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Die Zwickmühle der CO2-Steuer

Bild: Andreas Lischka, Pixabay

Wirksam oder mehrheitsfähig? Wer eine CO2-Steuer realisieren will, die auch wirkt, muss diese Zwickmühle überzeugend auflösen.

Welches Thema könnte die nächste Bundestagswahl entscheiden? Die CO2-Steuer hat das Potential dazu. Denn sie ist ein höchst geeignetes Thema für einen Wahlkampf.

Laut Pew Research Studie [1] ist Deutschland eines von 13 Ländern der Welt, in denen das Thema Klimawandel als größte Bedrohung überhaupt empfunden wird, noch vor Atomkrieg und Super-GAU, Kapitalismus und Schere zwischen Arm und Reich, Umweltzerstörung, Digitalisierung, Massenarbeitslosigkeit und Altersarmut. Zweitens unterscheiden sich die Parteien hier eklatant, polarisierend und leicht erkennbar. Und drittens ist die Grundidee so simpel, dass sie die meisten Wähler verstehen: Eine Besteuerung mit x Euro pro Tonne soll die Emissionen verringern.

Ein erster Orientierungspunkt sind die 180 Euro pro Tonne CO2, die das Bundesumweltamt als erforderlich betrachtet. Deutschland produziert offiziell (ohne die Bilanzierung importierter Konsumgüter) 866 Mio. Tonnen CO2 jährlich, was 10,4 Tonnen pro Einwohner entspricht. Vom Pkw- und Lkw-Verkehr über Heizung, Flüge, Schiffstransporte, Landwirtschaft und Hausbau bis zu Fleisch- und Milchprodukte-Konsum, Industrieproduktion und dem Stromverbrauch bei Handel und Dienstleistern verursacht so gut wie alles Gase, die bei entsprechend hoher Konzentration die Temperaturen steigen lassen können. Neben CO2 sind dies vor allem Methan und Lachgas aus der Landwirtschaft.

Das World-Watch-Institute berechnete in der Publikation "Livestock and Climate Change" [2] den tatsächlichen Gesamtanteil der Tierhaltung an allen klimaschädlichen Gasen (also nicht nur CO2, sondern auch CO2-Äquivalente inklusive Methan und Lachgas) mit 51 Prozent. Methan gilt als 25-fach und Lachgas als 298-fach klimaschädlicher als CO2. Landwirtschaftliche Gase entstehen durch tierische Ausscheidungen, das Beheizen und Kühlen von Ställen und der offenen Lagerung von Mist und Gülle.

Hinzu kommen Gase aus dem Ackerbau, also (vor allem in Südamerika und Asien) durch die Umwandlung von Wäldern in Ackerflächen, die Herstellung von Dünger sowie Ausgasungen landwirtschaftlich genutzter Moorböden. Das heißt: Wenn die Emissionen wirkungsvoll reduziert werden sollen, muss der Fleisch- und Milchprodukte-Konsum so hoch besteuert werden, dass sich fast niemand mehr nennenswert viel Fleisch und Milchprodukte leisten kann. Damit wären wir auch schon mitten im Wahlkampfthema:

Positionen im Wahlkampf

Die Grünen wollen eine möglichst hohe Steuer, mit zunächst 40 Euro/Tonne als Einstieg und 180 Euro/Tonne als Zwischenziel. Im Gegenzug soll allen Bürgern je 100 € "Energiegeld" ausgezahlt werden. Würde man die offiziellen 10,4 Tonnen CO2 pro Bürger komplett mit lediglich 40 Euro/Tonne besteuern, würde jeder Bürger netto mit 316 Euro belastet, also eine 3-köpfige Familie mit 948 Euro im Jahr. Die Maximalforderung stellt Annalena Baerbock mit einer CO2-Bremse im Grundgesetz [3].

Die Union will die Steuer eigentlich gar nicht, beugt sich aber seit dem Europawahl-Desaster ein wenig dem Druck u.a. von Fridays for Future und dem Bewusstsein, dass ihnen die Stammwähler wegsterben. Also denken CDU und CSU über eine symbolische homöopathische Dosis sowie die Umbenennung der Steuer in "Bepreisung" nach. Bei Abstimmungen über Klimaschutzforderungen von Grünen und Linken stimmten alle GroKo-Abgeordneten gemeinsam mit der AfD und der Mehrheit der FDP dagegen [4].

