Die Wolke lebt
Eis und Wolken sind Habitate für Bakterien
Obwohl bekannt war, dass Bakterien hoch oben in die Atmosphäre geweht werden und sich rund um die Erde verteilen, wusste man bisher nicht, ob sie in Wolken wachsen und sich reproduzieren können.
"Die relativ sterile und kalte Atmosphäre in diesen Höhen scheint nicht dafür zu sprechen, doch man kann Wolken als mikrobiologischen Habitat betrachten.", sagt Dr. Birgit Sattler vom Institut für Limnologie und Zoologie in Innsbruck.
Auf eine Anregung von Professor Buxbaum aus Wien startete sie ihren Feldzug in die Luft ("Laborarbeit ist ohnehin nicht meine Sache"). Die Wolkengewinnungs-Methode ist relativ einfach. An einer meteorologischen Station am österreichischen Sonnblickberg stehen in über 3000 Meter Höhe Impaktoren, an die Teflonplatten geschraubt werden. Die Wolken streifen über die Platten, frieren an, dann wird das Angefrorene steril abgekratzt und abgepackt. Die flüssige Probe wird nach Standardmethode unter dem Fluoreszenzmikroskop nach Bakterien untersucht.
Jeder Milliliter Schmelzwasser aus dem von Sattler gewonnenen Wolkenfluid enthielt etwa 1500 verschieden geformte Bakterien. Festgestellt wurde, dass die Bakterien, die in den Wolken aktiv sind, sich reproduzieren, Metabolite bilden und - ähnlich wie Planzenreste - sogar als Eiskeime fungieren können. Ein Eiskeim ist ein zur Wolken- und Niederschlagsbildung benötigter Kern, an dem sich Wasserdampf anlagern kann. Ob und wieweit aber die Bakterien wirklich das Klima beeinflussen, sei, so Dr. Sattler, noch nicht zu sagen.
Die Klassifizierung der Mikroorganismen in den Wolken steht noch bevor. In Zukunft wird es darum gehen, die Bakterien molekularbiologisch aufzubauen, ihre DNA zu untersuche, und damit ein, wie Dr. Sattler es ausdrückt, "Who is Who" zu erstellen.
Die Entdeckung hat ihren Ursprung in der limnologischen Forschung in den Hochgebirgsseen der Alpen. Hier fand Dr. Sattler (in Anlehnung an ähnliche Experimente in den Pyrenäen) heraus, dass Mikroorganismen im Eis aktiv sind. Sie vergleicht die Struktur der Eisbildung im Hochgebirgssee mit einem "Sandwich oder einer Mannaschnitte". Der Schnee drückt den festen Eisblock nach unten und das Wasser nach oben. "In dem Matsch zwischen den Eisschichten, vergleichbar der Schokolade im Manna, da leben die Viecher."
Um an die "Viecher" heranzukommen, wird die Winterdecke mit einem Rohr angestochen, in dem sich ein Schlauch befindet, und mit einer Handpumpe das Eis herausgesaugt. Bis jetzt haben Dr. Sattler und ihr Team Bakterien, einzellige Algen, Kieselalgen und sogar Mehrzeller aus dem Eis geholt. Die Bakterien fühlen sich in den Eisschichten wohl; weil es dort wenig Zirkulation gibt, sind sie in Sattlers Worten ein "richtiges Schlaraffenland", in dem angesammelte Nährstoffe wie Ruß oder leckerer Saharasand ihnen nur so in den "Mund" fliegen. Auf eine Einladung von Professor Priscu von der Montana State University fuhr sie dann in die Antarktis, um die Lebensbedingungen für Bakterien in den Alpen und der Antarktis zu vergleichen. Das Leben im Eis findet, erklärt Sattler, in drei verschiedenen Typen von Habitaten statt, im Meereis, im Seeeis und im antarktischen, dem permanenten Eis.
Nun glaubt sie zu wissen, dass "Gletscher Genarchive sein können". In den "Dry Valleys", marsähnliche Landschaften, in denen es seit zwei Millionen Jahren nicht geregnet hat, in zugefrorenen Gletscherspalten - überall kann es Leben geben. Warum nicht auch auf dem Mars? "Vielleicht in den Polkappen", meint Dr. Sattler.
Neben den gelegentlichen Staubstürmen ist das Anwachsen und Abschwellen der Polkappen - die allerdings fast nur aus Kohlendioxid bestehen - die augenfälligste Veränderung während des Marsjahres. Obwohl die Atmosphäre nur 0,6 Prozent des Erddruckes hat, die Temperaturen selten über der 0-Grad-Grenze liegen und es kein flüssiges Wasser (mehr) gibt, könnten hier nach den neuen Erkenntnissen eventuell Bakterien hausen. Im Oktober reist Dr. Sattler wieder in die Antarktis. Das sind ihre Fragen für die Zukunft:
"Wer ist dort oben und da unten, welche Arten von Stoffwechsel werden eingegangen und welche ökologischen Relevanzen ergeben sich bei den großflächigen Schneedecken in den Alpen?"