Die Virtualisierung einer Stadt
Bonn nach der Regierung und vor einem Hochhaus
Witze über die ehemalige Bundeshauptstadt zu reißen ist in den letzten Jahren ein wohlfeiler Volkssport gewesen, und die meisten haben mich als gebürtigen Bonner ebenso aus Lokalpatriotismus geschmerzt wie in ihrer Missachtung der ruhig demokratischen Regierungsarbeit dort, der nun das Berliner Gusseisen in Schritt und Auftritt folgt. An manchen Witzen tragen die Bonner derzeit jedoch selber Schuld, denn gerade die neue Nutzung des alten Regierungsviertels führt nur zu deutlich vor, warum viele der bösen Sprüche vom Treibhaus-Kleinklima dieser Stadt nur allzu berechtigt waren und sind. Konkret geht es um einen Neubau, der schon längst zum Symbol verlorener Schlachten geworden ist; doch die Nachhut ist noch zahlreich und gibt nicht auf, das macht das Ganze so lächerlich.
Kernstück der Neunutzung alter Bundes- und Parlamentsbauten im sogenannten Regierungsviertel ist die Umwandlung vorhandener Gebäude für Verbands-, Kongress- und universitäre Nutzungen, erfolgreich vorgeführt durch die Arbeit der Deutschen Telekom, die am alten Regierungsschnellweg, der Friedrich-Ebert-Allee, nicht nur einen ordentlichen Neubau errichten ließ, sondern dazu den hässlichen Protzbau der CDU-Bundeszentrale kaufte und das gesamte Ensemble demnächst sehr schick unter Glas verschwinden lassen will, Autostraße inklusive.
Für andere Gebäude gibt es derlei Umnutzungspläne noch nicht in genügender Anzahl und Qualität, allein die gründerzeitlichen Villen der auf kaiserlichen Anhang spekulierenden Bonner Maurermeister erleben derzeit eine Hochkonjuktur im Gebrauch von allerlei Welt-, Europa- oder Bundesverbänden. Das parlamentarische Wunder aus Glas und Stahl von Günter Behnisch hat jedoch noch keine adäquaten Mieter und dient vorläufig einsam als Museum seiner selbst - in der Hoffnung, dass der Altmeister nicht, wie derzeit in Münchens Olympia geplant, sein Werk durch nachträgliche Veränderung selbst zerstört.
Zum Regierungsviertel gehörte immer auch ein architektonisch wenig spektakuläres, aber in der Form sehr gelungenes Bauwerk der fünfziger Jahre, das Postministerium von Joseph Trimborn. Der Regierung Kohl war es vorbehalten geblieben, nicht nur die Post als Staatsunternehmen zu zerschlagen, sondern auch gleich deren Tafelsilber in Form diesen Gebäudes dem Auswärtigen Amts zuzuordnen, womit ein Teil der drei neuen Firmen heimatlos wurde. Kein Zustand war dies, und wenn die Deutsche Post in Bonn bleiben wollte oder sollte, so musste ein neues Hauptgebäude her, vor allem als Steuerungszentrum eines der nunmehr größten europäischen Logistik-Unternehmen. Ein Grundstück wurde gesucht, ein Wettbewerb ausgeschrieben, und in den Unterlagen ausdrücklich gewünscht war ein kompaktes Ensemble für viel Datentechnik. Das Ergebnis ist bundesweit bekannt geworden - Paul Böhm erhielt den ersten Preis für vier halbhohe Blöcke mit dicker Steinverkleidung, Helmut Jahn den zweiten für ein gläsernes Hochhaus von vertikal 163 Metern - sieben Meter mehr als der Dom im benachbarten Köln und höher als Alles, was Bonn je gesehen hatte. Der Bauherr favorisierte von Anfang an den zweiten Preis, was bei derlei Wettbewerben auch nicht selten und unüblich ist. Am 2. September 1999 hat der Rat der Stadt Bonn dem Baugesuch der Deutschen Post AG. für das Jahn'sche Hochhaus mit deutlicher Mehrheit zugestimmt.
