Die Schlafwandler aus Brüssel
Seite 2: Die außenpolitische Debatte in Brüssel findet auf einem erbärmlichen Niveau statt
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Auf ein Mea Culpa wartet man in Brüssel bis heute vergebens. Auch eine sicherheitspolitische Analyse der neuen Krisenlage haben die EU-Politiker - von der Außenbeauftragten Federica Mogherini bis hin zu Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk - nicht vorgelegt. Ähnlich wie die Schlafwandler vor dem 1. Weltkrieg sind die Verantwortlichen in Europa 100 Jahre später erneut abgetaucht.
Mogherini feilt immer noch an einer Strategie, die die alte außenpolitische EU-Doktrin von 2003 ersetzen soll. Nach allem, was man hört, werden Terrorismus und Flüchtlingskrise darin nur eine Nebenrolle spielen. Und die EU-Chefs schweigen. Beim letzten Gipfel des Jahres 2015 kam der Krieg in Syrien nur am Rande vor. Die EU unterstütze die Bemühungen der Syrien-Konferenz, heißt es unter Punkt sieben der Schlussfolgerungen. Das ist alles.
Auf welch erbärmlichen Niveau die außenpolitische Debatte in Brüssel stattfindet, zeigen zwei Begebenheiten der letzten Wochen. Die eine spielt gleich nach der Pariser Terrornacht vom 13. November. Frankreich nahm die neue Solidaritätsklausel in Artikel 42.7 des EU-Vertrags in Anspruch und forderte Beistand. Mogherini sagte prompt zu, ohne Aussprache. Dabei ist für Terrorakte ein anderer Passus des EU-Vertrags vorgesehen, nämlich Artikel 222.
Nun müssen die EU-Staaten "alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe" leisten, um Frankreich beizustehen. Das gilt auch für Deutschland, wo sogar Regierungspolitiker bis vor kurzem nicht einmal wussten, dass es die EU-Beistandsklausel überhaupt gibt.
Entsprechend improvisiert fällt die Antwort aus. Eine europäische oder deutsche Strategie für den Syrien-Einsatz sucht man bis heute vergebens. Ob Brüssel oder Berlin nun im Krieg gegen den Terror ist, bleibt unklar.
Die zweite Peinlichkeit spielte sich rund um den EU-Gipfel im Dezember ab. Diesmal ging es um die Sanktionen gegen Russland. Obwohl Moskau mittlerweile eine wichtige Rolle im Syrien-Krieg spielt, sollten die Strafmaßnahmen ohne Aussprache um sechs Monate verlängert werden. Nur Italien muckte auf und forderte eine politische Debatte. Doch die Italiener wurden hingehalten, der EU-Gipfel sparte das Thema aus. Am Ende gab auch Rom klein bei.
Selbst strategische Entscheidungen werden in Brüssel wie bürokratische Vorgänge behandelt. Eine Reflexion über außenpolitische Mittel und Ziele findet nicht statt, nicht einmal unter der viel gelobten neuen Außenbeauftragten Mogherini. Und so ist es auch kein Wunder, dass der Friedensnobelpreisträger EU über Nacht vom ewigen Frieden in einen unerklärten Krieg abgeglitten ist. Wie ein Schlafwandler, fast wie vor hundert Jahren.