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"Die Verlagsbranche muss ihre Inhalte völlig neu denken"

Ein Gespräch mit Volker Oppman, Geschäftsführer des Berliner Start-Up Unternehmen "textunes", über die Anziehungskraft neuartiger digitaler Lesegeräte und die elektronische Zukunft der Lese- und Buchkultur

Volker Oppmann ist Geschäftsführer des Berliner Start-Up Unternehmen textunes [1], das den Vertrieb von eBooks für Apples Smartphone iPhone forcieren will und mittlerweile auch die erste deutschsprachige Literaturplattform für das Gerät gelauncht hat.

Das Titelangebot von textunes umfasst inzwischen an die 750 Titel, darunter Krimis der Edition Nautilus (z. B. von Andrea Maria Schenkel), Text-Audio-Books, Reiseführer, die in einer Applikation gebündelt werden sowie die aktuellen Bestseller der großen Publikumsverlage.

Die Firma hat jüngst mit dem Suhrkamp Verlag ein App für das iPhone entwickelt, wo man derzeit etwa zehn Bücher der "edition-Reihe" digital abrufen und käuflich erwerben kann. Telepolis sprach mit ihm.

Kein Hype

Herr Oppmann, wie sind denn die Absatzzahlen für eBooks? Wird wirklich auf dem iPhone gelesen? Oder ist das alles nur ein Hype?
Volker Oppman: eBooks auf dem iPhone sind weit mehr als ein Hype - die Kategorie "Bücher" ist die zweitbeliebteste Kategorie im App Store. Allein textunes hat über 100.000 verkaufte eBooks und über 500.000 geladene Leseproben zu verzeichnen.
Interessanterweise ging eine Studie der GfK im Herbst vergangenen Jahres von bislang insgesamt 65.000 verkauften eBooks aus. Als wir die GfK auf die Zahlen angesprochen und unsere eigenen Zahlen gegenübergestellt haben, wurde klar, dass das Thema mobiler eBooks keinen Eingang in die Studie gefunden hatte und weitaus potenter war als der "reguläre" eBook-Markt auf traditionellen eReadern.
Dieser Trend ist ungebrochen und gewinnt sogar noch an Dynamik. Zum Sommer hin werden wir dann Google Android als weitere Plattform anschließen. Wir gehen davon aus, dass "mobile" eBooks auch in Zukunft einen ganz wesentlichen Teil des Marktes ausmachen, wenn nicht sogar signifikant bestimmen werden.
Wer liest denn auf dem iPhone? Haben Sie einen Überblick, wer die Kunden sind und aus welchen sozialen Schichten sie sich rekrutieren?
Volker Oppman: Das ist ja das Schöne am iPhone - es ist von der Marktdurchdringung her inzwischen in sämtlichen Bevölkerungsschichten verbreitet. D.h., egal welche Zielgruppe sie mit ihren Titeln ansprechen, Sie können sich sicher sein, dass diese schon da ist. Die große Herausforderung ist vielmehr, die jeweilige Zielgruppe in dem Überangebot von Apps überhaupt zu erreichen.
Und wie erreichen Sie die?
Volker Oppman: "textunes" steht als Marke für zeitgenössische Literatur. Im Gegensatz zu anderen Anbietern arbeiten wir auch ausschließlich mit etablierten Publikumsverlagen und nehmen keinen user generated content ins Programm. Unsere Leser wissen also schon einmal, dass sie bei "textunes" Qualitätsinhalte geboten bekommen.
Ganz zentral in unserem Konzept sind die Leseproben, da in Apps im App Store nicht hineingelesen werden kann. Das Buch ist aber ein klassisches Inspektionsgut, d.h. ich kaufe als Kunde nicht die Katze im Sack, sondern möchte mir zunächst selbst ein Bild machen.
Unser Flaggschiff, die textunes App, bietet deshalb zu sämtlichen verfügbaren Titeln Leseproben - zudem lässt sich ganz klassisch stöbern: nach Titel, Autor, Verlag, Genre, Schlagwort oder über freie Suchbegriffe.
Bei Gefallen kann der Titel auch gleich gekauft werden, und das sowohl als eBook wie auch als gedruckte Ausgabe direkt per Mailorder nach Hause. Die textunes App ist im Grunde eine Kombination aus mobilem Buchladen und Bibliothekssoftware, welche die gekauften Titel benutzerindividuell verwaltet.
Die Filter und Vorschlagslisten werden von Update zu Update verfeinert, sodass unsere Kunden immer gezielter das finden, was sie auch tatsächlich interessiert. Zudem haben unsere Leser über ihre sozialen Netzwerke die Möglichkeit, ihre Leseerfahrungen mit anderen zu teilen - aktuell über Twitter und Mail, ab dem Sommer auch über MySpace und Facebook.
Welche Texte eignen sich denn überhaupt zur Lektüre auf dem iPhone?
Volker Oppman: Es werden tatsächlich auch lange Romane u.a. von Frank Schätzing oder Stephenie Meyer gelesen. Insgesamt beobachten wir neben der reinen Unterhaltung aber einen starken Trend hin zu Ratgebern und Fachbüchern - also die schnell verfügbare Information, die überall und jederzeit verfügbar ist.

