Die französische Regierung versucht sich an der Bioethik
Klonen, embryonale Stammzellen, die PID und ein Kind, dessen Verwandtschaftsverhältnisse nicht einfach zu klären sind
Der Ministerrat befasst sich zur Zeit mit der Revision eines Gesetzes aus dem Jahre 1994, um mit den rasanten Entwicklungen in den Biotechnologien Schritt zu halten. Doch sowohl die nach Liberalisierung dürstende Forschergemeinde wie die Skeptiker sind vom vorläufigen Text enttäuscht.
Die französischen Genetiker und Fortpflanzungsmediziner waren hocherfreut, als ihnen Premier Lionel Jospin noch im Dezember 2000 in Aussicht stellte, dass die Regierung vorhabe, sogenanntes "therapeutisches Klonen" auf eine legale Basis zu stellen. Eine Technik von der sich vor allem Transplantationsmediziner vieles versprechen: die Stammzellen eines durch Zellkerntransfer (von der Zelle eines erwachsenen Patienten auf eine Eizelle) erhaltenen Embryos, sollen etwa dabei helfen, Abstoßreaktionen bei Transplantationen zu verhindern. Die Entfernung der Stammzellen bringt allerdings die Existenz des Embryos zu einem Ende, wie es der internationale Bioethikausschuss (IBC) der UNESCO in seinem Bericht über embryonale Stammzellen in der therapeutischen Forschung diskret formuliert.
Therapeutisches Klonen
Doch die Position der französischen Regierung hat sich seit Dezember radikal geändert: therapeutisches Klonen bleibt vorläufig illegal. Wahrscheinlich hat man es mit der Angst vor der öffentlichen Meinung zu tun bekommen, die möglicherweise den Gedanken, ein menschliches Embryo im Labor zu "erzeugen", um therapeutische Vorteile zu erlangen, nicht akzeptieren könnte. Sollte jedoch jemals ein gesellschaftlicher Konsens zum Thema therapeutisches Klonen erreicht werden, schließt Jospin nicht aus, dass die Regierung ihre ablehnende Haltung revidieren könne. Gesundheitsminister Bernard Kouchner befürchtet nämlich schon, dass den französischen Wissenschaftlern aus diesem Verbot ein Wettbewerbsnachteil erwachsen könnte. Zur Zeit ist therapeutisches Klonen u.a. in Großbritannien und in den USA - sofern keine öffentlichen Gelder mit im Spiel sind - erlaubt.
"Ich darf sie daran erinnern, dass wir heute, hätte man in der Vergangenheit erst immer auf den gesellschaftlichen Konsens warten müssen, um die Forschung voranzutreiben, noch nicht sonderlich weit wären", sorgte sich Kouchner im Ministerrat.
Auch die ursprünglich geplante Zulassung von In-vitro-Fertilisation post mortem, d.h. nachdem der Vater verstorben ist, wurde zurückgenommen. Die Regierung wollte die Chancengleichheit der Erben sicherstellen. Doch die hierfür nötige Gesetzgebung erwies sich als derart komplex, dass man es vorzog, die Verstorbenen ruhen zu lassen.
Embryonale Stammzellen
Etwas liberaler zeigt sich die Regierung allerdings in ihrem Gesetzesvorschlag, der Anfang 2002 den Nationalrat passieren soll, was die sogenannten "überzähligen Embryonen" anlangt. Das sind jene in vitro erzeugten Embryonen, die bei medizinisch unterstützten Fortpflanzungstechniken übrig geblieben sind und auf die die Eltern keinen Anspruch mehr erheben. In Frankreich liegen Tausende von solcherlei erzeugten Embryonen auf Eis. Keiner weiß genau, wie viele es sind.
Seitdem bekannt ist, dass embryonale Stammzellen die Fähigkeit besitzen, jede Art von Gewebe des menschlichen Organismus zu reproduzieren, ist das Interesse an diesen kryokonservierten Embryonen kaum noch zu bremsen. Die Revision des Bioethikgesetzes sieht vor, dass Forschungsprojekte, die Techniken zu entwickeln versuchen, um Stammzellenkulturen anlegen zu können, erlaubt sein sollen. Die überzähligen Embryonen sollen allerdings nicht für die Verbesserung von medizinisch unterstützten Fortpflanzungstechniken zur Verfügung stehen.
Gerade diese mehr als ambivalente Haltung der französischen Regierung, was die kryokonservierten Embryonen anbelangt, ist dem Genetiker und Bioethiker Jean-François Mattéi ein Dorn im Auge: "Die Regierung bezieht eine heuchlerische Position, indem sie die Forschung an überzähligen Embryonen zulässt. Das Bioethikgesetz aus dem Jahre 1994 hat den Respekt des Lebens von Anfang an zum Grundsatz. Man hätte sich daran halten sollen. Man kann menschliche Embryonen nicht als Rohstoff für die Forschung ansehen", erklärte der Abgeordnete in einem Interview mit der Tageszeitung Le Figaro. Viel besser wäre es, die Forschung an den adulten Stammzellen voranzutreiben, auch wenn sie weniger Entwicklungsmöglichkeiten bieten als die embryonalen.
