Die braune Staatsfraktion
Mob und Elite: Im Staatsapparat machen reaktionäre Naziversteher mobil. Ein Kommentar zum deutschen Vorfaschismus
Bei den staats- und regierungsinternen Auseinandersetzungen um die pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz geht nicht um Fakten. Es geht nicht um die mit einer Fülle von Material und Zeugenaussagen belegte Tatsache, dass ein brauner Mob in der sächsischen Stadt - größtenteils unbehelligt von der Polizei - eine Hetzjagd auf Migranten und politische Gegner veranstalten konnte - und dabei ein jüdisches Restaurant angriff.
Die infantil anmutende Verbreitung dumpfer, schnell zu durchschauender "alternativer Fakten" durch Verfassungsschutzpräsident Maaßen, Bundesinnenminister Seehofer und den sächsischen Landesfürsten Kretschmer ist äußerer Ausdruck eines Machtkampfes innerhalb der CDU/CSU und des Staatsapparates. Die evidenten Lügen der braunen Staatsfraktion sind eigentlich selber eine Machtmanifestation: "Seht her, zu was wir fähig sind, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen."
Selbst wenn Herr Verfassungsschutzpräsident Maaßen - der die Echtheit des Videomaterials zu den Gewaltakten in Chemnitz anzweifelt - Reptiloide oder die große Kondensstreifenverschwörung in Zusammenhang mit der braunen Menschenjagd von Chemnitz brächte, er wäre immer noch im Amt und Würden.
Dies liegt einerseits daran, dass Maaßen das "Vertrauen" des Bundesinnenministers Seehofer genießt. Dies stellte der Innenminister ausdrücklich fest, nachdem der oberste Verfassungsschützer der Republik rechtsextreme Verschwörungstheorien über die Videoaufnahmen von Chemnitz ("gezielte Falschinformationen") nachplapperte. Seehofer und Maaßen sind dabei nur die sichtbaren Galionsfiguren einer erstarkenden reaktionären Fraktion im deutschen Konservatismus, die nicht davor zurückschreckt, faschistische Ideologie und Gewaltexzesse zu instrumentalisieren. In der CDU/CSU toben abermals Auseinandersetzungen, wie sie zuletzt die Koalition im Juni 2018 erschütterten, als die CSU versuchte, Merkel über die Flüchtlingsfrage zu stürzen.
Fakten wie die sinkende Kriminalitätsrate oder abnehmende Flüchtlingszahlen stören hier nur. Die Aussagen von Maaßen, Seehofer - der Flüchtlinge zur "Mutter aller Probleme" deklarierte - und Ministerpräsident ("Es gab keinen Mob") Kretschmer fungieren als Angriffe auf Merkel, um deren Machtposition zu schwächen. Der rechte Wille zur Macht ist stärker als die Realität. Der "Riss" zwischen dem neoliberalen und dem neo-nationalistischen Flügel in der Union, der in Sommer mühsam zugedeckt wurde, tritt wieder offen zutage.
Dabei zeichnet sich bei dieser Auseinandersetzung bereits eine schwarz-braune Front ab, die vom rechten Flügel der CDU über weite Teile der CSU bis zur AfD und der organisierten Naziszene reicht. Konkret geht es darum, faschistischen Terror, das Pogrom als Teil der gesellschaftlichen Realität, zu "normalisieren". AfD-Führer Gauland gab gleich nach den Übergriffen in Chemnitz die Parole aus, dass es sich hierbei um eine "normale" Reaktion handele. In a Nutshell: Sobald irgendwo in Deutschland einer der Hunderttausenden von Flüchtlingen straffällig wird, erhebt die Neue Rechte den Anspruch, ein Pogrom zu veranstalten - anstatt die Polizei zu rufen. Dies ist ein gezielter, offensichtlicher Bruch bürgerlich-rechtstaatlicher Mindeststandards, ein Freifahrtschein für Hetze und Pogrom. Es ist die Logik des Terrors, die sich hier etabliert.
Und genau dieser Linie der Beschwichtigung und Beschönigung, die offen faschistische Legitimationsmuster aufnimmt ("gezielte Falschinformationen", "Es gab keinen Mob"), folgen Deutschlands Innenminister und dessen oberster Verfassungsschützer. Für die extremistische Rechte in Deutschland, die dadurch ermuntert wird, ist dies ein innerer Reichsparteitag - sie erhält offene Flankendeckung vom Innenministerium und vom Verfassungsschutz. Faschistischer Straßenterror als Mittel der Politik steht im Deutschland des Jahres 2018 wieder zur Diskussion.