Soweit ist der Vorgang nichts Besonderes, und auch die elend langen Leserbriefkampagnen offizieller wie selbsternannter Denkmal- und Heimatschützer könnten als durchschnittlicher Vorgang einer demokratischen Durchsetzung von Planungsvorhaben gelten, wenn da nicht einige Argumente wären, die medialen Ursprungs zu sein scheinen, und die schon so weit in die Vorstellungen gegnerischer Parteien - wobei es zwar ausgesprochene Gegner des Baues, aber keine ebenso ausgesprochenen Befürworter gibt, sondern allein pragmatische Erwäger - eingegangen sind, dass sie von grundsätzlichem Interesse sein müssten. Erstaunlicherweise fühlte sich der Bund Deutscher Architekten genauso bemüßigt, sich mit faden Argumenten als Hochhausgegner zu outen, wie jene MitarbeiterInnen der Landesdenkmalpflege, die zuvor dem Abriss des Bonner Urparlaments widerspruchslos zugesehen hatten und nunmehr gleich das ganze Regierungsviertel aus architektonisch zumeist absolut nichtssagenden Mittelklassebauten unter Ensembleschutz stellen wollten. Das Alles kann noch unter Kohl'scher Kirchturmspolitik rubriziert und vergessen werden, hätten nicht alle GegnerInnen dasselbe Totschlag-Argument : die Lage des Baus in der Bonner Rheinaue zwischen der südlichen Stadt und dem Stadtteil Bad Godesberg.
Wichtigstes Element aller Beweisführungen ist demnach ein Bild, fast immer einer Photomontage: der Blick vom Bonner Rheinufer nach Süden auf den Beginn des engeren Rheintals zu, verstellt von Egon Eiermanns Abgeordneten-Hochhaus und nunmehr ergänzt um die Silhouette oder Modellansicht des Jahn'schen Baus. An diesem Bild sind wiederum zwei Details von Bedeutung : die Lage der Hochhäuser im Verhältnis zur Bergform des Drachenfels mitsamt Burgruine und - meist weniger beachtet, daher umso manipulativer eingesetzt - die Drehung des Jahn-Hauses, der damit umso breiter, also blickverstellender wirkt. Die Homepage der örtlichen CDU wirbt beispielsweise gegen die Planung mit einer Sicht, die nur dem Besucher des lokalen Priesterseminars möglich ist - schöne Referenz auf das C im Parteinamen, aber sicher keine ganz ehrliche Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse. Andere Hochhaus-Gegner suchten sich Standorte, die eher öffentlich zugänglich scheinen, und montierten dafür gleich beide Hochhäuser in ihrer Position zum Horizont um.
Wiederum erscheint das alles lächerlich genug, um als Provinzposse durchzugehen, doch enthält es eine visuelle Botschaft, die für alle Virtualität in Planungsvorhaben konventionalisiert ist, und die sich an diesem Beispiel besonders gut codieren lässt. Das Rheintal ist als romantische Reiseroute fest mit einem Begriff von Schönheit konnotiert, der mit der Wirklichkeit dieses Fleckchens Erde nichts mehr zu tun hat. Die Weinberge sind mit breiten Autostraßen durchzogen, die Orte haben gigantische Brücken- und Straßenbauwerke erhalten, vor der Loreley steht eine Industrie-Container-Mühlenkiste, und schon im 19. Jahrhundert brachten die beiden Bahnstrecken ein Ensemble von Erdwällen und Tunneln mit sich, das den Eindruck der Tallandschaft nachhaltiger veränderte als alle andere Eingriffe zuvor. Die eher rauhe Landschaft der schroffen Felsenhänge mit ihren ursprünglich winzigen Weinberg-Terrassen ist einer industrialisierten Nutzung zugeführt worden, derer sich die Natur nur durch gelegentliche Hochwässer zu entledigen weiß. Symbol aller Eingriffe mag schließlich die Nazi-Thingstätte auf dem Felsmassiv der Loreley sein; dem Felsen fehlt durch diese gut sichtbare Krone jedwede mystische Anmutung, und das nicht erst, seit dort bei Rockkonzerten die Hubschrauber mit den anfliegenden Stars kreisen.