Die FDP lehnt sie ab und setzt wie üblich auf den freien Markt und auf genau den Emissionshandel, der noch nie funktionierte und CO2 mit wirkungslosen 25 Euro/Tonne bepreist. Die SPD legt sich auf keine Zahl fest, um beim Versuch zu scheitern, es allen Recht zu machen. Die Linke will eine Steuer "ab" zunächst 60 Euro/Tonne für Strom, Heizöl, Gas und Kraftstoffe, die mit der Stromsteuer verrechnet wird, sowie eine noch nicht bezifferte hohe Besteuerung von Flügen. Die AfD lehnt die Steuer vollkommen ab.

Die Zwickmühle

Eine mittelfristige Steuer von 180 Euro/Tonne, die das Umweltbundesamt als Break-even für die Schäden beziffert, bedeutet 53 Cent pro Liter Heizöl, 42 Cent pro Liter Benzin, 48 Cent pro Liter Diesel und (je nach Quelle) 10-15 Cent pro Kilowattstunde Strom. Da auch Industrie, Handel, Dienstleister, Baubranche und Landwirtschaft bei Produktion und Transport fossile Energie verbrauchen, wird jedes Produkt teurer, in dessen Preiskalkulation fossile Energie enthalten ist - also fast jedes.

Für den nächsten Bundestags-Wahlkampf ist es daher logisch, dass sich die Parteien auf die Konsequenzen der Steuer fokussieren: Ist der Steuersatz niedrig, wirkt er nicht. Ist er hoch, wird alles zum Luxusgut, was viel CO2 produziert - vor allem Autofahren, Flüge, Fleisch, Milchprodukte, Warmwasseraufbereitung und Heizen. Durch die Wirkung auf die Preise nahezu aller Güter wird auch das urdeutsche Schreckgespenst "Inflation" zum Wahlkampfthema. Um dies zu vermeiden, wollen manche Parteien und Experten jedem Haushalt den Durchschnittssatz pro Haushalt erstatten lassen. Das nimmt ihr (siehe unten, Schweden und Schweiz) die Wirkung und löst die Zwickmühle nicht auf: Wirksam oder mehrheitsfähig?

Minus 82 Prozent in 30 Jahren?

Das Ziel der CO2-Steuer ist nicht die Erzielung von Einnahmen, sondern eine steuernde Wirkung, nämlich die Emissionen von CO2 und Methan extrem zu senken. Die Bundesregierung definiert dieses Ziel [5]: "Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis zum Jahr ... 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren (jeweils bezogen auf das Basisjahr 1990)." Das Basisjahr 1990 ist ein Kniff, um die Reduktion größer wirken zu lassen als sie es im Vergleich zu heute wäre.

1990 lagen die CO2-Emissionen Deutschlands laut Umweltbundesamt [6] bei 1.248 Mio. Tonnen. Für 2018 nennt das Umweltbundesamt [7] 866 Mio. Tonnen. Rechnet man bezogen auf das Jahr 1990 mit dem Mittelwert des Regierungsziels (also 87,5 Prozent Reduzierung), müsste Deutschland die Emissionen auf 156 Mio. Tonnen reduzieren. Anders ausgedrückt: Im Vergleich zu 2018 müsste jeder Bundesbürger 82 Prozent CO2 einsparen, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Das heißt: Entsprechend weniger Auto fahren, reisen, heizen, Fleisch- und Milchprodukte essen, auch sonst weniger essen und entsprechend weniger Produkte fast jeglicher Art kaufen.

Ein quadratischer Kreis

Einsparungen bei Benzin, Heizung, Strom und Warmwasser sind vor allem bei den finanziell unter Druck stehenden Privathaushalten (also der großen Mehrheit) kaum noch möglich. Bei der typischen Mittelschicht sind die Ausgaben "auf Kante genäht". In einer Studie der ING Diba [8] erklärte ein Drittel der Befragten, über keinerlei Ersparnisse zu verfügen, und über die Hälfte erlebte bereits finanzielle Engpässe am Monatsende. Es sei auch daran erinnert, dass ALG 2-Bezieher ihre Strom- und Warmwasserkosten von ihrem kargen Regelsatz finanzieren müssen. Nicht anders geht es den vielen Geringverdienern und Rentnern.

