Die Visualisierung der Stadt
Marian Dörk und Boris Müller vom Urban Complexity Lab über Projekte und Ziele der Informationsvisualisierung
Die Menge an Daten nimmt mit heutigen Digitaltechnologien zu. Modelle werden entwickelt, um diese Zahlen- und Wortkolonnen möglichst verständlich zu präsentieren. Der Hintergedanke dabei ist, dass durch eine grafische Darstellung hochkomplexe Zusammenhänge leichter erfasst werden können. Im wörtlichen Sinne wird die Anschaulichkeit gesteigert. Hierbei greifen verschiedene Wissenschaftsdisziplinen, aber auch Einsichten aus der Praxis ineinander.
Eine Forschungsgruppe an der FH Potsdam beschäftigt sich in einer Vielzahl von Projekten mit Visualisierungstechniken, mit denen Informationen graphisch aufgeschlüsselt werden. Hierbei bieten sich urbane Räume als neuralgische Punkte von Informationsflüssen geradezu an. Eine weitere wichtige Größe ist die Unvorhersehbarkeit von menschlichen Akteuren. Die graphische Darstellung erleichtert das Verständnis darüber, wie verschiedene Variablen zueinanderstehen.
Marian Dörk (Information Visualization) und Boris Müller (Interface Design) gewähren im Telepolis-Interview einen Einblick in die Projekte und Philosophie der noch relativ jungen Disziplin Informationsvisualisierung.
Ihre Forschungsgruppe hört auf den Namen "Urban Complexity Lab" - was ist unter dem Begriff urban complexity zu verstehen?
Marian Dörk: Das Urban Complexity Lab ist eine Forschungsgruppe an der Fachhochschule Potsdam, in dem WissenschaftlerInnen aus Design, Informatik und Kulturwissenschaft zusammen mit Studierenden neuartige Informationsvisualisierungen urbaner und kultureller Zusammenhänge entwickeln. Die Zielstellung ist dabei, signifikante, aber oft unsichtbare Aspekte von Städten sichtbar zu machen und somit Reflektionen, Diskurse und Handlungen anzuregen.
Dieser Fokus auf Visualisierung und Stadt ergibt sich einerseits aus einem wachsenden Bedarf an Methoden, die einen mündigen Umgang mit Daten ermöglichen und andererseits aus der Erkenntnis, dass globale Herausforderungen wie zum Beispiel der Klimawandel insbesondere im Urbanen, wo die meisten Menschen leben, adressiert werden können und müssen. Daraus stellt sich die Kernfrage für unsere Arbeit im Lab: Wie können wir die urbane Umwelt mit neuen Augen sehen, um sie besser zu verstehen und letztendlich auch zu verändern?
Ein wichtiger Begriff ist da tatsächlich die Komplexität, allerdings nicht im Sinne der Kybernetik aus dem vergangenen Jahrtausend, welche die Erfassung und Steuerung technologischer und sozialer Systeme zum Ziel hatte. Jeglicher Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Regulierbarkeit ist allerdings in unseren Augen illusorisch. Vielmehr meinen wir mit urbaner Komplexität eine Häufung und Verknüpfung vielfältiger Akteure, unterschiedlicher Perspektiven und zuwiderlaufender Handlungsspielräume. Die soziale Welt ist komplex, und die große Herausforderung für einen verantwortungsvollen Einsatz von Datenvisualisierungen, besteht darin, sich dieser Komplexität bewusst zu sein, sich ihr zu nähern und zu lernen, sie zu navigieren. Wir beobachten gerade die Tendenz, dass Visualisierungen zunehmend als Grundlage für persönliche, politische und wirtschaftliche Entscheidungen verwendet werden - da müssen wir genau hinschauen, unter welchen Annahmen die Daten ausgewählt und die Repräsentationen gestaltet werden.
Unter anderem werden Bewegungsabläufe in einer Stadt visualisiert. Was kann daraus abgelesen werden?
Marian Dörk: Eine Visualisierung von Bewegungsmustern in der Stadt bietet unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Zum einen wollen wir die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass es durch digitale Technologien - und insbesondere Smartphones - die Möglichkeit gibt, einzelne Personen sehr präzise zu verfolgen und Bewegungen aufzuzeichnen. Hier ergeben sich also neuartige und hoch detaillierte Möglichkeiten staatlicher Überwachung. Dafür adäquate Bilder zu finden ist ein wichtiger Teil des öffentlichen Diskurses.
