Die Unbelehrbaren: Mit immer mehr Kohle, Gas und Öl Richtung Abgrund
Das Wetter wird extremer, während Wissenschaftsgremien CO2-Budgets schönrechnen, Gas- und Öl-Investitionen gesteigert und Proteste kriminalisiert werden. Ein Gastkommentar
Der nun vorgelegte "Renewables 2022 Global Status Report" kommt zu dem Ergebnis, dass die Energiewende weltweit zum Erliegen gekommen ist. Der Anteil der erneuerbaren Energien am weltweiten Energieverbrauch liegt für das Jahr 2020 bei 11,7 Prozent. Gegenüber dem Jahrzehnt davor ist demnach kaum eine Steigerung zu verzeichnen.
Gleichzeitig findet ein Run auf die fossilen Brennstoffe statt. Angesichts anderer Krisen wie der Pandemie und dem Ukrainekrieg erhält die Dramatik der Erdüberhitzung, das schnell schwindende Treibhausgasbudget für die Verhinderung gefährlicher Erdüberhitzung und die heute notwendige Energie-Revolution, um das Schlimmste noch zu verhindern, kaum Aufmerksamkeit in der breiteren politischen Öffentlichkeit.
Im Gastkommentar analysiert der Energieexperte Hans-Josef Fell von der Energy Watch Group das gefährliche Wegsehen vor den Konsequenzen der eskalierenden Klimakrise.
Die Meldungen aus allen Teilen der Welt zu Wetterextremen mit schlimmsten Auswirkungen, insbesondere kriegsähnliche Zerstörungen von Häusern, ganzen Dörfern, mit vielen Toten infolge von Überschwemmungskatastrophen, Waldbränden, Stürmen, Dürren, verbunden mit Hungersnöten nehmen in diesem Jahr wieder massiv zu, so in Brasilien, Südafrika, Australien, Bangladesch, Ostafrika u.a. Aber viele bei uns bekommen die verheerenden Katastrophen gar nicht mit, weil man diese Meldungen, wenn überhaupt, nur irgendwo auf den dritten Seiten der Medien finden kann.
Für Millionen von Menschen unerträgliche und sogar tödliche Hitzewellen haben in diesem April, Mai, Juni – also noch vor dem Sommer auf der Nordhalbkugel ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Tagestemperaturen mit bis zu 50 Grad Celsius gab und gibt es in diesem Frühling von Indien über Pakistan, Iran, Irak, Arabische Halbinsel, Jordanien, Türkei, Nordafrika, Griechenland, Spanien.
Am letzten Wochenende kam es auch zu einer Hitzewelle in Deutschland mit bis zu 38 Grad Celsius. In Cottbus wurde gar mit 39,2 Grad ein neuer deutschlandweiter Temperaturrekord eingestellt. So heiß war es noch nie in der zweiten Junidekade (10. bis 20. Juni).
Wir haben in Franken und Thüringen erhöhte Trockenheit und vor allem im Nordosten Deutschlands droht das fünfte Dürrejahr in Folge, wie der Wetterticker am 15. Juni 2022 berichtete. Norditalien, eine der Kornkammern Europas, erlebt gerade die schlimmste Dürre seit 70 Jahren, so der Wetterticker vom 12. Juni.
Diese in weiten Weltregionen für viele Menschen schon tödlichen Wetterextreme finden aktuell bei einer Erdaufheizung von 1,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau statt. Was wird erst bei 1,5 oder gar 2 Grad Celsius passieren – ein Zustand, den der größte Teil der Menschen, Medien, Wissenschaftler:innen und Politik scheinbar als akzeptabel ansehen?
Wie unerwartet schnell die Erdtemperatur steigt, kann man an den Prognosen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in Genf ablesen, die noch vor zwei Jahren analysierte, dass 1,5 Grad Celsius um 2035 überschritten sein wird. Nun hat die WMO aber vor kurzem gewarnt, dass 1,5 Grad schon 2026 überschritten sein werden.
Ursache ist die immer schnellere Steigerung der Konzentration von Klimagasen in der Atmosphäre, die durch immer weitere Treibhausemissionen, also vor allem durch das Nutzen von Erdgas, Erdöl, Kohle erhöht wird. Vorindustriell betrug die Konzentration von CO2 etwa 280 ppm (parts per million, Teilchen pro Million). Die Enquetekommission des Bundestages stellte schon 1990 fest, dass eine unbeherrschbare Heißzeit der Erde mit dem Überschreiten von 400 ppm CO2 kaum mehr zu verhindern sei.
Wohlgemerkt: Als die Erdatmosphäre etwa vor 3 Millionen Jahren das letzte Mal eine so hohe CO2 Konzentration hatte, da gab es in Kanada tropische Regenwälder, Grönland war eisfrei und der Meeresspiegel war 40 Meter höher. Landflächen, wo heute Millionenstädte wie New York, Shanghai, Bombay, Hamburg, Amsterdam stehen, waren damals meterhoch unter dem Meeresspiegel. Zeitverzögert steuert eine Erde mit 400 ppm genau darauf wieder zu.
Doch die Hiobsbotschaft der Klimaforschung der letzten Tage von der CO2-Messtation auf Hawaii schaffte es nicht einmal in die Massenmedien: Erstmals wurde dort sogar 421 ppm CO2 gemessen, wie der Wetterticker am 10. Juni berichtete.