Als zum Beispiel die Grünen in der Bundespressekonferenz vom 28.06.19 erklärten, dass die CO2-Steuer (sie verwenden das Etikett "Preis" statt "Steuer") "ökologisch wirksam, sozial gerecht und und ökonomisch sinnvoll" sein soll, stellte niemand die Frage, wie sie die Zwickmühlen auflösen wollen.

Da alle Unternehmen betriebswirtschaftlich ohnehin immer auf Effizienz und Kostensenkung getrimmt sind, sind zusätzliche Energieeinsparungen auch hier nur begrenzt möglich. Hinzu kommt: Je teurer Energie wird, desto stärker steigt der Druck, Energie-intensive Industrien ins Ausland zu verlagern. Eine weitere Zwickmühle lautet folglich: Wie kann man eine wirksame CO2-Steuer umsetzen, ohne Deutschland zu deindustrialisieren?

Die Bundesregierung nimmt das Jahr 1990 als Maßstab. Laut Umweltbundesamt [9] sanken seitdem die CO2-Emissionen der Industrie um 32 Prozent. Der technische Fortschritt und das Herauskitzeln von Effizienzgewinnen werden einen Beitrag leisten, aber längst nicht ausreichen.

Regenerative Energien sind Teil der Lösung, werden aber auch nicht ausreichen. Heute stammen zwar rund 40 Prozent des Stroms, aber nur 14 Prozent des Gesamtenergiebedarfs in Deutschland aus regenerativen Energien.

Möglich ist theoretisch Vieles: Wenn Windkraft und Geothermie ausgebaut, auf jedem Dach und jeder Süd- und Westfassade eine Photovoltaik-Anlage installiert, Biomasse-Energie ohne Konkurrenz zu Nahrungsmitteln ausgebaut würde, und wenn auch kleine Alternativen wie Strombojen in Flüssen oder Flugwindkraftanlagen (Drachen an Seilen, die Generatoren antreiben) ihren Beitrag leisten dürften, und falls ausreichende Speichermöglichkeiten bestünden, wäre eine hohe Einsparung an CO2 möglich, aber nicht im Entferntesten um 82 Prozent, wie es beabsichtigt ist.

Bei regenerativen Energien gilt für sehr viele Bundesbürger "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Bei Windrädern dominiert das Sankt-Florians-Prinzip: Grundsätzlich gern, aber nicht in Sichtweite, nicht in einer Höhe mit viel Wind (ab 200 Meter), ohne Vogelschlaggefahr und ohne den geringsten "Infraschall". Bei fast jedem neuen Windrad gehen die Anwohner auf die Barrikaden. Die bayerische Landesregierung schreibt Mindestabstände für Windräder zu Wohngebäuden und Naturschutzgebieten vor, die so groß sind, dass in ganz Bayern auf 99,95% der Fläche kein weiteres Windrad mehr aufgestellt werden darf.

Windstrom sollen doch bitteschön die norddeutschen Bundesländer liefern, und zwar per Überlandleitungen, die auch wieder niemand haben will. Für die unerlässlichen Pumpspeicherkraftwerke müssten Speicherseen auf Bergen und Hügeln angelegt werden, aber selbst Speicherseen will fast kein Naturschützer akzeptieren. Geothermie wird wegen möglicher kleiner Erdstöße abgelehnt. Photovoltaik-Module sollen weder Dächer noch Fassaden noch Freiflächen "verschandeln." Und schließlich finden Naturschützer irgendwelche Tierarten, deren Schutz den Bau regenerativer Energieanlagen verhindert. Wobei genau diese Anlagen ihrer Gesamtbilanz viel mehr Tiere schützen als sie gefährden.

Wer regenerative Energie durchsetzen und die Natur schützen will, muss sich also mit Naturschützern anlegen, deren Horizont bei weitem nicht das Ausmaß ihrer Erregbarkeit hat.

Klassen-Warenkörbe

Um die heutigen Emissionen um weitere 82 Prozent zu senken, muss nicht nur der Stromverbrauch von Haushalten und Industrie extrem sinken. Konsequenterweise muss jeder Bereich Emissionen sparen, der sie verursacht, also auch Flugreisen, Landwirtschaft, Frachtschifffahrt, Kreuzfahrtschiffahrt, die Herstellung von Zement, Stahl, Aluminium, und so weiter.