Weiterhin haben solche Visualisierungen aber auch das Potenzial, einzigartige Stadtansichten zu erzeugen und die eigenen Bewegungen im Stadtraum neu zu interpretieren. Mit dem Projekt Shifted Maps der Interfacedesign-Studierenden Heike Otten und Lennart Hildebrandt können z.B. individuelle Stadt-Topografien erzeugt werden, die nicht nur eine Aussage zu räumlichen Bewegungen, sondern auch zu zeitlichen Dimensionen und Bewegungsrhythmen machen.
Wie funktioniert eine solche "Sichtbarmachung"? Gibt es sich wiederholende Abläufe oder ist die Visualisierung ein für jedes Projekt neu zu applizierendes Verfahren?
Marian Dörk: Sowohl als auch. Es gibt einerseits bereits typische Abläufe bei der Durchführung von Visualisierungsprojekten. Das Modell der "visualization pipeline" beschreibt zum Beispiel die Umwandlung von unstrukturierten, abstrakten Daten in visuelle und interaktive Repräsentationen. Die Visualisierung als Leitung zu fassen ist hilfreich, um über die Transformationsschritte in der Visualisierung zu reflektieren, aber sie entspricht nicht immer unserer praktischen Herangehensweise an Projekte.
Die Auseinandersetzung mit den Daten steht natürlich an erster Stelle. Wir untersuchen dabei, wie sie aufgebaut sind und welche interessanten Muster mit herkömmlichen Techniken bereits erkennbar sind. Aber oft müssen wir erst einmal definieren, was die interessanten Datenquellen für eine bestimmte Fragestellung oder einen Themenkomplex sind. Wenn die Daten ausgewählt und gesichtet sind, ist es der nächste wichtige Schritt, iterativ Formen und Arrangements zu entwickeln, welche erkenntnisreiche Aspekte aus den Daten zu Tage fördern. In diesem Schritt werden die relevanten Datendimensionen auf sogenannte "visuelle Variablen" wie Position, Farbe und Größe übertragen.
Da gibt es selten die beste Art der Visualisierung, weswegen wir typischerweise iterativ und explorativ vorgehen, um unterschiedliche Varianten zu skizzieren und dann die vielversprechenden Ideen in Form von Prototypen auszuprobieren. Einerseits können das experimentelle Arbeiten sein, in denen wir neue Formen suchen, mit unterschiedlichen Darstellungsarten spielen. Dabei versuchen wir uns auch von bisherigen Konventionen zu lösen, um neue Perspektiven zu entwickeln. Andererseits arbeiten wir auch eher an problemgetriebenen Projekten, wo der Rahmen der möglichen Repräsentationen manchmal auch etwas enger gesteckt sein kann. Jedem Projekt ist aber die iterative Vorgehensweise fest eingeschrieben, das heißt wir arbeiten in kurzen Zyklen an Konzepten und Techniken, die über Feedback aus Studien und Workshops informiert werden.
Die Visualisierung hat sich sicher mit der Fortentwicklung digitaler Techniken entsprechend verändert. Welche Stationen können Sie hier ausmachen?
Boris Müller: Die wichtigste Entwicklung war auch hier wohl die weite Verbreitung von Smartphones. Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass es sich bei den heutigen Geräten nicht mehr um Telefone handelt, sondern um hoch leistungsfähige Computer, die zudem mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet sind. (GPS, digitaler Kompass, Gyroskop, Mikrophon, Kamera, etc.) Diese Geräte ermöglichen es einerseits komplexe Daten aufzuzeichnen - sie aber auch adäquat zu visualisieren.
Vereinigung kulturwissenschaftlicher und ingenieurstechnologischer Perspektiven
Ihre Forschung kombiniert verschiedene wissenschaftliche Disziplinen. Wie wird dabei die Kohärenz der Ergebnisse erreicht? Lassen sich also kulturwissenschaftliche Forschung zur Urbanität mit, sagen wir, bauingenieurstechnologischen Erkenntnissen zur Bausubstanz einer Stadt verbinden? Ein Beispiel hierfür?
