Die geistigen Helfer

Intelligente Agenten - wollen wir sie wirklich?

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Von allen modischen und unheimlichen Traumgebilden, die aus dem Web entstanden sind, seitdem es populär geworden ist, haben sich die intelligenten Agenten als die modischsten und unheimlichsten erwiesen. Und es gibt sie bereits, wenn man sich die Pressemitteilungen ansieht, die meinen Email-Server überschwemmen: autonome Programme, die im Cyberspace umherflitzen und unsere (großenteils auf den Konsum ausgerichteten) Befehle ausführen, während wir ausgegangen sind, um einem Footballspiel zuzuschauen, Liebe oder irgend etwas anderes zu machen, was wir unsere Software nicht für uns machen lassen wollen.

Die zugrundeliegende Idee ist einfach. Intelligente Agenten ziehen durch den Cyberspace und sammeln alles Mögliche. Im Unterschied zu Suchmaschinen, die bestehende Datenbanken absuchen, sind Agenten frei umherziehende Codestücke, die selbst in das Internet hinausgehen, wenn man ihnen einmal den Befehl dazu gegeben hat, und nach den vom Benutzer gewünschten Informationen suchen.

Ein Agent lernt Neues und ändert seine eigene Programme ab, die auf seinem wachsenden Wissen über seinen Herrn basieren. Man gibt ihm die ersten Anweisungen, aber wenn er einmal wie ein Kind, das in die Schule kommt, nicht mehr unter der Kontrolle steht, handelt er selbständig.

Nach der herkömmlichen Überzeugung, wie man sie auf der Website für "Autonome Agentenprogramme" des MIT Medialab oder in einem neuen Buch von IBM-Programmierern mit dem Titel "Constructing Intelligent Agents with Java" findet, geht man davon aus, daß Agenten die ultimativen Killeranwendungen des Internet sein werden.

Im agentenunterstützen Bereich des elektronischen Handels und der Unterhaltung lassen sich möglicherweise, da wir unsere Wünsche dem Autopilot überlassen können, Profite erzielen, die man sich bisher nur auf den Seiten der Zeitschrift Wired oder in den Werbetexten der Venturekapital-Firmen aus dem Silicon Valley erwartet.

In diesem Fall aber denke ich, daß die herkömmliche Überzeugung sich einer Überzeugung öffnet, die viel älter und sogar noch viel konventioneller ist.

Im Jahr 1967 erklärte Marshall McLuhan, der Vater aller Medientheoretiker, einer verblüfften Barbara Walters, daß das mit den elektronischen Medien verbundene Unbehagen daher rührt, daß sie die Menschen, die sie benutzen, transportieren. "Am Telefon", so sagte er, "wirst DU gesendet und nicht die Botschaft. Deshalb ist das Medium die Botschaft. Es sendet dich, und nicht das, was du sagst."

Aber mit den intelligenten Agenten wird diese Regel anscheinend außer Kraft gesetzt oder zumindest verletzt. Werden wir irgendwohin gesendet? In diesem neuen Kontext spiegelt die Meinung von McLuhan den Glauben der amerikanischen Ureinwohner wider, daß die Fotografie die Seele eines Menschen raubt, daß in der Verwandlung des Körpers in ein zweidimensionales Bild aus Silbernitrat irgendwie das Wesen verlorengeht oder zumindest für immer der Herrschaft seines Trägers entgleitet. Ganz ähnlich erleichtert das Zeitalter der elektronischen Medien das immer tiefere Eintauchen in den anorganischen Cyberspace.

Ich habe immer gesagt, daß jedes Gerät oder jedes Netzwerk, mit dem wir unser Wesen ausdrücken, auch wenn es auf elektronische Weise geschieht, als Erweiterung unseres Willens und sogar unseres Geistes dient. Doch Agenten könnten diese Erweiterung ein wenig über die Grenze des von uns Gewünschten hinaus vorantreiben.