Um zu wirken, muss und soll die CO2-Steuer die Zusammensetzung des Warenkorbs ändern, für den die Masse der Haushalte ihr Geld ausgibt. Als zwangsläufiger Effekt einer wirkungsvollen Steuer bildet der Warenkorb der Konsumausgaben die finanziellen Schichten bzw. Klassen ab.

Das heißt in Bezug auf das Auto: Soll die CO2-Steuer wirklich ihre Ziele erreichen, muss das Autofahren mit Benzin- oder Dieselfahrzeugen für die breite Masse der Haushalte unbezahlbar werden. Damit Parteien, die das fordern oder beschließen, nicht bei der nächsten Wahl unter die 5-Prozent-Hürde fallen, müssen sie akzeptable Alternativen bieten. Das wären alltagstaugliche, bezahlbare Wasserstoff- oder Elektroautos mit ausreichender Reichweite, die die heutigen 43 Millionen Pkw ersetzen.

Da sich nur eine Minderheit Neuwagen leisten kann und es auf absehbare Zeit keinen Gebrauchtwagenmarkt für bezahlbare E-Autos gibt, muss die Frage beantwortet werden: Welche Fahrzeuge bietet man Wählern, die lediglich 4-stellige Beträge oder kleine Raten zahlen können (oder die im Alter von den Banken keinen Kredit mehr erhalten), und für die öffentliche Verkehrsmittel für Arbeitswege, Einkäufe etc. nicht in Frage kommen? "Autofahren nur für Reiche" hat gesellschaftliche Konsequenzen, die die beteiligten Parteien vorher durchdenken sollten.

Eine Quadratur des Kreises sind auch sozialverträgliche und gleichzeitig CO2-sparende Flugreisen. Um hier massiv CO2 zu sparen, müssten Flüge so teuer werden, dass sie sich die Masse der Menschen nicht mehr leisten kann. Damit wären wir zurück in den 1950er-Jahren, in denen nur die Oberschicht die Flugpreise bezahlen konnte. Bei Fernreisen wäre die finanzielle Oberschicht unter sich, während die finanzielle Mittelschicht bei den nächsten Wahlen ihre Reaktion zeigen würde. Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold warnt vor teuren Flügen auch mit dem Argument, dass die Völker isoliert würden. Eine Völkerverständigung durch Reisen und direkte Kontakte fände nicht mehr statt.

Sind Flugzeuge mit Wasserstoff, Brennstoffzellen und Elektromotor eine mögliche Alternative? Zunächst einmal braucht man einen aufwendigeren, zum Beispiel 3-stöckigen Rumpf: Unten Gepäck, darüber die Passagiere, und darüber ein langer zylindrischer Wasserstofftank. Damit solche Flugzeuge nicht zu teuer würden, ist die Massenproduktion eine Grundvoraussetzung. Da aber die meisten Regierungen der Welt ihren Bürgern lieber bezahlbare Reisen bieten wollen, wird es weiterhin Kerosin-Flugzeuge geben, gegen die Wasserstoff-Flugzeuge nicht konkurrenzfähig sind. Wird eine so hohe Kerosinsteuer erhoben, dass das CO2 des Flugverkehrs nennenswert gesenkt würde, weichen die Fluggäste auf Flughäfen in Nachbarländern aus, in denen es diese Steuer nicht gibt.

Auch der Bereich Heizung und Warmwasser birgt Sprengstoff. Früher hieß es, dass man arme Menschen an ihren Schuhen erkennt. Seit der Streichung vieler zahnmedizinischer Kassenleistungen erkennt man arme Menschen auch an ihren Zähnen. Wie verhindert man, dass man bei einer wirksamen CO2-Steuer arme Menschen an ständigen Erkältungen oder am Geruch erkennt, weil sie beim Heizen und Duschen sparen müssen?

Emissionen in Ländern mit und ohne CO2 Steuer

Anhänger der CO2-Steuer nennen Schweden und die Schweiz als Referenz-Beispiele. Um die Theorie zu überprüfen, dass durch eine CO2-Steuer die CO2-Emissionen zurückgehen, muss man Länder mit und ohne diese Steuer vergleichen. Während in Schweden von 1990 bis 2016 die Emissionen mit der Steuer um 26 Prozent sanken [10], sanken sie in Deutschland ohne die Steuer laut Umweltbundesamt und Europäischer Umweltagentur um 27,3 Prozent [11]. In UK (Großbritannien plus Nordirland) sanken sie ohne die Steuer um 39,4 Prozent. Im Durchschnitt aller 28 EU-Länder sanken sie um 24,0 Prozent. Besonders stark sanken die Emissionen in Osteuropa.