Das für den deutschen Faschismus charakteristische Bündnis aus Mob und Elite ("Nationalsozialismus"), es zeichnet sich inzwischen überdeutlich ab. Die "Faschisten im Land und ihre stillen Mitläufer" betrachteten den CSU-Chef längst als einen der ihren, kommentierte etwa die Süddeutsche Zeitung (SZ) dessen verehrende Stellungnahmen. Das "größte Sicherheitsrisiko" sei "rechts außen, leider auch in der Polizei" angesiedelt, so die SZ. Diese rechtsextremen Kräfte agierten "von Monat zu Monat selbstbewusster". Falls Seehofer das nicht wolle, so müsste "er es endlich unter Beweis stellen".
Inzwischen ist es wieder hilfreich, die "Westpresse" zu lesen, um Klarheit über die Vorgänge in der Bundesrepublik zu erhalten. Die Times of London titelte etwa nach Chemnitz, dass deutsche Polizisten verdächtigt werden, "mit Neo-Nazis zu kollaborieren", während beim Guardian Stimmen laut wurden, die deutschen Politikern vorwarfen, die extremistische Rechte gezielt zu fördern.
Der rasante Aufstieg der braunen Staatsfraktion illustriert letztendlich die Schwäche der bürgerlichen Demokratie in der Bundesrepublik. Während Trump in den USA erst an die Macht kam, nachdem die Krise einen Großteil der amerikanischen Mittelklasse pauperisierte, erfuhr die Bundesrepublik eine lange Periode exportgetriebenen konjunkturellen Aufschwungs. Es ist die bloße Angst vor der Krise, personifiziert im Flüchtling, die durch die absurde Maßnahme der Grenzschließungen "ausgeschlossen" werden soll.
Selbst die institutionellen Mindeststandards bürgerlicher Demokratie - wie Rechtsstaatlichkeit - sind inzwischen in Gefahr durch eine pogromgeile faschistische Dynamik, die gerade auch von weiten Teilen der angstschwitzenden "Mitte" der Gesellschaft getragen wird: von Teilen der CDU/CSU, die wie keine andere politische Formation die BRD geprägt hat, vom Springer-Konzern, vom Innenministerium, vom der Orwellschen Institution des "Verfassungsschutzes". Der braune Mob, der immer selbstbewusster agiert, tut dies gerade deswegen, weil er sich auf viele Schreibtischtäter verlassen kann, die ihn bereits in ihr machtpolitisches, postdemokratisches Kalkül einbauen. Die neuen Polizeistaatsgesetze, die inzwischen auch in Niedersachsen debattiert werden, sind Teil eben dieser autoritären Dynamik.
Die Lage ist dramatischer, als es den Anschein hat, da die große reaktionäre Wende in den Vorfaschismus keine großen Wahlsiege der AfD braucht. Es reicht, wenn die CDU/CSU umkippt, indem sich dort diejenigen Kräfte durchsetzen, die schon derzeit die schwarz-braune Allianz aus Mob und Elite forcieren.
Die Demokratie in der Bundesrepublik wird den nächsten Krisenschub, die nächste Wirtschafts- oder Finanzkrise nicht überstehen, sollte diese braune Dynamik nicht vorher gebrochen werden. Sobald die Exporte einbrechen, der neoliberale Freihandel global durch Protektionismus abgelöst wird, wird sich auch die deutsche Unternehmerschaft, die sich derzeit bedeckt hält, für deutsche Alternativen offen zeigen.
Diese braune Dynamik, die derzeit an Kraft gewinnt, muss somit gebrochen werden, ehe sie zur Lawine wird, ehe sie sich gänzlich verselbstständigt. Diskussionswürdig wäre beispielsweise eine Neuformulierung der Volksfront-Strategien, wie sie - etwa in Frankreich - in den 30er Jahren den faschistischen Ansturm mitunter aufhalten konnten: Ein breites antifaschistisches Bündnis aller demokratischen und fortschrittlichen Kräfte, getragen von dem zivilisatorischen Mindeststandard, die Kräfte der Barbarei zu bekämpfen und gesellschaftlich zu marginalisieren. Nicht nur auf der Linken, auch in den Gewerkschaften, in den Kirchen, selbst in der CDU und sogar dem Polizeiapparat gibt es Kräfte, die - auch angesichts der historischen Erfahrungen - sich dem abermaligen Fall in die Barbarei widersetzen würden.
Ein solch breites, entschlossen auf Bekämpfung und Marginalisierung der AfD samt faschistischer Tendenzen abzielendes Bündnis könnte die braune Dynamik noch immer brechen - indem es den Opportunismus zu einem schlechten Geschäft machen würde, von dem der Faschismus in Krisenzeiten letztendlich zehrt. Die Rolle linker, fortschrittlicher Kräfte innerhalb einer solchen antifaschistischen Bündnisbewegung würde zudem darin bestehen, die Ursache des Aufstiegs der Neuen Rechten klar zu benennen: den systemischen Krisenprozess, der eine Systemtransformation unabdingbar macht.
Von Tomasz Konicz erscheint demnächst das Telepolis-Ebook "Faschismus im 21. Jahrhundert".
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