Wenn uns ein Telefonanruf oder der Besuch einer Website buchstäblich irgendwohin sendet, was macht dann ein Agent? Ist er eine Erweiterung von uns selbst oder eher eine Art Abkömmling, der unsere Interessen so gut wie möglich repräsentiert?

Wenn wir telefonieren oder uns in einem Chat-Raum befinden, interagieren wir direkt mit der Person am anderen Ende. Wenn wir einen Agenten ausschicken, um unsere Befehle auszuführen, befinden wir uns einen Schritt oder vielleicht auch viele Schritte hinter den Auswirkungen unserer Handlungen. Es wird etwas über unseren Wahrnehmungshorizont und unsere Verfügungsgewalt hinaus transportiert. Da draußen ist, wie McLuhan sagte, ein Teil von UNS.

Die Macht der Agenten kommt aus ihrer Programmierung, die es ermöglicht, ihr eigenes Wesen zu verändern, das auf der zunehmenden Vertrautheit mit unseren Wünschen basiert. Selbst die einfachsten Agenten der ersten Generation, die Führer für Filme von Firefly, verdeutlichen dieses möglicherweise unheimliche Prinzip. Das Programm bittet einen, eine Reihe von Filmen zu beurteilen. Dann wird der Agent nur die Filmtitel angeben, von denen er denkt, daß man sie mag. Mit der Zeit lernt die Software, wenn sie die Beurteilung von weiteren Filmen beobachtet, den Geschmack des Benutzers so gut kennen, daß sie dessen Ästhetik besser zu antizipieren vermag als dieser selbst. Das Foto ist gemacht worden.

Die Möglichkeiten der Software sind wirklich erstaunlich. Ein wissenschaftlicher Agent wird eine Recherche, für die man Monate braucht, innerhalb weniger Minuten leisten. Ein Agent zum Sammeln von Nachrichten wird täglich, stündlich oder alle 10 Minuten Informationen zusammenstellen. Ein Einkaufsagent wird einem den besten Preis für ein bestimmtes Produkt, das irgendwo im Cyberspace angeboten wird, beschaffen.

Ihre Anbieter glauben, daß Agenten, soweit ich das ihrem jüngsten Werberummel entnehmen kann, irgendwann die Online-Welt beherrschen werden. Das wäre natürlich ein Segen für die Geschäfte, aber wo bleiben wir Menschen dabei?

Wer von uns sich in diese neue Frontier verliebt hat, wird verstehen, daß es sich um eine Beziehung von Geben und Nehmen handelt. Je mehr wir uns selbst in den Cyberspace investieren, desto menschlicher wird er werden. Doch wird jeder, der lange genug vor einem flimmernden Fernseher gesessen ist, zumindest zeitweise denselben Abscheu verspürt haben, der auch die Indianer vom Fotoapparat fernhält: die Angst, einen Teil von sich selbst an die Dunkelheit auf der anderen Seite zu verlieren. Mir scheint, daß intelligente Agenten dieses Gefühl nur verstärken. Sie erweitern nicht wirklich den Geist: sie saugen ihn aus.

Die Maschinen des Kapitalismus, die ihre Macht durch die Technik erhalten, ziehen uns immer in die Richtung, in der sich die größte Gewinnaussicht eröffnet. Aber wir sind auch geistige Säugetiere, die von der Erinnerung an die Ahnen und dem Bedürfnis beherrscht werden, höhere Bewußtseinsstufen und eine größere Verbindung untereinander zu erreichen.

Ich glaube, daß für viele von uns angesichts einer Software, deren raison d'etre es ist, unser geistiges Wesen aufzunehmen und zu verkörpern, während sie uns hinter sich zurückläßt, der vorsichtige Stammesangehörige gegenüber dem raffgierigen Venturekapitalisten triumphieren wird. Welchen Nutzen hat schließlich ein Mensch, wie der erste Modernist der Geschichte schrieb, wenn er die Welt gewinnt und dabei seine Seele verliert?

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer

Copyright 1997 by Douglas Rushkoff

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