Region-Code-frei geschaltet werden - was völlig legal ist. Beim DVD-Laufwerk im Computer geht es meist noch einfacher. Die entsprechende Firmware findet sich unter www.firmware.fr.st, das Zusatzprogramm DVD Genie, mit dem man den Softwareplayer Region-Code-frei bekommt, gibt es kostenlos unter www.immatrix. Dies funktioniert allerdings nicht bei allen Laufwerke - die Medienindustrie übt zunehmend Druck aus: Für ein Compaq DRD 8120B.1.09 findet sich bis heute keine modifizierte Firmware.
Wie kam die Filmindustrie zu so viel Macht?
Das Medienkartell hat über die Organisationen DVD Forum und DVD Copy Control Association ein Monopol auf die Lizensierung von DVD-Playern, Laufwerken und Software. Die beiden Organisationen nutzen ihre Stellung, um nicht genehmen Produkte die Lizenzen zu verweigern. Für die Hersteller von DVD-Geräten und Software heißt das: Geräte ohne Region Code-Beschränkung können nicht legal verkauft werden. Fertigt ein Hersteller seine Soft- oder Hardware nämlich nicht nach dem Willen des Kartells, so sieht dies die Medienindustrie als Urheberrechtsverletzung. Obwohl diese Praxis teilweise nationalem Wettbewerbsrecht widerspricht, schritt bisher noch kein Staat dagegen ein.
Im Gegensatz zu Deutschland denkt man z. B. in Australien offen darüber nach, ob man Regioncoding nicht einfach verbieten solle, weil es ja den Wettbewerb hemmt. Man erwägt also, ob man nur noch den Verkauf von regioncodefreien Playern zulassen solle. Marc Gareton, der Geschäftsführers von Warner Home Video Australien, glaubt, es sei problematisch für Regierungen, die DVD-Konzerne dazu zu zwingen. Warner-Studien hätten gezeigt, dass Verbraucher keine Probleme mit dem Region-Coding hätten. "It's a decision the government can't make." Regioncodes seien notwendig, weil ansonsten Kinos schließen müssten, die nationalen Jugendschutzbestimmungen nicht durchgedrückt werden könnten und böse chinesische Raubkopierer zu schnell an die Filme kämen. Und wer dennoch RC-1-Filme sehen wolle, könne sich ja dafür einen eigenen Player zulegen. (Vgl. DVD zoning 'anti-competitive': ACCC.
Werden nicht z. B. chinesische Raubkopierer die ersten sein, die sich RC-1-DVD-Player anschaffen? Ein offizieller Vertreter der Filmindustrie rät hier Verbrauchern, sich einen Player mit dem "falschen" Regioncode zu besorgen. Solches wäre in Ländern, in denen die Filmwirtschaft bislang nicht auf Widerstand traf (z. B. USA oder Deutschland) nicht vorstellbar. Stattdessen wird dort wird strikt argumentiert, dass es illegal sei, unlizensierte Filme zu betrachten. Hier hemmt ein internationales Kartell den Wettbewerb und missbraucht die nationalen Exekutiven zur Durchsetzung einer künstlichen Verknappung, indem es unzeitgemäße Regelungen des Urheberrechts wider ihrem ursprünglichen Zweck nutzt.
In Deutschland kommt noch eine andere Form von Rechtsmissbrauch hinzu
Dort ist der gewerbliche Import von Filmen, die nicht von der FSK geprüft wurden, grundsätzlich illegal. Das trifft selbst Filme, welche das strengere amerikanische Rating-System durchlaufen haben. Die GVU beruft sich deshalb in ihrer Rechtsauffassung, dass der Verkauf importierter Code-1-DVDs illegal sei, darauf, dass die DVDs nicht von der FSK auf ihre jugendschutzrechtliche Unbedenklichkeit geprüft wurden. Tatsächlich dürfen nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) Bildmedien Kindern oder Jugendlichen nur dann öffentlich zugänglich gemacht werden, wenn sie von der jeweiligen Landesbehörde mit einer Altersstufe gekennzeichnet und freigegeben worden sind. Die Landesbehörden verlassen sich bei dieser Einstufung auf die FSK und übernehmen deren "Empfehlungen". Ohne solch eine Kennzeichnung und Freigabe darf ein Bildmedium in der Bundesrepublik nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Das Medienkartell unterlässt nun bewusst Anträge für die Code-1-Fassungen bei der FSK, so dass diese die Filme gar nicht kennzeichnen kann. Auch das lasse man sich auf der Zunge zergehen: Aufgrund dieses Missbrauchs deutschen Rechts darf man sich als Erwachsener keine RC-1-Version von Walt Disneys Dschungelbuch kaufen, weil dem Jugendschutzregelungen entgegenstehen!
Inwieweit diese Praxis vor dem Bundesverfassungsgericht stand halten kann, werden die nächsten Jahren weisen. Zwar steht das Zensurverbot in Artikel 5 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes unter dem Schrankenvorbehalt gesetzlicher Bestimmungen zum Schutz der Jugend, doch müssen diese auch verhältnismäßig sein. Was in den 1950er Jahren, als Filme nicht von Privatpersonen importiert wurden, eine abgemessene Kontrollregelung zum Jugendschutzes war, das kann unter vollständig veränderten technischen Bedingungen durchaus gegen das Zensurverbot verstoßen. Schließlich ist mit der Einstufung durch das amerikanische Rating-System bereits eine geeignete Maßnahme zum Jugendschutz erfolgt, eine gesonderte Kontrolle durch die FSK also nicht mehr erforderlich. Auch die "Empfehlungen" der FSK müssen von den Landesbehörden erst übernommen werden, warum sollten hier die Einstufungen der MPAA nicht ebenso anwendbar sein?
Ähnlich fragwürdig ist der Einsatz des Urheberrechts gegen den Verkauf von Region-Code-1-DVDs in Deutschland. Denn grundsätzlich handelt es sich bei den importierten Filmen um Material, für das die Urheber Geld erhalten. Warum sollte dessen Verkauf verboten sein? Die GVU beruft sich hierzu auf das ausschließliche Verbreitungsrecht des § 15 UrhG, das jedoch durch den Erschöpfungsgrundsatz (§ 17 Abs. 2 UrhG) auf den erstmaligen Verkauf des Werks beschränkt ist. Die Rechtsprechung war im prä-Internet-Zeitalter überwiegend der Auffassung, dass das Inverkehrbringen eines Werkes im Ausland nicht zu einer Erschöpfung des inländischen Verbreitungsrechts führt (Vgl. DVD-Importe illegal?). Nach dieser Auslegung würde der gewerbliche Verkauf von Code-1-DVDs tatsächlich gegen deutsches Urheberrecht verstoßen. Ob diese Rechtsprechung aber im Zeitalter des Einzelhandels über das Internet noch aufrechterhalten werden kann, wird sich ebenfalls zeigen.
Abgesehen von der rechtlichen Fragwürdigkeit gräbt sich die Filmindustrie mit ihrer Region-Code-Politik auf lange Sicht selbst das Wasser ab und treibt den Konsumenten zu freieren Formaten wie DivX;-). Denn: Warum die schlampig edierte Fassung auf der Region-Code-beschränkten-DVD kaufen, wenn es auch den ungeschnittenen Film gibt? Verkauft wird im Zeitalter digitaler Kopierbarkeit nicht mit weniger, sondern mit mehr Inhalten, Bequemlichkeiten und Freiheiten. Aber Kartelle lernen solche Sachen freilich langsamer als Wettbewerber.