Wenn zum Beispiel der Tagesspiegel vom Wunder der schwedischen CO2-Steuer [12] spricht, bleibt die Frage unbeantwortet, warum die Emissionen in Deutschland und UK ohne die Steuer stärker gesunken sind. Die Antwort ist unübersehbar: An der Steuer kann es nicht gelegen haben. In Schweden und in der Schweiz hatte die CO2-Steuer keine Wirkung.

Schweden führte die Steuer 1991 ein. Aktueller Steuersatz: 120 Euro pro Tonne CO2 mit bis zu 60 Prozent Nachlass für die Industrie. Die Schweizer nennen ihre CO2-Steuer Lenkungsabgabe [13]. 2008 wurde sie eingeführt, und dennoch steigen seit 2011 die CO2-Emissionen. Das liegt erstens am niedrigen Steuersatz von 96 Franken/Tonne, von denen die Bürger über ihre Krankenversicherung 64 Franken zurückerstattet bekommen, sodass der Steuersatz netto bei lediglich 32 Franken/Tonne liegt. Zweitens liegt es daran, dass die Schweizer lediglich fossile Brennstoffe besteuern, aber keine Treibstoffe und auch sonst nichts. Eine CO2-Abgabe auf Flugtickets von lediglich 12 - 30 Franken pro EU-Flug und 30 - 50 Franken für Langstreckenflüge lehnte der Nationalrat ab [14].

Die offensichtlich wirkungslos niedrige Höhe von brutto 96 und netto 32 Franken pro Tonne Brennstoff muss man auch in Relation zum Einkommen setzen: Das Schweizer Medianeinkommen [15] liegt bei über 6.500 Franken monatlich. 90 Prozent aller Schweizer Arbeitnehmer verdienen mindestens 4.313 Franken monatlich.

In Schweden haben (ebenso wie in der Schweiz) Atomkraftwerke 40 Prozent Anteil an der Stromherstellung (zum Vergleich: 11,7 Prozent in Deutschland). Mit Atomkraftwerken kommen die Schweiz und Schweden zwar auf niedrige CO2-Emissionen - aber zum indiskutabel hohen Preis des Atommülls, den sie für zigtausend Generationen hinterlassen, sowie des Betriebsrisikos.

Das Beispiel der (mit und ohne Steuer) fast überall in Europa gesunkenen Emissionen zeigt, dass eine Gleichzeitigkeit nicht notwendigerweise eine Ursache-Wirkung-Beziehung hat. Die entscheidende Frage lautet: Aus welchen Gründen sanken in (fast) ganz Europa die CO2-Emissionen? Dafür gibt es mehrere Ursachen: Der technische Fortschritt und schärfere Umweltnormen bewirkten eine sparsamere Ressourcenverwendung und dadurch drastisch sinkende Emissionen bei Benzin- und Diesel-Fahrzeugen sowie bei Heizungen und Fabrikationsanlagen. 1990 fiel der Eiserne Vorhang, wodurch Osteuropa zur "verlängerten Werkbank" Westeuropas wurde. Fabrikationsanlagen wurden modernisiert oder gleich ganz neu gebaut - mit weitaus niedrigeren Emissionen als die uralten Anlagen der kommunistischen Ära.

Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Verlagerung von industrieller Produktion nach Asien: Der Smog in Schanghai und Peking entsteht zum Großteil durch die Produktion für den europäischen und US-Markt. Gerade das Beispiel UK zeigt den logischen Zusammenhang zwischen Deindustrialisierung und dem Rückgang der Emissionen.

Die Verlagerung der Produktion zeigt auch ein Kernproblem der CO2-Berechnung auf: Die Emissionen werden dem Land der Produktion zugeordnet statt dem Land des Konsums, das diese Waren importiert und durch den Konsum der eigentliche Verursacher ist. Der offizielle Wert von 4,53 Tonnen CO2 pro Schweizer Einwohner und Jahr ist irrelevant, wenn man ehrlich bilanziert und das "Konsumprinzip" anwendet. Das heißt: Schweizer produzieren pro Kopf und Jahr 23,0 Tonnen CO2, wenn man die Produktionsprozesse der importierten Konsumgüter korrekt bilanziert. Österreicher liegen bei 21,5 und Deutsche bei 18,3 statt der offiziellen 10,4 Tonnen/Jahr.

