Die fatalen Mehremissionen von Kohlekraftwerken
Kohlekraftwerk Jänschwalde. Bild: Flickr / CC BY-NC-ND 2.0
Energie und Klima – kompakt: Um den Gasverbrauch zu reduzieren, laufen Kohlekraftwerke weiter. Das Resultat: Zusätzliche Treibhausgase von rund 16 Millionen Tonnen CO2. Was das für die deutschen Klimaziele und den Emissionshandel bedeutet.
Der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken im Zuge der Gaskrise hat dazu geführt, dass die CO2-Emissionen in Deutschland nicht in erwartetem Rahmen gesunken sind und das deutsche Emissionsreduktionsziel für 2022 aller Wahrscheinlichkeit nach verfehlt wurde – endgültige offizielle Zahlen liegen noch nicht vor.
Nach Berechnungen von Agora Energiewende wurden im vergangenen Jahr 761 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittiert. Der Rückgang der Emissionen gegenüber 1990 läge damit bei 39 Prozent, das Klimaziel hatte allerdings 40 Prozent weniger vorgesehen. Laut einer im Auftrag von Green Planet Energy erstellten Kurzstudie des Beratungs- und Analyseunternehmens Energy Brainpool gehen 15,8 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2022 auf den unvorhergesehenen Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke in Deutschland zurück.
Die Mehremissionen sind dem Analysten Fabian Huneke von Energy Brainpool zufolge "nicht mit dem 1,5-Grad-Klimaziel vereinbar. Umso mehr, da 2023 weiterhin stark ausgelastete Kohlekraftwerke zusätzliches CO2 ausstoßen und Deutschland die dazu benötigten Zertifikate bisher nicht kompensiert."
Eine wichtige Fragestellung der Studie war, ob diese Mehremissionen in der Zukunft im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems ausgeglichen würden. Die Antwort auf diese Frage lautet nein: "Die Mehremissionen des Jahres 2022 sind effektive Mehremissionen, d. h., sie werden im Rahmen des Emissionshandelssystems (ETS) der EU nicht wirkungsgleich durch Minderemissionen in der Zukunft ausgeglichen", heißt es in der Veröffentlichung von Energy Brainpool.
Eigentlich ist dies Sinn und Zweck des Emissionshandelssystems EU ETS. Nur genau zum jetzigen Zeitpunkt stellt sich die Sache etwas komplizierter dar. Denn bis dato kursierten zu viele Emissionszertifikate in Europa – was anfänglich die Preise je ausgestoßener Tonne CO2 sehr niedrig gehalten hatte.
Erst kürzlich hat sich die EU darauf verständigt, Zertifikate aus der sogenannten Marktstabilitätsreserve zu löschen. Die Marktstabilitätsreserve ist ein Zwischenschritt vor der endgültigen Löschung der Zertifikate. Es wurde ein Schwellenwert für in der EU zirkulierende, noch nicht verbrauchte Zertifikate festgelegt.
Vorschlag: Emissionszertifikate löschen
Wird dieser überschritten, wandern 24 Prozent der ungenutzten Zertifikate in die Reserve und es wird außerdem die Auktionsmenge für das Folgejahr gekürzt. Liegt die Zahl der noch kursierenden Zertifikate hingegen unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts, können Zertifikate aus der Reserve wieder in Umlauf gebracht werden.
Nach Angaben von Energy Brainpool wurden bis Ende 2021 2,6 Milliarden Zertifikate in der Reserve angesammelt und ein Großteil davon soll 2023 endgültig gelöscht werden. Das wird voraussichtlich auch so geschehen.
Nun ist aufgrund der aktuellen Struktur der Stromproduktion damit zu rechnen, dass für 2022 weniger Zertifikate zunächst in die Reserve verschoben werden, da für die zusätzlichen 15,8 Millionen Tonnen CO2 schon entsprechend Zertifikate in Anspruch genommen wurden und damit gelöscht sind. Sie sind also deshalb nicht mehr auf dem Markt, weil sie "verbraucht" wurden.
Von der Zertifikatemenge für diese 15,8 Millionen Tonnen werden entsprechend auch nicht 24 Prozent in die Reserve gehen, wie in dem Fall, dass diese nicht in Anspruch genommen würden. Auch in den Folgejahren wäre dies der Fall, da ja auch die übrigen 76 Prozent weniger am Markt zirkulieren. Letztendlich werden also Zertifikate in der gesamten Größenordnung der Mehremissionen nicht vom Markt genommen. Die unvorhergesehenen CO2-Emissionen können auf diese Weise nicht kompensiert werden.
Energy Brainpool schlägt daher vor, auf die Mehremissionen im Zuge der Gaskrise mit einer Gesetzesänderung zu reagieren. "Eine Gesetzesänderung, die eine Löschung von Zertifikaten für den deutschen Kohleausstieg im vollen vom EU-Recht gedeckten Umfang ermöglicht, ist eine Handlungsoption ohne Abhängigkeit von der europäischen Gemengelage", so die Idee.
Denkbar sei auch eine Stilllegung von Zertifikaten durch nicht-staatliche Initiativen, allerdings seien beim derzeitigen Zertifikatspreis von 81,6 Euro pro Tonne CO2 1,29 Milliarden Euro notwendig, um die Mehremissionen durch den Weiterbetrieb der deutschen Kohlekraftwerke zu korrigieren. Diese Summe spreche dann doch eher für einen staatlichen Korrekturschritt. Die Empfehlung, für den kurzfristigen Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken anstelle von Gaskraftwerken zusätzliche Emissionszertifikate zu löschen, hatte im Juni 2022 bereits das Öko-Institut ausgesprochen.