Die Wundertätigkeit des Marktes

Neoliberale sehen den Markt wie ein selbsttätiges Wesen. Die Mechanismen des Markts regeln demnach manches ganz von selbst. Stimmt da? (Teil 2 und Schluss.)

Oft hört man den Einwand gegen die Planwirtschaft, dass es in dieser gar nicht so einfach wäre, die Preise festzulegen, also im hier dargestellten Modell: zu ermitteln, wie viel Arbeitszeit in jedem Produkt steckt.

Dazu ist zu sagen, dass die Schwierigkeit höchstens darin bestehen würde, zu berücksichtigen, dass auch die in den Produktionsmitteln steckende Arbeitszeit im Preis des Produkts eingerechnet werden muss, und dies entsprechend auch für die bei der Produktion der Produktionsmittel verwendeten Produktionsmittel, und so fort. Indessen wird schon nach wenigen Stufen der Unterschied gar nicht mehr so groß sein, so dass brauchbare Näherungswerte schnell berechnet sind.

So genau muss es auch gar nicht bestimmt werden, denn wenn sich der genaue Wert erst durch längere Rechnungen feststellen lässt, wird auch für den Käufer die Abweichung nicht erkennbar sein, geschweige denn, dass es für ihn störend wäre. Schließlich geht es ihm ja darum, in angemessener Menge die benötigten oder erwünschten Güter zu bekommen, und nicht darum, bis auf die x-te Nachkommastelle exakt seinen erarbeiteten Anspruch einzulösen.

Überhaupt könnte man es als nicht zwingend erforderlich betrachten, dass sich die Preise an der Arbeitszeit orientieren, denn es wurde an der angegebenen Stelle in der Kritik des Gothaer Programms ja nur deswegen so dargestellt, weil es eben das ist, was erst einmal aus der alten Gesellschaft übernommen wird, bis sich etwas Besseres entwickelt.1

Manche ökologisch orientierten Theoretiker kritisieren Marx dafür, dass die Werttheorie im Kapital nur die Arbeit, aber nicht den Naturverbrauch als wertbestimmend erkennt.2

Da liegt das Missverständnis zugrunde, zu meinen, dass die Werttheorie im Kapital beschreiben würde, was sein sollte, und nicht, was im Kapitalismus nun einmal als ökonomisches Gesetz gilt. Wo wir aber jetzt dabei sind, über Vorstellungen von einer anderen Gesellschaft zu sprechen: müssten wir da nicht fragen, ob in dieser der Naturverbrauch in die Preisbestimmung der Konsumgüter eingehen sollte?

Das kann man machen, aber es erscheint mir nicht zwingend, denn die Gesichtspunkte des rationalen Umgangs mit der Natur müssen schon in die Planung und Gestaltung der Produktion einfließen und brauchen deshalb bei der Verteilung der produzierten Güter nicht ein zweites Mal berücksichtigt werden.

Ein anderer Gesichtspunkt ist bei der Preisfestsetzung sehr wichtig: nämlich dass die Preise so festgesetzt werden, dass über eine bestimmte Zeitperiode, etwa einen Monat, die Preise der produzierten Güter insgesamt die gleiche Summe ergeben, wie die in dieser Zeit ausgegebenen Arbeitszertifikate.

Zwar werden größere Güter, wie Möbel oder Haushaltsgeräte nicht monatlich gekauft, so dass der einzelne Arbeiter nicht in jedem Monat gleich viel Arbeitszertifikate einlösen wird, sei es nun indem er für größere Anschaffungen spart oder sei es, indem er Vorschüsse nimmt.

Das muss hier jedoch nicht interessieren, denn über alle Gesellschaftsmitglieder gerechnet wird sich ein durchschnittlicher monatlicher Umsatz ergeben. Es funktioniert also problemlos, solange darauf geachtet wird, dass die beiden oben genannten Größen übereinstimmen.

