Die Tech-Industrie: Ihre ewigen Versprechen und die Realität

Leon Gerleit

Er sieht sich selbst gern als "Absolutist der Meinungsfreiheit": Elon Musk. Bild: Ministério Das Comunicações, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Die Tech-Szene hat ihre Stars, sie verehrt ihre Helden und ihr Glaube an die "Freiheit" scheint grenzenlos. Hinter dieser Inszenierung verbergen sich wirtschaftliche und politische Interessen.

In den vergangenen Tagen und Wochen scheint es wieder einmal, als würden alle wichtigen wirtschaftlichen und politischen Nachrichten das erweiterte "Silicon-Valley" betreffen. Egal, ob es um die Veruntreuung von etwa einer Milliarde US-Dollar aus einem Kryptowährungsaustausch oder um die Übernahme eine der größten "Social Media"-Plattformen durch einen übergeschnappten Milliardär.

All diese Schlagzeilen spiegeln ein allgemein vorherrschendes Gefühl der Enttäuschung über den technischen Fortschritt, den erst das Internet, dann Firmen und zuletzt einzelne, angeblich Visionäre, uns einst versprachen.

Nun könnte ein Zyniker darauf hinweisen, dass die gesamte Tech-Web-Industrie ihr Potenzial, zur Utopie beitragen zu können, an dem Tag verkaufte, als das Internet – als ein im militärischen/öffentlichen Sektor entwickeltes Programm – grundlos in die Hände einiger weniger Tech-Giganten gegeben wurde.

Oder man folgt Shoshana Zuboff in ihrer Annahme, der Tag, an dem Google in einer Vorstandssitzung beschloss, Nutzerdaten nicht nur zur Verbesserung ihres Produkts zu nutzen, sei das Ende eines direkt-demokratischen Internets und der Beginn des "Surveillance Capitalism" gewesen.

Allerdings, aus heutiger Sicht verhalten sich Firmen wie Google, Apple oder Microsoft zu Elon Musk und Peter Thiel in etwa wie J.P Morgan zu Sam Bankman-Fried. Beide sind vom Geld anderer reich geworden. Jedoch verstanden es die frühen Profiteure des Finanzkapitals wenigstens, dass Geld – zumindest oberflächlich betrachtet – mit der Produktion greifbarer Güter in Bezug stehen sollte, um der Behauptung, Geld könne für seinen Besitzer "arbeiten", einen Hauch von material-begrifflicher Wahrheit zu verleihen.

Vielleicht ist es die Sehnsucht nach der Ernsthaftigkeit, die der Herstellung echter Produkte anhaftet, die liberale und linke Medien dazu bewegt, diebische Freude darüber zu empfinden, dass Musk nach der katastrophalen Übernahme von Twitter zum Apple Hauptsitz zitiert wurde, wo ihm wohl erklärt wurde, wie er sich zu verhalten habe, damit Twitter auch weiterhin im App-Store zu erhalten ist.

Um fair zu bleiben: Zu Zeiten J.P Morgans war es für Milliardäre leichter, ihren Einfluss und ihre Fehler vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Im Gegensatz dazu beruht Musks gesamtes Geschäftsmodell auf seiner Eigenschaft als öffentliche Person, inklusive politischer Ansichten.

Dies ist für Apple und andere insofern ein Problem, als es ihn dazu bewegt, eine Plattform wie Twitter zu kaufen, nur um bei seinem Publikum libertärer Rechter Ansehen zu schinden. Diese danken es ihm kaum und sehen sich weiterhin durch die liberale Plattform unterdrückt, schlicht aus dem Grund, weil Opferhaltung zu ihrer Ideologie gehört.

Armer Elon! Hatte er doch gehofft, als Chef der Plattform mindestens die Anerkennung zu erhalten, die er als User von seinen "Followern" gewohnt war. Immerhin erhielt er während seines Angriffs auf Apple Rückendeckung von der Republikanischen Partei.

Ron DeSantis und andere republikanische Politiker forderten sogar erneut die Verabschiedung eines Kartellgesetzes, das die Kontrolle von Apple darüber, welche Apps auf dem iPhone zugelassen sind, drastisch einschränken würde.