Neue, kreative Denkmuster

Welche neuen multimedialen Formate für das iPhone sind in den USA erfolgreich?
Volker Oppman: Das Kuriose ist hier, dass der Vorreiter USA in Sachen multimedialer Formate dem alten Kontinent hinterherhinkt. Denn gerade die Größe von Marktteilnehmern wie Amazon oder Apple ist nämlich zugleich auch deren Schwäche - sie müssen nämlich zwangsläufig auf Masse setzen, was wiederum ein hohes Maß an Standardisierung erfordert. Das heißt, neue, innovative Impulse und Werkformen kommen von anderen - in England beispielsweise von VOOK oder Missing Ink Studios.
Gibt es die auch in Deutschland?
Volker Oppman: Ja, die gibt es - bei uns, bei textunes.
Und wie schauen die aus?
Volker Oppman: Ganz unterschiedlich: Das geht von Text-Audio-Books, also eine Verbindung aus klassischem Text und Hörbuch über Comic und Manga (auch diese zum Teil mit integrierten Hörbüchern), Kochbüchern mit Rezeptplanern und Reiseführern mit umfangreichem Kartenmaterial bis hin zu interaktiven Sprachtrainern, etwa die Lernkrimis von Cornelsen.
Wir arbeiten aber auch mit Kooperationspartnern aus dem stationären Buchhandel. So haben wir mit Hugendubel gerade eine App gelauncht, die neben einem Filialfinder die Möglichkeit bietet, direkt die Verfügbarkeit einzelner Titel in der jeweiligen Filiale abzufragen.
Wie aufwendig ist die Entwicklung der neuen Formate für die Autoren und Entwickler?
Volker Oppman: Der erste Schritt ist immer mühsam, wenn man neues Territorium betritt. Vor allem gilt es, sich aus alten Denkmustern und Prozessen, gerade in der Produktentwicklung, zu lösen und neue Ansätze zu finden.
Das eBook kann nämlich deutlich mehr als eine bloße digitale Kopie des physischen Buches sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in kürzester Zeit eine ganze Palette neuer Produktformen haben werden - bis hin zu Formaten, die mit dem klassischen Buch im engeren Sinne nicht mehr viel zu tun haben.
Das Verlagswesen lebt im Kern vom Handel mit Urheberrechten und deren Auswertung. Im eBook-Bereich kommen nun neue Möglichkeiten der Auswertung hinzu und die Verlage begreifen, dass sie ihre Inhalte als "Content-Provider" völlig neu denken können. Aus den vorhandenen Bausteinen lässt sich eben nicht nur länger ein Produkt namens "Buch" generieren, sondern eine ganze Reihe anderer Dinge - von Hörbüchern über Text-Audio-Bücher bis hin zu interaktiven Inhalten, gerade im Fach- und Sachbuchsegment.
Hat man das einmal begriffen, sind die nächsten Schritte im Grunde sehr leicht, da dann eine enorme Kreativität freigesetzt wird und das Umsetzen dieser Ideen deutlich weniger Ressourcen bindet als im physischen Bereich. Dieses Potential gilt es produktiv zu nutzen.
Ist dafür eine neue Form von Kreativität gefordert?
Volker Oppman: Definitiv ja. Die Entscheider im digitalen Zeitalter müssen im wahrsten Sinne des Wortes interdisziplinär denken. Es genügt nicht, Wissen in nur einem Teilbereich mitzubringen, sei es nun Literatur, Verlagswesen, Marketing, Vertrieb oder IT. Die neuen Märkte funktionieren anders und zwar auf allen Ebenen. Vor allem aber muss man all diese Teilaspekte gemeinsam denken.