Ist dagegen die Summe der Preise dauerhaft kleiner als die der Arbeitszertifikate, so wird man bald vor leer gekauften Regalen stehen, und im umgekehrten Fall werden regelmäßig Waren unverkauft liegen bleiben. Die Preisfestsetzung in der besagten Weise zu regeln, dürfte, zumal mit den heutigen bürotechnischen Mitteln, kein allzu großer Aufwand sein.

Damit sind wir beim nächsten gegen Planwirtschaft vorgebrachten Argument: Diese bringe einen enormen Bürokratieaufwand mit sich. Unsere bisherigen Überlegungen laufen jedoch eher auf das Gegenteil hinaus. Wieso erscheint es dennoch manchem durchaus einleuchtend? Die einzige – scheinbare – Plausibilität, die es für sich hat, resultiert aus einer falschen Perspektive: Man betrachtet nur das als Bürokratie, was von zentralen, öffentlichen Stellen erbracht wird.

Beispiel Preisfestsetzung: eine Behörde zur Preisfestsetzung gibt es im Kapitalismus in der Tat nicht. 3

Aber fallen denn hier4 die Preise vom Himmel? Natürlich nicht.

Sie werden von den Firmen und Händlern festgelegt, wobei in das Verfahren nicht nur die Herstellungskosten einfließen, sondern auch Überlegungen, wie man sich damit am besten gegen die Konkurrenz durchsetzen könnte, was wiederum heißt, erst einmal Informationen über die Konkurrenz in Erfahrung zu bringen, und so weiter.

Insgesamt sind diese Bürotätigkeiten mit Sicherheit wesentlich umfangreicher, als das, was wir oben für die sozialistische Preisfindung skizziert haben. Zudem wird diese Arbeit nicht nur von einer Firma erbracht, sondern von allen, die ein gleichartiges Produkt auf den Markt bringen, parallel; es liegt also ein Mehrfachaufwand vor. Auch sind im Kapitalismus, bedingt durch die wirtschaftlichen Konjunkturen, die Preise selten stabil, so dass der Aufwand, sie zu justieren, immer wieder aufs Neue anfällt.

Der Vorwurf "planwirtschaftliche Bürokratie" trifft also nicht zu, sondern das Gegenteil ist der Fall: im Kapitalismus muss ein unvergleichlich höherer Aufwand an solchen unproduktiven Arbeiten betrieben werden. Es wird ständig Arbeitskraft vergeudet.

Auch die Produktplanung ist im Kapitalismus unnötig aufwändig: nicht nur, dass auch hierbei wieder Parallelarbeit unter den gleichartige Produkte liefernden Firmen stattfindet, sondern auch, dass neben den sachlichen Aspekten der nützlichen und – wo angebracht – auch ästhetisch ansprechenden Gestaltung, sowie der effizienten Herstellung, zusätzlich noch Aspekte der Positionierung gegenüber der Konkurrenz berücksichtigt werden müssen.

Und last not least wird im Kapitalismus in Gestalt der Werbung ein ungeheurer Aufwand betrieben, der im Sozialismus überhaupt nicht anfällt, oder allenfalls in dem unvergleichlich geringeren Umfang, der zur sachlichen Information über die verfügbaren Produkte erforderlich ist.

Und nun höre man sich die Apologeten der Marktwirtschaft an, die behaupten, dass das, wofür dort eine überbordende Planungsbehörde unterhalten werden müsste, hier der Markt ganz von allein regle. Da muss man schon fragen: womit sind denn hier all die Leute in den Bürotürmen der großen Konzerne, aber auch in den zahllosen Geschäftsstellen der kleineren Firmen beschäftigt? – mit nichts anderem, als dass das zustande kommt, wovon es dann hinterher heißt, dass es der Markt ganz automatisch erledige.

