Die erzwungene Migration

Wolfgang Pomrehn

Prähistorische Wanderung zwischen Sundaland und Südasien, ausgelöst durch den Anstieg des Meeresspiegels. Bild: Nature / Open Access

Energie und Klima – kompakt: Vor mehr als zehntausend Jahren wurden weite Landstriche in Südostasien überflutet. Die Bewohner begaben sich auf eine lange Wanderschaft. Was droht uns im Zuge der Klimakrise?

So wie wir heutigen Tags haben auch schon viele unserer Vorfahren bereits in der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, und den ihr vorangegangenen Jahrtausenden an den Küsten der Kontinente gesiedelt. Vermutlich, weil die dortigen seinerzeit noch äußerst üppigen Fisch- und Muschelbestände reichlich Eiweiß boten.

Mit dem Ausklingen der letzten Eiszeit führte das zu erheblichen Problemen, wie ein kürzlich in dem Fachblatt Nature Communication Biology veröffentlichter wissenschaftlicher Beitrag am Beispiel Südostasiens aufzeigt. Dort hat der steigende Meeresspiegel ausgedehnte Gebiete zwischen den damals noch meist verbundenen indonesischen Inseln und dem Festland, das sogenannte Sundaland unter Wasser gesetzt.

In anderen Weltregionen gab es ähnliche Vorfälle, und es mag sein, dass die Erzählungen über eine große Flut, die einst in grauer Vorzeit die Menschen heimgesucht hat, eine schwache Erinnerung an diese Zeit sind. Entsprechende Mythen wurden rund um den Erdball von diversen Völkern über viele Generationen weitergegeben, wie eine unvollständige Liste auf Wikipedia zeigt.

Juden, Moslems und Christen glauben an die vom Alten Testament beschriebene große Sintflut, die einst allein Noah mit seiner Arche überstand. Diese Geschichte ist allerdings nachweislich viel älteren mesopotamischen Erzählungen entlehnt, wie ein Vergleich mit dem Gilgamesch-Epos, dem vermutlich ältesten überlieferten literarischem Werk der Menschheit, zeigt.

Doch zurück zum Nature-Artikel. Zwischen dem Höhepunkt der letzten Eiszeit in einer Zeit vor 21.000 bis 26.000 Jahren und der Mitte der gegenwärtigen Warmzeit vor 6.000 Jahren, dem Holozän, ist der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt um ungefähr 135 Metern gestiegen. Das ist seit langem aus zahllosen, an den Küsten aller Ozeane angestellten Studien bekannt. Ebenso, dass dadurch Nord- und Ostsee sowie zahlreiche andere Küstenmeere entstanden, die zuvor überwiegend flache Küstenebenen gewesen waren, wenn sie nicht, wie die heutige Ostsee, unter Kilometer dickem Eis begraben lagen.

Die Autorinnen und Autoren – die meisten von ihnen arbeiten an Instituten in Singapur, andere in den USA und Kanada – erinnern daran, dass Sundaland seit 50.000 bis 70.000 Jahren von modernen Menschen bewohnt war. Trockenen Fußes konnten diese Jäger und Sammler von der Malaiischen Halbinsel nach Sumatra, Borneo oder auf die Philippinen und von dort nach Südvietnam wandern.

Die Nachfahren dieser Menschen leben heute in von der Mehrheitsgesellschaft mehr oder weniger isolierten indigenen Gruppen auf der Inselgruppe der Andamanen, auf der Malaiischen Halbinsel und auf den Philippinen. Anhand eines größeren Datensatzes mit vollständigen Genomen aus Süd- und Südostasien haben die Autorinnen nun versucht, die demografische Geschichte der Region zu rekonstruieren.