Fazit

Eine CO2-Steuer, die zu einem massenhaften Rückgang des Verbrauchs (nicht nur) von Benzin, Heizöl und Kerosin führen soll und die gleichzeitig sozialverträglich ist, ist eine Zwickmühle.

Wenn es den Befürwortern nicht gelingt, diese Zwickmühle aufzulösen, droht ihnen ein Shitstorm wie 1998, als die Grünen mit der Forderung nach "5 Mark für den Liter Benzin" den politischen Gegnern eine Steilvorlage für Kampagnen boten wie Lasst Euch nicht anzapfen [16]. Nachdem die grüne Bundestagsabgeordnete Halo Saibold am 22.03.1998 in der BILD am Sonntag ganz im Sinne der heutigen Klimadiskussion meinte, es sei "durchaus ausreichend, wenn die Deutschen nicht jedes Jahr, sondern nur alle fünf Jahre eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug machen", bemühte sich die Bundestagsfraktion der Grünen umgehend um Schadensbegrenzung und erklärte zwei Tage später: "Wir wollen niemandem vorschreiben, wann, wo und wie oft er Urlaub macht. … Bevormundung über die Urlaubsgestaltung wird es mit Bündnis 90/DIE GRÜNEN nicht geben." Was hat man hinsichtlich der CO2-Steuer daraus gelernt?

Um das Regierungsziel von 82 Prozent Reduktion zu erreichen, müssten die Deutschen ihren Konsum um mindestens zwei Drittel senken (wobei Effizienzgewinne und technischer Fortschritt bereits eingerechnet sind). Wie realistisch ist das?

Wenn die CO2-Steuer tatsächlich wirken soll, muss sie bei mehreren hundert Euro pro Tonne liegen und auf alle Produkte und Produktionsprozesse angewendet werden. Die 120 oder 180 Euro/Tonne, die derzeit mittelfristig in der Diskussion sind, genügen bei weitem nicht. "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" ist auch hier sinnlos.

Über den Autor: Jörg Gastmann ist Buchautor [17] und Sprecher der NGO economy4mankind.org, die das alternative Wirtschaftssystem Economic Balance System [18] vertritt.

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.pewresearch.org/global/2019/02/10/climate-change-still-seen-as-the-top-global-threat-but-cyberattacks-a-rising-concern/
[2] http://www.worldwatch.org/files/pdf/Livestock%20and%20Climate%20Change.pdf
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/debatte-um-co2-steuer-gruene-fordern-co2-bremse-im-grundgesetz/24314066.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Waldbraende-Hitzewellen-aber-kein-Klimanotstand-4461130.html
[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/energiewende/co2-kohlenstoffdioxid-oder-kohlendioxid-emission-614692
[6] https://www.umweltbundesamt.de/bild/treibhausgas-emissionen-in-deutschland-1990-bis
[7] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#textpart-1
[8] https://www.merkur.de/leben/geld/studie-drittel-deutschen-haben-keine-ersparnisse-zr-11806009.html
[9] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgas-emissionen/emissionsquellen#textpart-1
[10] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/co2-steuer-wie-sie-in-schweden-funktioniert
[11] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/2_tab_thg-emi-eu_2018-09-18.pdf
[12] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/klimaschutz-das-wunder-der-schwedischen-co2-steuer/24161896.html
[13] https://www.ezv.admin.ch/ezv/de/home/information-firmen/steuern-und-abgaben/einfuhr-in-die-schweiz/lenkungsabgabe-auf-co.html
[14] https://www.schweizerbauer.ch/politik%E2%80%94wirtschaft/agrarpolitik/keine-co2-abgabe-auf-flugtickets-46305.html
[15] https://www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/aktuell/news/2018/in-der-schweiz-betraegt-der-medianlohn-chf-6502.html
[16] https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/19944
[17] http://www.selectiv-verlag.de/inhaltsverzeichnis-geldlawine/
[18] https://www.economy4mankind.org/de/economic-balance-system-ebs/
[19] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html