Anderes kommunikatives Verständnis

Werden Texte zukünftig in neue Formen gebracht?
Volker Oppman: Das kommt auf das Genre an. Ein Roman oder eine Erzählung lebt vom und durch den Text sowie von tradierten Erzählmustern. Daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Sprachen und Formen befinden sich aber naturgemäß in einem stetigen Wandlungsprozess, d.h. dass sich im Grunde alles ändert, ständig.
Literatur war und ist Dialog zwischen Autor und Leser, das Internet wiederum ist das mit Abstand kommunikativste Medium. Hier entstehen neue Formen der Kommunikation, die sich selbstverständlich wiederum auf die Art und Weise auswirken, wie Wissen und Erfahrungen vermittelt, wie Texte rezipiert werden - und natürlich wie Literatur produziert wird. Das bislang vielleicht extremste Beispiel ist der Fall Hegemann. Da wächst eine Generation heran, die ein völlig anderes Verständnis von Kommunikation, Autorschaft und Textproduktion hat.
Es ist aber auch eine kulturelle Frage. Nehmen Sie nur den Erfolg von Handyromanen in Japan. Hier ist quasi über Nacht eine völlig neue Textgattung entstanden, die, analog zu Mangas, in dieser Form aber auch nur in Fernost funktioniert.
Wie sieht es aus mit der Sicherung des Urheberrechts, dem Schutz geistigen Eigentums vor seiner unerlaubten Entäußerung?
Volker Oppman: Der Schutz des geistigen Eigentums ist immens wichtig, da das Urheberrecht überhaupt erst das Einkommen schöpferisch tätiger Menschen und Betriebe sichert.
Restriktive Gesetzgebung und harte DRM-Verfahren werden aber sicherlich nicht die Lösung sein. Die Gesellschaft verändert sich und damit auch die Regeln des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Wirtschaft denken jedoch rückwärts; hier wird versucht, einen Status Quo zu verteidigen, der längst nicht mehr existiert.
Ebenso wenig wie sich Sprache normieren lässt, lässt sich die Entwicklung der Gesellschaft normieren. Ein gutes Beispiel liefert der DUDEN, der im öffentlichen Bewusstsein zwar als Norm akzeptiert ist, im Kern aber ganz anders funktioniert:
Der DUDEN ist nämlich ein deskriptives und kein normatives Wörterbuch. D.h. die Redaktion des Duden beobachtet die öffentliche Kommunikation, insbesondere in den Medien und stellt statistisch fest, welche Schreibweise sich allgemein durchsetzt und damit als die gültige Form. Neue Wörter werden, sofern sie Relevanz im Sinne von Verbreitung besitzen, mit aufgenommen. Basisdemokratischer geht es nicht.
Auf die Gesetzgebung und die Anpassung von Geschäftsmodellen an das neue Zeitalter übertragen bedeutet dies, dass es viel sinnvoller wäre, sich der aktuellen Situation anzupassen als sich mit allen Mitteln dagegen zu stemmen. Satt einen immer höheren Damm zu bauen, könnte die dazu nötige Energie viel effizienter eingesetzt werden, die Ströme von geistigen Leistungen optimal zu kanalisieren und produktiv umzuleiten.