Heraus kam, dass aufgrund des Landverlustes und vermutlich später auch des Bevölkerungswachstums aus der Region der heutigen Malaiischen Halbinsel Menschen ihre Heimat verließen und zum Teil bis nach Indien wanderten, wo sich in der dortigen Urbevölkerung, wie auch in Burma, eine Verwandtschaft zu den Indigenen auf den Malaiischen Halbinsel feststellen lässt.

Insbesondere lässt sich aufgrund von bekannten Mutationsraten sagen, wann sich Bevölkerungsgruppen voneinander getrennt haben. Damit konnten die Autorinnen und Autoren zeigen, dass es hauptsächlich zwei Auswanderungswellen gegeben hat, die sich zeitlich bekannten Ereignissen während des Übergangs zwischen der Eis- und der derzeitigen Warmzeit zuordnen lassen.

Der Anstieg des Meeresspiegels erfolgte nicht gleichmäßig, sondern hat sich einmal vor 14.000 bis 14.500 und noch einmal vor 11.000 bis 11.500 deutlich beschleunigt, weil größere Eismassen auseinandergebrochen oder gigantische Schmelzwasserseen ihre Barrieren durchbrochen und sich ins Meer ergossen haben. Entsprechend ging in dieser Zeit besonders viel Land verloren und seine Bewohner mussten sich auf die Suche nach neuen Jagdgründen machen, wie die zitierte Studie nachweist.

Küsten nicht stabil

Ansonsten ist übrigens der obenerwähnte Zusammenhang der diversen Sintflut-Mythen mit dem Abschmelzen der großen Eisschilde nicht die einzig denkbare Erklärung, und es ist keineswegs gesagt, dass alle Mythen den gleichen Ursprung haben.

Andere denkbare Erklärungen wären außergewöhnliche Sturmfluten, ausgedehnte Überschwemmungen an großen Flüssen oder Tsunamis. Vor etwa 8200 Jahren wurden zum Beispiel die Küsten des Nordatlantiks von einem Tsunami verheert, als vor Norwegen ein größeres Stück des Hangs abrutschte, der den Übergang zwischen flachem Küstenmeer und dem tiefen Ozean bildet, und dabei eine gewaltige Flutwelle auslöste. Ein Ereignis, an das derzeit ein norwegischer Spielfilm erinnert, der in der ZDF-Mediathek zu sehen ist.

Aber das nur am Rande. Hier sollte nur daran erinnert werden, dass Küstenverlauf und Meeresspiegel keinesfalls so stabil und konstant sind, wie sie uns manchmal erscheinen mögen. Auf Grönland und in der Antarktis lagert noch genug Eis, um den Meeresspiegel um über 60 Meter ansteigen zu lassen.

Das würde jedoch auf keinen Fall über Nacht passieren, und wie viel letztlich abschmilzt, hängt vor allem davon ab, wie weit die Klimakrise noch mit weiteren Treibhausgasemissionen angetrieben wird. Die Menschheit hätte jedenfalls allen Grund, vorsichtig zu sein. In seinem letzten Bericht hat der sogenannte Weltklimarat, der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) darauf hingewiesen, dass der globale Meeresspiegel vor 125.000 Jahren während der letzten Warmzeit wahrscheinlich um fünf bis zehn Meter höher als heutigen Tags war. Zu jener Zeit war es für einige Jahrtausende in etwa so warm wie in den letzten Jahren.

Der in den letzten Jahrzehnten erlebte Anstieg ist also noch nicht das Ende der Geschichte. Die Eismassen reagieren sehr träge auf die Erwärmung und auch die Ozeane brauchen lange, um sich aufzuheizen und das Wasser dadurch auszudehnen, was ebenfalls zum Anstieg der Meere beiträgt.

Je nachdem, wie viel Treibhausgase noch in die Luft emittiert werden und wie schnell die Eismassen reagieren, ist auch ein Anstieg um zwei Meter bis 2100 und fünf Meter bis 2150 nicht mehr auszuschließen, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Bei einem im Mittel fünf Meter höheren Meer sähen die nordeuropäischen Küsten so aus.