"Die ganze Privatisierung hat dazu geführt, dass wir mittlerweile fast realsozialistische Verhältnisse haben"

Seite 2: "Es wird eine Reihe von Zuckerln geben"

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Sie kritisieren die Vorstellung, dass der Markt zum Moderator von Problemen gemacht werden soll, die er selbst verursacht hat. Womit hängt die immer noch währende Hegemonie dieser Vorstellung zusammen? Liegt es daran, dass Politiker und Wirtschaftsführer sich ihre alten Fehler nicht eingestehen wollen?

Franz Kotteder: Das hängt damit zusammen, dass Politiker mit ökonomischen Grundkenntnissen nicht gerade reich gesegnet sind und sich darauf verlassen, was ihnen von den Universitäten und diversen Wirtschaftsschulen erzählt wird. Hier ist, anders als interessanterweise in den USA, immer noch die neoliberale Schule weit verbreitet. Ich glaube aber, dass diese Rezeption im Abnehmen ist. Man sieht ja in der Griechenlandkrise, dass diese Rezepte möglicherweise in der Theorie ganz gut funktionieren, aber wenn fast 90 Prozent der Bevölkerung kurz vor der Verelendung steht und die Vermögenden ungeschoren bleiben, dann muss irgendwas daran nicht stimmen.

Haben Sie eine Erklärung, warum der neoliberale Umsturz seinerzeit mit Rot-Grün kommen konnte, die seinerzeit mit einem Wahlprogramm aus der Feder Oskar Lafontaines gewonnen hatten, um dann genau das Gegenteil davon umzusetzen?

Franz Kotteder: Das ist in der Tat erstaunlich. Das ist wahrscheinlich ein wenig durch die Persönlichkeit von Gerhard Schröder erklärlich und den Leuten der Regierungsmannschaft, die damals im Einsatz war. Und diese Positionen waren damals auch der Zeitgeist, dem man aufgesessen ist.

Wie würde sich die rechtliche Situation in Deutschland ändern, falls TTIP ratifiziert würde?

Franz Kotteder: Viele Verbraucherschutzgesetze und Umweltschutzauflagen wären Makulatur, weil sie gegen das Völkerrecht verstoßen. Viele kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge könnten sich nicht mehr halten, weil sie gegen die Pflicht zur Privatisierung verstoßen. Das Einzige, was noch Bestand haben könnte, wäre das Grundgesetz. In der konkreten Auswirkung könnte die Politik viele Gesetze von vorn herein nicht mehr beschließen, weil sie den Freihandelsvorgaben widersprächen.

Dann ist natürlich auch noch die Frage, wie dieses Freihandelsabkommen konkret aussieht: Was wir kennen sind Entwürfe, Vorschläge und einzelne Grundsatzpapiere, aber inzwischen sind in Geheimverhandlungen eine Masse Beschlüsse gefasst worden, die der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt sind.

Sie kennen ja auch das Davos-Statement von Sigmar Gabriel, wo er die Vorbehalte der Bevölkerung gegen TTIP mit Reichtum und Hysterie erklärt. Können Sie sich das erklären?

Franz Kotteder: Sigmar Gabriel fährt hier einen seltsamen Schlingerkurs: Einesteils will er seine Partei bedienen, weshalb er ein Sondergericht neben den internationalen Gerichten ablehnt, andererseits ist er extrem wirtschaftsfreundlich, indem er behauptet, wir bräuchten TTIP unbedingt. Beides geht meiner Meinung nach nicht zusammen.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen, dass TTIP ratifiziert wird und was muss passieren, damit dies nicht geschieht?

Franz Kotteder: Es lässt sich vor allem schwer abschätzen, was denn im Endeffekt ratifiziert wird: Ich schätze, dass der endgültige Entwurf um einiges schlanker sein wird. Es wird wahrscheinlich auf einzelne Bereiche verzichtet werden. Man hat ja kurioserweise im ursprünglichen Verhandlungsmandat den audiovisuellen Bereich auf Wunsch von Frankreich ausgeklammert, weil die Franzosen ihre Filmwirtschaft erhalten wollen. Ich nehme an, es wird eine Reihe von Zuckerln geben, mit denen den nationalen Regierungen ihre Zustimmung schmackhaft gemacht werden sollen. Ich glaube aber im Endeffekt, dass TTIP nicht durchkommen wird, wenn sich dagegen ein entsprechender internationaler Widerstand erhebt.

Europaweit gibt es schon 1,5 Millionen Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen. Aber wir brauchen auch den Druck von der Straße.

Es gibt Stimmen, nach denen Deutschland mit der Agenda 2010 an Krise der EU zumindest eine Teilschuld hat, weil damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden konnten, welche einen deutschen Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/44/44423/1.html möglich gemacht haben, dem wiederum die Länder im Süden der EU nichts entgegenzusetzen haben ...

Franz Kotteder: Von der Euro-Krise hat Deutschland tatsächlich profitiert. Die Wirtschaftsweisen sagen für Deutschland nächstes Jahr 2,1 Prozent Wachstum voraus. Da kann man sich schon fragen, wie das möglich ist.

Schlägt sich dieses Wirtschaftswachstum noch im Geldbeutel von Otto Normalverbraucher nieder?

Franz Kotteder: Ich merke davon nichts. Ich arbeite wohl in der falschen Branche.

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