Ein Hauptproblem liegt darin, dass insbesondere der Leser jahrhundertelang dazu erzogen wurde, dass der Wert eines Buches in dessen Ausstattung, also im physischen Produkt selbst begründet liegt. Er hat gelernt, dass ein Hardcover hochwertiger ist als ein Paperback und dass Taschenbücher auf Billigpapier nur einen Bruchteil der Erstausgabe kosten. In jedem Fall aber hat er stets einen physischen Gegenwert in Form eines Produkts in Händen.
Die Pricingdebatte wurde also stets ausschließlich über das Trägermedium geführt. Im elektronischen Bereich funktioniert dieses Modell nicht mehr. Der obigen Argumentation (der Verlage, wohlgemerkt!) folgend, erwartet der Kunde logischerweise, dass das eBook deutlich günstiger ist, da er nun nicht einmal mehr einen physischen Gegenwert erhält. Schlimmer noch: Er hat nun nicht einmal mehr das Gefühl, dass der Text auch tatsächlich ihm gehört, sondern ihn allenfalls auf unbestimmte Zeit geliehen hat.
Was wir tatsächlich brauchen, sind keine DRM-Verfahren, sondern eine Imagekampagne für den Wert geistigen Eigentums und der dahinter stehenden Leistungen. Verständnis kann man zudem nur dort erwarten, wo die Leute unmittelbar selbst betroffen sind. Wie also sieht die Situation aus, was wissen wir und was lässt sich daraus ableiten?
Leser und Kunden einbinden
Hier einige Fakten:
Mein vielleicht etwas unkonventioneller Lösungsansatz dazu würde daher lauten: Statt die Leser mit allen Mitteln daran zu hindern versuchen, unsere als Verlage teuer erstellten Inhalte zu verbreiten, sollten wir sie im Gegenteil nach allen Regeln der Kunst dazu animieren und den Kunden aktiv in unsere Vertriebs- und Marketingstrategie einbinden.
Wir alle wissen, dass Erziehung immer noch am besten über den Geldbeutel funktioniert. Was spräche also dagegen, den Kunden über Affiliate-Programme direkt an den Verkäufen zu beteiligen? Ihn wertzuschätzen, indem man ihm eine Verkaufsprovision zugesteht, wenn er schon unsere Produkte bewirbt?
Der Kunde muss die Erfahrung machen, dass sich seine Initiative lohnt. Also belohnen wir ihn doch dafür. Direkt über Affiliate-Provisionen und indirekt über Bonusprogramme z.B. für Rezensionen, Bewertungen oder Posts auf seinen sozialen Netzwerken.
Der Effekt wäre eine Art positives Schneeballsystem: Je mehr Initiative der Einzelne zeigt und je breiter er Informationen streut, desto lukrativer der eigene Einsatz, z.B. in Form von Guthaben auf dem Kundenkonto, der im nächsten Schritt wieder in neue Produkte investiert werden kann.
Hat der Kunde das Konzept einmal begriffen, wird er von sich aus keinerlei Motivation haben, Inhalte bei illegalen Tauschbörsen einzustellen - denn davon hat er nichts - sondern wird Inhalte über kontrollierte Kanäle streuen. Und das mit deutlichem Benefit für alle Seiten. Ein zufriedener Opinion-Leader ist unbezahlbar, noch dazu, wenn er von seiner Sache überzeugt ist.
Dass im Netz Gerechtigkeitsbewusstsein und Zahlungsbereitschaft für gute Inhalte existieren, zeigen Social-Payment-Systeme wir flattr: Man erweist sich gegenseitig Respekt und Achtung, indem man die Leistung anderer honoriert - im wahrsten Sinne des Wortes.

