Die Waffenlobby im US-Wahlkampf
US-Vizepträsident Cheney wurde auf der Jahrestagung der National Rifle Association gefeiert, bald könnte es wieder legal Maschinenpistolen in den USA auf dem Markt geben
Begeistert feierten am Samstagabend amerikanische Waffenliebhaber den Vizepräsidenten Dick Cheney im Convention Center der Stadt Pittsburgh. Anlass war die 133. Mitgliederversammlung der National Rifle Association (NRA, die mit ihrem damaligen Präsidenten Charlton Heston in Michael Moores Film Bowling for Columbine weltweit bekannt geworden ist. Grund für den Auftritt Cheneys, der selten öffentliche Reden hält, ist die Macht und Mitgliederstärke der Waffenlobby. Deren Einfluss im US-Kongress und im Weißen Haus ist so groß, dass Maschinenpistolen und andere seit 1994 geächtete, schwere Angriffswaffen bald wieder frei verkäuflich sein könnten.
"Four more years, four more years", riefen rund 4.000 NRA-Mitglieder nach seiner Rede dem Mann zu, der von vielen für den eigentlichen Macher im Weißen Haus und für "das Gehirn" George Bushs gehalten wird. Dick Cheney, selbst ein begeisterter Jäger und, wesentlich wichtiger, ein gewiefter außen- und innenpolitischer Machtpolitiker, nahm von den NRA-Chefs lächelnd das NRA-Markenzeichen entgegen: ein Gewehr. Charlton Heston hatte es im Jahr 2000 zum Symbol gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore gemacht, der für schärfere Waffengesetze plädierte, es über den Kopf geschwungen und gerufen, man könne ihm die Waffe "nur aus seinen kalten, toten Händen" wegnehmen.
Dabei geht es der NRA freilich nicht um die bessere Zurschaustellung antiker Ballermänner aus dem Unabhängigkeitskrieg, sondern um die Zurückdrängung jeglicher staatlicher Regulation des Waffenmarktes. Ideologisch beruft sie sich auf das angeblich verfassungsmäßig verbriefte Recht jedes Amerikaners, Waffen zu besitzen (Waffenbesitz ist ein von der Verfassung geschütztes Recht). Mit über 4 Millionen zahlenden Mitgliedern, einem Jahresbudget von rund 200 Millionen Dollar, dem Vertrieb von mindestens einem Dutzend viel gelesener Zeitschriften und hervorragenden Verbindungen zu Kongressabgeordneten und Senatoren zählt die Organisation zu den einflussreichsten Lobbyverbänden in den USA.
Gemessen an den etwa 65 Millionen Waffenbesitzern in den USA, die die NRA erklärtermaßen vertritt, was mehr als 200 Millionen registrierte Pistolen und Gewehre und eine Waffe in fast jedem zweiten US-Haushalt ausmacht, ist die Vereinigung aus dem Wahlkampfkalkül keines Präsidentschaftskandidaten wegzudenken. Um ihre Schlagkraft zu verstärken und ihr Drohpotential auszubauen, setzt die NRA bisweilen auf unkonventionelle Methoden, so etwa durch eine schwarze Feindesliste (Runter von der Waffe und lassen Sie das Pony fallen!), auf die sie Dutzende von Prominenten und Mainstream-Organisationen setzte, nur weil diese nach Bekanntwerden zahlreicher Todesfälle durch Schießeisen in den Händen von Kindern und Jugendlichen die Verfügbarkeit von Schusswaffen einschränken wollten.
Auf der Jahresversammlung in Pittsburgh wurde aus der Sparte Technik/Public Relations nichts Provokatives, sondern Ambitiöses angekündigt. Die Lobby produziert seit Freitag pünktlich zum Tagungsbeginn mit einer "NRA News"-Firma täglich und vermutlich bis zu den Präsidentschaftswahlen im November eine Internet-Talkshow. Dazu wurde der erzkonservative Talkradio-Moderator Cam Edwards aus Oklahoma City angeheuert. Der Ankauf einer Radiostation steht angeblich kurz vor dem Abschluss. Politischer und finanzieller Hintergrund für den Sprung in die neuen und alten Ätherwellen sind die Regularien, die Organisationen wie der NRA im Wahlkampfjahr auferlegt sind. Als registrierte Nachrichtenfirma darf die NRA nach Belieben politische Aussagen treffen. "Genauso wie ABC Disney gehört, NBC General Electric und CNN Warner AOL gehen wir ins Nachrichtengeschäft", kündigte der NRA-Vize Wayne LaPierre an.
Das unter Clinton eingeführte Gesetz gegen schwere Angriffswaffen könnte fallen
Zwar hat die NRA bislang noch nicht direkt zur Wiederwahl von George Bush aufgerufen, doch aus den Bemerkungen Cheneys und dem Applaus, der ihm entgegenklang, wurde deutlich, dass Bushs Gegenkandidat John Kerry zum Hassobjekt aufgebaut wird: "John Kerry geht an den zweiten Verfassungszusatz heran mit 'regulieren, regulieren und nochmals regulieren'", schimpfte Cheney. Und: "Senator Kerry unterstützt dauernd die Bestrafung ehrlicher Hersteller für Vergehen, die von Kriminellen begangen wurden." Kerry habe zum Beispiel dieses Jahr im Senat gegen einen Gesetzesentwurf gestimmt, der Waffenfirmen vor Klagen geschützt hätte.
Ein klares Wort zur gesetzlichen Ächtung von schweren Angriffswaffen - wie seit 1994 in Kraft, im September dieses Jahres aber zur neuerlichen Bekräftigung oder Ablehnung durch den Präsidenten fällig - mochte Cheney allerdings nicht sprechen. Den sogenannten "assault weapons ban", der am 13. September ausläuft, will Bush mehreren Beteuerungen zufolge wieder unterzeichnen - was zumindest den Vertrieb größerer Militärwaffen auf dem Zivilmarkt illegal halten würde.
Doch mehrere Organisationen, die für schärfere Waffengesetze plädieren, etwa die Brady Campaign oder die Initiatorinnen von Großdemos gegen die Waffenlobby machen bereits darauf aufmerksam, dass das Weiße Haus nichts unternimmt, um die Unterstützung des Kongress dafür zu erhalten. Es gälte gegen den Willen und die Macht der NRA nicht nur, das bestehende Gesetz neu zu unterschreiben, sondern auch Schlupflöcher zu stopfen. So existieren beispielsweise etliche Modelle von "post-ban"-Angriffswaffen. Eine davon, eine Version des AR15-Gewehrs, heißt "Bushmaster XM 15", und mit ihm versetzte vor zwei Jahren ein Scharfschütze Washington D.C. tagelang in Angst und Schrecken.
Die Tatsache, dass Bush bislang nichts unternommen hat, sowie die republikanischen Mehrheiten in Abgeordnetenhaus und Kongress lassen vermuten, dass es im Herbst keinen "assault weapons ban" mehr geben wird. Was dann hieße, dass auf den Strassen amerikanischer Großstädte wieder Colts und Berettas, Uzis und Kalaschnikows sowie deren modernisierte Neufassungen zu erleben sein werden.