Mattéi hatte bereits aufhorchen lassen, als er gemeinsam mit dem deutschen Abgeordneten Wolfgang Wodarg das SOS-Human-Genome-Projekt ins Leben rief. Auf dem Internetforum sammelte man tausende von Unterschriften, um gegen die Praktik mancher Pharmariesen menschliche Gene zu patentieren, zu Felde zu ziehen.
Präimplantationsdiagnostik
Auch wenn die Arbeits- und Sozialministerin Elisabeth Guigou vor dem Ministerrat verlauten ließ, dass Frankreich auf keinen Fall die Diskriminierung von Personen auf Grund von genetischen Gegebenheiten zulassen werde, bleibt die Präimplantationsdiagnostik nach wie vor erlaubt und wird seit 1998 in Frankreich - freilich nur wenn begründete Verdachtmomente vorliegen - von drei Ärzteteams praktiziert. Mit dieser in Deutschland (noch) verbotene Technik kann noch vor der Verpflanzung in den Uterus überprüft werden, ob ein in vitro erzeugtes Embryo genetische Krankheitsrisiken hat.
"Die Schatten der Vergangenheit färben die Bioethikgesetzgebung der Deutschen", erklärt sich die Tageszeitung Le Monde die Zurückhaltung der Nachbarn. Die Möglichkeit der Auswahl von Embryonen gemahne an die Selektionsrampen von Auschwitz. Auch der Zugang zu embryonalen Stammzellen ist den deutschen Forschern verwehrt, während einige das Verbot jetzt durch Import zu umgehen versuchen.
Da es weder eine einheitliche europäische und schon gar nicht eine einheitliche internationale Gesetzgebung für die neuen Biotechnologien gibt, nutzen manche jedes Schlupfloch, das sich anbietet. So beschäftigt die französischen Behörden zur Zeit ein abenteuerlicher Fall von In-vitro-Fertilisation, die in den USA durchgeführt wurde und daher in Frankreich nicht rechtlich verfolgt werden kann.
Ein Vater, der eigentlich Onkel ist, und eine Mutter, die eigentlich Tante ist
Der Staatsanwalt von Draguignan hat letzte Woche Ermittlungen gegen eine 62-jährige pensionierte Lehrerin und ihren Bruder eingeleitet, als bekannt wurde, dass die Frau durch künstliche Befruchtung in den USA von ihrem Bruder schwanger wurde und das Kind dann in Frankreich zur Welt brachte. Es handle sich zwar nicht um einen biologischen Inzest, wie der Staatsanwalt betont, weil das Ei von einer amerikanischen Spenderin stammte, aber man könne hier durchaus von einem sozialem Inzest sprechen.
Doch mit dem einen Kind war es den beiden Geschwistern nicht genug: durch eine weitere In-vitro-Fertilisation trug die amerikanische Spenderin noch ein Kind des Bruders aus, das sie fast zeitgleich mit der Lehrerin in den USA gebar. Beide Kinder leben nun in einem gemeinsamen Haushalt mit den seltsamen Geschwistern - und die französischen Behörden rätseln, wie man die Verwandtschaftsverhältnisse bezeichnen könnte. Hätte die künstliche Befruchtung auf französischem Territorium stattgefunden, hätte der behandelnde Arzt bis zu 5 Jahren Gefängnis riskiert.
Einheitliche Gesetzgebung?
Staatspräsident Jacques Chirac verlangt angesichts der "schwindelerregenden Verantwortung, der uns die neuen Biotechnologien aussetzen", die Installierung einer "universalen" Ethikkommission bei den Vereinten Nationen. Andere schlagen bescheidenere Töne an und verlangen nach einheitlichen Regelungen innerhalb der europäischen Gemeinschaft.
Doch folgt man den Aussagen des internationalen Bioethikausschusses der UNESCO, so wird es wohl noch lange dauern, bis sich zumindest die Europäer einigen. Denn noch streitet man sich - in Frankreich neuerdings auch vor Gericht -, ab welchem Zeitpunkt ein menschliches Embryo eine Person ist oder ob es sich in den ersten Phasen des Lebens bloß um eine "Ansammlung von Zellen" handle. Diese Entscheidung will der Ethikrat der UNESCO den einzelnen Nationen und ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund überlassen: "Aus dieser Sicht könnte man argumentieren, dass jede Gesellschaft auf nationaler Ebene entscheiden sollte, was als eine annehmbare nationale Position gelten könnte." Während die Debatte also eröffnet ist und nur zögerlich vonstatten geht, überrascht uns die Wissenschaftler jeden Tag aufs Neue mit ihren Revolutionen aus dem Reagenzglas.