Botschaft mit messianischer Kraft

Kommen wir noch zum iPad. Das iPad ist in den USA ein phänomenaler Erfolg. Woran liegt das? Hat es "erotische Kraft", wie manche behaupten? Und kann es die Verlags- und Zeitungsbranche tatsächlich retten, wie der Springer-Chef mutmaßt und frohlockt?
Volker Oppman: Die Erklärung ist recht simpel: Es funktioniert einfach. Sogar ohne Betriebsanleitung. Vor allem aber hat der Kunde einen echten Nutzen, da das iPad im Gegensatz zu den reinen eReadern wie dem Kindle alles kann, was wir von einem mobilen Rechner erwarten. Ich brauche also nur ein Gerät, um zu lesen, Musik zu hören, Filme zu sehen, High End-Computerspiele zu spielen und zu kommunizieren, ganz selbstverständlich.
Ob das iPad allerdings die Zeitungsbranche retten kann, wage ich zu bezweifeln. Allein sicherlich nicht. Es ist allerdings das erste Modell einer neuen Gerätegeneration, auf dem Magazine, Zeitschriften und Zeitungen nicht nur von der Größe und den Möglichkeiten der Umsetzung her Sinn machen, sondern das auch ein neues Vertriebsmodell für paid content in sich trägt. Ich sehe im iPad also eine Art Wegweiser für die Zukunft, der sagt: "Seht her, so geht’s!"
Bei seiner Präsentation des iPad Ende Januar hat der Apple-Chef bekanntlich verlauten lassen, dass er verstanden habe, wie der Buchmarkt bzw. das Verlagswesen funktioniert. Warum hat Steve Jobs das und Jeff Bezos nicht?
Volker Oppman: Steve Jobs ist ein hervorragender Marketingstratege, dass er den Buchmarkt verstanden hat, glaube ich indes nicht. Schon gar nicht global, da insbesondere die Buchbranche neben der Sprachbarriere stark durch regionale Besonderheiten geprägt ist.
Was Steve Jobs hingegen verstanden hat, sind die Fehler, die Amazon als Monopolist gemacht hat. Dabei macht Apple gar nicht so viel besser - sie sind lediglich das kleinere zweier Übel, das dem leidgeprüften Publikum sehr geschickt verkauft wird.
Alleine die Message, als Verlag wieder selbst halbwegs Herr der Preispolitik zu sein, muss amerikanischen Kollegen tatsächlich wie die frohe Botschaft des Messias erscheinen. Steve Jobs nennt das agency model. Wir in Deutschland nennen das Buchpreisbindung.
Was prädestiniert denn den iPad zu einem Lesegerät? Was kann der iPad besser als etwa der Kindle von Amazon?
Volker Oppman: Lassen Sie uns die Frage doch einmal anders herum stellen: Was kann der Kindle besser als das iPad? Einzig und allein die Textdarstellung im S/W-Modus durch das eInk-Display. Ich finde es schon abstrus, dass die eBook-Diskussion bei der Hardware allein über die Displaytechnologie geführt wird.
eReader sind durch die Bank technische Dinosaurier, die im Grunde schon längst tot sind. Sie wissen es nur noch nicht bzw. wollen es nicht wahrhaben. Das iPad ist das erste Gerät einer neuen Generation, das tatsächlich als Konzept Sinn macht, weil es eben mehr kann als "nur" Lesen. Es ist ein kompletter PC für die Westentasche, der (fast) alles unterstützt, was das digitale Herz begehrt.
Zwar ist das iPad auch nicht frei von Mängeln und mit Sicherheit nicht die allein selig machende Lösung, aber immerhin ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung.

Mehr lesen als zuvor

Wird da nicht auch mehr der sozialen Zerstreuung Vorschub geleistet als dem konzentrierten Lesen, wenn man damit auch twittern, mailen, surfen, Video und Audio genießen kann und bunt-mobiles Entertainment das langweilige Schwarzweiß des Textes überlappt?
Volker Oppman: Momentan ganz eindeutig nicht, da das iPad (noch) kein Multitasking unterstützt. Außerdem glaube ich auch nicht, dass sich die Frage an Geräten oder technischen Möglichkeiten festmachen lässt. Die Antwort hat immer mit einem selbst und dem eigenen Medienverhalten zu tun.
Jemand, der nur durch die Kanäle zappt und nie ein Buch liest, wird auch auf dem iPad nicht lesen. Hingegen jemand, der gerne liest und dafür auch gerne einmal den Fernseher auslässt oder auf Computerspiele verzichtet, wird auf dem iPad vielleicht sogar noch mehr lesen als zuvor - einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass sämtliche Titel jederzeit sofort verfügbar sind.
Das Problem vieler insbesondere berufstätiger Menschen wie uns ist ja nicht, dass wir uns nicht für Bücher interessieren würden, sondern dass wir schlicht und ergreifend überhaupt keine Zeit mehr haben, zu den üblichen Öffnungszeiten einmal durch die Regale zu stöbern.
Woher nehmen Sie die Sicherheit oder die Gewissheit, dass das iPad als Lesegerät für komplette eBooks überhaupt einen nennenswerten Marktanteil erlangen wird.
Volker Oppman: Weil es alles kann, was ich von einem elektronischen Gerät dieser Klasse erwarte. Ganz ehrlich: Der Kindle und andere dezidierte eReader werden sicherlich ihre Liebhaber und Kunden insbesondere unter älteren Menschen haben, als Gerät für den Massenmarkt taugen sie hingegen nicht und werden immer Spezialanwendung bleiben. Das Business spielt sich aber woanders ab - und zwar auf multimedia devices.
Was meinen Sie damit? Können Sie uns das noch etwas genauer erklären
Volker Oppman: Ich meine vollwertige PCs für die Westentasche, die hinsichtlich Funktionalität und Leistungsumfang ihren großen Brüdern auf dem Desktop in nichts nachstehen. Wenn ich schon ein elektronisches Gerät mit mir herumschleppe, erwarte ich davon, dass ich darauf eben nicht nur lesen, sondern auch Musik hören, Videos sehen, eMails schreiben, im Netz surfen und noch viele andere Dinge mehr tun kann. iPhone und iPad können das, eReader nicht.

