So viel Geld schicken Asylbewerber wirklich ins Ausland
Deutschland setzt auf Bezahlkarten, um Asylmissbrauch zu bekämpfen. Doch das ist nur eine populistische Lösung. Warum die Argumente nicht überzeugen.
Die Migration nach Deutschland nimmt zu – und immer wieder kommen auch Menschen, die keine Aussichten darauf haben, Asyl gewährt zu bekommen. Doch die Prüfungszeiträume sind lang und die Sozialleistungen in Deutschland attraktiv.
Die Bezahlkarte für Asylsuchende: Lösung oder Problem?
Dem offensichtlichen Missbrauch des deutschen Asylsystems planen die Bundesländer jetzt entgegenzutreten. Eine Bezahlkarte für Asylsuchende soll verhindern, dass Gelder aus dem deutschen Sozialsystem in andere Länder abfließen. Damit soll auch unmöglich gemacht werden, dass Schleuser und Menschenhändler bezahlt werden.
So nachvollziehbar der Grundgedanke hinter dieser Absicht ist, so unklar ist der Umfang von Geldtransfers durch Asylbewerber. Telepolis hat die zuständigen Stellen im Bund und in allen Bundesländern dazu befragt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Weder Bund noch Ländern liegen dazu Daten vor.
Bundesländer ohne Daten: Das große Fragezeichen
Die Berliner Senatsverwaltung antwortete: "Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, inwieweit Asylsuchende von ihren Leistungen Geld ins Ausland überweisen".
Nach Ansicht des Integrationsministeriums von Rheinland-Pfalz können solche Daten auch gar nicht vorliegen. Denn "über die tatsächliche Verwendung des gesetzlich normierten und verfassungsrechtlich bestimmten Bargeldbetrages (dem sog. Taschengeld) – als ein Teil der Leistungen an Asylbewerbende – [könne] keine derartige Prüfung oder Erhebung stattfinden".
In ähnlichem Wortlaut antworteten auch die zuständigen Stellen der anderen Bundesländer. Auch das Bundesministerium der Finanzen erklärte, dass dazu keine Zahlen vorliegen. Nur Bayern, das im Hinblick auf Bezahlkarte als Vorreiter unter den Bundesländern gilt, machte in der Argumentation eine Ausnahme.
Bayern spekuliert über Geldtransfers: Wie seriös sind die Aussagen?
Das bayerische Staatsministerium des Inneren und für Integration (SMI) betonte, dass die Bundesregierung keine eigenen Daten dazu erhebe. Die SMI-Sprecherin verwies allerdings auf eine Schätzung der Weltbank: Im Jahr 2022 wurde demnach eine Summe von rund 17 Milliarden US-Dollar aus Deutschland ins Ausland rücküberwiesen.
Aus dieser Schätzung ließen sich aber keine "Daten in Bezug auf Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit" ableiten. Dennoch sei "davon auszugehen, dass darin Rücküberweisungen in nicht unwesentlicher Höhe von Asylbewerbern enthalten" seien.
Die SMI-Sprecherin verwies auch auf einen Beitrag auf Focus Online. Darin wurden Zahlen der Bundesbank angegeben, wonach im Jahr 2022 rund 407 Millionen Euro nach Syrien, 162 Millionen Euro nach Afghanistan und 120 Millionen Euro in den Irak überwiesen wurden.
Die SMI-Sprecherin zitierte auch die Schlussfolgerung des Focus-Autors: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen diese Summen aus Sozialleistungen für Flüchtlinge".
Bei dem Focus-Autor handelte es sich um den heute 87-jährigen Helmut Marktwort (FDP), der über viele Jahre Chefredakteur des Magazins Focus war, und jetzt beim Focus die Kolumne "Helmut Markworts Tagebuch" unterhält.
Sein Leitspruch "Fakten, Fakten, Fakten und immer an die Leser denken" machte ihn einst im ganzen Land bekannt – in seinem eigenen Beitrag ließ er sich nicht von ihm leiten. Stattdessen behauptete er nur, dass Flüchtlinge mit hoher Wahrscheinlichkeit Millionenbeträge ins Ausland transferieren, ohne einen Beleg anzuführen.
Deutlich zeigt dies ein Artikel von Focus Online aus dem vergangenen Jahr. Dort werden ebenfalls diese Zahlen genannt; aber es wird betont, dass sich nicht zwischen Asylsuchenden und Migranten unterscheiden lasse. Mit anderen Worten: Wenn der syrische Arzt, der in einem deutschen Krankenhaus arbeitet, seiner Familie in Syrien Geld schickt, wird es in den gleichen Topf geworfen, in dem auch Gelder von Asylbewerbern landen.
Zahlen der Bundesbank und ihre Interpretation
Darauf weist auch die Deutsche Bundesbank auf Anfrage von Telepolis hin. Von ihr erfasst werden "Heimatüberweisungen" und "Arbeitnehmerentgelte" bei Geldtransfers in Ausland.
Die erste Kategorie umfasst demnach alle Personen, die beabsichtigen, sich ein Jahr oder länger in Deutschland aufzuhalten. Zu ihr werden dann der Arzt und der Asylsuchende gezählt. Welche Personengruppe welchen Anteil an den Gesamttransaktionen hat, darüber "lässt sich jedoch keine Aussage treffen".
Die Zahlen der Deutschen Bundesbank lassen auch eine andere Lesart zu: Mit zunehmender Integration der Asylbewerber gibt es auch mehr von ihnen, die in Deutschland arbeiten und vermutlich einen Teil ihres Einkommens an ihre Familien in der Heimat schicken.
Damit könnte der kontinuierliche Anstieg der Geldtransfers etwa nach Syrien erklärt werden. Im Jahr 2019 hatten sie einen Umfang von 219 Millionen Euro, 2022 waren es schon 407 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr sank die Summe auf 360 Millionen Euro. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für den Irak und Afghanistan aus den Zahlen ablesen.
Diese Entwicklung legt zwar eine Korrelation zwischen der Zahl der Asylanträge und der Höhe der Geldtransfers nahe, aber ein kausaler Zusammenhang lässt sich daraus nicht unbedingt ableiten.
Nach der Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kamen Syrer vor allem in den Jahren 2015 und 2016. In beiden Jahren stellten etwa 420.000 einen Asylantrag in Deutschland. Danach sank ihre Zahl auf unter 40.000 im Jahr 2019 und stieg erst 2021 wieder auf über 50.000. Damit dürften sich die erheblich steigenden Heimatüberweisungen nicht erklären lassen.
Asylanträge aus dem Irak verharrten nach 2016 auf einem niedrigen Niveau. 2020 stellten weniger als 10.000 Iraker einen Asylantrag, 2021 waren es knapp 15.000.
Die Zahlen aus Afghanistan machten nach 2020 einen Sprung nach oben, von unter 10.000 auf 23.000 im Jahr 2021 und über 36.000 im Jahr 2022. Schon vorher gab es einen deutlichen Anstieg der bei den Heimatüberweisungen – der sich dann allerdings fortsetzte.
Integration und Arbeitsmarkt: Die wachsende Erwerbsquote
Für die These, dass die Heimatüberweisung in erster Linie von Migranten getätigt werden, die in Deutschland arbeiten, spricht, dass der Beschäftigungsgrad unter Flüchtlingen wächst. Die Erwerbsquote lag im vergangenen Jahr bei etwa 55 Prozent. Und in einigen Jahren könnte sie schon bis zu 65 Prozent betragen, berichtete der Bayerische Rundfunk im vergangenen Jahr.
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