Die Atmosphäre ist also übervoll mit Klimagasen. Die logische Folge muss heißen: Nichts darf mehr hinein, es muss endlich Schluss sein mit jeglichen Treibhausgasemissionen und die Menschheit muss neben dem Beenden aller Emissionen in großem Stil die Atmosphäre reinigen, das heißt eine massenhafte Begrünung der Erde mit Aufforstungen und allen anderen Kohlenstoffsenken vor allem auch in semi-ariden Räumen voranbringen. Semi-aride Räume gibt es bald auch in Franken, Thüringen, Brandenburg und anderswo.
Banale physikalische Erkenntnis kommt nicht an: "Was für ein Versagen der Demokratie!"
Doch diese banale physikalische Erkenntnis kommt nicht einmal bei vielen Wissenschaftler:innen an. Noch immer berechnen sie hoch kompliziert, welches Kohlenstoffbudget die Menschheit noch bis 2050 oder 2030 habe, um 1,5 Grad Celsius nicht zu überschreiten. Blind dafür, dass dann 1,5 Grad längst überschritten sein werden und jede Emission die Erde weiter auf dem 3-Grad-Pfad lässt, mit welchem die Auslöschung menschlicher Zivilisation für den größten Teil der Menschheit schon für 2050 klar vor Augen ist.
So hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem jüngsten Bericht an die Bundesregierung festgestellt:
Das noch verfügbare faire CO2-Budget Deutschlands für einen 1,5°C-Pfad läuft 2031 ab, das für 1,75°C 2040.
Ja kennen denn die Wissenschaftler:innen des SRU nicht die Berichte der WMO, wonach die Welt in 2026 bereits 1,5 Grad Celsius überschritten haben wird? Wie soll es denn dann nach 2026 noch eine zu emittierende Menge an CO2 geben, um 1,5 Grad einzuhalten?
Diese Botschaften von Klimawissenschaftler:innen, wonach die Welt noch ein "ungefährliches" und damit erlaubtes Kohlenstoffbudget habe, ist der Grundfehler der Klimawissenschaft. Damit wurde der Welt immer signalisiert: Ihr könnt ruhig noch emittieren. Und genau das hat dann die Weltgemeinschaft getan, mit der fatalen Folge, dass wir heute bei 421 ppm stehen.
Und selbst bei 421 ppm wird signalisiert, wir könnten ja noch eine weitere Menge Treibhausgase emittieren, was jedes Kohlenstoffbudget ja signalisiert. Und genau daran halten sich dann fast alle und versuchen jetzt die Unabhängigkeit von Russland mit fossilen Energielieferungen aus anderen Ländern zu organisieren.
So tut es jüngst die Bundesregierung mit israelischem Erdgas, welches als LNG (Flüssigerdgas) über Ägypten nach Europa transferiert werden soll. Milliardenschwere Investitionen für immense neue Treibhausgasemissionen, wobei das Geld dann für den Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlen wird. Selbst EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reiste schnell nach Ägypten, um für neues LNG und damit neue Treibhausgasemissionen zu werben.
Der Guardian hat erst vor kurzem berichtet, dass die Mineralöl- und Erdgaskonzerne massenhaft neue Investitionen zur Erschließung neuer Felder planen. Dies führt unweigerlich zur unbeherrschbaren Heißzeit der Erde.
In Folge wird die Atmosphäre in wenigen Jahren dann 440 ppm aufweisen und es wird endgültig keine Umkehr zur Rettung der menschlichen Zivilisation mehr geben.
Es ist zum Verzweifeln! Die Unbelehrbarkeit von Wissenschaft über Medien bis hin zu Politik und insbesondere in die Chefetagen der fossilen Konzerne über die wirkliche Dramatik der Erdüberhitzung ist verheerend.
Dabei verstehen das immer mehr Jugendliche, deren Zukunft wir Erwachsenen ja zerstören. Ein Großteil der heutigen jungen Generation hat längst begriffen, dass heute über ihr Überleben in 20 Jahren entschieden wird. Sie mahnen an, dass sich die gesamte Gesellschaft an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zu halten habe, wonach jetzt die Bundesregierung das Überleben der heute jungen Generation sichern muss.
Manche von Ihnen, wie die Letzte Generation, greifen wie damals die Menschen in der Unterdrückung der DDR oder im Apartheitregime von USA und Südafrika zum Mittel des gewaltfreien zivilen Ungehorsams angesichts der schreienden staatlichen Ungerechtigkeiten. Doch wie geht der Rechtsstaat in Deutschland mit diesen Verzweiflungstaten um?
Gestern wurde ein junger Student an der Uni München von der Polizei abgeführt, weil er es wagte, einige Flyer der Letzten Generation aufzuhängen. Was ist das für ein Staat geworden, der junge Menschen, die aus Verzweiflung über die Untätigkeit zum Klimaschutz von weiten Teilen der Gesellschaft, mahnende Flyer aufhängen und dann gleich von der Polizei abgeführt werden?
Wo ist die Polizei, die in die Chefetagen der Manager:innen der fossilen Wirtschaft eindringen und diese abführen, weil diese massenhaft neue Investitionen in neue Treibhausgasemissionen mit Erdgas, Erdöl, Kohle finanzieren und sich so nicht an das Grundgesetz zum Schutze der künftigen Generationen halten? Diese Manager:innen organisieren die Auslöschung der Zukunft nicht nur des jungen Münchner Studenten, sondern großer Teile der gesamten menschlichen Zivilisation und bleiben bisher ungeschoren.
Jedenfalls wäre bei einem Ausführen der großen geplanten Investitionen in die Erschließung neuer fossiler Fördergebiete und Infrastruktur die menschliche Zivilisation mit diesen aktuellen Handlungen von Konzernen und großen Teilen der Politik nicht mehr zu retten. Was für ein Versagen der Demokratie!
Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.