Weitere Ausdifferenzierung

Die meisten eBooks sind noch Eins-zu-eins-Umsetzungen der gedruckten Bücher. Wie muss oder wie darf man sich eBooks der Zukunft vorstellen?
Volker Oppman: eBook ist im Grunde ein viel zu allgemeiner Begriff, da er die Besonderheiten der einzelnen Genres und Textgattungen nicht berücksichtigt. Ich bin davon überzeugt, dass eine starke Ausdifferenzierung elektronischer Buch-Produkte stattfinden wird und wir es im Endeffekt mit einem breiten Spektrum von 1:1-Übertragungen (beispielsweise in der Belletristik) bis hin zu Formen zu tun haben werden, die kaum mehr Ähnlichkeiten mit dem haben, was wir heute unter einem Buch verstehen.
Die Grundfrage wird dabei stets sein, welche Funktion ein Text zu erfüllen hat, ob er also beispielsweise der Unterhaltung oder der Vermittlung von Wissen dient.
Können sich solche Produkte kleinere Verlage denn überhaupt leisten? Der technische, und dann mithin wohl auch finanzielle Aufwand für solche Bücher ist doch gewaltig.
Volker Oppman: Diese Frage können wir bei "textunes" mit einem ganz klaren Ja beantworten - schließlich war es die Initiative eines kleinen 2-Mann-Verlages, die "textunes" aus genau diesem Wunsch heraus angeschoben hat.
Selbstverständlich macht es keinen Sinn, sich für jedes eBook-Projekt eine komplette Softwarelösung entwickeln zu lassen. Das könnten sich selbst große Häuser auf Dauer nicht leisten. Die Idee hinter "textunes" ist daher, die Reader-Software immer weiter auszubauen und modular derart zu erweitern, dass wir den Verlagen selbst komplexeste Lösungen zu einem absoluten Basispreis anbieten können.
Entsprechend ist auch unser Geschäftsmodell in zwei Teile gesplittet: Die "Herstellung" auf der einen Seite, welche die Titel zum Selbstkostenpreis aufbereitet sowie der Vertrieb auf der anderen Seite, der über ein klassisches Share-Modell läuft, wodurch wir sowohl unsere Vertriebsleistung als auch unsere Softwareentwicklung refinanzieren.
Was man nämlich auch nicht vergessen darf: Software ist ein lebendiges Produkt und in diesem Sinne nie "fertig". D.h. selbst ausgereifte Produkte müssen kontinuierlich weiterentwickelt und an neue Betriebssystemversionen angepasst werden. Auch davon profitieren unsere Partnerverlage.