Marian Dörk: Wenn wir die Stadt als Gegenstand betrachten, dann könnte man argumentieren, dass die Kohärenz ihrer visuellen Repräsentation immer auch eine transdisziplinäre Herangehensweise erfordert. Die architektonische Herangehensweise an die Stadt bringt ja bereits die Vereinigung kulturwissenschaftlicher und ingenieurstechnologischer Perspektiven mit sich. Darüber hinaus wird die Stadt auch von vielen weiteren akademischen Disziplinen als reichhaltiger Forschungsgegenstand bearbeitet.
Für uns als Visualisierungsforscher ist es insbesondere die Mehrdimensionalität urbaner Phänomene, die Türen zu interessanten Kooperationen eröffnet und spannende Forschungsfragen aufwirft. Mit der Gestaltung von Visualisierungen und Interfaces verhält sich das übrigens ja sehr ähnlich. Da werden ähnlich wie in der Architektur ästhetische und technische Zugriffsschlüssel zusammengebracht, die nicht notwendigerweise im Wettstreit, sondern oft in einer fruchtbaren Begünstigung zueinanderstehen.
Ein konkretes Beispiel ist das Projekt Novel City Maps, das Jan-Erik Stange im Urban Complexity Lab konzipiert hat. Da geht es um die räumliche Struktur in Stadtromanen. Das häufige oder seltene Auftreten von bestimmten Straßen und Plätzen im literarischen Narrativ eines Romans bestimmt die visuelle Manifestation in der Kartendarstellung. In einer alternativen Ansicht werden die Verknüpfungen der Orte in der Ästhetik einer U-Bahnkarte dargestellt. Unsere Vertrautheit mit den Karten und die ungewohnte Anwendung auf einen literarischen "Datensatz" eröffnet uns einen neuen Zugang zur Stadt und zur erzählten Geschichte.
Manche Ihrer Forschungsprojekte arbeiten eng mit Wirtschaft und Politik zusammen. Ergeben sich daraus Abhängigkeiten bis zu einem gewissen Grad?
Marian Dörk: Wir arbeiten mit unterschiedlichen Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Zivilgesellschaft zusammen. Prinzipiell haben wir keine Berührungsängste vor solchen Kooperationen, wenn die Freiheit unserer Forschung davon nicht beeinträchtigt wird.
Das Urban Complexity Lab ist aus einer laufenden Kooperation mit dem Kartendienst HERE entstanden, finanziert seine Arbeiten aber auch über andere Forschungskooperationen, primär mit öffentlichen und wissenschaftlichen Partnern. Unsere Partner schätzen unsere kreative und akademische Autonomie und unterstützen uns dahingehend in unseren Projekten. Allerdings kooperieren wir ja auch gerade mit diesen Akteuren, weil wir in unserer Forschung auf die Fragestellungen und Herausforderungen der Praxis angewiesen sind. Eine völlige Unabhängigkeit ist daher illusorisch und auch kontraproduktiv. Selbst die öffentliche Forschungsförderung von DFG und BMBF, über die wir auch unsere Arbeiten finanzieren, bringt ihre Anforderungen mit sich.
Viele Ihrer Projekte drehen sich auch um das Interfacedesign, d.h. leicht bedienbare Oberflächen, die so eine erhöhte Partizipation der Bürger erleichtern. Die Programme sind also individuell auf die jeweiligen Städte ausgerichtet?
Boris Müller: Tatsächlich spielt die Gestaltung der Visualisierungen und der Software-Oberflächen eine sehr große Rolle in unserem Lab. Das Interfacedesign ist - wie bei allen Softwareprojekten - eine Schlüsseldisziplin, die aus einem Expertenprojekt ein Produkt macht, das von einer größeren Öffentlichkeit genutzt werden kann.
Welchen Stellenwert das Interfacedesign in den Projekten bekommt, hängt von der Fragestellung ab. Je deutlicher es klare Anwendungskontexte und Nutzergruppen gibt, umso mehr wird von uns ein nutzerzentrierter Gestaltungsansatz verfolgt. Hier verwenden wir ganz unterschiedliche Methoden, um Interfaces zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen und die dennoch neue und innovative Visualisierungsformen ermöglichen. Diese Erkenntnisse lassen sich natürlich auf andere Projekte übertragen - prinzipiell entwickeln wir aber für jede Fragestellung eine individuelle Lösung.