"Gleichgewicht" des Markts existiert nur als Resultat fortwährender Krisen

Das "Arbeitsgeld" unterscheidet sich vom Geld vor allem dadurch, dass es wie Theaterkarten nach ihrer Einlösung ungültig wird, also nicht selbständig zirkuliert. Darauf beruht, wie oben dargelegt, die Möglichkeit, den Distributionsprozess zu stabilisieren, indem die Summe der Güterpreise an die Menge der ausgegebenen Arbeitszettel angepasst wird.

Im Kapitalismus sieht es dagegen so aus, dass es überhaupt keine Instanz gibt, die die umlaufende Geldmenge bestimmen kann, denn letztere verändert sich jedes Mal, wenn Banken, auch Privatbanken, Geld durch Kreditvergabe "schöpfen".

Staatliche Zentralbanken versuchen die Geldmenge zu beeinflussen und werden dabei regelmäßig der Begrenztheit ihrer Möglichkeiten gewahr. Stabilität gibt es im Kapitalismus nur als die ständige, mehr oder minder destruktive Ausgleichung von Disproportionalitäten, wobei diese Ausgleichsprozesse durch die immer umfassender gewordene wechselseitige Verflechtung zunehmend an Heftigkeit gewinnen.

Schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts sind regelmäßig wiederkehrende Wirtschaftskrisen bekannt; die Regelmäßigkeit ihres Auftretens ist ein ökonomisches Gesetz, das aus der immer wiederkehrenden Expansion des Kredits resultiert, da diese jedes Mal zu einem Punkt führt, wo das Vertrauen in all die umlaufenden Kredite schwindet, so dass diese nicht fortgesetzt und dadurch Kettenreaktionen von Zahlungsunfähigkeit ausgelöst werden.

Dies soll hier nicht weiter ausgeführt werden, da wir nur über den Markt als Distributionsinstanz sprechen. Bereits was dazu gesagt wurde, lässt die Marktwirtschaft keineswegs in glänzendem Licht erscheinen. Die allgemein bekannten Erfahrungen von Konjunkturzyklen und Krisen unterstreichen jedoch mit zusätzlicher Deutlichkeit, wie verfehlt die Elogen bürgerlicher Ökonomen auf die segensreichen Wirkungen des Markts sind.

Das "Allokationsproblem"

Folgt man diesen Elogen, so ist es vor allem ein bestimmtes Problem, das zu lösen die große Leistung der Marktwirtschaft sein soll: das "Allokationsproblem". Es besteht im Grunde in nichts anderem als der Frage, wie das, wovon hier laufend die Rede war, bewerkstelligt werden kann: wie gelangen die Güter dorthin, wo sie gebraucht werden?

Darin wird die Leistung des Markts gesehen, und es wird unterstellt, die einzige Alternative dazu würde darin bestehen, dass irgendjemand für die ganze Gesellschaft genau festlegt, welche einzelne Güter produziert werden sollen und wer sie dann bekommen soll, wobei als Ziel unterstellt wird, dass immer alles exakt passt und keine nachträglichen Korrekturen erforderlich werden.

Das leistet die Marktwirtschaft allerdings auch nicht, denn der Markt funktioniert vielmehr so, dass ständig "Fehlallokationen" (wie die VWLer sagen) auftreten und dann – wie oben besprochen – in reichlich ineffizienter, ja destruktiver Weise korrigiert werden.

Das Prinzip dieser Apologie der Marktwirtschaft ist also dies: Man misst Alternativen zur Marktwirtschaft an einem absurden Maßstab, dem auch die Marktwirtschaft nicht gerecht werden kann und der an diese daher von vornherein nicht angelegt wird.

Angesichts solcher Gedankenkonstruktionen fragt man sich, worin das Allokationsproblem eigentlich noch bestehen soll. Es drängt sich der Schluss auf: Das Allokationsproblem ist ein "Problem", das eigens erfunden wurde, um die Marktwirtschaft dafür zu feiern, dass sie es löst.

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