Immer online

Lässt sich aus Ihrer Sicht denn schon abschätzen, wie die Entwicklung des (mobilen) Internets in den nächsten 10 Jahren aussehen wird?
Volker Oppman: Ganz zentral seh ich den Begriff von always online, dass wir also egal, wo und in welchem Umfeld wir uns bewegen, online sein werden. Hinzu kommen größere Bandbreiten für die Datenübertragung sowie leistungsfähigere Geräte, die das Versprechen von anything, anytime, anywhere erfüllen, dass wir also von überall zu jeder Zeit Zugriff auf sämtliche Inhalte haben werden. Ob und wie wir dieses Angebot dann tatsächlich nutzen werden, ist eine andere Frage.
Ich gehe aber davon aus, dass sämtliche Medien vorwiegend online genutzt werden und dass das global village noch ein wenig enger zusammenrückt, da man über sämtliche Kanäle kommunizieren kann - und das sowohl schriftlich wie auch mündlich oder von Angesicht zu Angesicht.
Was wird das für das Lesen bedeuten?
Volker Oppman: Es wird definitiv mehr gelesen werden, da unsere Kommunikation im Netz ja in erster Linie über (geschriebene) Sprache funktioniert. Was das im Speziellen für die Form der literarischen Unterhaltung bedeutet, wird sich zeigen.
Menschen flüchten sich gerne in Parallelwelten - ob das ein Rollenspiel ist, der Austausch in sozialen Netzwerken oder eine Romanwelt, ist auf den ersten Blick zweitrangig. All diese Formen stellen eine Rückzugsmöglichkeit aus dem Alltag dar. Insofern wird auch die Nutzung dieser Angebote typabhängig sein: während der eine sich gerne in die Gemeinschaft mit anderen begibt, zieht sich der andere lieber mit seinem Buch zurück.
Insgesamt bin ich aber sehr optimistisch, schließlich ist die Erzählung im weitesten Sinne Kernbestandteil unserer Kultur und unseres Wesens - von der mündlichen Überlieferung über physische Träger bis hin ins digitale Zeitalter.
Hat das Lesen in seiner bekannt langsamen Form denn überhaupt noch eine Zukunft? Ich erinnere daran, dass in den USA nur noch zwei von fünf Amerikanern pro Jahr überhaupt ein Buch zur Hand nehmen und es lesen. Und guckt man sich die kommende Generation an, deren Lesekompetenz und Lust am und zum Lesen, dann könnten einem doch ernste Zweifel kommen.
Volker Oppman: Ich glaube, dass wir hier oft Klischees aufsitzen. Das intellektuelle Lesen, das als Kulturtechnik stets so hoch gehalten wird, war schon immer eine Minderheitenbeschäftigung, um nicht zu sagen, Sache eines äußert kleinen, elitären Zirkels. Unterhaltungsliteratur wird mehr konsumiert denn je. Es ist zudem ein Fehlglaube, dass Märkte ungebremst weiterwachsen können. Die Buchindustrie hat ihr maximales Potenzial Ende des letzten Jahrtausends entfaltet. Jetzt sind wir an den Grenzen des Wachstums angelangt. Daraus aber gleich zu schlussfolgern, dass nun zwangsläufig alles bergab geht, halte ich für abwegig.
Das gesamte Leben verläuft zyklisch. Auf jedes Auf folgt ein Ab. Das Schöne ist, dass es nach jedem Abwärtstrend wieder bergauf geht. Manchmal auch ganz unvorhergesehen. Nehmen Sie nur das Beispiel Harry Potter: Plötzlich hat man den Eindruck, dass es niemanden gibt, der die Bücher nicht gelesen hat.
Doch auch in diesem Fall bestimmen die Schwarzseher die öffentliche Meinung, da sich insbesondere das Bildungsbürgertum wünscht, die eigenen Sprösslinge würden lieber Goethe und Schiller lesen. Tenor: Das Ende der Lesekultur ist da!
Es wird prinzipiell immer mehr gejammert als gelobt, bzw. mehr über die bestehenden Verhältnisse geklagt als der Versuch unternommen, selbst etwas an der Situation zu ändern.
Was die Zukunft unserer Branche anbelangt: Wer ihr mit Furcht begegnet, hat schon verloren. Wer dagegen etwas unternimmt, hat zumindest die Chance etwas zu bewegen. Bestes Beispiel: textunes. Die Idee entstand in einem kleinen Zwei-Mann-Verlag, nicht in einem Konzern. Und wir haben uns der Mittel bedient, die wir vorgefunden haben. Der Kampf zwischen David und Goliath ist noch lange nicht entschieden. Und für Kulturpessimismus habe ich keine Zeit.

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