Der Ausblick ins Rheintal ist also kein Wert mehr, den eine Stadt wie Bonn argumentativ anführen dürfte; obendrein müsste sie dann selbst einen großen Teil der eigenen Bauten in südlichen Stadtteilen abreißen lassen. Eine wildgewordene Gruppe promovierter RentnerInnen aus dem örtlichen Kunsthistorischen Institut, als Heimatverein getarnt und mit quasi institutioneller Kraft auftretend, würde diese radikale Lösung sicher begrüßen - auch eine Folge der 68er Bewegungen, die oft genug Gewalt gegen Sachen ideologisch vor die Bedürfnisse von Menschen gestellt hatten. Der BDA kaschierte in seinem Mitteilungsblatt 'Der Architekt' nur mühsam das schlichte Verbandsinteresse der Förderung eines lokalen Matadors gegen die Übermacht eines amerikanischen Emigranten, wobei eine einfache Photomontage desselben Blicks in das Rheintal jedes ästhetisch-landschaftspflegerische Argument vom Tisch gefegt hätte - der Böhm'sche Vorschlag ist halb so hoch wie das Eiermann'sche Hochhaus, dafür aber viermal so breit wie der Jahn'sche Entwurf, ein veritabler Mauerriegel gen Süden also. Und bei all der steinernen Verkleidung wäre keinesfalls eine nächtliche Beleuchtungsgestaltung möglich, die ja erst das Flair des Leichten wieder zurückgebracht hätte. Spekulation, Alles vorbei und vergessen.
Interessanterweise haben die Befürworter des Jahn-Baus ihr wichtigstes Argument in der Öffentlichkeit nur wenig genutzt; offensichtlich ahnten sie, dass damit ideologisch kein Raum zu gewinnen war: Nur in einem Hochhaus mit einem einzigen Versorgungskern lässt sich die elektronische Vernetzung gewinnbringend verstauen und vor allem jederzeit erneuern, verbessern und ergänzen. Breitbandkabel in großen Mengen und Glasfaser in dicken Bündeln lassen sich nicht um jede schicke Kurve winden, nur weil es den Architekten so gefällt. Klimatechnisch sind Hochhäuser ohnehin leichter zu realisieren, und das drückende, weil landschaftsplanerisch ungeschickt angelegte Nahklima der umgebenden Rheinaue kann ein paar Fallwinde gut vertragen. Doch das sind keine Argumente, mit denen politisch geworben werden kann - sie sind zu nah an funktionalen Kategorien und zu weit von jener Symbolkommunikation entfernt, die die deutsche Politik seit der Einigung (und damit dem Hauptstadtverschiebungsbeschluss) als einzige Richtschnur des Handelns anzuerkennen scheint.
Damit ist die Stadt Bonn zweifach in den virtuellen Raum geraten. Zum einen durch die Don-Quichotterie jener Windmühlenflügel-Hochhaus-Kämpfer, die eine bereits seit langem zerstörte Blickbeziehung zur einzigen Perspektive zukünftiger Stadtentwicklung verengen möchten. Ihr Bild der Stadt entspricht jenem himmlischen Jerusalem, das den Ezechiel-Zyklus der kleinen Doppelkirche im Stadtteil Schwarz-Rheindorf mehrfach bekrönt, und das in dieser Form, weil es überhaupt die älteste urbane Planungsdarstellung nördlich der Alpen ist, tatsächlich das Urbild aller digitalen Stadtentwürfe abgibt.
Zum anderen ist die Virtualität der elektronischen Kommunikationswege, die die kabel- oder rohrförmige Vernetzung aller Räume eines umfangreichen Baukomplexes einschließt, derart unanschaulich, dass damit auf kommunalpolitischer Ebene, das heißt, im Hinterraum von Schankwirtschaften, nicht mehr argumentiert werden kann. Aber wenn schon die dritte Dimension im realen Raum nicht wahr genommen wird, dann ist es um die weitere Dimensionen virtueller Räume schon lange geschehen. Mehr als metaphorisch ist somit das Medium der Auseinandersetzungen, nämlich das lokale Monopoltageblatt - Papier ist geduldig.