Um so zu tun, als würde er tatsächlich etwas für die Redefreiheit und gegen die Zensur unternehmen, veröffentlichte Musk jüngst eine Masse an E-Mails, die den Einfluss beider Parteien auf die Plattform vor seiner Zeit als CEO transparent machen sollen. Gleichzeitig ließ der so um Transparenz bemühte Musk erst einmal einen Account sperren, der über Jahre die Flüge seines Privatjets verfolgte und öffentlich machte.

Man sollte sich also vom politischen Diskurs um Twitter nicht täuschen lassen. Es geht nicht um Redefreiheit, sondern um einen Kulturkampf, in dem jede Seite ihren Champion aus den Reihen der dritten Generation der Silicon-Valley-Superreichen unterstützt.

Das Problem ist: Selbst, wenn Musks öffentliches Gebaren langfristig dafür sorgen sollte, dass sich in der US-amerikanischen Öffentlichkeit die Erkenntnis durchsetzt, der angeblich freie Markt trage nicht unbedingt dazu bei, wirtschaftliche Macht und politischen Einfluss in die Hände genialer Visionäre zu legen, wird es zu spät sein.

Ohne staatliche Institutionen keine Tech-Giganten

Selbst jene, die Elon Musk und Peter Thiel vorrangig als zwei Multimilliardäre verstehen, deren Reichtum darauf beruht, zufällig zum richtigen Zeitpunkt in Paypal investiert zu haben – ihr Geld hat sich längst in echten Einfluss verwandelt.

Es strapaziert den Glauben an einen sinnvollen politischen Diskurs in den USA, wenn Peter Thiel seinen ganz privaten Superfan, Blake Masters, zu einem Republikanischen Wahlkampfkandidaten machen kann. Schlimmer noch: Wenn Thiel sich nach dessen Niederlage auch noch darüber ereifert, welchen Kurs die Partei zukünftig einnehmen sollte, ist ihm die Aufmerksamkeit der Medien gewiss.

Musk seinerseits mag sich noch so staatskritisch geben – der Grund, weshalb sein finanzielles Kartenhaus, bestehend aus Kryptowährungen, überbewerteten Tesla-Aktien und nun einer mehr als wacklig programmierten Social-Media-Plattform wie Twitter, nicht einstürzt, sind seine Pentagon-Aufträge. Denn Musk baut nicht nur Elektroautos.

Seine Raketenflotte, SpaceX genannt, die nicht ausschließlich für vergnügliche Wettbewerbe mit anderen Milliardären genutzt wird, verteilt mit Starlink auch gelegentlich Satelliten für das Pentagon, um eine abhörsichere Kommunikation in Kriegsgebieten zu ermöglichen. Dieser Auftrag ermöglicht es ihm immer wieder, Druck auf eine Regierung aufzubauen, die sicheren Kontakt zu Menschen in Kriegsgebieten pflegen will, zum Beispiel mit dem Chef des Azow-Regiments.

Derweilen geht die demokratische US-Regierung gegen den Twitter-Konkurrenten TikTok vor, da sie befürchten, die chinesische Regierung könnte die Plattform nutzen, um Einfluss auf die US-Bevölkerung auszuüben.

Die Beziehung zwischen Musk und dem Staat ist aber sicherlich keine Einbahnstraße und wird auf lange Sicht enger werden. Erst im Oktober berichtete der Intercept, dass das US-Militär die Möglichkeit teste, mit SpaceX globale Truppentransporte in Sekundenschnelle durchzuführen.

Daher sollte es in dem Diskurs wohl eher um Musks Verhältnis zum Pentagon gehen und wie sich dieses auf seinen Umgang mit einem der weltweit größten Kommunikations-Netzwerke auswirkt. Dass Elon Musk, Peter Thiel oder andere keine Ausnahme-Genies sind, sollte mittlerweile klar sein; Bill Gates und Steven Jobs sind und waren es auch nicht. Während Apple und Microsoft vorwiegend Patente aufkauften, fand echte Forschung schon immer andernorts statt. Das tut sie auch jetzt noch.

Erst vor ein paar Tagen haben Wissenschaftler der "National Ignition Facility" einen großen Schritt in der Forschung zur Kernfusion gemacht. Und wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um eine staatliche Institution, die dem US-Energieministerium und der Nuklearbehörde untersteht.

Technologie, die die Welt retten, verändern oder zerstören könnte, kommt also immer noch aus dem öffentlichen Sektor, das ist beruhigend, vor allem wenn man die Alternativen bedenkt.