Die Türkisierung des kurdischen Neujahrsfestes
An diesem Wochenende findet das kurdische Neujahrsfest Newroz statt. Die türkische Regierung versucht die Feiern zu unterbinden oder umzudeuten
Das türkische Bildungsministerium hat im Rahmen des Plans "Bildungsvision 2023" ein Buch über die fast ausschließlich von Kurden bewohnte Stadt Diyarbakir (kurdisch: Amed) herausgegeben, in dem mit keiner Silbe die kurdische Bevölkerung erwähnt wird. Das Buch soll als Lehrmaterial in den Grundschulen eingesetzt werden. Das Bildungsministerium schickte das 214 Seiten umfassende Buch an die Grundschulen der 17 Bezirke von Diyarbakır, damit die Lehrer dieses im Unterricht einsetzen können.
Diyarbakir, das mit rund zwei Millionen Einwohnern ungefähr so viele Einwohner wie Wien hat, gilt als heimliche Hauptstadt der Kurden und Kurdinnen. Die vor dem Verbot stehende demokratische Partei HDP, erreichte in der Stadt bei den Wahlen der letzten Jahre über 60 Prozent der Stimmen und stellte die Bürgermeister der Stadt. Diese sind mittlerweile alle abgesetzt, inhaftiert und durch AKP-Zwangsverwalter ersetzt.
In dem vom Bildungsministerium herausgegebenen Buch mit dem Titel "Unsere Stadt Diyarbakir" wird behauptet, dass in der Stadt ein türkisch gesprochen wird, das dem Türkischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku ähnlich sei. Gemeint ist die kurdische Sprache, die absolut nichts mit der Sprache der Aseris in Aserbaidschan zu tun hat. Die kurdische Sprache gehört zum iranischen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie, während Aseri zu den Turksprachen gehört.
Newroz wird in dem Buch unter dem türkisierten Namen "Nevruz" als Frühjahrsfest der mittelasiatischen Turkvölker benannt, obwohl das kurdische Volk nicht zu den Turkvölkern, sondern den indoeuropäischen Völkern zählt.
Als Ritual des Festes werden "Eierklopfen" und das Verteilen von Essen genannt,was wiederum nichts mit dem kurdischen Newroz zu tun hat. "Eierklopfen" erinnert eher an das christliche Ostern. Oder verwechseln die Autoren des Buches das ezidische Neujahrsfest Carsema Sor mit Newroz?
Das Neujahrsfest Carsema Sor bedeutet "Roter Mittwoch" und fällt auf den ersten Mittwoch im April nach julianischem Kalender. "Es feiert die Vollendung der Schöpfung der Erde durch Gott und das Herabsteigen des höchsten Erzengels Tawisi Melek auf die Welt, in Form eines Pfaus. Traditionelle Bräuche sind das Eierfärben und Eierklopfen, das Fruchtbarkeit und Erneuerung darstellt und die Festessen im Kreise der Familien, verbunden mit vielen Tänzen und Gesängen."
Die Geschichte des kurdischen Neujahrsfestes Newroz
Das kurdische Neujahrsfest gründet auf einer Jahrhunderte alten Legende aus Mesopotamien über einen Tyrannen namens Zohak oder Dahak, dem zwei Schlangen aus den Schultern wuchsen. Um ihren Hunger zu stillen, ließ der Despot jeden Tag zwei junge Menschen töten, um sie an seine Schlangen zu verfüttern.
Große Teile der Bevölkerung flohen aus Angst vor dem Despoten in die Berge. Dem Schmied Kawa gelang es, dieser Terrorherrschaft ein Ende zu setzen, indem er dem Tyrannen tötete. Er entzündete auf dem Dach des Tyrannenpalastes ein Feuer, als Zeichen der Befreiung und der Freiheit. Deshalb ist das Newroz-Feuer seit Jahrhunderten eines der zentralen Rituale des Newroz-Festes und wird in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei, Syrien, Irak und Iran praktiziert.
Da sich dies alles im Frühjahr ereignet haben soll, beginnt für das kurdische Volk das neue Jahr am 21. März. Interessant ist, dass das iranische Jahr ebenfalls an diesem Datum beginnt. Viele iranische Völker wie die Perser, Tadschiken, Paschtunen oder Belutschen feiern ebenfalls Newroz. Auch dies beweist die Zugehörigkeit der Kurden zum iranischen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie und nicht zu der mittelasiatischen der Turkvölker.
Newroz als fest der Freiheit
Durch die willkürliche Grenzziehung durch das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 und die damit verbundene Teilung der kurdischen Bevölkerung quer durch ihre Familien und Stämme und dem Wunsch nach Einheit, wurde das Neujahrsfest für die Kurden und Kurdinnen zum Fest der Freiheit.
Die Machthaber der Staaten reagierten darauf mit Repression und in der Türkei war es etwa bis Ende der 1990er Jahre verboten. Die Kurden feierten trotzdem und riskierten Verhaftungen und Tote bei dem Versuch türkischer Sicherheitskräfte, das Verbot durchzusetzen. Im Jahr 2000 wurde das Verbot aufgehoben.
Seit dem Einzug der HDP ins türkische Parlament wurde immer wieder vergeblich versucht, Newroz in die terroristische Ecke zu stellen. Nun wird mit einer Umdeutung versucht, dieses Fest in einen anderen Kontext zu stellen – ein klarer Versuch von Geschichtsfälschung.
Seit 2009 ist Newroz von der Unescoin die Liste der "Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" aufgenommen, daran kann die Türkei bei allen Versuchen des Umdeutens nichts ändern.
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