Die Stimmung ist trüb – der wirtschaftliche Motor Europas stottert
Die Rezession paart sich in Deutschland mit Pessimismus. Die wirtschaftlichen Daten geben auch nicht viel Grund zur Hoffnung. Das sind die Gründe.
Deutschland ist in die Rezession gerutscht, die Stimmung ist im Keller. Der Finanzdienst Bloomberg glaubt, es könnte eine Gefahr für den gesamten Kontinent sein, wenn der wirtschaftliche Motor Europas ins Stocken gerät.
Die Ursachen sieht Bloomberg in einer jahrzehntelang verfehlten Energiepolitik. Zu ihr gesellt sich eine Autoindustrie, die nur langsam vom Verbrennungsmotor lassen kann und sich neuen Technologien zuwendet.
Aber Deutschland hat auch eine schwache Regierung, konstatiert der Finanzdienst. Was die Bundesrepublik momentan durchmache, sei die größte Herausforderung seit der sogenannten Wiedervereinigung. Aber der politischen Klasse fehle es an Führungsstärke.
In der Vergangenheit hätte Berlin ein Händchen gehabt, wenn Krisen bewältigt werden mussten. Nun stehe es infrage, ob die Bundesregierung eine nachhaltige Strategie verfolgen könne. Schließlich halte sich die Koalition von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen mit kleinlichen Streitereien über alles Mögliche auf.
Der wirtschaftliche Abschwung ist nur ein Warnsignal. Die gedrückte Stimmung macht sich längst darin bemerkbar, wie die Menschen in Deutschland die Zukunft bewerten. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat sie kürzlich befragen lassen.
Nur eine schmale Minderheit geht davon aus, dass Deutschland bei der Entwicklung neuer Technologien "sehr wettbewerbsfähig" ist. Gerade einmal neun Prozent gaben das an. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft "eher wettbewerbsfähig" ist.
"Das heißt, die deutsche Bevölkerung hat geringes Vertrauen in die Wettbewerbsfähigkeit des Landes", kommentierte VDI-Direktor Adrian Willig das Ergebnis.
Alarmierend sei, dass mehr als die Hälfte der Befragten nicht daran glaubt, dass in zehn oder 15 Jahren noch "die besten Autos der Welt" aus Deutschland kommen. "Vor dem Hintergrund der strukturellen Bedeutung der Automobilindustrie für das deutsche Innovationssystem ist das ein alarmierendes Signal", so Willig.
Der VDI vermeidet es, Kritik an der Bundesregierung zu üben – Bloomberg spricht dagegen viel freier:
Deutschland ist nicht in der Lage, den Energiebedarf seiner industriellen Basis nachhaltig zu decken; es ist zu sehr von der alten Technik abhängig; und es fehlt ihm an politischer und wirtschaftlicher Beweglichkeit, um sich auf schneller wachsende Sektoren umzustellen.
Bloomberg, 26.05.2023
Die Vielzahl von strukturellen Herausforderungen deute auf ein böses Erwachen im europäischen Machtzentrum hin, das sich an seinen ununterbrochenen Wohlstand gewöhnt habe.
Einen deutlichen Hinweis darauf hatte kürzlich der Chef des Chemiekonzerns Lanxess, Matthias Zachert, im Interview mit dem Manager Magazin gegeben. Deutschland könnte die Energiepreise senken, indem es die Angebotsseite erhöhe. Also: Indem etwa mehr Erdgas oder überschüssiger Strom verfügbar ist.
Um die Industrie in Deutschland zu halten, müsste die Bundesregierung die Energiepreise durch Deckelung der Preise niedrig halten. Allein die Pläne für den Industriestrompreis kosten den Steuerzahlern bis zu 30 Milliarden Euro, heißt es nun bei Bloomberg.
Auch was Innovationen angeht, ist Deutschland bedeutend – aber abhängig von seinen Konzernen. Rund ein Drittel der in Europa angemeldeten Patente stammen aus der Bundesrepublik. Doch sie sind eng verflochten mit großen Unternehmen wie Siemens und Volkswagen, und sie konzentrierten sich auf etablierte Branchen.
Letztlich gibt Bloomberg der VDI-Umfrage recht: Der technologische Vorsprung Deutschland im Automobilsektor schwinde. Deutsche Konzerne prägten die alte Zeit mit Verbrennungsmotoren. Aber bei den Elektroautos hat der chinesische Hersteller BYD Volkswagen längst überholt – zumindest auf dem chinesischen Heimatmarkt.
Bei gleichbleibender Entwicklung dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die deutschen Autobauer auch auf ihren Heimatmärkten erfolgreich angegriffen werden.
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