Das Projekt Warum kommt der Bus zu spät? könnte als ein klassisches Tool für Smart Cities bezeichnet werden. Die in einer Stadt anfallenden Informationen werden in einem Programm so aufgearbeitet, dass sie zur Bewältigung des urbanen Alltags dienen können. Welche weitergehenden Ideen gibt es in dieser Richtung für die Stadt von Morgen?
Marian Dörk: Marian Dörk: Ja, das Projekt verdeutlicht, was möglich wird, wenn urbane Daten von öffentlichem Interesse für Bürgerinnen und Bürger verfügbar gemacht werden. Die Idee der Smart Cities im klassischen Sinne hat auf eine Optimierung urbaner Infrastrukturen von Seiten der Stadtverwaltung und Stadtwerke abgezielt. Mittlerweile gibt es ein breites Verständnis darüber, dass auch die Zivilgesellschaft von offenen Daten profitieren kann, um bestimmten Problemlagen und Fragestellungen nachzugehen und darüber auch öffentliche Diskurse zu führen.
Das Projekt Warum kommt der Bus zu spät? wurde von Ekkehard Petzold (Interfacedesignstudent der FH Potsdam, mittlerweile Absolvent) zuerst in einem Kurs mit Till Nagel konzipiert und später in Zusammenarbeit mit dem Tagesspiegel weiterentwickelt. Das Ziel war, unterschiedliche Arten von Unpünktlichkeit anhand gesammelter Ankunfts- und Abfahrtsdaten zu analysieren und visuell zu vermitteln. Interessant war hier, dass nicht nur Verspätungen, sondern für viele Bus- und Tramlinien insbesondere Verfrühungen auftreten. Eine solch weitgehende Analyse von öffentlichem Nahverkehr hat es so noch nicht gegeben. Sie wird im Prinzip auch erst möglich, weil die Daten zunehmend verfügbar gemacht werden und es ein steigendes öffentliches Interesse an diesen Themen gibt.
Airbnb vs. Berlin ist ein verwandtes Projekt, in dem sich Interfacestudenten der FH Potsdam mit der Situation von Airbnb-Angeboten in Berlin beschäftigt haben und mittels einer datenbasierten Aufbereitung die Debatte mit informiert haben. Eine Art Datendossier zeigt die Ausmaße und Verteilung der privaten Ferienwohnungen im Stadtraum, aber auch im Preisspektrum. Eine solche umfassende und zugängliche Aufbereitung im Bereich der Ferienwohnungen wird erst mit den Methoden der Datenvisualisierung möglich.
An diesen Projekten zeigt sich, dass die Stadt von Morgen zunehmend mit Daten verhandelt werden wird. Daher reden wir auch von Visualisierung als Rhetorik der Daten und verstehen das nicht unbedingt als Negativum. Vielmehr müssen wir uns der Macht dieser neuen Bilder bewusstwerden und einen verantwortungsvollen, mündigen Umgang mit Daten und ihren Darstellungsformen kultivieren. Hier bietet sich die Zusammenarbeit zwischen journalistischen, zivilgesellschaftlichen und forschenden Akteuren besonders an.
Ein klassisches Werkzeug der Visualisierung war die Karte. Ein Blick in die Geschichte zeigt verschiedene Repräsentationsmodelle: während im Mittelalter eine symbolische Ordnung die Karte bestimmte, heutige Stadtkarten die Straßen und Infrastruktur schematisch darstellen, bieten Satellitenfotos eine andere visuelle Repräsentation. Welchen Stellenwert besitzt die Visualisierungsmethode einer Karte heute noch?
Boris Müller: Diese Frage zielt auf eine recht alte Problematik ab - nämlich auf die Objektivität von Karten. Hier kann man zwei Ebenen unterscheiden. Zum einen stellt sich bei allen Karten die Frage der Projektion. Die Erdkugel auf eine zweidimensionale Fläche zu übertragen, geht nur, wenn grafische Kompromisse eingegangen werden. Diese Kompromisse führen zum Teil zu starken Verfremdungen und Verzerrungen.
In der sehr häufig verwendeten Mercator-Projektion werden z.B. die Polregionen der Erde viel zu groß dargestellt. Grönland ist in dieser Projektion scheinbar genauso groß wie Südamerika. Aber auch andere Eigenheiten von Kartendarstellungen sind nicht objektiv - und damit kommen wir zur zweiten Ebene. Warum ist auf einer Weltkarte Europa oben und in der Mitte? Dies sind Konventionen und keine objektiven Fakten.
Die eben genannten Konventionen spiegeln Machtverhältnisse in der Welt wieder und keinen geografischen Raum. Dies ist nicht ungewöhnlich. In der Geschichte gibt es viele gute Beispiele für Karten, die eine Weltanschauung und keine Geografie darstellen. Die Ebstorfer Weltkarte (ca. 1300) zeigt z.B. die Welt als Erdenkreis, der vom Leib Christi umfasst wird. Diese Problematik stellt sich natürlich auch in der Datenvisualisierung. Angefangen bei den Daten: Wie ist die Quellenlage, sind sie bereinigt, aggregiert oder unvollständig? Und dann natürlich auch in der Visualisierung: was wird dargestellt und welche Aussagen sollen getroffen werden? Kurzum - die Frage nach der Objektivität von Karten und Visualisierungen ist nach wie vor hochaktuell und kann nicht einfach beantwortet werden.
Gibt es neben der technologischen und kulturwissenschaftl. Forschung Inspirationsquellen für weitere Visualisierungskonzepte? In einem Telepolis-Artikel stellte ich z.B. eine Studie vor, die den Einfluss der Science-Fiction auf gegenwärtige Entwicklungen aufzeigt.
Marian Dörk: Die Science-Fiction bietet definitiv auch Einfluss auf unsere Entwicklungen von Visualisierungen. Die gestenbasierten Interfaces, mit denen Tom Cruise in "Minority Report" interagiert, haben sicherlich die Fantasie mancher Interface- und VisualisierungsforscherInnen angeregt. Die Ähnlichkeit zwischen den Lightcycles, die Syd Mead für Tron entwickelt hat, und den türkisen Spuren, die Till Nagel und Christopher Pietsch in cf. city flows für Ausleihräder in New York, London und Berlin verwendet haben, ist auch nicht von der Hand zu weisen.
Inspirationen sind allerdings überall zu finden und manches Mal sind wir uns dieser Einflüsse auch nicht bewusst. Als Katrin Glinka, Christopher Pietsch und ich ein visuelles Interface für eine historische Zeichnungssammlung mit urbanen Visionen von Friedrich Wilhelm IV. entwickelt haben, war es nicht unsere Intention, den Eindruck einer Skyline zu erwecken. Es waren erst unsere Kooperationspartner der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, welche uns auf diese dann offensichtliche visuelle Ähnlichkeit hinwiesen. Eher bewusste Inspirationsquellen sind auch die Soziologie und Philosophie, in denen Fragen der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung seit einiger Zeit behandelt werden.
Ein Projekt, das ich 2013 mit Kollegen an der Newcastle University durchgeführt habe, war dezidiert von der Frage motiviert, wie wir den Kontrast zwischen Individuum und Gesellschaft, Einzelnem und Ganzem auflösen und somit Perspektiven auf Daten finden können, welche situierte Sichten und Bewegungen durch Daten unterstützen würden. Daraus entstand eine sehr gute Zusammenarbeit, die ohne den soziologischen Input nicht so produktiv gewesen wäre.
Arbeiten Sie zeitgleich an mehreren Projekten und können diese unter einer Grundtendenz zusammengefasst werden? Was halten Sie von Open-Source-Programmen und der Integration externer Entwickler in den Forschungsprozess?
Marian Dörk: Wenn wir Visualisierungen urbaner Zusammenhänge entwickeln, dann stehen diese allen BürgerInnen und nicht nur Entscheidern oder Auftraggebern zur Verfügung. Die Datenquellen in unseren laufenden Projekten gehen über die Sensoren einer vermeintlich smarten Stadtinfrastruktur hinaus und beziehen auch die persönlichen Geschichten mit ein. Besondere Prinzipien sind da Open Source und Open Access, also der freie Zugang auf öffentlich finanzierte Software und öffentliche Daten, Pluralität der Perspektiven und die Bemächtigung möglichst vieler Akteure. In unseren Forschungsprojekten arbeiten wir auch gern mit freien Entwicklern und Gestaltern zusammen und fühlen uns eng mit der Berliner Design- und Webdev-Community verbunden.